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Rechtliche Vorgaben zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement

Fallstricke beachten
Rechtliche Vorgaben zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement

Rechtliche Vorgaben zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement
Foto: © doris_bredow – stock.adobe.com
Im Fach­beitrag „Schritt für Schritt zurück in den Beruf“ (erschienen in Aus­gabe 8/16) wur­den in dieser Zeitschrift bere­its die Grundzüge des Betrieblichen Eingliederungs­man­age­ments (BEM) dargestellt. Dieser Beitrag wid­met sich nun den rechtlichen Anforderun­gen an ein ord­nungs­gemäßes BEM-Verfahren.

Das BEM hat in den ver­gan­genen Jahren zunehmend an Bedeu­tung gewon­nen und viel­er­lei Kon­turen durch die Recht­sprechung des Bun­de­sar­beits­gerichts (BAG) erfahren. Es dient der Über­win­dung der Arbeit­sun­fähigkeit und dem Erhalt des Arbeit­splatzes auch leis­tungs­ge­mindert­er Arbeitnehmer.

Seit 2004 ist das BEM im neun­ten Sozialge­set­zbuch ver­ankert (§ 167 SGB IX). Durch das BEM-Ver­fahren sollen erkrank­te Arbeit­nehmer, die dauer­haft oder nur vorüberge­hend in ihrer Leis­tungs­fähigkeit gemindert sind, wieder in das Arbeit­sleben zurück­ge­führt und in den Betrieb re-inte­gri­ert wer­den. Für den Arbeit­nehmer liegt der Vorteil des BEM darin, dass er trotz andauern­der Arbeit­sun­fähigkeit wieder am Arbeit­sleben teil­haben kann. Für den Arbeit­ge­ber beste­ht der Vorteil darin, dass er Kosten eins­paren kann und das Know-how sein­er Arbeit­nehmer trotz Krankheit dauer­haft im Betrieb bleibt. Zudem fördert es das Anse­hen des Betriebes intern und extern, wenn der Arbeit­ge­ber sich für seine (erkrank­ten) Arbeit­nehmer einsetzt.

Ablauf des BEM-Verfahrens

Das Ver­fahren begin­nt mit dem Anschreiben des Arbeit­ge­bers, in welchem er dem betrof­fe­nen Arbeit­nehmer ein Ange­bot zur Durch­führung des BEM-Ver­fahrens unter­bre­it­et. Erk­lärt sich der Arbeit­nehmer ein­ver­standen, kommt es zu einem Erst­ge­spräch mit dem Arbeit­nehmer, in dem alle rel­e­van­ten Infor­ma­tio­nen gesam­melt wer­den, um geeignete Maß­nah­men zur Wiedere­ingliederung in den Betrieb zu find­en. Im Anschluss wird von den Beteiligten – unter Umstän­den auch unter Mitwirkung des Betrieb­sarztes – ein Maß­nah­menkat­a­log erstellt, mit dessen Hil­fe am Ende die erfol­gre­iche Wiedere­ingliederung des erkrank­ten Arbeit­nehmers in den Betrieb ste­hen soll.

Rechtliche Grundlagen

Einen Anspruch auf das BEM-Ver­fahren haben alle Beschäftigten, die über einen Zeitraum von sechs Wochen inner­halb eines Jahres unun­ter­brochen oder wieder­holt arbeit­sun­fähig erkrankt sind. Der Arbeit­ge­ber klärt dann mit der Inter-essen­vertre­tung (Betriebs- oder Per­son­al­rat), bei schwer­be­hin­derten Men­schen auch mit der Schwer­be­hin­derten­vertre­tung, die Möglichkeit­en, wie die Arbeit­sun­fähigkeit über­wun­den und der Arbeit­splatz erhal­ten wer­den kann. Diese Klärung erfol­gt nur mit Zus­tim­mung und Beteili­gung des betrof­fe­nen Arbeit­nehmers. Daher muss der Betrof­fene vor Beginn des Ver­fahrens auf die Ziele des BEM und die Erhe­bung sein­er hier­für rel­e­van­ten Dat­en hingewiesen wer­den. Kom­men Leis­tun­gen der Reha­bil­i­ta­tion­sträger oder Inte­gra­tionsämter in Betra­cht, sind diese einzubeziehen. Die Inter­essen­vertre­tun­gen wachen darüber, dass der Arbeit­ge­ber seine geset­zlichen Verpflich­tun­gen erfüllt.

