Die Anforderungen und Ansprüche, die heutzutage an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestellt werden, sind immens. Um bestmögliche Resultate zu erzielen ist es unabdingbar, höchstmögliche Arbeitsqualität in allen Phasen eines Produktions- oder Dienstleistungsprozesses zu erbringen. Normen und Standards, ausgefeilte Qualitätsmanagementsysteme, Überwachungsinstrumente, Audits und Evaluationen, Qualitätsbeauftragte – all das soll garantieren, dass das geforderte Ziel der bestmöglichen Leistung und Qualität erreicht wird. Doch gerade bei der Definition von Arbeitszielen und den geeignetsten und effizientesten Wegen zur Realisierung dieser kommt es immer wieder zu Konflikten. Führungskräfte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geraten dabei häufig in Konfliktsituationen, in denen sie ihre Position verteidigen oder auch „mit Gewalt“ durchsetzen müssen. Und auch auf kollegialer Ebene sind Auseinandersetzungen und Streitereien keine Seltenheit.
Konflikte und Konfliktmanagement im Berufsalltag
Im Alltag einer Organisation treffen viele Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Erwartungen, Werten und Zielen aufeinander, die miteinander arbeiten und gemeinsame Entscheidungen treffen müssen. Am Arbeitsplatz ist die zwischenmenschliche Situation wesentlich dadurch geprägt, dass gelegentlich auch Personen miteinander zurechtkommen müssen, die sich persönlich lieber aus dem Weg gehen würden. Die Situation ist zudem oft durch eine starke Konkurrenz um materielle Ressourcen, Anerkennung und Aufstiegschancen gekennzeichnet. Es ist offenkundig, dass Konflikte unter diesen Bedingungen nicht vermeidbar sind. Dies wäre auch gar nicht wünschenswert. Konflikte sind entgegen der landläufigen Meinung nicht an sich schädlich, sie können sogar konstruktiv wirken. Entscheidend ist, wie mit ihnen umgegangen wird, inwieweit also die Konfliktdynamik positiv genutzt werden kann.
Konflikte – Definition und Abgrenzung
Man spricht grundsätzlich dann von einem Konflikt, wenn
- die Anliegen oder Ziele von verschiedenen Personen oder zwischen Gruppen miteinander unvereinbar sind,
- sich aufgrund dieser Unvereinbarkeiten eine oder mehrere Konfliktparteien beeinträchtigt oder bedroht fühlen,
- sie die Verantwortung für diese Beeinträchtigung oder Bedrohung der anderen Konfliktpartei zuschreiben und damit davon ausgehen, dass die andere Partei auch anders handeln könnte,
- die beteiligten Konfliktparteien gleichzeitig nicht bereit sind, die eigene Position so zu verändern, dass die erlebten Beeinträchtigungen oder Bedrohungen aufgehoben werden.
Eine sehr grundsätzliche Unterscheidung ist die zwischen offenen (oder manifesten) und latenten Konflikten. Latente Konflikte stehen am Anfang der Dynamik. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sich die beteiligten Parteien ihrer Gegnerschaft nicht unbedingt bewusst sind oder zumindest noch keine offene Auseinandersetzung gesucht haben. Für Außenstehende ist ein latenter Konflikt praktisch nicht beobachtbar, es kann allenfalls der vage Eindruck entstehen, da stimme etwas nicht. Es ist in diesem Stadium noch relativ leicht möglich, den Konflikt zu unterdrücken oder beizulegen. Insofern ist es eigentlich zutreffender, von Konfliktpotenzial zu sprechen, denn ein Konflikt, der weder von den Betroffenen selbst noch von Dritten wahrgenommen wird, ist nicht sinnvoll definierbar. Manifeste Konflikte sind demgegenüber den Beteiligten selbst deutlich bewusst, von entsprechenden Emotionen begleitet und in der Regel auch für Außenstehende beobachtbar.
