Wenn Jens Stirnberg auf seinen Wegen durch die Anlagen den Blick auf mögliche Gefahrenquellen richtet, schaut er nicht nur auf die Tiere. Denn neben diesen gibt es etliche weitere Faktoren, auf die es zu achten gilt: „Letzte Woche habe ich einen kleinen Tritt außer Betrieb gesetzt. Er war schon ganz wackelig, weil der Kunststoff auf einer Seite eingerissen war“, nennt der Sicherheitsbeauftragte ein Beispiel. Umgehend informierte er den zuständigen Revierleiter. Nun musste schnell eine neue Aufstiegshilfe her. „Deswegen bin ich direkt in die technische Abteilung gegangen und habe unseren Leiterbeauftragten gebeten, Ersatz zu organisieren.“
Absprache mit dem Leiterbeauftragten
Hochgelegene Arbeitsplätze, Lager mit Tierfutter… Leitern und Tritte sind im Bochumer Tierpark bei vielen Tätigkeiten unverzichtbar. „Deshalb haben wir auch einen Leiterbeauftragten. Er führt ein Leiterprüfbuch und achtet zum Beispiel darauf, ob diese Arbeitsmittel noch den normativen Anforderungen genügen.“ Doch es kann nicht jeder seine Augen ständig überall haben. Deshalb fungieren die Sicherheitsbeauftragten auch hier als Bindeglied. „Wir müssen nicht immer gleich zur Geschäftsführung rennen. Weil wir vieles mit unserer Sachkunde auch untereinander regeln und verbessern können, geht dies oft und schnell auf dem kurzen Dienstweg.“ Meist handele es sich um „Klassiker“ wie Stolperfallen oder rutschige Wege. „Diese scheinbaren Kleinigkeiten sind auch bei uns die größten potenziellen Unfallquellen.“
Ein „Kind“ des Tierparks
Der 50-Jährige ist sozusagen im Tierpark großgeworden. Schon als Schüler arbeitete er nebenbei als Ponyführer und half in der Tierpflege aus, machte dann dort die entsprechende Ausbildung. Seit 21 Jahren ist er nun fest angestellt. 2012 übernahm er die Abteilungsleitung der Zoologie – und war von daher bereits für den Arbeitsschutz mit zuständig. „Wir hatten diesbezüglich schon immer einen sehr hohen Standard, das hat mich geprägt. Als wir dann unser 2016 erstmals ausgezeichnetes Arbeitsschutzmanagementsystem eingeführt haben, wurde ich offiziell zum Sicherheitsbeauftragten benannt.“ Schon zuvor hatte er bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) Seminare zu Themen wie „Arbeiten in der Wildtierhaltung“ oder „Arbeitssicherheit in Aquarien“ besucht. Nun absolvierte er dort auch die Schulung zum Sicherheitsbeauftragten. „Außerdem haben wir hier intern unsere Kurse zum Ersthelfer und Brandschutzhelfer. Die machen immer alle Festangestellten mit.“
Fanghandschuhe und Kescher
Einen schweren Arbeitsunfall mussten Jens Stirnberg und sein Team noch nicht miterleben. „Vor einigen Jahren hatte ein Kollege mal einen Schlaganfall“, erinnert er sich. „Auch mit allgemeinen medizinischen Notfällen müssen wir also immer rechnen. Gerade, weil hier so viele Menschen unterwegs sind.“ Einen großen betrieblich bedingten Gefahrenschwerpunkt stellen naturgemäß die Tiere dar. „Viele von ihnen können kratzen oder beißen. Deswegen hat bei uns jeder Tierpfleger unter anderem sein eigenes Paar Fanghandschuhe. Und wenn wir zum Beispiel mal einen Affen oder Nasenbären einfangen müssen, sind spezielle Kescher nötig.