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Überwachung des Arbeitnehmerverhaltens - BBS Möglichkeiten/Grenzen

Verhaltensorientierter Arbeitsschutz
Überwachung des Arbeitnehmerverhaltens – rechtliche Grenzen und Haftung

Überwachung des Arbeitnehmerverhaltens – rechtliche Grenzen und Haftung
Der Überwachung von Mitarbeitern, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen des verhaltensorientierten Arbeitsschutzes, sind Grenzen gesetzt. Foto: © pathdoc – stock.adobe.com
Unter welchen Voraus­set­zun­gen dür­fen Arbeit­nehmer im Rah­men von Maß­nah­men des ver­hal­tensori­en­tierten Arbeitss­chutzes kon­trol­liert und überwacht wer­den? Wann und unter welchen rechtlichen Voraus­set­zun­gen ist die Überwachung von Arbeit­nehmern zuläs­sig, und wann schränkt sie deren Per­sön­lichkeit­srechte unzuläs­sig ein? Der fol­gende Beitrag gibt Antworten auf diese wichti­gen Fra­gen aus der Praxis.

Die über­wiegende Anzahl von Arbeit­sun­fällen basiert auf men­schlichem Fehlver­hal­ten (wo immer dieses auch herkommt, denn betriebliche Bedin­gun­gen und Organ­i­sa­tion wirken sich auf das sicher­heits­gerechte Ver­hal­ten aus). Die Anzahl der Unfälle, die auf tech­nis­ches Ver­sagen zurück­zuführen ist, hat sich durch Recht- und Regel­w­erk und den tech­nis­chen Fortschritt immer weit­er reduziert. Daher bleibt der Men­sch “Verur­sach­er” Num­mer eins von Unfällen im Betrieb.

Der ver­hal­tensori­en­tierte Arbeitss­chutz (Behav­iour Based Safe­ty, BBS) set­zt an dieser Stelle an und hat das Ziel, durch die Unter­suchung des unsicheren Ver­hal­tens von Arbeit­nehmern Anzahl und Aus­maß von Ver­let­zun­gen nach­haltig zu ver­ringern. Zu den Maß­nah­men der Verbesserung eines ver­hal­tensori­en­tierten Arbeitss­chutzes zählt dabei ins­beson­dere die Beobach­tung – und damit auch die Überwachung von Mitar­beit­ern. Diesen Maß­nah­men sind jedoch – auch wenn sie einen redlichen Zweck ver­fol­gen – rechtliche Gren­zen geset­zt. Die Per­sön­lichkeit­srechte der Arbeit­nehmer sind auch bei Arbeitss­chutz­maß­nah­men stets zu beachten.

Überwachung versus Persönlichkeitsrecht

Die Überwachung von Arbeit­nehmern kann durch Vorge­set­zte, Kol­le­gen oder auch mit Hil­fe von tech­nis­chen Mit­teln erfol­gen, sei es beispiel­sweise durch Videoauf­nah­men, akustis­che Maß­nah­men oder GPS-Ortung. Hier ste­hen sich die geset­zliche Verpflich­tung des Arbeit­ge­bers zum Gesund­heitss­chutz und das ver­fas­sungsrechtliche geschützte Per­sön­lichkeit­srecht des Arbeit­nehmers in einem steten Span­nungsver­hält­nis gegenüber.

Das Per­sön­lichkeit­srecht umfasst

  • das Recht auf Privatsphäre,
  • das Recht auf die Ver­traulichkeit am gesproch­enen Wort,
  • das Recht am eige­nen Bild sowie
  • das Recht auf die infor­ma­tionelle Selb­st­bes­tim­mung des Arbeitnehmers.

Wer­den per­so­n­en­be­zo­gene Dat­en des Arbeit­nehmers erhoben und gespe­ichert, zum Beispiel durch Doku­men­ta­tion von Arbeitss­chutzver­stößen, ist das Recht auf infor­ma­tionelle Selb­st­bes­tim­mung und damit das Daten­schutzrecht des Arbeit­nehmers betroffen.

