Die Arbeitssicherheit bei Bayer lässt sich drei Epochen zuordnen: Zu Beginn war der Fokus innerhalb der ersten Dekaden ausschließlich reaktiv und konzentrierte sich auf das technische System. Hier ging es um die richtigen Werkzeuge und Maschinen, mit denen nicht nur effizient, sondern auch sicher gearbeitet werden konnte. In den 1970er und 80er Jahren wurden neben der Optimierung des technischen Systems immer mehr auch organisationale Schwerpunkte gesetzt: Sicherheitsmanagementsysteme, Humanisierung der Schichtarbeit, Arbeitszeitgestaltung und auch schon erste Schritte in Richtung sicherheitsorientierte Führung. Die dritte Epoche brach im Jahr 2014 an: Die Ereigniszahlen (Recordable Incident Rate, RIR) hatten sich seit einigen Jahren auf einem guten Niveau stabilisiert und man gelangte zu dem Schluss, dass die Verbesserungspotenziale im technischen und organisationalen System ausgeschöpft waren. Das Bayer Safety Council beschloss im Jahr 2014, Behavioral Safety als dritte Säule neben Technik und Organisation aufzubauen, das Konzept zu pilotieren und anschließend global auszurollen.
„Sicher im Team“ – Vorgehen und Erfahrungen
Struktur
Von 2014 bis 2016 wurde das Programm „Sicher im Team“ (SiT) geplant und vorbereitet: Konzeptplanung, Pilotierung in repräsentativen Subgruppen mit circa 100 ausgebildeten internen Trainern und 1.700 involvierten Mitarbeitern, Konzeptanpassung und Vorbereitung des Roll-outs. Von 2017 bis 2019 fand der globale Roll-out statt. Mit dem Ende der Implementierung plant man ab 2020 aus dem „Projekt SiT“ einen festen Bestandteil der Präventionsarbeit bei Bayer zu machen. Die hierfür notwendigen Konsolidierungsstrategien werden aktuell vorbereitet. Die Frage nach den Zusammenhängen zwischen SiT und objektiven Kennzahlen wie RIR und subjektiven Kennzahlen wie Einstellungs- und Verhaltensparameter werden in einem begleitenden Evaluationsprojekt mitbetrachtet (vgl. Uhle & Treier, 2019).
Die Projektsteuerung erfolgt zentral, die Operationalisierung vor Ort dezentral: In einem quartalsweise tagenden Steering Committee werden die strategische und inhaltliche Richtung nachverfolgt und gegebenenfalls korrigiert.
Inhalte
Der gewählte SiT-Ansatz entspricht einem systematischen Vorgehen. In fünf Schritten wird SiT an jedem Standort eingeführt:
- Safety Culture Assessment: Zu Beginn wird die vorhandene Präventionskultur am Standort über Assessments erfasst und bewertet. Methodisch kommen hier Interviews, Begehungen und Audits zum Einsatz. Die Bewertung findet über elf Dimensionen statt – unter anderem Führungskultur, Vertrauenskultur oder die Erhebung proaktiver Indikatoren. Das Bewertungsergebnis der Präventionskultur kann „in den Anfängen“, „in der Entwicklung“ oder „voll ausgereift“ lauten, was entweder einen sofortigen Programmstart bedeutet oder erst die Erledigung einiger Aufgaben zuvor verlangt.
- Design Workshop: Der Standortleitung, lokalen HSE-Akteuren und Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern werden die Assessmentergebnisse präsentiert und das weitere Vorgehen wird gemeinsam diskutiert und festgelegt.
- Qualifizierungsprogramm: Für unterschiedliche Zielgruppen werden passende Informations- und Trainingsprogramme angeboten – unter anderem „Executive & Senior Leadership“ für das Senior Leadership und „Behavioral Safety Lone Workers“ für Beschäftigte, die ihre Arbeitsaufgabe größtenteils in Einzelarbeit erledigen. Zwischen 15 und 25 Prozent der Beschäftigten eines Standorts werden für die konkrete Umsetzung des SiT qualifiziert: Führungskräfte werden befähigt, das sichere Verhalten der Mitarbeiter zu unterstützen. In sogenannten „Touchpoints“ findet täglich in nur 2–3 Minuten eine kurze Betrachtung zuvor definierter Verhaltensweisen statt und in wöchentlichen „Debrief Sessions“ werden gute Beispiele aus den Touchpoints vorgestellt und im Feedback positiv verstärkt. Die involvierten Mitarbeiter werden in Core Teams zusammengefasst, in denen sicherheitsrelevante Verhaltensweisen definiert werden und das positive und konstruktive Feedbackgeben trainiert wird, um aus riskantem Verhalten positive Gewohnheiten zu machen.
- Umsetzung: Die Core Teams wählen zu Beginn maximal drei sicherheitsrelevante Verhaltensweisen aus – zum Beispiel „Trage beim Staplerfahren Sicherheitsgurte!“ oder „Bleibe stehen, wenn Du auf Dein Smartphone schaust!“ –, deren Umsetzung dann täglich in Fremd- oder Selbstbeobachtung per Strichliste oder App kontrolliert werden. Ziel ist es, sicherheitsgerechtes Verhalten durch positives Feedback zu verstärken und zu Gewohnheitsroutinen zu machen.
- Evaluation: Monatlich werden zentral der Trainingsfortschritt sowie die Effekte des SiT in Form der Safe-Habit-Rate erfasst.
Fazit und Erkenntnisse
Das SiT wurde in den Gesundheits- und Sicherheitsprogrammen fest verankert. In den thematisch relevanten Unternehmensregularien wurden klare Verhaltenserwartungen definiert, ebenso finden sich Verhaltensaspekte in den Methoden zur Gefährdungsbeurteilung. So wichtig die Verstärkung eines sicherheitsgerechten Verhaltens ist, was auch den Schwerpunkt des SiT ausmacht, so wichtig ist es ebenso sicherheitswidriges Verhalten konsequent zu sanktionieren. Ein relevanter Erfolgsfaktor ist die Flexibilität in der Programmumsetzung: Aufgrund verschieden ausgeprägter Kulturen, unterschiedlicher Arbeitsschwerpunkte und lokaler Spezifika muss das SiT-Programm den Bedarf unterschiedlicher Zielgruppen berücksichtigen.
Literatur
Uhle, T. & Treier, M. (4. Aufl.), (2019). Betriebliches Gesundheitsmanagement. Heidelberg: Springer.