Eins vorweg: Bei der Frage, wie eine Kampagne nachhaltig gestaltet werden kann, gibt es zahlreiche Aspekte, die zu bedenken und zu berücksichtigen sind. Dieser Artikel geht nur auf einige wesentliche davon ein. Zuvor soll jedoch dargestellt werden, wie es dazu kommen kann, dass Kampagnenverantwortliche die Erfolge einer Kampagne ganz anders bewerten als die Beschäftigten.
Drei wichtige Denkfehler
Vermutlich hat noch niemand von einer erfolglosen Kampagne gehört, für die viel Geld ausgegeben wurde und die am Ende nichts gebracht hat (außer Kosten und strapazierte Nerven).
Kampagnen scheinen immer erfolgreich zu sein – wie kann das sein? Eine Rolle hierbei spielt vermutlich der sogenannte Bestätigungsfehler (confirmation bias): Menschen neigen dazu, Informationen so auszuwählen, zu suchen und zu interpretieren, dass sie ihren eigenen Erwartungen entsprechen und sie bestätigen. Informationen, die im Widerspruch zu den eigenen Annahmen und Erwartungen stehen, werden ignoriert. Wenn man sich beispielsweise für oder gegen etwas entschieden hat, sucht man nur nach den Gründen, die für die Entscheidung sprechen und neue Informationen werden so interpretiert, dass sie die eigenen Annahmen unterstützen (Stangl, 2019). Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass diejenigen, die für die Kampagne verantwortlich sind, verstärkt nach solchen Hinweisen suchen und diese wahrnehmen, die für den Erfolg der Kampagne sprechen — während andere Ergebnisse weitgehend ausgeblendet werden. Umgekehrt könnte es sein, dass die „Empfänger“ der Kampagne vor allem diejenigen Ergebnisse zur Kenntnis nehmen, die gegen den Erfolg der Kampagne sprechen.
Es gibt noch weitere Prozesse, die dazu führen können, dass ein Kampagnenteam mögliche negative Konsequenzen der eigenen Entscheidungen nicht oder erst zu spät zur Kenntnis nimmt. So kann das sogenannte Gruppendenken (groupthink) aufgrund eines übermäßigen Strebens nach Einmütigkeit (jedes Gruppenmitgleid passt die eigene Meinung an die erwartete Gruppenmeinung an) in einer Gruppe zu fehlerhaften Entscheidungsprozessen führen. Neben einem starken Gemeinschaftsgefühl spielen hierbei die Homogenität der Gruppenmitglieder und der Stress, dem die Gruppenmitglieder ausgesetzt sind, eine Rolle. Diese Faktoren führen zu einer Selbstüberschätzung der Gruppe, zu Engstirnigkeit und zu Druck zur Einheitlichkeit, was zu Fehlern führt, so dass zum Beispiel nicht alle möglichen Handlungsalternativen betrachtet und geprüft werden und die Risiken der bevorzugten Alternative unterschätzt werden (Spektrum-Lexikon der Psychologie, 2019). Ein Außenstehender kann die Fehler dann eher erkennen als die Teammitglieder selbst.
Auch der „Ausgabeneffekt“ (sunk cost effect) kann eine Rolle spielen, so dass es zu diskrepanten Wahrnehmungen des Kampagnenerfolgs kommt. Hiermit bezeichnet man das Phänomen, dass eine Entscheidung darüber, ob weiterhin Ressourcen in ein Projekt investiert werden, davon abhängt, wie viel bereits investiert wurde. Wenn bereits (viel) Geld, Zeit und Mühen in ein Projekt eingebracht wurden, wird es fortgeführt, auch wenn es angesichts der möglichen Folgen besser wäre, das Projekt abzubrechen. Für das Team ist es aber wichtig, das angefangene Projekt zu Ende zu bringen – koste es, was es wolle, so dass „gutes Geld schlechtem Geld“ hinterher geworfen wird.