“ Diese Fangnetze überprüft er regelmäßig auf Löcher, die Tiere hineingerissen haben könnten. Als weiteren großen Bereich nennt der Abteilungsleiter die Gefahrstoffe. „Das Gas Ozon etwa spielt eine Rolle in der Meerwasseraquaristik. Bei einem Austritt drohen gesundheitliche Folgen von Schleimhautverätzungen bis hin zur Ohnmacht.“ Das Problem dabei: Ozon ist schwerer als die normale Umgebungsluft, sodass es sich in Bodennähe anreichert. Eine bewusstlose Person würde also auch noch in die größte Konzentration des Gases fallen. „Deswegen prüft unsere technische Abteilung regelmäßig alle Anlagen. Ich selbst habe hierzu die Betriebsanweisungen geschrieben.“
Maßnahmen gegen Zoonosen
Viele Betriebsanweisungen der Zoologie beschäftigen sich mit biologischen Gefahrstoffen, etwa der Gefahr von Zoonosen – Infektionskrankheiten, die unter anderem von Bakterien, Viren oder Pilzen verursacht und von Tieren auf Menschen übertragen werden können. „Salmonellen beispielsweise gehören bei Reptilien zur normalen Darmflora. Für uns Menschen können sie hingegen in seltenen Fällen gefährlich sein.“ Deswegen hat Jens Stirnberg auch alle nötigen Schutzmaßnahmen im Blick. „Staubmasken tragen, nicht rauchen, essen oder trinken bei der Arbeit. Der Kot darf nur mit Handschutz aufgenommen und muss fachgerecht entsorgt werden. Wir nehmen auch zusammen mit unserem Tierarzt regelmäßig Kotproben, damit der Keimdruck so gering wie möglich gehalten wird.“ Wenn doch einmal ein Fall eintritt mit einer großen Gefahr durch Zoonosen, wird die zuständige Gruppe der Tierpfleger sofort informiert: Je nach Situation, dürfen sie die betroffene Anlage dann vorerst gar nicht mehr betreten oder werden angewiesen, sie in kompletter Schutzkleidung und als letzte im Tagesablauf aufzusuchen, um eine Verbreitung der Keime auszuschließen.
Insgesamt sieht die Bilanz des Sicherheitsbeauftragten positiv aus. „Da wir mit unserem AMS schon einen sehr hohen Sicherheitsstandard haben, tauchen eher Kleinigkeiten auf und Dinge, die mal nachjustiert werden müssen.“ Und doch gibt es immer wieder auch überraschende Erkenntnisse, wie zum Beispiel bei der Reinigung der Aquarienscheiben. Dem Arbeitsschutz-Team war bekannt, dass erhebliche Gefährdungen von den dabei verwendeten Reinigungsmagneten ausgehen. „Bei der Reinigung befindet sich ein Tierpfleger oder Techniker mit einem Magneten außerhalb des Beckens. Das Gegenstück führt ein Taucher im Wasser an der Scheibe entlang. Weil sie durch die Scheibe wirken müssen, sind diese Magneten sehr stark.“ Ginge eine dieser Personen auf dem Weg zum Becken zum Beispiel unbedacht an einer Metalltür vorbei, würde sie sofort angezogen. „Da kann es leicht passieren, dass man sich die Finger quetscht. Auch Besucher mit Herzschrittmacher müssen wir vor dem starken Magnetfeld warnen, wenn dort gerade gearbeitet wird.“
Ein unerwarteter Kurzschluss