Von zen­traler rechtlich­er Bedeu­tung sind nach der Recht­sprechung des Bun­de­sar­beits­gerichts die wirk­same Aufk­lärung und Zus­tim­mung des Betrof­fe­nen, die Mitwirkungsrechte des Betrieb­srates und der Schwer­be­hin­derten­vertre­tung sowie die Auswirkung auf das Kündi­gungsver­fahren im Falle ein­er per­so­n­en- beziehungsweise krankheits­be­d­ingten Kündi­gung. Rel­e­vant ist weit­er die Ein­hal­tung der Daten­schutzrechte des Betrof­fe­nen, denn es wer­den sen­si­ble Dat­en zu seinem Gesund­heit­szu­s­tand erhoben. Nach der Def­i­n­i­tion des Bun­de­sar­beits­gerichts ist das BEM-Ver­fahren ein ver­laufs- und ergeb­nisof­fen­er Such­prozess. Das bedeutet, dass nach Auss­chöp­fung aller ver­füg­baren Möglichkeit­en als Ergeb­nis auch ste­hen kann, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, den erkrank­ten Arbeit­nehmer lei­dens­gerecht einzusetzen.

Vorgaben durch das BAG

Der betrof­fene Arbeit­nehmer ist nach der Recht­sprechung Herr des Ver­fahrens. Vor Erteilung sein­er Zus­tim­mung muss der Arbeit­ge­ber ihm ein ord­nungs­gemäßes BEM-Ange­bot machen. Das bedeutet, er muss voll­ständig darüber aufgek­lärt wer­den, was mit seinen Krankheits­dat­en geschieht, und darauf hingewiesen wer­den, dass das BEM-Ver­fahren frei­willig ist. Der Betrof­fene kann jed­erzeit – auch nach­dem das Ver­fahren bere­its begonnen hat – auf die (weit­ere) Durch­führung des BEM verzicht­en. Zudem muss der Betrof­fene darauf aufmerk­sam gemacht wer­den, dass nach seinem Wun­sch von der Beteili­gung des Betriebs- oder Per­son­al­rats und auch der Schwer­be­hin­derten­vertre­tung abge­se­hen wer­den kann (Urteil des BAG v. 22.03.2016 – 1 AZR 14/14).

Wenn der Betrof­fene die Beteili­gung der Inter­essen­vertre­tun­gen wün­scht, sollen Arbeit­ge­ber und die Inter­essen­vertre­tun­gen möglichst Hand in Hand zusam­me­nar­beit­en. In größeren Betrieben wird hier­für zumeist ein soge­nan­ntes „BEM-Team“ gebildet, das aus Vertretern des Arbeit­ge­bers (Per­son­al­abteilung) und der Inter­essen­vertre­tun­gen beste­ht. Besten­falls schließen die Arbeit­ge­ber und Inter­essen­vertre­tung eine Betrieb­svere­in­barung zum BEM ab, in der die einzel­nen Ver­fahrenss­chritte und rechtlichen Vor­gaben verbindlich geregelt wer­den. Anson­sten ist jed­er Ver­fahrenss­chritt des BEM zwis­chen Betrieb­srat und Arbeit­ge­ber im Einzelfall zu klären (Urteil des BAG vom 22.03.2016 – 1 AZR 14/14). Zu beacht­en ist aber, dass nach den geset­zlichen Vor­gaben der Arbeit­ge­ber für das BEM-Ver­fahren ver­ant­wortlich bleibt. Er muss die Maß­nah­men zur Eingliederung des betrof­fe­nen Arbeit­nehmers durch­führen. Diese Pflicht darf nicht – auch nicht durch eine Betrieb­svere­in­barung – auf die Inter­essen­vertre­tun­gen delegiert wer­den. Diese haben insoweit lediglich Kon­troll- und Initiativrechte.

Aus dem Kon­troll- und Ini­tia­tivrecht fol­gt der Anspruch des Betrieb­srates, die Dat­en der­jeni­gen Beschäftigten zu erhal­ten, die dauer­haft arbeit­sun­fähig sind. Der Anspruch bezieht sich auf die Namen und die Angabe, dass eine Arbeit­sun­fähigkeit länger als sechs Wochen besteht.
Diese Infor­ma­tion­spflicht gilt auch, wenn der Betrof­fene die Beteili­gung von Betrieb­srat oder Schwer­be­hin­derten­vertre­tung aus­geschlossen hat (Urteil des BAG v. 07.02.2012 – Az. 1 ABR 46/10).

