Doch zunächst zur Ausgangslage: Es gab schon ausreichend Sicherheitsbeauftragte am Standort, die sich – allerdings je nach eigenem Engagement und Wunsch des Vorgesetzten – sehr individuell und überwiegend isoliert voneinander für die Sicherheitsbelange im Bereich einsetzten: Eine Begehung hie und da sowie die Treffen mit den Kolleginnen und Kollegen, zu der die Sicherheitsfachkraft einlud. Einige führten regelmäßige Sicherheitskurzgespräche mit den Kolleginnen und Kollegen, wobei sich die Themen im Lauf der Jahre eingespielt hatten und regelmäßig wiederholt wurden. Andere Sicherheitsbeauftragte hatten keine eigenen expliziten Aufgaben und wurden daher auch nicht in dieser Funktion wahrgenommen.
Der Plan und das Vorgehen
Vor dem eigentlichen Projektstart wurde zunächst eine Aufgabenbeschreibung sowie ein Anforderungsprofil ausgearbeitet. Dafür wurde das Managementteam nach seinen Erwartungen an eine solche aktive Unterstützung aus Mitarbeitenden-Reihen gefragt. Selbstverständlich wurde der Betriebsrat von Anfang an in die Planung und Durchführung miteinbezogen.
Die Neuen Aufgaben
Zu den klassischen Aufgaben eines Sicherheitsbeauftragten sollten insbesondere die Folgende hinzukommen:
- Regelmäßige Begehungen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen
- Mitarbeit an überschaubaren Projekten zum Thema Arbeitssicherheit
- Regelmäßige Treffen mit dem eigenen Vorgesetzten (sogenannte jours fixes), in denen die Sicherheitsaufgaben im eigenen Bereich abgestimmt werden
- Regelmäßige Teamtreffen. Diese wurden anfänglich noch durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit initiiert, während sich das Team im Laufe der Zeit mehr und mehr selbst organisieren sollte.
Die Zusammenstellung des neuen Teams
Es war davon auszugehen, dass nicht alle schon seit langem benannten Sicherheitsbeauftragten selbstverständlich Lust auf die neuen Aufgaben haben würden. Deshalb startete das Projekt mit einem „Casting“:
- Jede/r Sicherheitsbeauftragte wurde vom eigenen Abteilungsleiter gefragt, ob sie/er Interesse hätte, auch unter den neuen Voraussetzungen dabei zu bleiben. Dabei wurde viel Augenmerk darauf gerichtet, dass auch eine Absage der weiteren Mitarbeit im Team akzeptiert und respektiert wurde.
- Zusätzliche Sicherheitsbeauftragte wurden engagiert – dabei wurde unter anderem auch darauf geachtet, dass zukünftig Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen und Schichtteams zum Team gehören.
Nachdem das neue Team feststand, ging es mit einer „Kick-Off Veranstaltung“, einem Teamworkshop über zwei Tage, los. Neben dem Training für die „Neuen Aufgaben“ wurde hier auch viel Raum für die Teambildung gegeben. Danach sollte es losgehen … und dann kam Corona.
Das Projekt musste über den ersten Lockdown hinweg ruhen. Würde Corona das Ende auch dieser Idee bedeuten? Das wollten wir nicht akzeptieren. Dazu war der Anfang zu vielversprechend.
Und so folgten im Juli und August 2020 vorsichtige Neuanfänge, die den geänderten Umständen Rechnung trugen.
Denn nun war es nicht mehr möglich, im gesamten Team zu arbeiten. Daher entschlossen wir uns, die Ausarbeitung des Begehungskonzepts durch eine kleine Arbeitsgruppe anzugehen. Das Ergebnis war – wie gesagt – vielversprechend: Die Begehungen sollten Teamaufgabe sein und einen aktiven Beitrag zur Verbesserung der Sicherheitsarbeit darstellen. Wichtig war die Durchmischung und Zusammenarbeit der Sicherheitsbeauftragten untereinander, um die Kollegin oder den Kollegen und seine Herangehensweise besser kennenzulernen und Erfahrungen zu teilen. In wechselnden Zweierteams gehen die Sicherheitsbeauftragten einmal im Monat in einen zuvor festgelegten Bereich. Dabei wird vorher für jeden Monat ein Schwerpunktthema festgelegt. Im September 2020 konnten wir die Sicherheitsbeauftragten noch für dieses neue Konzept der Begehung schulen und mit einer ersten Trainingsrunde starten.
Ein erster Erfolg
Das neue Begehungskonzept wurde sehr positiv angenommen und zeigte sofort Erfolge in der Sicherheitsarbeit. So zum Beispiel beim Erkennen von vorher durch Alltagsroutinen nicht mehr wahrgenommene Risiken beim Umgang mit Leitern. In einer Kooperation von Sicherheits- und Leiterbeauftragten wurde das bestehende Leiterkonzept komplett überarbeitet und zum Teil neu erstellt. Die
klaren Vorgaben zu Kontrolle, Aufbewahrung und Neuanschaffung von Leitern findet heute am gesamten Standort Anwendung.