Per­so­n­en­be­zo­gene Dat­en definiert der Geset­zge­ber als Einze­langaben über per­sön­liche oder sach­liche Ver­hält­nisse ein­er bes­timmten oder bes­timm­baren natür­lichen Per­son (z.B.: Herr Müller ist bei dem Chemie­un­ternehmen X‑GmbH beschäftigt. Herr Müller hat am 09.04.2018 keine Schutzbrille am Arbeit­splatz getra­gen). Die Erhe­bung, Ver­ar­beitung und Nutzung per­so­n­en­be­zo­gen­er Dat­en ist aber nach den daten­schutzrechtlichen Vorschriften nur dann zuläs­sig, wenn die Ein­willi­gung des Betrof­fe­nen vor­liegt oder ein Gesetz oder son­stige Rechtsvorschriften (z.B. auch eine Betrieb­svere­in­barung) die Daten­er­he­bung erlauben.

Per­so­n­en­be­zo­gene Dat­en eines Beschäftigten dür­fen dabei für Zwecke des Beschäf­ti­gungsver­hält­niss­es (d.h. für dessen Beginn, Durch­führung oder Beendi­gung) grund­sät­zlich nur dann ver­wen­det wer­den, wenn dies tat­säch­lich erforder­lich ist.

Abwägung der Interessen

Die Zuläs­sigkeit ein­er Überwachungs­maß­nahme, welche mit der Erhe­bung von per­so­n­en­be­zo­ge­nen Dat­en ein­herge­ht, ist daher immer an ein­er einzelfal­lo­ri­en­tierten Abwä­gung der Inter­essen des Arbeit­ge­bers und des Arbeit­nehmers zu messen. Dabei sind die fol­gen­den Grund­sätze zu beachten:

  • Der Arbeit­ge­ber muss ein schutzwürdi­ges Inter­esse an der Überwachung des Arbeit­nehmers haben.
  • Die Überwachungs­maß­nahme muss ver­hält­nis­mäßig sein.

Je inten­siv­er die Kon­trolle das Per­sön­lichkeit­srecht des Arbeit­nehmers bet­rifft, desto schutzwürdi­ger muss das Inter­esse des Arbeit­ge­bers sein, und er muss zuvor alle milderen, eben­so geeigneten Maß­nah­men beachtet haben.

Die all­ge­meine Kon­trolle der Arbeit­sleis­tung und des Arbeitsver­hal­tens ohne tech­nis­che Hil­f­s­mit­tel ist dabei grund­sät­zlich zuläs­sig. Eine solche darf allerd­ings nicht zu ein­er Run­dum-Überwachung des Arbeit­nehmers im Sinne ein­er Totalkon­trolle ausufern. Eine akustis­che Überwachung darf nicht heim­lich erfol­gen. Denn die Ver­let­zung der Ver­traulichkeit des Wortes ist straf­bar. Eine Videoüberwachung ist grund­sät­zlich bei dem konkreten Ver­dacht ein­er Straftat oder schw­eren Pflichtver­let­zung durch einen Arbeit­nehmer zuläs­sig. Der Ein­griff muss aber „min­i­ma­l­in­va­siv“ erfol­gen, also auf das Notwendi­ge beschränkt sein. Die Überwachung durch Wearables/GPS kann zuläs­sig sein, wenn entwed­er Arbeit­ge­ber­in­ter­essen (Sicherung von Arbeits- und Betrieb­smit­teln) oder Arbeit­nehmer­in­ter­essen (Sicher­heit am Arbeit­splatz) dies erfordern.

Was sagt die Rechtsprechung?

Auch die höch­strichter­liche Recht­sprechung hat sich immer wieder mit der Frage der Recht­mäßigkeit von Überwachungs­maß­nah­men zu beschäfti­gen. So war beispiel­sweise nach Ansicht des Bun­de­sar­beits­gerichts (BAG, Urteil vom 22.09.2016 – 2 AZR 848/15) die heim­liche Videoüberwachung ein­er Verkäuferin im Einzel­han­del zuläs­sig. Der Arbeit­ge­ber hat­te den konkreten Ver­dacht, dass die Verkäufern Waren entwen­det hat­te, und die Tat­en kon­nten durch die Videoüberwachung aufgedeckt wurden.