Dieser Effekt ist größer, wenn nur eine Person für die bisherigen Kosten verantwortlich ist oder sie persönlich an der Entscheidung beteiligt ist (Dorsch online, 2019). Außenstehende sehen in einem solchen Fall möglicherweise, dass es besser wäre, eine Kampagne zu beenden, da sie nicht zu dem gewünschten Erfolg führt, während das Kampagnenteam immer mehr in weitere Maßnahmen investiert.
Um den genannten Problemen beim „Ausgabeneffekt“ und beim „Gruppendenken“ entgegen zu wirken, wird empfohlen, einen „Teufels-Advokaten“ (Advocatus Diaboli, Anwalt des Teufels) einzuführen, das heißt eine Person zu bestimmen, die bewusst eine Gegenposition einnimmt und Argumente entgegen der Gruppenmeinung vertritt. Darüber hinaus sollten Gruppen heterogen besetzt sein und externe Experten sollten herangezogen werden. Des Weiteren sollten sich alle des Bestätigungsfehlers bewusst sein und versuchen, auch widersprüchliche Informationen zu suchen.
Zwei weitere Aspekte, die bei der Beurteilung von Kampagnen eine wichtige Rolle spielen und die wichtig für den Erfolg sind, stellen die Zielgrößen sowie die Zielgruppe dar. Hierauf soll im Folgenden eingegangen werden.
Zielgrößen
Die ersten Fragen, die sich stellen lassen, lauten:
- Wann ist eine Kampagne erfolgreich?
- Welche Zielkriterien wähle ich bei meinem Urteil?
Ist eine Kampagne erfolgreich, wenn möglichst viele Leute den Slogan kennen, sich jedoch sonst nichts geändert hat, oder erst, wenn möglichst viele Personen ihre Einstellung geändert haben, oder sogar erst, wenn möglichst viele Personen auch ihr tatsächliches Verhalten (nachhaltig) geändert haben?
Eine aktuelle Kampagne ist die Aktion #FingervomHandy gegen Ablenkung im Straßenverkehr vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und dem Deutschem Verkehrssicherheitsrat (DVR). Hier könnten unterschiedliche Zielgrößen als „Erfolg“ definiert werden, zum Beispiel
- Anzahl der Personen, die ein entsprechendes Plakat sieht,
- Anzahl der Personen, die sich an das Plakat erinnert,
- Anzahl der Personen, denen das Plakat gefällt,
- Anzahl der Personen, die über den Inhalt des Plakats nachdenkt,
- Anzahl der Personen, die zukünftig weniger während einer Fahrt telefonieren will,
- Anzahl der Personen, die zukünftig tatsächlich weniger telefoniert,
- verringerte Anzahl der Unfälle, die aufgrund von Handynutzung passieren.
Es wird deutlich, dass es eine Reihe von Kriterien gibt, die – mehr oder weniger gut – gemessen werden könnten und dass der Weg vom Schritt „Plakat aufhängen“ zu „geringere Unfallzahlen“ ziemlich weit ist. Die Distanz zwischen Maßnahme und letztendlicher Zielgröße ist bei allen Kampagnen groß und die tatsächlichen Zusammenhänge sind kaum messbar, da viele einzelne Prozesse dazwischen liegen, wie aus dem obigen Beispiel deutlich wird. Allein die Absicht, ein bestimmtes Verhalten auszuführen – also in diesem Fall zukünftig weniger während einer Fahrt telefonieren zu wollen – wird durch unterschiedliche Prozesse bestimmt, die in der „Theorie des geplanten Verhaltens“ beschrieben werden (Ajzen, 1991). Drei Aspekte sind hierbei entscheidend:
- die Einstellung zu dem betreffenden Verhalten: Hierbei handelt es sich um die Meinung beziehungsweise das subjektive Gefühl hinsichtlich des Verhaltens, das heißt ob es positiv oder negativ bewertet wird
- die subjektive Norm: Hiermit sind die vermuteten Erwartungen gemeint, die wichtige Bezugspersonen bezüglich des Verhaltens haben, das heißt ob diese Personen das Verhalten gutheißen oder eher ablehnen
- die wahrgenommene Verhaltenskontrolle: Hierbei handelt es sich um die Einschätzung einer Person, wie leicht oder schwer ihr die Verhaltensausführung fallen würde. Diese Einschätzung wird wiederum von der subjektiven Überzeugung bestimmt, inwieweit interne Ressourcen wie Fähigkeiten und Wissen sowie externe Ressourcen wie Geld und Zeit zur Verfügung stehen.
