Im Arbeitsschutz geht es um das Retten von Personen, und auch hier treten wiederum Probleme mit den Begriffen auf. Leider gibt es in Deutschland zwei unterschiedliche Rechtsbereiche, die unter Retten völlig verschiedene Situationen verstehen.
Unter Retten nach den Rettungsdienstgesetzen der Länder versteht man die präklinische medizinische Versorgung Kranker und Verletzter. Dazu stehen z.B. Notarzteinsatzfahrzeuge, Rettungswagen und im unterstützenden Luftrettungsdienst Rettungshubschrauber zur Verfügung. In der Regel obliegt diese Form der Rettung den Landkreisen.
Unter Retten nach dem Duden versteht steht man die Befreiung von Personen aus einem Gefahrenbereich oder einer bedrohlichen Situation. Diese Form der Rettung ist im Arbeitsschutzrecht vorgeschrieben. Die DGUV-Vorschrift 1 „Grundlagen der Prävention“ fordert im „§ 24 Allgemeine Pflichten des Unternehmers“ (1) Der Unternehmer hat dafür zu sorgen, dass zur Ersten Hilfe und zur Rettung aus Gefahr die erforderlichen Einrichtungen und Sachmittel sowie das erforderliche Personal zur Verfügung stehen.“
Die Praxis zeigt jedoch, dass diese wichtige Pflicht und Forderung von vielen Unternehmen nicht beachtet bzw. in ihrer Tragweite nicht erkannt wird.
Wie stellen sich die beiden geschilderten Rettungssituationen (A) nach Rettungsdienstgesetzen und (B) nach Arbeitschutzrecht dar?
- (A) Bricht sich z.B. ein Mitarbeiter im Unternehmen ein Bein (z.B. Treppensturz, Fahrradunfall, Baustelle …), kommt der Krankenwagen (RTW), versorgt ihn, legt den Verletzten auf eine Trage und transportiert ihn ins Krankenhaus. Der Unternehmer hat quasi keine Verantwortung für den Rettungseinsatz.
- (B) Bricht sich dagegen ein Mitarbeiter bei Arbeiten in einem Behälter das Bein, muss er zunächst aus dieser Lage befreit werden. Dazu sind Rettungsgeräte und ausgebildete Retter notwendig, und diese Art der Rettung hat das Unternehmen zu bewerkstelligen (DGUV Vorschrift 1 §24, siehe oben)! Aber immer noch glauben viele Unternehmer, dass Retten Sache der Feuerwehr ist. Die öffentliche Feuerwehr ist aber nicht verpflichtet und meist auch nicht dazu in der Lage, betriebliche Rettungssituation abzudecken.
Technik und Organiation
Um Rettungsgeräte einsetzen zu können, müssen auch die erforderlichen Anschlagpunkte vorhanden sein. Das ist nicht nur logisch, sondern auch eine Forderung der Betriebssicherheits-Verordnung §11 (2) „Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass Beschäftigte und andere Personen bei einem Unfall oder bei einem Notfall unverzüglich gerettet und ärztlich versorgt werden können. Dies schließt die Bereitstellung geeigneter Zugänge zu den Arbeitsmitteln und in diese sowie die Bereitstellung erforderlicher Befestigungsmöglichkeiten für Rettungseinrichtungen an und in den Arbeitsmitteln ein.“ Auch diese wichtige Forderung einer rechtsverbindlichen Vorschrift bleibt leider in der Praxis in vielen Unternehmen unbeachtet!
Im gewerblichen Bereich kommen vor allem folgende Rettungssituationen vor:
das Retten einer Person, die nach einem Sturz im Auffangsystem hängt (Abb. 1).
