Wesentlich für ein erfolgreiches Risikomanagement sind funktionierende Kommunikationsstrukturen. Vor, während und nach einer Krise sollen sämtliche Maßnahmen dazu dienen, Unsicherheit zu reduzieren und das Geschehene bestmöglich zu verstehen.
Effiziente Kommunikation = schnelle Krisenbewältigung
Jede Krise und jeder Ernstfall sind einzigartig. Eine maximal detaillierte Vorbereitung auf alle möglichen Überraschungen bei einer Katastrophe, Notlage oder einem Unfall ist daher nicht machbar. Dennoch: Sowohl die Kommunikation nach innen als auch die Information der Öffentlichkeit orientieren sich an ähnlichen Gesetzmäßigkeiten. Ein Kommunikationskonzept soll insbesondere die Zuständigkeiten und die Abläufe in einem Krisenfall definieren. Ebenfalls sollen die erforderliche Infrastruktur, die möglichen Mittel für die Information nach außen sowie die möglichen Ereignisse und ihre Auswirkungen geklärt werden. Eine kompetente Initialkommunikation prägt das Image für die weitere Informationstätigkeit der jeweiligen Institution.
Da viele Unternehmen unvorbereitet sind, wenn sich ein Krisenfall ereignet, wird häufig improvisiert. Der erste Schock kann lähmen und mögliche Reaktionen des Unternehmens auf eine plötzliche Krisensituation können sein:
- Nicht wahrhaben wollen
- Ungewissheit: was hat das für Folgen für alle?
- Unsicherheit durch Informationsmangel sowie durch widersprüchliche Aussagen: Was ist wirklich geschehen?
Die Folgen können sein:
- Falschmeldungen
- Spekulationen
- Halbwahrheiten
- Gerüchte [1]
Je effizienter die Kommunikation in der Krise, desto schneller, professioneller und sicherer ist der Ernstfall zu bewältigen. Daher sollte es Ziel jedes Unternehmens sein, in einer Krisensituation schnell, offen und ehrlich sich dem Informationsbedürfnis nach außen und durch gut abgestimmte Entscheidungsprozesse nach innen zu stellen.
Beispiel Chemieunfall
Die Krisenkommunikation anlässlich eines großen Chemieunfalls im Jahre 1993 soll exemplarisch zeigen, auf was es ankommt, um die Reputation eines Unternehmens zu erhalten. Im Chemiewerk Frankfurt-Griesheim der Hoechst AG trat nach einem Bedienungsfehler aus einer Anlage zur Produktion des Farbstoff-Vorprodukts „ortho-Nitroanisol“ ein Reaktionsgemisch ins Freie. Zehn Tonnen der Substanz gingen als klebriger, gelber Niederschlag in den Frankfurter Stadtteilen Schwanheim und Goldstein nieder. In den folgenden sechs Wochen ereigneten sich 17 weitere Betriebsstörungen in verschiedenen Werken der Hoechst AG. Allein in den ersten zwei Wochen nach dem Störfall startete das Unternehmen eine umfangreiche Informationskampagne. Trotzdem wurde dem Unternehmen eine „mangelhafte Informationspolitik“ vorgeworfen.
Das Problem: Die Hoechst AG hatte verschwiegen, dass der hauptsächlich ausgetretene Stoff „ortho-Nitroanisol“ im Verdacht steht, krebserregend zu sein. Ein Mitarbeiter wurde getötet und ein weiterer schwer verletzt. Ein Firmensprecher spielte den Vorfall zunächst herunter, obwohl ihm der Personenschaden bekannt war. Einen Tag später wurden Mitglieder der Umweltschutz-Organisation „Greenpeace“ daran gehindert, Wasserproben am Unglücksort zu nehmen.
Der Vorstandsvorsitzende Wolfgang Hilger wies jede persönliche Schuld von sich. Schuld an allem seien vielmehr die Medien. Als Reaktion auf die „Desinformationspolitik“ der Hoechst AG verlangten die Unternehmen der chemischen Industrie fast geschlossen den Rücktritt des Hoechst-Vorstandsvorsitzenden als Präsident des Branchenverbands, da er den Ruf der ganzen Branche für Jahre ramponiert habe. [2]
Der Vorfall bei Hoechst zeigt, wie wichtig das richtige Verständnis von Risikokommunikation ist. Es geht nicht nur um die Vermittlung von Inhalten, sondern Informationen und Prozesse müssen transparent und angemessen vermittelt werden. Es dürfen keine vorschnellen Vertuschungsaktionen gestartet werden.
