Wer nicht gerade Hobby-Bergsteiger ist oder aktiv bei der Freiwilligen Feuerwehr, verliert bei den Komponenten einer Schutzausrüstung gegen Absturzrisiken schnell den Überblick. Da gibt es Rückhaltesysteme, die ein Abstürzen verhindern, und Auffangsysteme, die einen menschlichen Körper im freien Fall aufhalten. Diverse Arten von Gurten benötigen als Körperhaltevorrichtungen spezifische Befestigungssysteme und Verbindungselemente wie etwa Karabinerhaken. Per Seilzugangstechnik gelangt man an hoch gelegene Arbeitsplätze, wo man dann ein Arbeitsplatzpositionierungssystem nutzt. Je nach der potenziellen Absturzhöhe, der sogenannten Gesamtfallstrecke, kommen Höhensicherungsgeräte oder falldämpfende Verbindungsmittel zum Einsatz. Und damit das Ganze funktioniert, bedarf es geeigneter Anschlagmöglichkeiten wie Ringösen oder Trägern an Gebäuden oder Anlagen, an denen diese Sicherungssysteme befestigt werden können. Nicht ohne Grund muss das Nutzen von PSAgA im Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Elemente sorgsam gelernt und immer wieder geübt werden.
Gut zu wissen ist, dass die Eigenschaften dieser lebensrettenden Komponenten durch eine Vielzahl von Normen festgelegt und standardisiert werden. So befasst sich etwa die DIN EN 361 mit den Werkstoffen, der Ergonomie und der Prüfung der statischen Belastbarkeit von Auffanggurten, während die DIN EN 795 die Leistungsanforderungen und Prüfverfahren für Anschlageinrichtungen definiert.
Grundregeln vor dem Einsatz von PSAgA
Es mag widersprüchlich klingen, doch oberstes Gebot vor einem Einsatz von PSAgA ist, den Einsatz von PSAgA zu vermeiden. Die erste Frage sollte stets lauten, ob ein Klettern in der Höhe wirklich notwendig ist oder ob ein Arbeitsgerüst oder eine Hubarbeitsbühne eingesetzt werden kann. In jüngster Zeit werden zudem manche Überwachungsaufgaben in luftiger Höhe, für die bislang professionelle Industriekletterer notwendig waren, von Drohnen übernommen. Ferngesteuert und mit Kameras oder spezifischen Sensoren bestückt, dienen die Quadrokopter oder Multikopter dazu, Schornsteine und Dachkonstruktionen, Kühltürme oder Windräder zu inspizieren, ohne dass irgendwer mit Karabinern und Gurten hantieren müsste.
Die zweite Grundregel lautet, dass – in Übereinstimmung mit der bekannten TOP-Rangfolge – kollektiv wirkende Schutzmaßnahmen Vorrang haben gegenüber individueller PSAgA. Auch die Arbeitsstättenregel ASR A2.1 betont dies explizit. Das bedeutet, dass dort, wo
- baulich-technische Absturzsicherungen wie Geländer, Zäune, durchbruchsichere Abdeckungen, Seitenschutz usw. oder
- Auffangsicherungen, etwa Sicherungsnetze oder Fanggerüste,
angebracht werden können, auf das Tragen von PSAgA möglicherweise verzichtet werden kann. PSAgA darf niemals dazu dienen, solche Absturz- und Auffangsicherungen zu ersetzen oder gar behebbare Mängel wie etwa den fehlenden Seitenschutz eines Arbeitsgerüstes auszugleichen.
Zentrale Rolle der Gefährdungsbeurteilung
Maßgeblich ist stets die Gefährdungsbeurteilung, vor Ort und auf die Tätigkeit, die Personen und die Arbeitsumgebung bezogen. Dabei sollte jeder Vorgesetzte und Sicherheitsverantwortliche wissen, dass im Arbeitsschutzrecht eine Gefährdung durch Absturz bereits ab einer Absturzhöhe von mehr als einem Meter beginnt!
