Frauen haben allein dadurch zusätzliche Herausforderungen, dass sie Brüste, Hintern und Vaginen haben und der eine oder andere Mann auf dieser Welt denkt, diese stünden zur freien Verfügung. Interkulturelle Geschlechterrollen und unterschiedliche Ansichten darüber, wie eine „anständige“ Frau sich zu kleiden und zu verhalten hat, kommen noch erschwerend hinzu.
Beispiel Diebstahl
Als Ausländer ist man generell ein beliebtes Ziel für Kriminelle, da die Täter wissen, dass man in der Regel das Land schnell wieder verlässt, die Sprache nicht gut beherrscht oder das Rechtssystem nicht kennt. Dies ist für beide Geschlechter gleich. Eine teure Uhr ist genauso schnell vom Handgelenk gestreift oder das Smartphone vom Tisch gestohlen, wie die Halskette vom Hals gerissen. Der Ring durch den höflichen Kofferträger vom Finger gestreift oder das Portemonnaie mit Waffengewalt entwendet. Frauen haben diesbezüglich den Nachteil, dass sie statistisch gesehen mehr Schmuck tragen als Männer und meist Handtaschen mit sich führen, die durch einen vorbeifahrenden Motorradfahrer abgerissen werden könnten.
Gesundheitsrisiken
Aufgrund anderer anatomischer Gegebenheiten haben Frauen auch andere Gesundheitsrisiken. Zum Beispiel besondere Hygiene- und Gesundheitsanforderungen während der Periode. Auch die erhöhte Gefahr von Harnwegsinfekten oder Pilzinfektionen darf nicht unerwähnt bleiben. Schon die Erwähnung der Blutung oder Tampons mit Einführhilfe lässt viele Männer vor Scham oder Ekel erstarren.
Sexuelle Übergriffe
Was den meisten Männern erspart bleibt ist die Erfahrung eines sexuellen Übergriffs. Sie haben die Erfahrung nicht, wie es ist, wenn sie jemand begrapscht, mit Blicken auszieht, körperlich oder verbal sexuell belästigt. Den meisten Frauen sind diese Szenarien sehr wohl bekannt und nicht nur auf Auslandsreisen beschränkt. Die Angst einer Frau in einer dunklen Unterführung, in einem Parkhaus oder vor dem verschlossenen Hotel nachts in einer fremden Stadt kann ein Mann vermutlich nicht in voller Gänze nachvollziehen. Da mache ich den Männern auch keinen Vorwurf. Woher sollen sie es auch wissen? Sie waren noch nie eine Frau und Nachrichten wie „Joggender Student nachts im Park vergewaltigt“ sind auch eher selten.
Ein Mann: kein Garant für Sicherheit
Daher ist ein mitreisender Mann auch kein Garant für Sicherheit. Viele Unternehmen sagen, dass ihre Mitarbeiterinnen nicht allein reisen. Das heißt in der Praxis aber hin und wieder wenig. Denn oft herrscht eine gewisse Hilflosigkeit und Überforderung, was man denn tun soll. So ist das auch bei Übergriffen: „Am Ende mache ich etwas falsch oder meine Hilfe ist nicht erwünscht, also mache ich lieber gar nichts“. Oder der Kollege nimmt gar nicht wahr, dass seine Kollegin gerade belästigt wird oder sich belästigt fühlt. Weil eine Situation, die für sie bedrohlich ist, auf ihn harmlos wirkt. Besonders dann, wenn sie versucht, „keine Szene zu machen“. Und ja: Manchmal sind die Kollegen auch selbst die Täter. Etwas, das dann gerne bagatellisiert wird: „Paul, ach du kennst doch Paul. Der ist halt so, wenn er etwas getrunken hat. Darf man alles nicht so ernst nehmen“.
Die Liebmädchenfalle
Generell tun sich Frauen mit Auseinandersetzungen – egal ob körperlich oder verbal – schwerer. Selbst dann, wenn es absolut angebracht ist, sich massiv zur Wehr zu setzen. Das geht so weit, dass manche Frauen im Unternehmen nicht mal erzählen, dass sie Kampfsport machen, um „keinen falschen Eindruck zu erwecken“ und als „streitsüchtige Emanze“ oder ähnliches angesehen zu werden. Zudem wollen sie nicht als schwach gelten, wenn sie zu Trainings gehen. Man könnte das als „Unfähigkeit“ auslegen und gegen sie verwenden.