Täglich arbeiten vermutlich über tausend Personen in Deutschland mit PSA gegen Absturz (PSAgA). Auch wenn die PSA im Allgemeinen nur als „Notnagel“ betrachtet wird, als Schutz gegen Absturz oder zum Retten, ist sie in vielen Fällen alternativlos. Zwar fordert die Betriebssicherheits-Verordnung im Anhang V Abschnitt 3.1.5 „Individuelle Absturzsicherungen … sind nur im begründeten Einzelfall zulässig“. Diese Forderung geht allerdings an der Realität weit vorbei, wie die folgenden Anwendungen der PSA gegen Absturz zeigen: Aufstieg mittels Steigschutz (PSA!) auf Telekommunikationsmasten, Windkraftanlagen und Schornsteine, Besteigen von Behältern und engen Räumen, Gerüstbauarbeiten, Arbeiten in Hochregallagern (z.B. zur Störungsbeseitigung), Montagearbeiten an schwer zugänglichen Einrichtungen, Kranrevisionsarbeiten und nicht zuletzt Arbeiten auf Kesselwagen oder Tankzügen.
Bei all diesen Situationen muss damit gerechnet werden (Stichwort: Gefährdungbeurteilung), dass eine Person in das Auffangsystem stürzt und dann gerettet werden muss. An dieser Stelle soll aber deutlich darauf hingewiesen werden, dass nicht jeder Sturz in den Auffanggurt einen Notfall darstellt. Es ist Zweck dieser PSA eine stürzende Person aufzufangen. Bei bestimmungsgemäßer Benutzung ist sowohl das Auffangen des Sturzes (Fangstoß) als auch das anschließende freie Hängen nicht unbedingt mit Verletzungsgefahr verbunden. Leider hat sich die bestimmungsgemäße Benutzung noch nicht in jeden Fall (oder besser nur in Ausnahmen?) durchgesetzt. Dazu gehört:
- Die richtige Auswahl der PSA (Auffanggurt, Dämpfer, Anschlagpunkt)
- Das richtige Anpassen des Gurts
- Die praktischen Übungen durch einen Ausbilder, der die Anforderungen des DGUV-Grundsatzes 312–001 „Anforderungen an Ausbildende und Ausbildungsstätten zur Durchführung von Unterweisungen mit praktischen Übungen bei Benutzung von persönlichen Schutzausrüstungen gegen Absturz und Rettungsausrüstungen“ erfüllt
- Die praktischen Übungen schließen Übungen zur Entlastung beim freien Hängen ein.
Werden diese Anforderungen erfüllt, ist die Gefahr eines Hängetraumas gering — an dieser Stelle soll nicht näher auf die immer wieder übertrieben dargestellte Gefährdung durch Hängetrauma eingegangen werden! Zum Thema gibt es eine sehr gute Informationsschrift des Sachgebiets Erste Hilfe der DGUV (DGUV-Information 204–011), in der klar festgehalten ist, dass ein Hängetrauma nur zu erwarten ist, wenn die Person bewegungslos (also bewusstlos) im Auffanggurt hängt, was in der Praxis kaum vorkommt.
Ausbildung stärken
Aber auch bei bestimmungsgemäßer Benutzung der PSAgA muss die Rettung durch den Unternehmer sichergestellt sein. Denn auch bei bester Ausrüstung kann eine Person nicht ewig im Gurt hängen. Der Autor schätzt ein, dass abgesehen von den professionellen Teams, z.B. der Windkraft- oder Telemastbetreiber oder in den Großbetrieben, keine 20% der Anwender von PSAgA eine Rettungsausrüstung vor Ort mitführen und die Rettung trainiert haben! An diesem Zustand sollte sich unbedingt etwas ändern, indem die Ausbildung der Mitarbeitenden gestärkt wird und ihnen keine Schauermärchen zum Hängetrauma erzählt werden, und diese so damit verunsichern werden!