Weitere sichtbare Folgen der „neuen“ Sicherheitsbeauftragten-Arbeit:
- Sehr viel mehr Meldungen von Risikosituationen und Beinaheunfällen und
- eigenständige Be- und Überarbeitung von Gefährdungsbeurteilungen, die am Standort unter anderem nach dem JSA-Konzept (Job Safety Analyse) durchgeführt werden.
Die Eigeninitiative der Sicherheitsbeauftragten wuchs in bewundernswertem Maße. Es folgten nicht nur Ideen und Vorschläge an das Management, sondern auch deren Umsetzung in kleinen Projekten, zum Beispiel das Gestalten und Einrichten eines virtuellen Teamraums und die Entwicklung einer neuen Form von Sicherheitskurzgesprächen.
Gleichzeitig war ein Multiplikatoreneffekt erkennbar. Es wurde mehr Engagement der Teamleiter und Schichtmeister sichtbar. Dies wurde hervorgerufen durch die steigenden Erwartungen und Nachfragen der Sicherheitsbeauftragten im Rahmen eines Konzepts, dass sich „Team der Sicherheit“ nennt. Kurz und knapp ist dies der Schulterschluss zwischen den Sibes und dem jeweiligen Vorgesetzten. An
dieser Stelle entwickelte sich eine Eigendynamik: Inspiriert durch den eigenen Erfolg und bestärkt durch die Treffen mit den Vorgesetzten übernahmen die Sicherheitsbeauftragten zunehmend Verantwortung für die Durchführung von Sicherheitsarbeit.
Ein wichtiges Element der zukünftigen Veränderung der Sicherheitskultur wird ein unternehmenseigenes „Lebensretterkonzept“ werden. Dabei werden die fünf Themen identifiziert, die die höchsten Risiken für Gesundheit und Leben darstellen. Neu sind nicht die Maßnahmen für den sicheren Umgang mit diesen Risiken. Neu ist das konsequente Ansprechen und Einfordern der dazu gehörigen überlebenswichtigen Regeln. Dabei geht es um einen Umgang miteinander, bei dem sich Kolleginnen und Kollegen konsequent gegenseitig auf sicheres Verhalten ansprechen und dadurch schützen. Dies sollte die Sicherheitsarbeit bei den Gasruß-Werken auf ein völlig neues Niveau heben. Den Sicherheitsbeauftragen kommt bei der Entwicklung dieses Konzepts eine besondere Rolle zu. Sie werden von Anfang an dabei sein und es in einem nächsten Schritt aktiv im Unternehmen kommunizieren.
Aber dann kam der zweite Lockdown und damit erneut die Sorge, dass die Motivation zur Mitarbeit im Projekt verloren geht.
Die Pandemie … jetzt erst recht!
Rückblende: Mit dem 1. Lockdown im März 2020 blieb das Projekt zunächst direkt nach dem ersten Anlauf stecken, aber wir machten „aus der Not eine Tugend“. Es folgte eine Überarbeitung des Pilotprojekts und ein Neustart im Juli/August 2020 mit verbessertem Konzept. Der sich schnell einstellende Erfolg gab uns recht und motivierte uns, auch nach dem erneuten Stopp im November durch den zweiten Lockdown weiter zu machen: Diesmal online!
Dafür nahm das Unternehmen Geld in die Hand und schaffte Lizenzen sowie Tablets für das Sibe-Team an, damit das Projekt per Videokonferenzen weitergehen konnte. Statt Workshops gab es Coaching für Zweierteams. Kleinere Arbeitsgruppen trafen sich in regelmäßigen Abständen virtuell. Eine völlig neue Art der Zusammenarbeit wurde – wie an so vielen Stellen – aufgrund der Pandemie schnell eingeführt. Für viele der Beteiligten war es neu und irritierend, per Web-Konferenz zu lernen und zu arbeiten. Doch die direkte Coaching-Situation erlaubte ein Eingehen auf individuelle Bedürfnisse, Sorgen oder auch Misstrauen gegenüber der neuen angestrebten Linie in der Sicherheitsarbeit. Der Einzelne wird dabei ganz anders als im Teamworkshop wahr- und damit auch ernstgenommen in seinen persönlichen Bedürfnissen angesichts der geforderten Veränderungen.
Auch diesmal gab uns der Erfolg recht: Dem Programm wurde eine große Priorität eingeräumt und damit Ernsthaftigkeit verliehen.
Die zunächst ungewohnte Intensität des Coachings ist sehr wirksam. Es zeichnet sich eine Veränderung in der Kultur und eine zunehmende Eigendynamik im Team ab.
