Gibt man in eine Suchmaschine im Internet „Wertschätzung am Arbeitsplatz“ ein, so ergeben sich über zwei Millionen Treffer. Verschiedene Zeitschriften für Führungskräfte und Manager weisen regelmäßig darauf hin, wie wichtig wertschätzende Führung ist und dass es sich hierbei um einen Erfolgsfaktor für das Unternehmen handelt. Auch zahlreiche Seminarangebote zum Thema „Wertschätzend führen“ finden sich im Internet.
Schaut man sich Umfragen zum Themengebiet an, so lässt sich jedoch feststellen, dass Wertschätzung und Anerkennung im Betrieb nur einen geringen Stellenwert haben. So hat zum Beispiel das Karriereportal Monster im Jahr 2015 seine Nutzer und Nutzerinnen gefragt, ob sie sich an ihrem Arbeitsplatz wertgeschätzt fühlen. Es zeigt sich, dass lediglich 11 Prozent der Befragten in Deutschland mit „oft“ antworten, während sich 46 Prozent nie wertgeschätzt fühlen. Zu diesem Befund passen Ergebnisse des Gallup Instituts, das regelmäßig seit 2001 den Grad der Bindung der Beschäftigten an ihren Betrieb untersucht. Die Erhebungen zeigen inzwischen über viele Jahre hinweg, dass lediglich circa 15 Prozent der Beschäftigten eine hohe Bindung an ihren Betrieb haben, während über fünf Millionen Beschäftigte innerlich gekündigt haben und fast drei von vier Beschäftigten Dienst nach Vorschrift machen.
Eine weitere Umfrage der Kraftwerk Anerkennung OG aus Österreich im Jahr 2013 hat festgestellt, dass über 81 Prozent der Führungskräfte glauben, häufig Anerkennung oder Lob auszusprechen, aber 67 Prozent der Beschäftigten ohne Führungsverantwortung berichten, nur selten oder nie Anerkennung von ihren Vorgesetzten zu erhalten. Es gibt also offensichtlich eine deutliche Differenz im Erleben zwischen den Führungskräften und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Somit bleibt festzuhalten, dass Wertschätzung und Anerkennung der Führungskräfte nicht erfolgt oder nicht ankommt (vgl. auch Bach, 2012).
Unterschiedliche Arten von Respekt
Der Psychologe und Professor für „Leadership und Organizational Behavior“ Niels van Quaquebeke hat sich in seiner Doktorarbeit mit dem Thema „Respekt“ beschäftigt. Er unterscheidet beim zwischenmenschlichen Respekt zwischen einem sogenannten horizontalen und einem vertikalen Respekt. Der horizontale Respekt umfasst eine Gleichwürdigkeit von Menschen und ist bedingungslos, während der vertikale Respekt graduell ist und von der Leistung abhängt.
Der horizontale Respekt stellt somit eine Haltung dar: Erkenne ich mein Gegenüber als Mensch mir gleichwürdig an?
Der vertikale Respekt bezieht sich eher auf die Leistung des Beschäftigten: Hat er oder sie etwas geschafft, dass ich respektiere?
Möglicherweise liegt genau hierin das Problem: Der vertikale Respekt, den ich meinem Gegenüber für seine Leistung entgegenbringe, wirkt vermutlich nur, wenn der horizontale Respekt gegeben ist und ich mein Gegenüber als Mensch mir gleichwürdig anerkenne. Anerkennung, die von Führungskräften kommt, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht auf der Ebene einer grundlegenden Menschenwürde als gleich ansehen, kommt womöglich nicht an. Sie wird als „unecht“ empfunden – als nicht authentisch.
Der horizontale Respekt spiegelt letztendlich eine Haltung des Menschen wieder: Wie sehe ich mein Gegenüber? Nehme ich ihn oder sie als Mensch an, auch wenn vielleicht mal Fehler passieren oder ich die Person nicht so sympathisch finde? Diese Haltung lässt sich nicht auf einem zweitägigen Seminar entwickeln. Wenn eine Führungskraft über ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter denkt, dass die sowieso alle „faul und unwillig“ sind, wird ein Lob dieser Führungskraft – dessen Bedeutung sie auf einem entsprechenden Seminar erkannt hat – vermutlich nicht wirklich ankommen. Die Beschäftigten kennen ihre Führungskraft und wissen oft „das war nicht ernst gemeint, das hat die Führungskraft nur gesagt, weil sie es so gelernt hat – es kam nicht ´von Herzen´“.
Wie sich unschwer erkennen lässt, kann man ein solches Thema nicht in „Betriebsanweisungen“ oder „Technischen Regeln“ abhandeln. Dennoch ist es ein wichtiges Thema, mit dem wir uns – auch im Arbeitsschutz – beschäftigen sollten.
