Das BEM hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und vielerlei Konturen durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) erfahren. Es dient der Überwindung der Arbeitsunfähigkeit und dem Erhalt des Arbeitsplatzes auch leistungsgeminderter Arbeitnehmer.
Seit 2004 ist das BEM im neunten Sozialgesetzbuch verankert (§ 167 SGB IX). Durch das BEM-Verfahren sollen erkrankte Arbeitnehmer, die dauerhaft oder nur vorübergehend in ihrer Leistungsfähigkeit gemindert sind, wieder in das Arbeitsleben zurückgeführt und in den Betrieb re-integriert werden. Für den Arbeitnehmer liegt der Vorteil des BEM darin, dass er trotz andauernder Arbeitsunfähigkeit wieder am Arbeitsleben teilhaben kann. Für den Arbeitgeber besteht der Vorteil darin, dass er Kosten einsparen kann und das Know-how seiner Arbeitnehmer trotz Krankheit dauerhaft im Betrieb bleibt. Zudem fördert es das Ansehen des Betriebes intern und extern, wenn der Arbeitgeber sich für seine (erkrankten) Arbeitnehmer einsetzt.
Ablauf des BEM-Verfahrens
Das Verfahren beginnt mit dem Anschreiben des Arbeitgebers, in welchem er dem betroffenen Arbeitnehmer ein Angebot zur Durchführung des BEM-Verfahrens unterbreitet. Erklärt sich der Arbeitnehmer einverstanden, kommt es zu einem Erstgespräch mit dem Arbeitnehmer, in dem alle relevanten Informationen gesammelt werden, um geeignete Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Betrieb zu finden. Im Anschluss wird von den Beteiligten – unter Umständen auch unter Mitwirkung des Betriebsarztes – ein Maßnahmenkatalog erstellt, mit dessen Hilfe am Ende die erfolgreiche Wiedereingliederung des erkrankten Arbeitnehmers in den Betrieb stehen soll.
Rechtliche Grundlagen
Einen Anspruch auf das BEM-Verfahren haben alle Beschäftigten, die über einen Zeitraum von sechs Wochen innerhalb eines Jahres ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt sind. Der Arbeitgeber klärt dann mit der Inter-essenvertretung (Betriebs- oder Personalrat), bei schwerbehinderten Menschen auch mit der Schwerbehindertenvertretung, die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Diese Klärung erfolgt nur mit Zustimmung und Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers. Daher muss der Betroffene vor Beginn des Verfahrens auf die Ziele des BEM und die Erhebung seiner hierfür relevanten Daten hingewiesen werden. Kommen Leistungen der Rehabilitationsträger oder Integrationsämter in Betracht, sind diese einzubeziehen. Die Interessenvertretungen wachen darüber, dass der Arbeitgeber seine gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt.
Von zentraler rechtlicher Bedeutung sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die wirksame Aufklärung und Zustimmung des Betroffenen, die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretung sowie die Auswirkung auf das Kündigungsverfahren im Falle einer personen- beziehungsweise krankheitsbedingten Kündigung. Relevant ist weiter die Einhaltung der Datenschutzrechte des Betroffenen, denn es werden sensible Daten zu seinem Gesundheitszustand erhoben. Nach der Definition des Bundesarbeitsgerichts ist das BEM-Verfahren ein verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess. Das bedeutet, dass nach Ausschöpfung aller verfügbaren Möglichkeiten als Ergebnis auch stehen kann, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, den erkrankten Arbeitnehmer leidensgerecht einzusetzen.
Vorgaben durch das BAG
Der betroffene Arbeitnehmer ist nach der Rechtsprechung Herr des Verfahrens. Vor Erteilung seiner Zustimmung muss der Arbeitgeber ihm ein ordnungsgemäßes BEM-Angebot machen. Das bedeutet, er muss vollständig darüber aufgeklärt werden, was mit seinen Krankheitsdaten geschieht, und darauf hingewiesen werden, dass das BEM-Verfahren freiwillig ist. Der Betroffene kann jederzeit – auch nachdem das Verfahren bereits begonnen hat – auf die (weitere) Durchführung des BEM verzichten. Zudem muss der Betroffene darauf aufmerksam gemacht werden, dass nach seinem Wunsch von der Beteiligung des Betriebs- oder Personalrats und auch der Schwerbehindertenvertretung abgesehen werden kann (Urteil des BAG v. 22.03.2016 – 1 AZR 14/14).