Situationsgerechte Kommunikation nach außen und innen
Um eine Krise zu bewältigen, muss daher eine situationsgerechte interne und externe Kommunikation erfolgen. Das Einsetzen eines Krisenstabs vor der Krise garantiert die genaue Analyse vor der potenziellen Krisensituation, weist zentrale Kompetenzen zu und vernetzt die Kommunikationspartner, die wiederum die Sofortmaßnahmen auslösen können. Um für den Krisenfall vorzubeugen, sollte die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Pressevertretern zuverlässig aufgebaut werden. Diese Art der Zusammenarbeit sorgt dafür, dass schon vor einem Ernstfall eine Atmosphäre der konsequenten und transparenten Information geschaffen werden kann. Dasselbe gilt für die punktgenaue Kommunikation intern im Unternehmen.
Zunächst muss geklärt und festgelegt werden, wer im Krisenfall informiert und involviert werden muss. Dies können oder sollen in externer Hinsicht sein:
- Ministerien und andere Behörden (durch gesetzlichen Auftrag), dies auf nationaler und internationaler Ebene
- Verbände und andere wichtige Interessengruppen
- Risikobewertungseinrichtungen wie das Bundesinstitut für Risikobewertung
- Medien (Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen)
- Öffentlichkeit/Bevölkerung
- Fachkreise aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik
- Feuerwehr, Polizei, Seelsorger, Ärzte
- Versicherungen
- Angehörige bei Arbeitsunfällen und sonstigen Krisenereignissen, bei denen Menschen zu Schaden kommen
Folgende Personen und Funktionsträger sollten intern miteinander kommunizieren:
- Beteiligte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Team- und Arbeitskolleginnen und ‑kollegen und Vorgesetzte)
- Beteiligte Familienangehörige
- Gefahrgut- und Sicherheitsbeauftragte des Unternehmens
- Kommunikationsverantwortliche
- Geschäftsleitung
Der Kommunikationsplan
Der Erfolg der Aktivitäten im Ernstfall kann im Vorfeld durch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Risikoszenario gewährleistet werden. Dazu ist ein Kommunikationsplan erforderlich, der die Instrumente und wichtigsten Abläufe in einem Krisenfall genau darstellt. In diesem Plan muss auch die Kommunikationsrichtung genau angegeben werden.
Hierzu zählt:
- Wer ist für die Organisation der Kommunikation im Krisenmanagement verantwortlich?
- Welche Abläufe und Zeitpläne müssen eingehalten werden?
- Welche Medien werden wann informiert?
- Welche Experten werden informiert (Ansprechpartner im eigenen Unternehmen, Experten in anderen Organisationen)?
- Gezielte Pressearbeit (welche Informationsangebote werden wann gegeben?)
- Welche Kommunikationsinstrumente nutzt das Unternehmen?
Für den Kontakt mit den Medien im Ernstfall können folgende Materialien vorbereitet beziehungsweise Maßnahmen ergriffen werden, die – sollte eine Krisensituation eintreten – Entlastung schaffen:
- Listen mit Kontaktdaten (Alarmliste, wichtige Medien, eigene Experten, Mitarbeiter in der eigenen Behörde, Experten in anderen Organisationen)
- Pressemeldungen und Informationen für mögliche Ernstfälle
- Bei Gefahren, die Bürgerinnen und Bürger umfassend betreffen, eine „Hotline“ einrichten
Wie positioniert sich ein Unternehmen nach außen?