Trotz aller Vorsicht kam es eines Tages zu einem Zwischenfall in diesem Arbeitsbereich – allerdings ganz anderer Art, wie Jens Stirnberg berichtet. „Wir verwenden auch sehr feine Stahlwolle, um die Scheiben von innen zu reinigen. Und alle Beschäftigten des Tierparks haben ein Funkgerät für die interne Kommunikation. Keinem war bewusst, dass beides sich nicht unbedingt gut miteinander verträgt.“ Auch einer Mitarbeiterin nicht, die auf ihrem Weg zum Arbeitsplatz Aquarium beides in einer Hand trug. Durch die Nähe des Metalls zu den Ladekontakten an dem Funkgerät kam es zu einem Kurzschluss und die Stahlwolle entzündete sich. „Zum Glück hat die Kollegin beides geistesgegenwärtig fallen lassen, sodass es am Boden nur einmal puffte.“ Ein Schreck war es aber allemal, der auch zu einem Sekundärunfall etwa durch Stolpern hätte führen können. „Auf solche Dinge kommt man einfach nicht vorher. Aber das wird hier nun keinem mehr passieren.“
Schutzbrillen für UV-Licht
Auch an der Auswahl von PSA ist Jens Stirnberg beteiligt und muss immer wieder überdenken, ob alles noch seinen Zweck erfüllt. So hat sich beispielsweise im Terrarium des Zoos die Gefährdungslage grundlegend verändert. „Die Reptilien benötigen UV-Licht, damit ihre Knochensynthese auch im künstlichen Raum funktioniert. Dafür haben wir spezielle Lampen installiert, die sie gezielt aufsuchen können.“ Das Risiko für die zuständigen Beschäftigten dabei: UV-Strahlung kann bekanntlich einen Sonnenbrand auf der Netzhaut verursachen und daher für das ungeschützte menschliche Auge gefährlich werden – bis hin zur Erblindung. „Früher hatten wir UV-Lampen mit niedriger Leistung“, erklärt der Sicherheitsbeauftragte. „Damit unsere Tierpfleger keinerlei Risiken ausgesetzt waren, war dies außerdem mit einer organisatorischen Schutzmaßnahme geregelt: Diese Lampen brauchen nur für eine Dreiviertelstunde pro Tag angeschaltet zu sein, um die Tiere ausreichend zu versorgen. Diese Phase hatten wir in die Zeit gelegt, in der die Kollegen ihre Mittagspause machten.“ Doch inzwischen ist mit dem Buntwaran eine neue Tierart aus Australien eingezogen, die wesentlich mehr UV-Licht benötigt. „Daher haben wir einen 1.000-Watt-Strahler angeschafft, der acht Stunden täglich laufen muss.“ Als der Anbieter darauf aufmerksam machte, dass bei solch einer hohen Leistung spezielle UV-Schutzbrillen nötig seien, reagierte das Arbeitsschutz-Team prompt. Alle Tierpfleger, die diese Anlage betreten, bekommen ihre eigene Schutzbrille und dokumentieren dies mit ihrer Unterschrift.
Generell ist die Akzeptanz der Kollegen und Kolleginnen bezüglich des Arbeitsschutzes groß. Das spürt Jens Stirnberg auch bei den Unterweisungen, die die Sicherheitsbeauftragten in ihren jeweiligen Abteilungen selbst durchführen. „Obwohl sie vieles schon einmal gehört haben, zeigen sich alle motiviert und stellen Fragen, weil sich manche Situationen immer mal wieder verändern.“ Besonders freut ihn, dass die Tierpfleger selbst Verbesserungsvorschläge einbringen. „Man merkt, dass sich alle ihre eigenen Gedanken dazu machen.“ Sein Patentrezept? „Wir versuchen die Unterweisungen immer lebendig zu gestalten und möglichst viel praktisch vorzuführen, damit es nicht nur trocken von einer PowerPoint-Präsentation abgelesen wird.“
Die lieben Besucher…