Ich nenne das die „Liebmädchenfalle“. Die Erziehung, die uns Frauen einredet, wir sollen lieb, nett, brav und verbindlich sein. Immer. Bloß keine eigenen Bedürfnisse haben. Dann könnte man als überempfindlich dastehen. Bloß nicht laut werden. Schon gar nicht schreien oder schlagen. Das sei „unweiblich“ und „hysterisch“. Hat eine Frau dann noch Übergriffe in ihrer Biografie – durch Onkel, Stiefvater, Nachbar oder Opa – weiß sie oft sowieso nicht, was eigentlich adäquates Handeln in übergriffigen Situationen ist.
Ein Beispiel, dass mir eine Frau im vergangenen Jahr erzählte: Sie war in Frankreich zu einem Event und nahm ein Taxi zurück zum Bahnhof. Der Fahrer – sie saß auf dem Beifahrersitz – begrapschte sie völlig unvermittelt. Was sie dann gemacht habe, fragte ich sie. „Ich habe ihm höflich gesagt, er möge das lassen“.
An alle männlichen Leser: Wer von Ihnen hätte zu dem Fahrer „höflich gesagt, er möge das lassen“?!? Auf die Idee wären Sie vermutlich gar nicht gekommen.
Ja und dann? „Dann hat er an sich selbst rumgefummelt“. Sie sagte das so, als würde sie über´s Wetter reden. „Ich habe dann gebetet, dass wir bald am Bahnhof sind. Wo sollte ich denn hin, mitten auf einer französischen Autobahn?“ – sie hat nicht reagiert, ihn auch nicht angezeigt — und zudem noch bezahlt. Ich mache ihr keinen Vorwurf – derartige Beispiele sind kein Einzelfall. Sie spiegeln die Liebmädchenfalle wider. Oft erzählen mir gerade Frauen diese Geschichten, die vorher noch fragen, wozu man Reisesicherheits-Trainings für Frauen denn überhaupt bräuchte. Für genau so etwas!
Das Warrior-Mindset
Um in einer Gefahrensituation adäquat reagieren zu können, ist das „Liebsein-Mindset“ sehr hinderlich. Da braucht es schon ein Warrior-Mindset. Die Bereitschaft, sich mit Gefahren auseinanderzusetzen und dann eben niemals neben dem Fahrer zu sitzen. Egal, ob er das doof findet. Sicherheit hat sehr viel mit „Attitude“ zu tun. Was für Männer, die eine militärische oder polizeiliche Ausbildung haben, völlig normal ist, ist für viele Frauen völliges Neuland: Gefahrenszenarien durchspielen, vorzeitig und früh genug reagieren, auch mal laut werden. Sich zu überlegen, von wo ein möglicher Angreifer kommen könnte, wo man sich daher nicht aufhält oder wie man dann am Besten reagiert. „Wenn ich mich mit Gefahren auseinandersetze bekomme ich ja Angst“ ist dafür der falsche Ansatz. Das Gegenteil ist der Fall. Nur was ich kenne, kann ich er-kennen. Wenn es zu einer Notwehrsituation kommt, ist vorher oft schon ganz viel schiefgelaufen.
Der vielzitierte „gesunde Menschenverstand“ ist dabei ein denkbar schlechter Berater. Die Welt ist komplex und Menschen tun komische Dinge. Besonders Menschen, die unter Drogen stehen, nichts mehr zu verlieren oder Hormonüberschuss haben.
Täter lieben leichte Opfer
Täter wollen so wenig Arbeit und Risiko wie möglich, sie lieben leichte Opfer. Frauen, die zum Beispiel durch hohe Schuhe nicht in der Lage sind zu rennen, sich aufgrund einengender Kleidung selbst in der Bewegungsfreiheit einschränken, die abgelenkt sind durch Kopfhörer oder den Blick aufs Handy. Die sich in Hotels derart in Sicherheit wiegen, dass sie sich permanent in einem schlafwandlerischen Bewusstseinszustand befinden. Die nicht damit rechnen, dass jemand sich Zutritt zu ihrem Zimmer verschaffen und dort schon auf sie warten könnte. „Mir ist noch nie etwas passiert“ ist als Sicherheitstategie einfach nicht gut genug.