Wenn der Betroffene die Beteiligung der Interessenvertretungen wünscht, sollen Arbeitgeber und die Interessenvertretungen möglichst Hand in Hand zusammenarbeiten. In größeren Betrieben wird hierfür zumeist ein sogenanntes „BEM-Team“ gebildet, das aus Vertretern des Arbeitgebers (Personalabteilung) und der Interessenvertretungen besteht. Bestenfalls schließen die Arbeitgeber und Interessenvertretung eine Betriebsvereinbarung zum BEM ab, in der die einzelnen Verfahrensschritte und rechtlichen Vorgaben verbindlich geregelt werden. Ansonsten ist jeder Verfahrensschritt des BEM zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber im Einzelfall zu klären (Urteil des BAG vom 22.03.2016 – 1 AZR 14/14). Zu beachten ist aber, dass nach den gesetzlichen Vorgaben der Arbeitgeber für das BEM-Verfahren verantwortlich bleibt. Er muss die Maßnahmen zur Eingliederung des betroffenen Arbeitnehmers durchführen. Diese Pflicht darf nicht – auch nicht durch eine Betriebsvereinbarung – auf die Interessenvertretungen delegiert werden. Diese haben insoweit lediglich Kontroll- und Initiativrechte.
Aus dem Kontroll- und Initiativrecht folgt der Anspruch des Betriebsrates, die Daten derjenigen Beschäftigten zu erhalten, die dauerhaft arbeitsunfähig sind. Der Anspruch bezieht sich auf die Namen und die Angabe, dass eine Arbeitsunfähigkeit länger als sechs Wochen besteht.
Diese Informationspflicht gilt auch, wenn der Betroffene die Beteiligung von Betriebsrat oder Schwerbehindertenvertretung ausgeschlossen hat (Urteil des BAG v. 07.02.2012 – Az. 1 ABR 46/10).
Besondere Bedeutung des Datenschutzes
Jeder Umgang mit den Gesundheitsdaten des betroffenen Arbeitnehmers stellt einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar und bedarf seiner ausdrücklichen Einwilligung. Der Betroffene benötigt das Vertrauen, dass mit seinen Daten sorgsam umgegangen wird. Daher ist er bereits im ersten Anschreiben umfassend über die Verwendung seiner Daten aufzuklären. Zudem sind im Betrieb die Personal- und die BEM-Akte des Betroffenen separat voneinander aufzubewahren. Zugang zu den BEM-Daten dürfen nur die am Verfahren beteiligten Personen haben. Zur Absicherung sollten die Verantwortlichen im BEM-Team eine gesonderte Verschwiegenheitsverpflichtung zum BEM unterzeichnen. Auch sollten BEM-Betriebsvereinbarungen gesonderte Regelungen zum Datenschutz enthalten. Arbeitgeber und Interessenvertretung müssen sich im Klaren darüber sein, dass der ordnungsgemäße Umgang mit den personenbezogenen Daten die Transparenz und das Vertrauen in den betrieblichen BEM-Prozess fördert.
Folgen für ein Kündigungsschutzverfahren
Auch mit den Folgen für eine krankheitsbedingte Kündigung hat sich das Bundesarbeitsgericht bereits mehrfach befasst. Demnach ist das BEM zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung einer krankheitsbedingten Kündigung. Ein unterlassenes oder nicht ordnungsgemäßes BEM-Verfahren führt aber regelmäßig zur Unverhältnismäßigkeit der Kündigung. Bei der arbeitsgerichtlichen Überprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung gilt immer der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Demnach muss die Kündigung das äußerste Mittel sein („Ultima-Ratio-Prinzip“). Das BEM dient dazu, mildere Mittel auszuloten, insbesondere die mögliche Weiterbeschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz. Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung eines BEM-Verfahrens, muss er im Kündigungsverfahren beweisen, dass ein BEM-Verfahren – wäre es durchgeführt worden – ergeben hätte, dass es keine alternativen (Weiter-) Beschäftigungsmöglichkeiten gegeben hätte (BAG v. 13.5.2015 – 2 AZR 565/14). Dies ist aus prozessualen Gründen jedoch äußerst schwer und gelingt Arbeitgebern nur selten. Wurde das BEM hingegen dem Arbeitnehmer ordnungsgemäß angeboten, aber von diesem verweigert, ist dies nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts „kündigungsneutral“, hat also keine Auswirkungen zum Nachteil des gekündigten Arbeitnehmers.
Fazit
Die Rechtsprechung sieht das BEM-Verfahren als „verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess“ an. Es bedarf einer vertrauensvollen Kommunikation, um die Bereitschaft des Betroffenen für das BEM zu gewinnen. Ein wirksamer Datenschutz ist dabei eine Grundvoraussetzung eines ordnungsgemäßen BEM-Verfahrens.
Auch die Auswirkungen des BEM auf ein Kündigungsschutzverfahren sind für den Arbeitgeber von erheblicher Bedeutung, insbesondere aus beweistaktischen Gründen. Zu empfehlen ist ferner stets der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zum BEM. In der Gesamtbetrachtung ist das BEM-Verfahren eine Win-win-Situation für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, wenn es aus rechtlicher Sicht nach den Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts umgesetzt wird und die Durchführung von gegenseitigem Vertrauen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geprägt ist.