Im Rah­men ein­er anderen Entschei­dung (BAG, Urteil vom 27.07.2017 – 2 AZR 681/16) hat­te das Bun­de­sar­beits­gericht über die Recht­mäßigkeit der Überwachung durch das soge­nan­nte „Key-Log­ging“ zu entschei­den. Der Kläger war bei der Beklagten als Web-Entwick­ler beschäftigt. Die beklagte Arbeit­ge­berin hat­te nach vorheriger Ankündi­gung auf dem Dienst-PC des Klägers eine Soft­ware, einen soge­nan­nten Key-Log­ger, instal­liert, die sämtliche Tas­tatureingaben pro­tokol­lierte und regelmäßig Bild­schirm­fo­tos (Screen­shots) fertigte.

Nach der Fest­stel­lung, dass der Kläger in erhe­blichem Umfang den Dienst-PC pri­vat nutzte, erfol­gte die frist­lose Kündi­gung. Nach Ansicht des BAG war dies unrecht­mäßig. Es bestand kein Ver­dacht ein­er Straftat oder Pflichtver­let­zung des Klägers. Eine per­ma­nente Überwachung des Arbeit­nehmers „ins Blaue hinein“ sei unver­hält­nis­mäßig und ver­let­ze das Per­sön­lichkeit­srecht des Klägers.

Auswirkungen auf BBS-Maßnahmen

Die aufge­führten rechtlichen Grund­sätze zur Arbeit­nehmerüberwachung wirken sich auch auf die Beobach­tung von Beschäftigten im Rah­men des ver­hal­tensori­en­tierten Arbeitss­chutzes aus.

Dies soll an zwei Fall­beispie­len verdeut­licht werden:

  1. Die auf ein­er Baustelle täti­gen Mitar­beit­er wer­den vom Chef des Bau­un­ternehmens angewiesen, ihre Kol­le­gen zu beobacht­en, ob sie alle vorgegebe­nen Sicher­heit­san­weisun­gen ein­hal­ten, ins­beson­dere ob auch die Per­sön­liche Schutzaus­rüs­tung (PSA) getra­gen wird. Jedes Fehlver­hal­ten soll namentlich und stich­punk­tar­tig in einem For­mu­lar doku­men­tiert werden.
  2. Der Geschäfts­führer eines anderen Bau­un­ternehmens ord­net hinge­gen direkt die Videoüberwachung der gesamten Baustelle an, um festzustellen, ob seine Arbeit­nehmer die vorgeschriebene PSA tra­gen. Er beruft sich auch darauf, dass die Überwachung dem Werkss­chutz diene.

In bei­den Fällen sind die betrof­fe­nen Arbeit­nehmer nicht ein­ver­standen, weil sie sich zu stark unter Beobach­tung und dadurch in ihren Per­sön­lichkeit­srecht­en ver­let­zt fühlen. Es stellt sich daher die Frage nach der Recht­mäßigkeit der Anordnungen:

  • Eine Ein­willi­gung der Beschäftigten in die Überwachung liegt nicht vor.
  • Auch ist die Überwachung zu Zweck­en des Beschäf­ti­gungsver­hält­niss­es nicht erforderlich.
  • Somit scheint es zunächst an ein­er geeigneten Rechts­grund­lage zu fehlen.

Der Arbeit­ge­ber hat jedoch nach dem Arbeitss­chutzge­setz die geset­zliche Verpflich­tung, alle erforder­lichen Maß­nah­men des Arbeitss­chutzes unter Berück­sich­ti­gung der Umstände zu tre­f­fen, die Sicher­heit und Gesund­heit der Beschäftigten bei der Arbeit bee­in­flussen. Damit beste­ht eine aus­re­ichende Rechts­grund­lage, wenn die Überwachung im Sinne der Sicher­heit und Gesund­heit der Arbeit­nehmer erforder­lich und ins­ge­samt ver­hält­nis­mäßig ist. Dafür spricht, dass Maß­nah­men des ver­hal­tensori­en­tierten Arbeitss­chutzes nach­weis­lich zur Ver­mei­dung von Unfällen führen. Dage­gen sprechen eine dro­hende Ver­schlechterung des Betrieb­skli­mas durch Denun­zi­a­tion der Arbeit­nehmer untere­inan­der und die Gefahr ein­er (unzuläs­si­gen) Totalüberwachung der Arbeitnehmer.