Während man für das Retten einer im Auffangsystem hängenden Person ausreichend Zeit hat, muss das Retten aus einem Behälter oder engen Raum schnell erfolgen. Täglich werden in Deutschland unzählige Behälter befahren und nahezu wöchentlich ereignen sich dabei schwere, oft tödliche Unfälle. Hauptursachen sind Sauerstoffmangel und/oder mangelnde Rettung. Bei Arbeiten in Behältern treten Gefahren auf, die durch die räumliche Enge verstärkt werden, z.B. durch Gefahrstoffe oder Strom. Hinzu kommen die erschwerten Rettungsbedigungen.
Der Autor unterscheidet zwei verschiedene Rettungssituationen. Zum einen die schlechte Atmosphäre durch eine akute Gefahrstoffexposition oder vor allem Sauerstoffmangel und zum anderen eine Verletzung oder plötzliche Erkrankung, die ein selbstständiges Aussteigen nicht möglich machen. Im ersten Fall muss die Rettung in wenigen Minuten erfolgen. Im zweiten hat man mehr Zeit zur Verfügung, muss aber die Person der Situation angepasst transportieren.
Deshalb sollte die Rettungsausrüstung stets vor Ort bereitgehalten werden. Sinnvoll ist auch das planmäßig Einfahren in einen Behälter oder engen Raum (Abb. 4) ohne Verwendung einer Leiter.
Das hat nicht nur den Vorteil, dass das Einfahren für den Mitarbeiter bequem und ohne Absturzgefahr erfolgt, sondern beim Verzicht auf Leitern wird das unbefugte Einsteigen von vorneherein ausgeschlossen
Weitere Beispiele für Rettungssituationen zeigen die Abbildungen 5 bis 7.
Zugangsbedingungen
Eine schnelle und schonende Rettung aus Behältern usw. setzt außerdem ausreichend große Zugangsöffnungen voraus. Leider gibt es immer noch aktuelle Normen, die extrem kleine Mannlochdurchmesser zulassen. Öffnungen von 300 x 400 mm bzw. 320 x 420 mm machen die Rettung einer bewusstlosen Person nahezu unmöglich. Warum Normen Maße für Behälteröffnung festlegen, ohne die späteren Zugangsbedingungen zu kennen, entzieht sich dem Verständnis des Autors. Wie groß eine Öffnung sein muss, kann eigentlich nur der zukünftige Betreiber festlegen, denn nur er weiß, welche PSA die Personen verwenden müssen, wie das Behälterumfeld gestaltet ist und welche Zugangsverfahren er wählt. Der Begriff „Zugangsverfahren“ kommt merkwürdigerweise in keiner Norm vor, obwohl doch gerade die Überwachungsorganisationen ein Interesse daran haben müssten, dass ihre Mitarbeiter sicher in den zu prüfenden Behälter gelangen bzw. daraus gerettet werden können, denn für deren Rettung sind sie und nicht Betreiber verantwortlich, wie gleich noch ausführlich erläutert wird. Dieses Problem wird von den wenigsten Betreibern der Behälter im Vorfeld erkannt.
Beim Kauf eines Behälters wird in der Regel auf Kosten und auf normgerechte Ausführung geachtet. Die zukünftigen Betreiber erkennen in dieser Phase nicht, dass sie zwar einen normgerechten Behälter erwerben, zukünftig aber Probleme haben, die erforderlichen Befahrvorgänge sicher ausführen zu können.
Wer ist verantwortlich?
Abschließend muss noch klargestellt werden, wer für die Rettung verantwortlich ist. Im Vorschriften- und Regelwerk steht „der Unternehmer“. Und damit ist immer der Unternehmer gemeint, dessen Mitarbeiter tätig werden. Für die Rettung aus einem Behälter ist also nicht der Betreiber zuständig, sondern das Unternehmen, welches im Behälter tätig wird. In großen Firmen wird die Rettung meist das auftraggebende Unternehmen selbst realisieren, in vielen Fällen durch die eigene Werkfeuerwehr. Aber die unzähligen Klein- und Mittelbetriebe sind dazu oft nicht in der Lage. Wenn z.B. die zur Prüfung befähigte Person einer zugelassenen Überwachungsstelle (TÜV, DEKRA, GTÜ) einen der zahlreichen Großwasserraumkessel prüft, ist nicht etwa der Betreiber für deren Rettung zuständig, sondern die Prüfstelle muss diese Unternehmerpflicht wahrnehmen. Sie kann diese Verpflichtung nur auf andere übertragen, wenn das eindeutig abgestimmt und auf dem Befahrerlaubnisschein dokumentiert ist. Der Betreiber einer Anlage muss lediglich sicherstellen, dass vom Behälter und dessen Umgebung keine Gefahr ausgeht.