Übrigens: „Haltung“ und „Respekt“ zeigen sich nicht nur im Gespräch, sondern auch im Handeln. Dies wird im Beitrag zum Thema „Holzstuhl“ auf den folgenden Seiten deutlich (“Der „einfache Holzstuhl“ im Münchener Amt und das Arbeitsschutzrecht” von Prof. Dr. Wirlich). Unabhängig davon, wie die juristische Bewertung des Falles ausfällt, lässt sich ableiten, dass es Führungskräfte gibt, die ihren mangelnden Respekt nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten ausdrücken.
Kritik mit der Sandwich-Methode?
Bei der Sandwich-Methode geht es darum, Kritik vermeintlich angenehm zu vermitteln, indem die eigentliche Kritik zwischen zwei positiven Äußerungen „verpackt“ wird. Das Gespräch des Vorgesetzten, dessen Ziel es ist, dem Mitarbeiter eine kritische Rückmeldung zu geben, beginnt mit einem Lob. Danach erfolgt die eigentliche Kritik und das Gespräch wird wiederum mit einem Lob beendet. So soll die Kritik als weniger unangenehm empfunden werden.
Diese Methode wird regelmäßig in Führungskräfte-Seminaren empfohlen, ist jedoch aus zwei Gründen als kritisch zu bewerten:
- Die eigentliche Kritik wird möglicherweise nicht gehört bzw. nicht ernst genug genommen. Manche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hören nur das Lob oder nehmen die Kritik nicht ernst, da sie selber dem Lob eine höhere Bedeutung zuweisen.
- Diese Methode entwertet ein Lob. Vermutlich die Mehrheit der Beschäftigten hört stärker die Kritik als das Lob. Das Lob verliert an Bedeutung bzw. wird nicht als solches wahrgenommen. Das Lob wird als instrumentalisiert erlebt, um die Kritik loszuwerden. Äußerungen der folgenden Art sind regelmäßig zu hören: „Der Chef lobt mich doch nur, um mir dann eins „reinzuwürgen“. Das Lob wird also nicht als ernst gemeint angenommen – auch wenn es von der Führungskraft als solches gemeint ist.
Vor allem der zweite Aspekt wird in Gesprächen mit Beschäftigten häufig genannt, so dass von der Sandwich-Methode zur Rückmeldung von Kritik deutlich abzuraten ist. Hiermit lässt sich möglicherweise auch der o.g. Befund erklären, dass Führungskräfte häufig glauben, Anerkennung auszusprechen, dies aber nicht bei den Beschäftigten ankommt. Die Führungskraft denkt bei der Sandwich-Methode „Ich habe doch zwei Mal gelobt“ und der Mitarbeiter nimmt das Lob überhaupt nicht zur Kenntnis, da es in seinem Erleben nur die Funktion hat, die Kritik freundlich „einzupacken“.
Was also tun?
Die oben beschriebenen Prozesse sind nicht nur für Führungskräfte relevant, sondern auch im Bereich der Arbeitssicherheit, wenn es um das Verhalten der Beschäftigten geht.
Zwei Möglichkeiten können helfen, damit Wertschätzung als Wertschätzung und Anerkennung erfahren und angenommen wird:
- Trennen Sie Lob- und Kritikgespräche. Loben Sie Beschäftigte für ihr sicheres und gesundes Verhalten oder ihr entsprechendes Engagement im Betrieb. Sehen Sie auch kleine Schritte und geben Sie eine entsprechende positive Rückmeldung. Wenn Kritik für unsicheres Verhalten notwendig ist, so geben Sie auch hierzu eine Rückmeldung. Auch Kritik ist wichtig – sie kann mir eine wichtige Rückmeldung geben, wenn ich meinen Fehler vielleicht bisher gar nicht gemerkt habe, und ich lerne dabei, dass meine Führungskraft es ernst meint und ehrlich zu mir ist. Begriffe wie „suboptimal“ oder Phrasen wie „es gibt noch Luft nach oben“ kommen dann nicht mehr vor. Wichtig hierbei: Bringen Sie Ihre Kritik getrennt vom Lob an und verbinden Sie die Kritik immer mit einer gemeinsamen Überlegung, wie es in Zukunft besser laufen könnte. Dabei sollten Sie nicht nur Ihre Empfehlungen und Hinweise vortragen, sondern die Kolleginnen und Kollegen fragen, warum sie sich nicht sicher und gesund verhalten. Suchen Sie gemeinsam nach Lösungen. Van Quaquebeke & Felps (2016) haben eine Gesprächsform entwickelt, die hierbei gut genutzt werden kann – die sogenannte „respektvolle Befragung“.