Auch psychische Belastungen haben die Sicherheitsbeauftragten im Blick. Je nach Abteilung können diese unterschiedlich aussehen. „Der mögliche Raubüberfall an der Kasse betrifft uns hier in der Zoologie natürlich weniger. Doch wir haben auch mit Besuchern zu tun, die zum Beispiel gern mal ein Schild ‚übersehen‘, ihre Finger dann doch zu den Affen in die Anlage stecken oder die Tiere mit Bananen füttern wollen, obwohl wir genau das nicht möchten, da sie viel ungesunden Fruchtzucker enthalten.“ Einige dieser Unbelehrbaren reagieren auf Ansprache zudem unwirsch oder mit lapidaren Kommentaren wie: „Ich wusste gar nicht, dass man fremde Tiere nicht füttern darf“ oder „Das ist doch nur ein Stückchen…“. Für den Fall, dass daraus ein ernsthafter Konflikt entsteht, hat die komplette Belegschaft ein Code-Wort vereinbart, das alle über ihr Funkgerät verbreiten können. „So können wir sofort reagieren, falls ein Besucher oder eine Gruppe doch einmal auffälliger werden sollte. Das ist nicht nur seit Corona ein Thema, wo viele schneller genervt sind wegen der Masken und anderer nötiger Maßnahmen, sondern es gab auch allgemein schon vereinzelte Zwischenfälle.“
ASA-Sitzungen mit Begehungen
Extra-Aufwand hatte Jens Stirnberg vor allem zu Beginn seiner Sibe-Zeit, als das neue Arbeitsschutzmanagementsystem eingeführt wurde. „Weil wir uns bemüht haben, alles zu vereinheitlichen, und neue Formularvorlagen erstellt werden mussten. Doch nun, wo es läuft und nur noch feinjustiert werden muss, ist es weit weniger zeitintensiv.“ Die mindestens viermal jährlich stattfindenden ASA-Sitzungen beanspruchen jeweils drei bis vier Stunden für den Theorieteil, in dem alle gemeinsam das Protokoll durchgehen: Welche Dinge konnten wir seit der letzten Sitzung erledigen, welche Lücken im Arbeitsschutz schließen? Anschließend folgt eine Begehung mit allen Abteilungen. „Dabei machen wir auch eine Gefährdungsanalyse und jeder kann Verbesserungsvorschläge einbringen. Zuständigkeiten und Zeitfenster für die Behebung der Mängel werden festgelegt. Das wird alles protokolliert.“
Vertrauensvolle Zusammenarbeit
Hinzu kommt die Zeit, in der Jens Stirnberg mit offenen Augen durch den Betrieb geht. „Das passiert parallel zu meinen Hauptaufgaben und lässt sich daher kaum messen.“ Wesentlich für ihn in seiner Rolle als Sibe ist, das Vertrauen der Kollegen zu gewinnen. „Damit die Leute wirklich wissen, dass wir ein offenes Ohr haben und sie unbesorgt auch von Dingen berichten können, die noch nicht so optimal laufen. Schließlich ist Arbeitsschutz immer eine gemeinsame Sache.“
Steckbrief
- Jens Stirnberg
- 50 Jahre
- Beruf/Qualifikation: Diplom-Biologe, Tierpflegermeister
- Aktuelle Position: Leiter der Abteilung Zoologie
- Sicherheitsbeauftragter seit 2016
- Ersthelfer, Brandschutzhelfer
- Branche: Zoologische Gärten / Tiere
Die Tierpark Bochum gGmbH
- Im Tierpark + Fossilium Bochum versorgen circa 70 Beschäftigte an 365 Tagen im Jahr die knapp 4.000 Tiere, darunter auch Teilzeitkräfte und ehrenamtliche Helfer.
- Mit jährlich fast 350.000 Besuchern ist der Tierpark eines der beliebtesten Ausflugsziele im Ruhrgebiet.
- Als modernes Natur- und Umweltbildungszentrum gehört der Zoologische Garten auch zur außerschulischen Bildungslandschaft.
- Seit 2016 hat der Tierpark Bochum ein eigenes Arbeitsschutzmanagementsystem (AMS), das von der VBG ausgezeichnet wurde (siehe Ausgabe 7–8/2021). 2019 erfolgte bereits die Rezertifizierung.
- www.tierpark-bochum.de