Beispielkampagne Persönliche Schutzausrüstung
Die drei Aspekte sollen an einem Beispiel verdeutlicht werden. Stellen wir uns eine Kampagne zum Thema „Persönliche Schutzausrüstung (PSA)“ vor, deren Ziel es ist, die Tragequote zu erhöhen. Bei der „Einstellung“ geht es um die Frage, wie ich als Adressat der Kampagne dem Tragen von PSA gegenüber stehe, also ob ich zum Beispiel PSA grundsätzlich wichtig finde oder sie eher ablehne. Bei der „subjektiven Norm“ geht es um die Haltung anderer Personen, die mir wichtig sind, wie zum Beispiel befreundete Kollegen oder auch Vorgesetzte. Wenn ich glaube, dass sie das Tragen von PSA gutheißen, wirkt sich das entsprechend auf meine Haltung aus. Ebenso wirkt es sich aus, wenn andere Personen, die mir wichtig sind, das Tragen von PSA überflüssig und unangenehm finden und dies auch ausdrücken.
Wer jeweils wichtig ist, ist individuell verschieden – für den einen ist es ein Kollege, für den nächsten der Chef und für den dritten die Ehefrau. Natürlich sind es in der Regel mehrere Bezugspersonen, deren Haltung meine eigene beeinflusst. Es müssen auch nicht unbedingt Personen sein, die ich persönlich kenne. Bekannte Schauspieler, Musiker oder Sportler können ebenfalls wichtig für die subjektive Norm sein. Bei der „wahrgenommenen Verhaltenskontrolle“ geht es um die Frage, inwieweit ich mich in der Lage sehe, das Verhalten auszuführen. Hierzu gehören Fragen wie zum Beispiel: Steht die PSA überhaupt zur Verfügung (externe Ressource)? Habe ich genügend Zeit, sie anzuziehen (externe Ressource)? Weiß ich, wie man sie korrekt anlegt (interne Ressource)? usw. Die Kampagne könnte nun darauf abzielen,
- meine eigene Einstellung zu ändern (von ablehnend zu positiv) und/oder
- die Einstellung wichtiger Bezugspersonen entsprechend zu beeinflussen, was sich dann wieder auf die subjektive Norm auswirkt. Dies ist auch ein Grund, warum Kampagnen gerne bekannte Personen als sogenannte „Testimonials“ einsetzen, da sie für Menschen wichtige Bezugspersonen sein können. Die Kampagne kann ebenso die wahrgenommene Verhaltenskontrolle zum Ziel haben, so dass PSA von den Verantwortlichen im Betrieb bereitgestellt wird und deutlich wird, dass für die Nutzung ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt wird.
Die drei Aspekte wirken sich darauf aus, ob überhaupt eine Absicht gebildet wird, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen. Wenn eine entsprechende Absicht gebildet wurde, kann dies zu einer tatsächlichen Ausführung des Verhaltens führen (Graf, 2007, Mummendey, 1988). Personen, die sich jedoch nicht in der Lage sehen, ein Verhalten auszuführen, werden in der Regel selbst dann keine Verhaltensabsicht ausbilden, wenn sie dem Verhalten gegenüber positiv eingestellt sind und wichtige Bezugspersonen das Verhalten begrüßen würden. Die Zusammenhänge sind noch einmal in Abbildung 1 dargestellt. Wie zu erkennen ist, wirkt sich die wahrgenommene Verhaltenskontrolle sowohl auf die Absicht als auch direkt auf das Verhalten aus.