Die Frage nach der Art des Konflikts hängt eng mit der Konfliktursache zusammen, da diese nicht nur die Konstellation der Konfliktparteien zueinander, sondern auch den weiteren Verlauf sowie die möglichen Lösungswege beinhaltet. Unterschieden werden hier grundsätzlich Konfliktursachen innerhalb einer Person (intrapersonell) und solche zwischen Personen (interpersonell). Intrapersonelle Konflikte ergeben sich im Arbeitsleben in erster Linie in Form von Rollen- und Entscheidungskonflikten, wobei jedoch bei genauerem Hinsehen fast immer eine Beteiligung weiterer Personen ausgemacht werden kann. Typische interpersonelle Konflikte sind Verteilungs‑, Ziel‑, Sach- und Beziehungskonflikte.
Rollenkonflikte
Ein Rollenkonflikt liegt vor, wenn die betreffende Person verschiedene Funktionen wahrzunehmen hat, durch die sie widersprüchlichen Erwartungen gerecht werden muss. Je nach Situation kann dies beispielsweise so aussehen, dass sie
- „zwischen den Stühlen sitzt“ (als Mitarbeiter einer bestimmten Abteilung und zugleich als Betriebsratsmitglied),
- „Diener zweier Herren ist“ (als Stabsberater für konkurrierende Unternehmensbereiche) oder
- in einer „Sandwichposition“ zwischen dem eigenen Vorgesetzten und den ihr unterstellten Mitarbeitern vermitteln muss.
Intrapersonelle Konflikte (denen Rollenkonflikte meist zugeordnet werden) sind keinesfalls als „persönliches Problem“ der betroffenen Mitarbeiter abzutun. Im Gegenteil werden sie meist ganz wesentlich durch die Betriebsstruktur bedingt. Eine entsprechende Re-Organisation von Zuständigkeiten oder Verantwortlichkeiten sowie ein offenes Kommunikationsklima können Abhilfe schaffen.
Entscheidungskonflikte
Eine Person befindet sich dann in einem Entscheidungskonflikt, wenn sie eine wichtige und weitreichende Entscheidung zwischen zwei oder mehr Alternativen treffen muss, die jeweils als nicht vollständig zufrieden stellend bewertet werden. Ein Beispiel wäre die Entscheidung eines Marketingleiters, zu welchem Zeitpunkt ein Produkt am Markt eingeführt werden soll: Einerseits bedeutet jeder Tag Verzögerung finanzielle Einbußen, andererseits verspricht eine spätere Einführung, beispielsweise mit Saisonbeginn, mehr Presseaufmerksamkeit und damit die Chance, einen echten „Star“ zu etablieren.
Beratung von außen (gegebenenfalls auch durch Kollegen und Vorgesetzte) kann bei einer solchen systematischen Analyse helfen, einmal abgesehen davon, dass sie die Betroffenen eines Entscheidungskonflikts emotional entlastet. In einem solchen Austausch werden oft auch zusätzliche dritte Alternativen entwickelt.
Verteilungskonflikte
Verteilungskonflikte treten auf, wenn knappe Ressourcen wie bestimmte Güter, Dienstleistungen, Geld oder Zeit zu verteilen sind. Entsprechend bergen Budgetierungen, Tarifverhandlungen, die Besetzung freier Stellen oder auch die Einhaltung von Qualitäts- und Sicherheitsvorschriften immer die Gefahr von Verteilungskonflikten.
Verteilungskonflikte lassen sich nur dann beilegen, wenn ein Kompromiss erzielt wird, der alle Parteien zufrieden stellt. Die Gefahr, dass eine Partei (objektiv oder subjektiv) zu kurz kommt, ist so lange gegeben, wie es keine zuvor festgelegten und von allen akzeptierten Spielregeln gibt.
Sachkonflikte
Ein Sachkonflikt liegt vor, wenn über das Ziel selbst Einigkeit besteht, aber Uneinigkeit über die Wege zur Zielerreichung. Das Konfliktthema ist somit eine unterschiedliche Beurteilung der möglichen Vorgehensweisen.