Als Lösung bietet sich im ersten Beispiel (1.) an, dass eine Doku­men­ta­tion nur in Form von Stich­proben erfol­gt und die Dat­en nur anonymisiert fest­ge­hal­ten werden.

Im zweit­en Fall­beispiel (2.) lässt sich unzuläs­sige Totalüberwachung durch die per­ma­nente Videoüberwachung nicht ver­mei­den, wenn alle Bere­iche gefilmt wer­den sollen und es ist von ein­er unzuläs­si­gen Maß­nahme auszuge­hen. Das Werkss­chutz-Argu­ment greift nur für Zeit­en, wenn nie­mand auf der Baustelle tätig ist. In jedem Fall hat der Arbeit­ge­ber mildere, aber gle­ichgeeignete Mit­tel zu berück­sichtigten. Es emp­fiehlt sich zudem, der­ar­tige The­men durch eine Betrieb­svere­in­barung zu regeln.

Rechtliche Konsequenzen für Arbeitgeber

Bei ein­er unzuläs­si­gen Arbeit­nehmerüberwachung dro­hen dem Arbeit­ge­ber rechtliche Kon­se­quen­zen. Zunächst beste­hen Ansprüche des Arbeit­nehmers auf Unter­las­sung der Maß­nah­men sowie Besei­t­i­gung von wider­rechtlich hergestell­ten Unter­la­gen, wie z.B. Log-Pro­tokollen, Videoauf­nah­men oder son­sti­gen Aufze­ich­nun­gen. Darüber hin­aus kön­nen in Einzelfällen auch Schaden­er­satz und Schmerzens­gel­dansprüche beste­hen. Beispiel­sweise hielt das Bun­de­sar­beits­gericht eine Entschädi­gung von 1.000,00 Euro für angemessen, nach­dem ein Arbeit­ge­ber seine Angestellte wegen ange­blich vor­getäuschter Arbeit­sun­fähigkeit von einem Detek­tiv in rechtswidriger Weise überwachen ließ (BAG, Urteil vom 19.2.2015 – 8 AZR 1007/13).

Wenn die Überwachungs­maß­nah­men für den Arbeit­nehmer unzu­mut­bar sind, kann er unter beson­deren Voraus­set­zun­gen auch seine Tätigkeit ein­stellen, behält aber seinen Vergü­tungsanspruch. Unter Umstän­den kann der Arbeit­nehmer das Arbeitsver­hält­nis auch frist­los kündigen.

Fazit

Die Beobach­tung von Arbeit­nehmern beim ver­hal­tensori­en­tierten Arbeitss­chutz stellt rechtlich eine Arbeit­nehmerüberwachung im Rechtssinne dar. Bei jed­er Überwachung ist darauf zu acht­en, dass die Per­sön­lichkeit­srechte der Arbeit­nehmer gewahrt bleiben, ins­beson­dere ist die Überwachung nicht lück­en­los und dauer­haft durchzuführen, son­dern auf stich­probe­nar­tige Beobach­tun­gen zu reduzieren. Soweit möglich sind die erfassten Dat­en zu anonymisieren.

Bei unzuläs­siger Überwachung ste­hen dem Arbeit­nehmer unter anderem Unter­las­sungs- und Schmerzens­gel­dansprüche zu. Es ist stets zu empfehlen, Überwachungs­maß­nah­men durch Betrieb­svere­in­barun­gen zu regeln.

 


Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift “Sicher­heitsin­ge­nieur”. Hier kön­nen Sie zwei aktuelle Aus­gaben kosten­los bestellen.


Autor:
Recht­san­walt Matthias Klagge, LL.M.

klagge@tigges.legal

Foto: privat

„Der Arbeit­ge­ber muss ein schutzwürdi­ges Inter­esse an der Überwachung des Arbeit­nehmers haben.“

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