Getrieben von der Infektionslage und den sich gefühlt täglich ändernden Anforderungen des Gesetzgebers waren landauf, landab die Sicherheitsingenieure, Sicherheitsmeister und Sicherheitstechniker in den letzten knapp eineinhalb Jahren beschäftigt, die Unterstützung der Unternehmen in Sachen Pandemie voranzutreiben, sei es, dass sie in den Krisenstäben sitzen, Hygienepläne entwickelten, Informationen zum Mund-Nase-Schutz und zum Lüften gegeben haben, betriebliche Testzentren organisierten oder die Schnittstellen zur Arbeitsmedizin und zum Datenschutz (Kontaktnachverfolgung!) hergestellt haben. Kaum eine Kollegin oder ein Kollege, die/der nicht über massive Arbeitsüberlastung geklagt hat. Kreativität, die sicherheitstechnische Betreuung unter Abstands- und Kontaktvermeidungsregeln sicherzustellen, kamen noch hinzu – nicht nur eine Besprechung wurde virtuell abgehalten. Aber es gab auch die andere Seite, gerade bei der überbetrieblichen Betreuung. Aus angeblichen Gründen des Kontaktschutzes wurde den Fachkräften für Arbeitssicherheit der Zutritt zum Unternehmen verwehrt. Dabei hebt die Pandemie die Vorgaben des Arbeitssicherheitsgesetzes nicht auf, sondern im Gegenteil, ein mehr an Betreuung wäre notwendig. Den Unternehmerinnen und Unternehmern muss klar gemacht werden, welche Vorteile ihnen gerade in der Pandemie die sicherheitstechnische Betreuung bieten kann. Die Pandemie hat auch gezeigt, dass sich viele Fachkräfte für Arbeitssicherheit weiterentwickelt haben, ganz im Sinne des vom VDSI gezeichneten Rollenverständnisses des „Managers für Sicherheit und Gesundheit“. In der weiterentwickelten DGUV Vorschrift 2 sollte dieses Rollenverständnis weiter verankert werden. Diese Chance dazu besteht jetzt.
Zum Stand der Diskussionen
Bedauerlich ist es aber trotzdem, dass in dem Diskussionsprozess um die Fortentwicklung die derzeitige Stagnation eingetreten ist. Es ist fraglich, ob die Aussagen aus der Evaluation von 2016 derzeit noch ausreichendes Fundament haben. Auf der anderen Seite lassen sich die Erfahrungen aus der Pandemie gut integrieren, sodass der Gesamtprozess nicht (!) neu aufgerollt werden muss.
Zu den bekannten Entwicklungen und zu den wesentlichen strittigen Punkten seien jedoch ein paar Anmerkungen gemacht:
- Dass die regelmäßige Fort- und Weiterbildung1 Bestandteil der Tätigkeit, und damit der Grundbetreuungszeit, einer Fachkraft für Arbeitssicherheit ist, ist unstrittig. Der VDSI hat bereits vor Jahren ein Weiterbildungs-Punktesystem eingeführt, um dies zu stärken. Wichtig ist aber, dass hier keine Ausschließlichkeit auf den Erfahrungsaustausch mit den Unfallversicherungsträgern in deren Lehrgängen festgeschrieben wird. Erstens können diese nicht alle Themen abdecken und zweitens wird die Zugänglichkeit zu deren Angebot für externe Fachkräfte für Arbeitssicherheit immer noch bei einigen Unfallversicherungsträgern erschwert oder unmöglich gemacht. Der Weiterbildungsmarkt ist vielfältig. Sowohl VDSI-Regionalveranstaltungen (auch vor dem Hintergrund des Erfahrungsaustausches), FASI-Veranstaltungen, Messe und Kongress Arbeitsschutz aktuell sowie A+A, freie Lehrgangsträger und hausinterne Fortbildungen tragen zum Kompetenzerwerb bei.
- Durch die Unterschiede bei den Ingenieursgesetzen der Bundesländer ist Unklarheit bei der Eingangsqualifikation „Ingenieur“ entstanden. Während sich beispielsweise ein Chemiker oder Physiker in Bayern und Baden-Württemberg auch Ingenieur nennen darf, ist das in Hessen nicht der Fall. In Bayern oder Baden-Württemberg ist es also unproblematisch, als Chemiker oder Physiker zusammen mit der sicherheitstechnischen Fachkunde zur Fachkraft für Arbeitssicherheit bestellt zu werden, dagegen muss in Hessen ein Ausnahmeantrag nach § 7, Abs. 2 ASiG gestellt werden. Das ist natürlich unsinnig. Der VDSI hat deshalb schon 2014 einen Vorschlag unterbreitet, welche Professionen als geeignet und Ingenieur-gleich angesehen werden sollten. Das sind alle akademische Ausbildungen in den Gebieten:
- Physik, Chemie, Biologie, Geologie
- andere naturwissenschaftliche Fächer,
- Humanmedizin, Ergonomie,
- Verhaltens- und Organisationspsychologie sowie
- Kombinationen daraus und
- pädagogische Ausbildungen in diesen Fächern
- Bei Studiengängen der Gesundheitswissenschaften käme es auf die Schwerpunktsetzung an. Der Schwerpunkt Betriebliches Gesundheitsmanagement ist hier sicher auch mit einer Vergleichbarkeit verbunden.