Wenn ein Krisenfall eintritt, muss ein Unternehmen folgendes berücksichtigen:
- Proaktiv sein: Informationen sofort und ohne Verzögerung weitergeben, niemals warten oder auf Druck von außen reagieren
- Konsequent sein: Informationsstrom nicht abbrechen lassen, offensiv kommunizieren, präsent und offen sein
- „One-voice“-Prinzip: Es gibt nur eine Person Auskunft (Krisenbehörde, Krisenstab oder beauftragte Person für Öffentlichkeitsarbeit). Dabei gilt: Je gravierender die Krise, desto wichti-ger die Präsenz der höchstmöglichen Organisationsvertretung
- Schnell, transparent und ehrlich: Kommunikation hat das Ziel, ehrlich zu sein und damit die Glaubwürdigkeit zu erhalten. Das bedeutet, nichts zu beschönigen oder zu verschleiern und niemanden zu verteidigen
- Ohne „no comment“: Eine „no comment“-Haltung löst Spekulationen aus und verstärkt die Krise. Selbst das Gesagte kann offen und erneut gesagt werden. Man kann auch sagen, wenn man nichts zu sagen hat
- Kontinuität: Den Informationsfluss nicht abbrechen lassen. Die Krisenkommunikation endet erst, wenn die Krise überwunden ist
- Emotional betroffen sein: Insbesondere, wenn Menschen zu Schaden gekommen sind, ist es für Unternehmen sehr wichtig, emotionale Betroffenheit konsequent zu zeigen [3]
Folgende klassische Methoden sollten im Krisenfall für die Kommunikation nach innen und außen genutzt werden:
- Medien-/Pressekonferenz unmittelbar nach dem Ereignis einberufen, in kurzen Intervallen Meldungen zum Vorfall zusammenstellen
- Website (Internetforen), Datenaustausch mit anderen Behörden/Regierungsorganisationen bedienen
- Verbraucherschutzforen nutzen
- Forschungsprojekte und Studien zum Vorfall anstoßen
- Satellitengestütztes Warnsystem (über Radio/Internet schnelle Warnung) nutzen
Beim Umgang mit den Medien in der Krisensituation sind folgende Hinweise von großer Bedeutung:
- Vis à vis: Bei Medienkontakten Gesprächspartner verorten. Name und Adresse von Journalist und Medium notieren
- Statement: Bedenkzeit zu verlangen, ist erlaubt. Fragen notieren und sich mit Krisenstab abstimmen, rechtzeitig zurückrufen
- Terminierung: Bei der Planung von Pressekonferenzen den Publikationstermin von Medien berücksichtigen
- Fragenkatalog: Liste mit Fragen aufstellen, die die Medien stellen könnten
- Botschaft: Beschränkung auf eine Kernbotschaft mit zwei oder drei Aussagen
- Dokumentation: Informationsmaterial zum Unternehmen und zum Vorfall bereithalten
- Gegenlesen: Artikel zum Gegenlesen verlangen, insbesondere Interviews und Zitate
- Das gesprochene Wort: Das Recht am gesprochenen Wort liegt bei der Person, die es äußert. Es kann jederzeit zurückgezogen werden (Ausnahme: Live-Bericht). Davon sollte allerdings nur im äußersten Notfall Gebrauch gemacht werden
- Gegendarstellung: Gegen eine sachverhaltswidrige Darstellung besteht das Recht auf Gegendarstellung
Nach dem Ernstfall ist vor dem Ernstfall
Ein professionelles Krisenmanagement endet nicht mit dem vermeintlichen „Ende“ einer bedrohlichen Situation beziehungsweise der Krise, es geht darüber hinaus und ist wesentlicher Bestandteil der Rekonstruktionsphase. Nach der Krise ist die Evaluation der Kommunikation zentraler Bestandteil des Abschlusses der Krise.
Folgende Fragen sollten geprüft werden:
- Inwiefern haben sich die vorgemerkten Abläufe bewährt?
- Wie haben sich die verschiedenen Phasen der Handlungsschritte in der Kommunikation bewährt?
- Inwiefern waren die „Grundlagenpapiere“, zum Beispiel Checklisten, von Nutzen?
- Was muss an den Abläufen geändert werden? (Schwachstellenanalyse)
Zudem muss die mediale Berichterstattung weiterhin sorgfältig beobachtet und dokumentiert werden. Eine positive Bestätigung der Leistung aller Beteiligten darf nicht fehlen. Zudem ist die Aufrechterhaltung der Beziehungen zu den Medien sehr wichtig. Weiterhin muss die Koordination der unmittelbaren Betreuung von Betroffenen bei Neuorientierung und Restrukturierung von Lebensperspektiven bewerkstelligt werden.
Literatur
- [1] Knill, Marcus; Krisenkommunikation und Medien. 2003
- [2] Roselieb, Frank; Störfall-Serie in den Werken der Hoechst AG im Frühjahr 1993, http://www.krisenkommunikation.info/Stoerfall-Serie-in-den-Werken-der-Hoechst-AG-im-Fruehjahr-1993.114.0.html,
Zugriff 18.06.2018) - [3] Peier, Martin, Mori, Nicolas; Handeln und kommunizieren in Krisensituationen. Evangelisch reformierte Landeskirche des Kantons Zürich 2008
Autorin: Friederike Invernizzi, M.A.
Redakteurin, Kommunikationstrainerin und ‑beraterin
f.invernizzi@web.de
Eine Checkliste mit Dos und Dont´s beim Kommunikationsverhalten in Krisensituationen finden Sie unter
Linktipp
- Der „Leitfaden Notfallmanagement – Gefahrenabwehr“ des Verbands der Chemischen Industrie soll vor allem kleineren und mittleren Standorten der chemischen und pharmazeutischen Industrie Hilfestellung zur Notfallorganisation geben:
www.vci.de > Services > Leitfäden