Autorin: Elke Werner-Keppner
M.A. Erziehungswissenschaften und Psychologie, Gründerin und Geschäftsführerin der etalon international GmbH, Heidelberg
Sicherheitsbewusstsein und Eigenverantwortung stärken
„Wir hatten immer das Problem, dass wir zwar viele Sicherheitsregeln hatten, dass diese aber nicht immer eingehalten wurden; hier gab es immer eine gewisse ‚Wellenbewegung‘, ja nachdem welche ‚Sicherheitsaktion‘ gerade gefahren wurde. Mit den ‚Lebensrettern‘ wurden jetzt (einige wenige) typische Arbeitsgebiete identifiziert, von denen nach eigener Erfahrung die größten Gefährdungen ausgingen. Hierfür wurde dann ein Konzept für die Einführung entwickelt, das die Gefährdungen beschreibt, die Regeln noch einmal definiert und auch Konsequenzen für eine Nichtbefolgung beschreibt. Verbunden wurde dies mit einem Kommunikationskonzept. Der Grundgedanke hier ist, dass es zwar nur wenige ‚Lebensretter‘ gibt, dass die Regeln aber für jeden gelten – egal, ob Mitarbeiter, Kontraktor oder Besucher –, dass die Regeln auch jedem bekannt sind und dass ein Nichtbefolgen auch Konsequenzen hat, die ebenfalls völlig transparent und klar sind.
Diese gesamte Konzeption wurde von einer Arbeitsgruppe der Sicherheitsbeauftragten erarbeitet, die auch bei der Einführung und Umsetzung die tragende Rolle spielte. Das Konzept kommt daher nicht ‚von oben‘, sondern wurde aus der Mannschaft heraus entwickelt. Dadurch entsteht bereits jetzt eine klare ‚Ownership‘ für das Konzept, und wir versprechen uns, dass das Sicherheitsbewusstsein der gesamten Belegschaft hierdurch dauerhaft gestärkt wird.“
Harald Baumgart, Geschäftsführer KG Deutsche Gasrußwerke GmbH & Co
Die Arbeit der Sicherheitsbeauftragten
„Bisher war es so, dass die Sicherheitsbeauftragten mehr oder weniger als „Einzelkämpfer“ in ihren Abteilungen oder Schicht unterwegs waren. Input gab es durch die Sicherheitsfachkraft in regelmäßigen Meetings. Da hat jeder einzelne mit unterschiedlichen Engagement die Themen der Sicherheit in den jeweiligen Teams transportiert und vertreten.
Im Mittelpunkt der Weiterentwicklung des Aufgabenspektrums der Sicherheitsbeauftragten steht, schlagkräftige Teams zu formen, die sich als Gemeinschaft für den Arbeitsschutz einsetzen. Damit wird die Rolle als Multiplikatoren für sicheres Arbeiten an der Basis zu wirken nochmals wesentlich verbessert. Die Vernetzung stärkt das „Wir Gefühl“ und damit auch das Ansehen der Sicherheitsbeauftragten bei den Kollegen, den Führungskräften und allgemein im Unternehmen.
Unterstützt wird dieser Prozess durch die neu eingeführten Tools:
- Jour Fixe mit der direkten Führungskraft (sogenanntes Team der Sicherheit)
- Einrichtung eines gemeinsamen (virtuellen) Teamraums im lokalen Firmennetzwerk.
- Neues Begehungskonzept mit:
- Fokusthemen
- Cross Begehungen (Sicherheitsbeauftragte unterschiedlicher Abteilungen organisieren selbsttätig wechselnd Begehungen)
- Mitwirkungen bei Projekten (z. B. Weiterentwicklung des Sicherheitsprogramm)
Als Ziel wird angestrebt, dass die Sicherheitsbeauftragten ihre Arbeit vollkommen selbsttätig organisieren und dieser Prozess durch die Sicherheitsfachkraft nur noch moderiert wird.“
Walter Blümel, Sifa am Standort in Dortmund
KG Deutsche Gasrußwerke GmbH & Co (DGW)
Die KG Deutsche Gasrußwerke GmbH & Co (DGW) ist ein Unternehmen der chemischen Industrie. Als mittelständisch geprägtes Unternehmen ist DGW ein bedeutender Hersteller von Carbon Black, mit enger Anbindung an international tätige Unternehmen der Chemie- und der Reifenindustrie.
DGW stellt Verstärkerfüllstoffe (Rubber Black) für die Reifen- und Gummiindustrie sowie Pigment Blacks für die Farb‑, Druck- und Kunststoffindustrie her. Darüber hinaus liefert DGW Strom und Fernwärme aus anfallender Prozesswärme für eine Vielzahl der Dortmunder Haushalte.
1936 als Russwerke Dortmund gegründet, begann in Dortmund die industrielle Herstellung von Carbon Black (Industrieruß) nach dem sogenannten „Gasrußverfahren“. 1954 erfolgte eine Ausweitung der Produktionsanlagen und der Einstieg in die Technik des Furnace-Black-Verfahren.