Spielen Sie doch lieber mal das Spiel „Was könnte der Fremde neben mir im Fahrstuhl oder hinter mir im Gang des Hotels möglicherweise tun, wie reagiere ich am besten“. Einfach so, weil’s Spaß macht.
Schuld, Scham, Depression
Wenn dann doch etwas passiert, „mit dem man nie im Leben gerechnet hätte“, schämen sich leider viele Frauen. Sie fühlen sich kaputt, beschmutzt, eklig und suchen die Schuld bei sich. Oder bekommen sie von anderen – oft auch Frauen! – übergestülpt, mit Worten wie „sowas zieht man doch selbst an“. War der Rock zu kurz, der Blick zu aufreizend, das Lächeln zu auffordernd etc. Hier muss klar gesagt werden: Das Opfer hat nie Schuld! Die Schuld liegt allein beim Täter, der sich nicht im Griff hat und das „Nein“ einfach nicht verstehen oder akzeptieren will.
Ich kenne das Beispiel einer jungen Frau, die im toten Winkel einer Kamera von einem Hotelangestellten fast vergewaltigt worden wäre, wären nicht zufällig Hotelgäste vorbeigekommen. Die junge Frau hat sich davon bis heute nicht wieder richtig erholt.
So etwas ist kein „Kavaliersdelikt“ – wie so oft dargestellt. Um das zu verdeutlichen habe ich mir ein Männer-kompatibles Beispiel überlegt. Der Porsche steht dabei für den weiblichen Körper: Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen nigelnagelneuen Porsche. Jemand würde im Vorbeigehen mit dem Schlüssel einen langen, tiefen Kratzer in den Lack machen. Obwohl sie laut „Nein!“ rufen, als sie die Warnsignale erkennen. Hier meine Fragen an Sie: Würde es Ihnen leichtfallen, sofort laut zu werden? Denken sie, derjenige würde Ihr „Nein“ für ein „Ja“ halten? Die Frage, ob Sie denjenigen anzeigen und am besten noch vor Ort meucheln, stellt sich Ihnen vermutlich gar nicht erst.
Würden Sie sich hinterher fragen, ob Sie selbst schuld an dem Vorfall sind, weil der Lack zu glänzend und die rote Farbe zu aufreizend war? Ob Sie den Porsche besser nicht dort geparkt und das Ganze damit provoziert hätten? Würden Sie sich hinterher schämen, dass ausgerechnet Ihnen sowas passiert ist oder vor Zorn rotglühend Ihrem Ärger Luft machen? Hand aufs Herz!
Fazit – wofür Reisesicherheits-Trainings für Frauen
- Um ein Bewusstsein für mögliche Risiken zu bekommen, mit denen der „gesunde Menschenverstand“ nicht rechnen würde, und Gefahren frühzeitig zu erkennen.
- Um ein Frühwarnsystem zu entwickeln und zu schulen, in dem man sich
mit den Merkmalen eines Übergriffs – sogenannte Pre-Incident-Indicators – auseinandersetzt. - Um über eigene Erfahrungen im geschützten Rahmen reden zu können. Aus der Praxis, für die Praxis. Denn davon lebt Sicherheit.
- Um die eigenen Handlungsmuster besser einschätzen zu können.
- Um sich mit der eigenen Haltung gegenüber Gewalt auseinanderzusetzen.
- Um zu wissen, dass es verschiedene Bewusstseinsstadien gibt und wie man sie trainiert.
- Um der eigenen Intuition zu vertrauen und Gefahrensituationen frühzeitig zu verlassen.
- Um ein Warrior-Mindset zu entwickeln und somit nicht in die Liebmädchenfalle zu tappen.
- Um es Tätern so schwer wie möglich zu machen.
- Um reale Gefahren-Situationen im geschützten Rahmen durchzuspielen und damit unbewusstes Wissen bewusst und schnell abrufbar zu machen.
- Um sich mit Dingen wie Schuld und Scham auseinanderzusetzen und damit eine neue Haltung in diese Gesellschaft zu bringen.
Autorin: Ute Schneider
Reise-Sicherheitstrainings für Frauen, Inhouse-Schulungen für Unternehmen
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