In verschiedenen Branchen, z.B. bei den Tankreinigern, ist das gängige Praxis. Das Tankreinigungsunternehmen bringt, wenn nicht anders vereinbart, die erforderliche Ausrüstung mit. Wie sollte auch der private Betreiber eines Heizöltanks die Rettung sicherstellen???
Das gleiche trifft für die Rettung aus der Höhe zu. Steigt z.B. Laborpersonal eines Umweltlabors mittels Steigschutz auf einen Abgasschlot, um dort Proben zu nehmen, ist nicht etwas der Betreiber des Schornsteins für die Rettung verantwortlich, sondern der Chef des Umweltlabors. Dieser muss sich ja auch um die Ausbildung seiner Mitarbeiter zur sicheren Benutzung der PSA gegen Absturz kümmern. Der Betreiber der Steigschutzeinrichtung muss allerdings dafür sorgen, dass ein zweites mitlaufendes Auffanggerät für den Retter vorhanden ist, was leider auch nicht immer der Fall ist …
Für das Retten aus Höhen sind keinesfalls Höhenretter nach SRHT (Spezielle Rettung aus Höhen und Tiefen) erforderlich, die von den Feuerwehrschulen in einem 2‑Wochenkurs ausgebildet werden. Die Rettung nach der DGUV-Regel 112–199 „Retten aus Höhen und Tiefen“ ist wesentlich einfacher, weil hier Geräte zum Einsatz kommen, die bei entsprechender Ausbildung leichter zu handhaben sind und deutlich weniger Fehlerquellen beinhalten.
Die Rettung im Unternehmen muss nicht, wie die Höhenrettung der Feuerwehren, alle möglichen Situationen absichern, sondern sie kann mit den jeweils am besten für den jeweiligen Rettungsfall geeigneten Geräten durchgeführt werden. Welchen Umfang diese Ausbildung umfasst, ist im DGUV-Grundsatz 312–001 festgehalten.
Fazit
Das Retten, also das Befreien von Personen aus einer Notlage, ist rechtliche Verpflichtung des Unternehmers. Wer seine Mitarbeiter in Höhen oder Tiefen arbeiten lässt, muss eine schnelle und schonende Rettung sicherstellen. Dazu gehört die erforderliche Rettungsausrüstung und geübtes Personal.
Im Feuerwehrdienst und im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter Retten das Befreien von Lebewesen aus Notlagen und unter Bergen das Sichern von Sachwerten. Dass anstelle von Retten immer wieder der Begriff Bergen verwendet wird, führt häufig zu Verwirrungen. Dazu empfehle ich einen Beitrag unter www.feuerwehrleben.de „Retten oder Bergen“.
Zum Befahren von Behältern kann man sich ausführlich im Lernportal „Sicheres Befahren“ der BG RCI informieren.
Trainingsmöglichkeiten zur Verwendung der PSA gegen Absturz bzw. PSA zum Retten bieten neben verschiedenen Berufsgenossenschaften auch die Hersteller der PSA an.
Autor: Dipl. Ing. Rainer Schubert
ehem. Technischer Aufsichtsbeamter der BG RCI und langjähriger Leiter des Sachgebietes „Behälter und enge Räume“. Jetzt im Ruhestand, aber noch als Ausbilder für PSA gegen Absturz und Retten aus Höhen und Tiefen tätig
www.sicheres-befahren-schubert.de
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