- Die Unterschiede in den Ingenieurgesetzen führen gerade in der Diskussion um § 7, Abs. 2 ASiG und § 4, Abs. 3 der DGUV Vorschrift 2 zu Verwirrungen. Der eine versteht den Naturwissenschaftler darunter, der andere etwas ganz anderes.
- Nicht nachvollziehbar ist, dass es derzeit Unfallversicherungsträger gibt, die bei der Ermittlung der Grundbetreuungszeit nicht das Kopfzahlprinzip, sondern das sogenannte ASiG-Modell anwenden. Dies verstößt aus Sicht des VDSI gegen geltendes Recht der DGUV Vorschrift 2. Ein entsprechendes Rechtsgutachten wurde bereits 2012 vorgelegt. Dass im Zuge der Reform der DGUV Vorschrift 2 vom Kopfzahlprinzip abgewichen werden soll, ist gerade vor dem Hintergrund der wichtigen Rolle, die die Fachkräfte für Arbeitssicherheit in der Pandemie eingenommen haben, vollkommen unverständlich und lässt sich weder aus arbeitsmedizinischer, arbeitspsychologischer oder sicherheitstechnischer Perspektive rechtfertigen. Menschen sind nicht teilbar, auch wenn sie in Teilzeit arbeiten gehen.
- Grundsätzlich sind zur adäquaten Unterstützung der Unternehmen beide Fachdisziplinen des ASiG, das heißt die Sicherheitstechnik und die Arbeitsmedizin, im Rahmen der Grundbetreuung und der betriebsspezifischen Betreuung erforderlich. Das erfordert auch Vor-Ort-Kenntnisse. Die Arbeitsmedizin darf nicht auf die Vorsorge reduziert werden. Kritisch wird gesehen, wenn das Fehlen einer der beiden bereits vorweggenommen werden würde. Daher sollten grundsätzlich beide Fachdisziplinen (Sicherheitstechnik und Arbeitsmedizin) verpflichtend bleiben. Diskussionswürdig ist aber die Frage der notwendigen Mindestanteile je Fakultät in der Grundbetreuung und ob diese noch zeitgemäß sind. Sollte dennoch eine Ausnahmeregelung getroffen werden, so muss das Verwaltungsverfahren für alle, das heißt für die staatliche Aufsicht, für den zuständigen Unfallversicherungsträger und für das jeweilige Unternehmen, so einfach wie möglich gestaltet werden.
- Bei der betriebsspezifischen Betreuung ist die Einbindung der Arbeits- und Organisationspsychologen explizit wünschenswert.
- Nach wie vor eine offene Flanke und in Zeiten der Pandemie nochmal deutlich hervorzuheben sind die fehlenden Betreuungszeiten für
- Kindergartenkinder
- Schülerinnen und Schüler
- Studierende
- Ehrenamtliche Helfer von Einsatzkräften (Feuerwehr, Rettungsdienst, Technisches Hilfswerk)
- In einigen Bundesländern auch: Beamtinnen und Beamte, insbesondere verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer in gleicher Betreuungszuständigkeit wie der Rest der Schule
- Der Bedarf an Unterstützung war gerade in pandemischen Zeiten sehr hoch, viele Schulen waren mit ihren Problemen alleine gelassen. Ein pauschaler, von den Betriebsartgruppen abweichender Schlüssel wäre hilfreich.
- Unklar sind derzeit die Entwicklungen bei den WZ-Code-Zuordnungen zu den Betriebsartgruppen. Hier sieht der VDSI gegenüber der bisherigen Regelung Verbesserungspotenzial beim Rettungsdienst (WZ-Code 86.9) und der Personenbeförderung im Landverkehr (WZ-Code 49.3)
Der VDSI hofft, dass die Diskussion um die DGUV Vorschrift 2 wieder an Fahrt aufnimmt und die Argumente aus der betrieblichen Praxis gehört werden.
1 Laut Duden sind beide Begriffe synonym