Die Zusammenhänge zwischen einer bestimmten Maßnahme innerhalb einer Kampagne und einer erwünschten Zielgröße sind also hochkomplex und oft nur sehr schwer messbar, zumal es auch noch zu Wechselwirkungen von Maßnahmen kommen kann. Den Kampagnenverantwortlichen sind die komplexen Zusammenhänge häufig bewusst – es ist jedoch schwierig, sie verständlich zu kommunizieren. So kann es dazu kommen, dass die Erfolgserwartungen der Kampagnen-“Empfänger“ höher sind als die Erwartungen, die die Kampagnenverantwortlichen realistisch gesehen haben können. Umso wichtiger ist es, bereits von Anfang an, Zielgrößen genau zu definieren und zu überlegen, wie diese messbar sind.
Zielgruppen
Eine zweite wichtige Frage lautet: Für wen ist die Kampagne, wer ist die Zielgruppe?
Auch diese Frage sollte so genau wie möglich vor der Kampagnenentwicklung überlegt werden. Häufig erfolgen Maßnahmen in Kampagnen nach dem „Gießkannen-Prinzip“, da viele unterschiedliche Menschen erreicht werden sollen. Hiervon ist jedoch eigentlich eher abzuraten, da sich Personen möglicherweise gar nicht angesprochen fühlen beziehungsweise die Maßnahmen nicht zu ihrer aktuellen Einstellung passen oder nicht ihrer wahrgenommenen Kontrolle unterliegen. Dem Befund, dass nicht alle Maßnahmen gleichermaßen für alle Personen geeignet sind, trägt der sogenannte Cafeteria-Ansatz Rechnung. Die Grundidee hierbei ist, unterschiedliche Maßnahmen zur individuellen Nutzung vorzuschlagen, sodass sich Personen nach ihren Präferenzen und Möglichkeiten geeignete Maßnahmen auswählen können – wie bei einer Cafeteria (vgl. Latniak, Gerlmaier & Hinrichs, 2016).
Fazit
Es gibt mehrere Prozesse, die dazu führen können, dass Kampagnenverantwortliche den Erfolg ihrer Maßnahmen anders beurteilen als die „Empfänger“ der Kampagne — und dass die Verantwortlichen Entscheidungen treffen, von denen Außenstehende abraten würden. Ganz wesentlich für den Erfolg einer Kampagne ist es auf jeden Fall, im Vorfeld sehr genau zu definieren, für wen die Kampagne sein soll und was die konkreten Ziele der Kampagne sind.
Literatur
- Ajzen, I., & Madden, T. J. (1986). Prediction of goal directed behavior: Attitudes, intentions, and perceived behavioral control. Journal of Experimental Social Psychology, 22, 453–474.
- Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational behavior and human decision processes, 50, 179–211.
- Dorsch online (2019). Sunk-cost-effect, abrufbar unter https://portal.hogrefe.com/dorsch/sunk-cost-effect/
- Graf, D. (2007). Die Theorie des geplanten Verhaltens. In: Theorien in der biologiedidaktischen Forschung: Ein Handbuch für Lehramtsstudenten und Doktoranden, S. 33–43. Heidelberg: Springer.
- Latniak, E., Gerlmaier, A. & Hinrichs, S. (2016). Arbeitslebensphasensensibles Erholungsmanagement. In: Praxishandbuch lebensphasenorientiertes Personalmanagement: Fachkräftepotenziale in technischen Entwicklungsbereichen erschließen und fördern, S. 269–283. Wiesbaden: Springer Gabler.
- Mummendey, H.D. (1988). Verhalten und Einstellung. Heidelberg: Springer.
- Spektrum-Lexikon der Psychologie (2019). Gruppendenken, abrufbar unter https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/gruppendenken/6121
- Stangl, W. (2019). Stichwort: ‚confirmation bias‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. Abrufbar unter https://lexikon.stangl.eu/10640/confirmation-bias-bestaetigungsfehler-bestaetigungstendenz/
Autorin: Prof. Dr. Hiltraut Paridon
Professorin für Medizinpädagogik
SRH Hochschule für Gesundheit, Gera
E‑Mail: hiltraut.paridon@srh.de