Nicht selten sind Sachkonflikte auf einen unterschiedlichen Informationsstand und damit einhergehend auf unterschiedliche Vorstellungen der Konfliktbeteiligten zurückzuführen. Das heißt auch, dass Sachkonflikte im betrieblichen Alltag oft durch frühzeitige und umfassende Information aller Betroffenen vermieden werden können. Regelmäßige Treffen helfen hierbei, Probleme und offene Fragen bereits im Vorfeld zu erkennen und zu klären. Das „Klappern“ für Konfliktlösungen setzt daher auch ein hohes Maß an kommunikativer Kompetenz und manchmal auch Frustrationstoleranz hinsichtlich redundanter Kommunikationserfordernisse voraus. Manchem Mitarbeiter muss der Sinn einer Konfliktlösung eben mehrfach und in kleinen Schritten erläutert werden, bevor es auch ihm „einleuchtet“ und man mit seiner aktiven Unterstützung bei der Umsetzung rechnen kann.
Beziehungskonflikte
Auslöser für Beziehungskonflikte sind oft konkrete Ereignisse, wie Ziel‑, Sach- oder Verteilungskonflikte, bei denen ein Kontrahent (objektiv oder subjektiv) benachteiligt wurde. Beziehungskonflikte äußern sich mitunter in stark emotional aufgeladenem Verhalten, das den anderen gezielt demütigen oder vor anderen bloßstellen soll. Bei entsprechendem Gegenverhalten gipfelt es mitunter in offener Feindseligkeit.
Eine Beilegung von Beziehungskonflikten ist nur möglich, wenn beide Seiten eine konstruktive Kommunikationsbereitschaft mitbringen: Diese umfasst den Mut, die empfundenen Verletzungen möglichst ruhig, aber deutlich zu äußern, die Bereitschaft zu einer (ernst gemeinten!) Entschuldigung sowie die Bereitschaft der Gegenseite, diese anzunehmen. Auch hier entsteht sonst schnell ein dynamischer Teufelskreis, der nur noch schwer zu durchbrechen ist.
Konfliktprävention
Konfliktmanagement hat eine präventive, eine diagnostische und eine intervenierende Seite, die wiederum sinnvoll ineinander greifen müssen. Selbst umfassende Präventionsmaßnahmen können den Ausbruch von Konflikten zwar nicht zuverlässig verhindern, beinhalten aber oft bereits Hinweise für konstruktive Lösungswege.
Um Konflikten vorzubeugen, sollte unter anderem für folgende Rahmenbedingungen gesorgt sein:
- klar definierte, aufeinander abgestimmte Stellenbeschreibungen und Rollenverteilungen,
- ein nach festgelegten Leistungskriterien ausgerichtetes und ausgewogenes Ent- und Belohnungssystem,
- eindeutig definierte, möglichst transparente Verhaltensregeln für alle Mitarbeiter der Organisation,
- explizite Kompetenzregelungen in Form von schriftlich fixierten und allgemein anerkannten Entscheidungs- und Tätigkeitsbefugnissen,
- eine offene, verständliche und widerspruchsfreie Informationspolitik,
- mit den Mitarbeitern vereinbarte, allgemein bekannte und verbindliche Unternehmensziele,
- mit den Führungskräften abgestimmte, allgemein bekannte und verbindliche Führungsgrundsätze.
Für die Früherkennung und zeitige Entschärfung von Konfliktpotential leistet zusätzlich ein herkömmlicher „Kummerkasten“ hervorragende Dienste, vorausgesetzt dieser wird regelmäßig ausgewertet und als Instrument ernst genommen. Im Vergleich zu regelmäßigen Besprechungen oder Kritikrunden ist hier die Hemmschwelle für die Mitarbeiterschaft deutlich niedriger. Dadurch werden auch „kleine“ Probleme eher benannt und können frühzeitig angegangen werden. Vergleichbares gilt für die informelle Kommunikation zwischen Tür und Angel, auf dem Flur oder in Pausen.
Auf Führungsebene besteht insgesamt eine wesentliche Aufgabe darin, Offenheit und Vertrauen im Umgang miteinander zu fördern und hierbei selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Insbesondere kritische Rückmeldungen sollten zeitnah und konstruktiv gegeben sowie dem Kritikempfänger am konkreten Fall belegt und begründet werden.