PSAgA kommt spätestens dann zum Einsatz, wenn sich unvermeidbare Absturzrisiken nicht in ausreichendem Maß durch technische Lösungen oder organisatorische Maßnahmen minimieren lassen. Das gilt nicht nur für den Fall, dass der Aufstieg einem freien Klettern ähnelt, etwa bei der Baumpflege oder beim Besteigen von Freileitungen. PSAgA wird auch in vielen anderen Situationen mit Absturzgefahren genutzt, etwa bei Tätigkeiten auf Dächern, beim Arbeiten von fahrbaren Hubarbeitsbühnen aus, bei Arbeiten auf Silofahrzeugen oder beim Warten großer Maschinen. Die Gefährdungsbeurteilung muss zudem ergeben:
- welche Anforderungen die PSAgA im konkreten Einsatz erfüllen muss
- wie die PSAgA-Nutzer sicher an ihren Arbeitsplatz in der Höhe gelangen und wieder zurück
- welche Anschlageinrichtungen genutzt werden können und auf welche Weise, z. B. sollten Anschlagmittel nicht über scharfe Kanten gezogen werden
- inwiefern PSAgA die Schutzwirkung anderer bei diesem Einsatz erforderlicher PSA beeinträchtigen könnte
- inwiefern das Nutzen von PSAgA zu neuen Gefährdungen führt, etwa wenn durch gespannte Seile Stolperstellen entstehen
- wie die PSAgA-Anwender bei einer Verletzung oder einem Zwischenfall sicher gerettet werden können
Auch Werkzeug droht der Absturz
Neben den Kletterern, Höhenarbeitern und PSAgA-Nutzern dürfen die Gefährdungen für Personen in der Umgebung nicht vergessen werden. PSAgA kann die Schwerkraft nicht aufheben. Auch wenn ihr Träger vor Absturz beziehungsweise Aufprall geschützt ist, können herunterfallende Werkzeuge, Gegenstände und Materialien zur Gefahr werden. Die Gefährdungsbeurteilung muss auch diese Risiken konsequent erfassen und festlegen, wie die Bereiche unterhalb der Höhenarbeiten gesichert, abgesperrt und gekennzeichnet beziehungsweise überwacht werden.
PSAgA schützt übrigens nicht nur beim Klettern nach oben, sondern auch beim Abstieg in die Tiefe, in Schächte, Stollen oder Silos. Ein weiteres Einsatzgebiet sind Arbeitssituationen, bei denen ein Versinken möglich ist, etwa bei Arbeiten über Wasser oder über losen Schüttgütern.
PSAgA korrekt und sicher nutzen
Wie für jede Art von Schutzausrüstung gelten auch für das Verwenden von PSAgA bestimmte Vorgaben:
- PSAgA-Komponenten gezielt der Situation angemessen auswählen
- PSAgA ausschließlich zum Sichern von Personen einsetzen, niemals als Anschlagmittel für andere Lasten, Werkzeuge oder Materialien missbrauchen
- Herstellerangaben zur Ablegereife beachten, denn Gurte und Verbindungsmittel altern und verschleißen
- PSAgA vor jedem Einsatz einer Sichtprüfung und Funktionsprüfung durch den Benutzer unterziehen
- PSAgA-Komponenten, die nicht nur von ein und derselben Person genutzt werden, individuell anpassen und regelmäßig reinigen
- PSAgA in trockener Umgebung und ohne direkter Sonneneinstrahlung aufbewahren
- PSAgA vor potenziell schädigenden Umgebungseinflüssen schützen wie Hitze, Kälte, Chemikalien, Lösungsmittel, Öle, auch vor Funkenflug oder Schweißperlen
Verschmutzte PSAgA ist gemäß den Angaben des Herstellers zu reinigen. Auf Reinigungschemikalien wie Weichspüler, Bleichmittel, chlorhaltige Mittel oder Scheuermittel sollte man verzichten, sofern ihre Verwendung nicht explizit vom Hersteller empfohlen wird.
Prüfung erfordert Sachkunde
Auch wenn es schnell gehen soll oder einfach aussieht („Mach doch nen Knoten…“), PSAgA darf nicht selbst repariert oder ausgebessert werden. Niemand ohne entsprechende Sachkunde darf z. B. Gurte flicken oder Seile behelfsmäßig verlängern. Es gilt:
- Sämtliche Komponenten einer PSAgA spätestens alle 12 Monate durch einen Sachkundigen (gemäß DGUV Grundsatz 312–906) überprüfen lassen.
- Beschädigte PSAgA unverzüglich aussortieren und sachkundig kontrollieren lassen. Dies gilt auch für PSAgA-Komponenten nach einem Absturz.