- Beim „Respectful inquiry“ – also der „respektvollen Befragung“ – handelt es sich um eine Form eines Mitarbeiter-Gesprächs, die auch im Bereich von Sicherheit und Gesundheit genutzt werden kann. Bei diesem Gespräch stellt eine Führungskraft ihrem Mitarbeiter offene Fragen und hört genau zu. Eigentlich hört es sich nicht nach etwas Besonderem an – tatsächlich neigen Führungskräfte und auch Arbeitssicherheitsexperten aber häufig dazu, dem Gegenüber zu sagen, was richtig und was falsch ist. Es wird nicht nach Beweggründen für unsicheres Verhalten oder möglichen Hindernissen für sicheres Verhalten gefragt.
Mit offenen Fragen lässt sich die Beziehung zum Gegenüber fördern und man zeigt dem Gegenüber, dass man ihn für kompetent hält, zu antworten. Darüber hinaus gesteht man dem Gesprächspartner Autonomie zu, da er entscheidet, was und wie er antwortet. Damit erfüllt man drei wichtige psychologische Grundbedürfnisse des Menschen.
Hierzu gehören das Gefühl sozialer Eingebundenheit, Kompetenzerleben und Autonomie (Deci & Ryan, 2008). Wichtig ist es, offene Fragen zu stellen und gut zuzuhören, ohne die Antwort sofort abzuwerten, wenn es sich nicht um die gewünschte Antwort handelt. Beschäftigte, deren Grundbedürfnisse erfüllt werden, engagieren sich mehr und stoßen Veränderungen an – das gilt sicherlich auch für die Arbeitssicherheit.
Übrigens: Es gibt immer wieder Unternehmen bzw. Führungskräfte, die ihre Fachkräfte für Arbeitssicherheit nach der folgenden Art abkanzeln: Arbeitsschutz kostet doch nur Geld – das bringt doch sowieso nichts – sollen die Leute halt aufpassen und außerdem haben wir das schon immer so gemacht und es ist nie etwas passiert … Auch hier ist eine klare Kritik und Rückmeldung gefragt – Arbeitsschutz ist und bleibt Arbeitgeberpflicht. Achten Sie aber darauf, Ihr Gegenüber nicht zu verurteilen, sondern fragen Sie nach, warum die Führungskraft so etwas äußert. Vielleicht ist sie unsicher, weil sie sich durch die zahlreichen Regelungen überfordert fühlt oder sie hat Existenzängste hinsichtlich des Fortbestehens des eigenen Betriebs. Externe Sifas haben es in einer solchen Situation manchmal etwas leichter, deutlich Position zu beziehen, da sie nicht in die Hierarchie des Betriebs eingebunden sind.
Fazit
Wertschätzung und Kritik sollten keine Worthülsen sein – auch wenn sie es anscheinend in vielen Betrieben sind und zahlreiche Beschäftigte sich nicht wertgeschätzt fühlen, wie Umfragen zeigen. Eine respektvolle Grundhaltung anderen Menschen gegenüber scheint hierfür eine wesentliche Voraussetzung zu sein ebenso wie ein ehrliches Interesse an ihnen.
Quellen:
- Bach, C. (2012) Mehr Wertschätzung und Anerkennung im Job: Wie Mitarbeiter und Führungskräfte die betriebliche Zusammenarbeit fördern und die Beziehungsqualität verbessern können. Tredition.
- Deci, E.L. & Ryan, R.M. (2008): Self-Determination Theory: A Macrotheory of Human Motivation, Development, and Health.
In: Canadian Psychology 49, 182–185. - Van Quaquebeke,N. & Felps, W. (2016). Respectful Inquiry: A motivational account of leading through asking open questions and listening. The Academy of Management Review, 43(1).·
- https://www.gallup.de/183104/engagement-index-deutschland.aspx
- https://karrierebibel.de/wp-content/uploads/2014/04/KW-A_Ergebnisse_Umfrage_Anerkennung.pdf
- https://www.monster.de/karriereberatung/artikel/wertschaetzung-arbeitsplatz-umfrage-tipps
- https://www.ionos.de/startupguide/produktivitaet/sandwich-methode/
- https://karrierebibel.de/sandwich-kritik/#SandwichKritik-Gesicht-wahren-und-bloss-keine-Gefuehle-verletzen
Autorin: Prof. Dr. Hiltraut Paridon
Professorin für Medizinpädagogik
SRH Hochschule für Gesundheit, Gera
E‑Mail: hiltraut.paridon@srh.de