Oft decken sich an dieser Stelle die guten Vorsätze und das Selbstverständnis der Führungskräfte nicht mit dem, was im Unternehmensalltag umgesetzt wird. Meist scheitert kooperative Führung an einem klaren Standpunkt der Führungskraft, für den sie auch die Verantwortung übernimmt. Damit ist selbstverständlich nicht gemeint, dass auf dem eigenen Standpunkt beharrt oder gar die Entscheidung am besten schon vor der Teamsitzung gefallen sein soll. Aber es ist eben auch ironischerweise so, dass eine allzu vorsichtige und vage Diskussion von Möglichkeiten ohne eigene Stellungnahme die Mitarbeiter ihrerseits nicht zu konkreten Beiträgen ermutigt. Wer sich alle Optionen frei hält, um nur am Ende nicht Unrecht gehabt zu haben, oder wer dem Gegenüber aus falsch verstandenem Harmoniestreben nach dem Munde redet, schürt mittelfristig mehr Konflikte als er vermeidet.
Lösungsorientierte Analyse von Konflikten zwischen Gruppen
Konflikte zwischen Teams, Abteilungen oder sonstigen Arbeitsgruppen stellen in verschiedener Hinsicht einen Sonderfall dar, der auch besondere Herangehensweisen verlangt. Die Ziele eines lösungsorientierten Teamtrainings sind, dass die beteiligten Teams
- ihre Unzufriedenheit thematisieren (Dampf ablassen),
- beschreiben, was trotz der Konflikte gut klappt,
- sich humorvoll mit dem Fremdbild der anderen auseinandersetzen,
- in gruppenübergreifend gemischten Kleingruppen gemeinsam nach Lösungen suchen und
- anerkennen, dass bestimmte Spannungen nicht aufzulösen sind.
Die Vorgehensweise ist dabei wie folgt. Beide Teams bearbeiten zunächst getrennt voneinander, idealer Weise in getrennten Räumen für circa 30 Minuten folgende Fragen:
- Was klappt im Rahmen der Zusammenarbeit trotz allem noch ganz gut?
- Was müsste das andere Team tun, um die Situation zu verschlimmern?
- Was erzählt wohl das andere Team gerade, was bei uns besonders schrecklich ist?
Die Ergebnisse werden anschließend im Plenum vorgestellt. Es folgt eine Kaffeepause mit ausreichender Gelegenheit zum informellen Austausch. Anschließend werden mit beiden Teams gemeinsam zu klärende Themen gesammelt. Jeder Einzelne erhält drei Klebepunkte, die er auf die gesammelten Themen nach persönlicher Wichtigkeit verteilt. So kann mit einfachen Mitteln die wahrgenommene Dringlichkeit einzelner Teilprobleme ermittelt und Prioritäten für die Lösungsfindung gesetzt werden. Im nächsten Schritt werden gemischte Kleingruppen gebildet, die 60 Minuten Zeit bekommen, Lösungen und erste konkrete Schritte für die drei wichtigsten Themen zu entwickeln. Dass hier in jeder Kleingruppe jeweils möglichst mehrere Mitglieder aus beiden Teams vertreten sind, ist von entscheidender Bedeutung. Zum einen werden so in den Lösungen beide Perspektiven berücksichtigt, aber vor allem ist eine gemeinsame Aufgabe und deren erfolgreiche Bewältigung eine hervorragende Methode, um Konflikte auf der Beziehungsebene zu entschärfen.
Die Ergebnisse der Kleingruppen werden im Plenum vorgestellt, diskutiert und ergänzt. Es wird gemeinsam festgehalten:
- Was ist sofort zu tun, wer tut es, und (bis) wann?
- Was ist noch weitergehend zu klären, wer tut das wann und wo?
- Was bleibt vorerst ungeklärt?
Entsprechend des letztgenannten Punktes ist eine ganz wichtige Botschaft eines solchen lösungsorientierten Teamtrainings, dass nicht jeder Konflikt vollständig gelöst werden muss. Die zentralen Ziele der skizzierten Vorgehensweise sind es, die Fronten aufzubrechen, die Grenzen zwischen den Teams zu lockern und den Bezug zueinander sowie zur gemeinsamen Aufgabe wieder herzustellen.
Autor: Dr. Stefan Poppelreuter
Leiter Analysen & Befragungen
HR Consulting,
TÜV Rheinland Akademie GmbH
stefan.poppelreuter@de.tuv.com