- Reparaturen und Ausbesserungen nur von qualifiziertem Personal, gemäß den Angaben des Herstellers und mit dem Original entsprechenden Ersatzteilen vornehmen.
- PSA gegen Absturz fällt unter die PSA der Kategorie III, die vor tödlichen Risiken schützt. Ihr Einsatz darf daher nur durch Personen erfolgen, die in Theorie und Praxis unterwiesen wurden. Die aktive Teilnahme an einem Training ist unerlässlich. Dieses sollte auch Rettungsübungen unter dem Ernstfall vergleichbaren Bedingungen beinhalten. Für das Üben und Trainieren ist eine zweite unabhängige Sicherung unverzichtbar. Die DGUV nennt die Anforderungen an Ausbildungsstätten und Ausbilder solcher Trainings im DGUV Grundsatz 312–906.
- Trotz aller Unterweisungen und Übungen sollte niemand zum Arbeiten in der Höhe aufgefordert werden, der nicht zu 100 Prozent dazu bereit ist. Wer sich – auch mit hochwertigster und korrekt angelegter PSAgA – vor einem Einsatz unwohl oder unsicher fühlt, sollte unbedingt am Boden bleiben. Auch sollten Höhenarbeiten niemals in Alleinarbeit, sondern stets von mindestens zwei Personen ausgeführt werden.
Aufgefangen, aber noch nicht sicher
Wenn bei einem Absturz die PSAgA bestens funktioniert und den Körper auffängt, bleibt die Situation für die verunfallte Person dennoch lebensgefährlich. Denn bei bewegungslosem freiem Hängen in Gurt und Seil droht nicht nur Bewusstlosigkeit. Der Betroffene kann auch an einem sogenannten Hängetrauma versterben, wenn sich die Rettung verzögert. Von Bergsteigern sind solche Todesfälle bekannt – unabhängig davon, ob der Sturz selbst zu Verletzungen geführt hatte oder nicht.
Als Ursache dieses lebensbedrohlichen Schockzustandes wird angenommen, dass in der bewegungslosen Lage die sogenannte Muskelpumpe der Beinmuskulatur fehlt. Dadurch besteht die Gefahr, dass der Kreislauf zusammenbricht, sich die Herzfrequenz verlangsamt, der Blutdruck abfällt und das Gehirn nicht mehr ausreichend durchblutet wird. Ein solcher Zusammenbruch kann plötzlich erfolgen, ohne vorherige Warnzeichen und auch dann, wenn das Unfallopfer bei Bewusstsein ist. Die Retter sollten daher betroffene Personen unverzüglich vom Gurt lösen und in eine horizontale Lage bringen. Ist ein schnelles Abhängen nicht möglich, sollte der Betroffene die Beine bewegen, um die Muskelpumpe wieder anzutreiben. Trittschlingen haben sich dafür als sehr nützlich erwiesen.
Neue Vorgaben bei Rettung: Horizontal statt Kauerstellung
Früher wurde empfohlen, Unfallopfer nach der Bergung in die sogenannte Kauerstellung zu bringen. Dies ist nach neueren Erkenntnissen inzwischen hinfällig, heute gilt die Flachlagerung als die bessere Wahl. Die DGUV Information 204–011, die über die Erste Hilfe in einer solchen Notfallsituation informiert, wurde 2021 inhaltlich an die neuen Erkenntnisse angepasst. Die DGUV Regel 112–199 befasst sich mit weiteren möglichen Rettungsmaßnahmen und deren Planung und Vorbereitung.
Die wichtigsten Rechtsgrundlagen zur Verwendung von PSAgA
ASR A2.1 „Schutz vor Absturz und herabfallenden Gegenständen“
TRBS 2121 „Gefährdung von Beschäftigten durch Absturz“
DGUV Regel 112–198 „Benutzung von persönlichen Schutzausrüstungen gegen Absturz“
DGUV Regel 112–199 „Retten aus Höhen und Tiefen mit persönlichen Absturzschutzausrüstungen“
DGUV Information 203–047 „Schutz gegen Absturz beim Bau und Betrieb von Freileitungen“
DGUV Information 204–011 „Erste Hilfe – Notfallsituation: Hängetrauma“
Autor:
Dr. Friedhelm Kring
Redaktionsbüro BIOnline