Besondere Bedeutung des Datenschutzes

Jed­er Umgang mit den Gesund­heits­dat­en des betrof­fe­nen Arbeit­nehmers stellt einen Ein­griff in das Recht auf infor­ma­tionelle Selb­st­bes­tim­mung dar und bedarf sein­er aus­drück­lichen Ein­willi­gung. Der Betrof­fene benötigt das Ver­trauen, dass mit seinen Dat­en sorgsam umge­gan­gen wird. Daher ist er bere­its im ersten Anschreiben umfassend über die Ver­wen­dung sein­er Dat­en aufzuk­lären. Zudem sind im Betrieb die Per­son­al- und die BEM-Akte des Betrof­fe­nen sep­a­rat voneinan­der aufzube­wahren. Zugang zu den BEM-Dat­en dür­fen nur die am Ver­fahren beteiligten Per­so­n­en haben. Zur Absicherung soll­ten die Ver­ant­wortlichen im BEM-Team eine geson­derte Ver­schwiegen­heitsverpflich­tung zum BEM unterze­ich­nen. Auch soll­ten BEM-Betrieb­svere­in­barun­gen geson­derte Regelun­gen zum Daten­schutz enthal­ten. Arbeit­ge­ber und Inter­essen­vertre­tung müssen sich im Klaren darüber sein, dass der ord­nungs­gemäße Umgang mit den per­so­n­en­be­zo­ge­nen Dat­en die Trans­parenz und das Ver­trauen in den betrieblichen BEM-Prozess fördert.

Folgen für ein Kündigungsschutzverfahren

Auch mit den Fol­gen für eine krankheits­be­d­ingte Kündi­gung hat sich das Bun­de­sar­beits­gericht bere­its mehrfach befasst. Dem­nach ist das BEM zwar keine formelle Wirk­samkeitsvo­raus­set­zung ein­er krankheits­be­d­ingten Kündi­gung. Ein unter­lassenes oder nicht ord­nungs­gemäßes BEM-Ver­fahren führt aber regelmäßig zur Unver­hält­nis­mäßigkeit der Kündi­gung. Bei der arbeits­gerichtlichen Über­prü­fung ein­er krankheits­be­d­ingten Kündi­gung gilt immer der Ver­hält­nis­mäßigkeits­grund­satz. Dem­nach muss die Kündi­gung das äußer­ste Mit­tel sein („Ulti­ma-Ratio-Prinzip“). Das BEM dient dazu, mildere Mit­tel auszu­loten, ins­beson­dere die mögliche Weit­erbeschäf­ti­gung auf einem lei­dens­gerecht­en Arbeit­splatz. Unter­lässt der Arbeit­ge­ber die Durch­führung eines BEM-Ver­fahrens, muss er im Kündi­gungsver­fahren beweisen, dass ein BEM-Ver­fahren – wäre es durchge­führt wor­den – ergeben hätte, dass es keine alter­na­tiv­en (Weit­er-) Beschäf­ti­gungsmöglichkeit­en gegeben hätte (BAG v. 13.5.2015 – 2 AZR 565/14). Dies ist aus prozes­sualen Grün­den jedoch äußerst schw­er und gelingt Arbeit­ge­bern nur sel­ten. Wurde das BEM hinge­gen dem Arbeit­nehmer ord­nungs­gemäß ange­boten, aber von diesem ver­weigert, ist dies nach der Recht­sprechung des Bun­de­sar­beits­gerichts „kündi­gungsneu­tral“, hat also keine Auswirkun­gen zum Nachteil des gekündigten Arbeitnehmers.

Fazit

Die Recht­sprechung sieht das BEM-Ver­fahren als „ver­laufs- und ergeb­nisof­fe­nen Such­prozess“ an. Es bedarf ein­er ver­trauensvollen Kom­mu­nika­tion, um die Bere­itschaft des Betrof­fe­nen für das BEM zu gewin­nen. Ein wirk­samer Daten­schutz ist dabei eine Grund­vo­raus­set­zung eines ord­nungs­gemäßen BEM-Verfahrens.

Auch die Auswirkun­gen des BEM auf ein Kündi­gungss­chutzver­fahren sind für den Arbeit­ge­ber von erhe­blich­er Bedeu­tung, ins­beson­dere aus beweis­tak­tis­chen Grün­den. Zu empfehlen ist fern­er stets der Abschluss ein­er Betrieb­svere­in­barung zum BEM. In der Gesamt­be­tra­ch­tung ist das BEM-Ver­fahren eine Win-win-Sit­u­a­tion für Arbeit­nehmer und Arbeit­ge­ber, wenn es aus rechtlich­er Sicht nach den Vor­gaben des Bun­de­sar­beits­gerichts umge­set­zt wird und die Durch­führung von gegen­seit­igem Ver­trauen zwis­chen Arbeit­nehmer und Arbeit­ge­ber geprägt ist.


Autor:
Recht­san­walt Matthias Klagge, LL.M.

klagge@tigges.legal

Foto: privat
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