In einem Unternehmen der Nahrungsmittelherstellung waren die regelmäßigen Grundreinigungsarbeiten durchzuführen. Dabei werden unter anderem alle Oberflächen wie Wände und Fußböden mit Reinigungsmitteln eingesprüht und dann mit einem warmen Wasserstrahl abgespritzt. Zusätzlich sind auch alle Einbauteile entsprechend zu reinigen.
Zum Transport von Erzeugnissen über eine Transportbahn befindet sich zwischen dem Obergeschoss und dem Erdgeschoss eine Öffnung. Die Absturzkante ist mit einem Geländer gesichert, das eine bedarfsweise verschließbare Öffnung enthält. Sie wird aus transporttechnologischen Gründen benötigt und kann mittels einer verschiebbaren Geländerstange geschlossen werden. Vor der Öffnung im Geländer gibt es eine zusätzliche Zugangssicherung in Form einer Kettenabspannung. Die mögliche Absturzhöhe vom Ober- zum Erdgeschoss beträgt circa fünf Meter.
Während der Reinigungsarbeiten war die Öffnung im Geländer mittels der verschiebbaren Stange verschlossen. Die zusätzlichen Kettenabspannungen waren jedoch entfernt worden. Der Beschäftige, der die Reinigungsarbeiten ausführte, spritzte mit dem Wasserschlauch den Fußboden ab und bewegte sich dabei mit dem Rücken in Richtung Absturzkante. Wahrscheinlich aufgrund seiner Bewegungen verschob sich die Geländerstange und er stürzte ab. Die Folgen des Unfalls waren schwerste Verletzungen des Beschäftigten, die zu dauerhaften Schädigungen führten und die Berufsaufgabe notwendig machten.
Was waren die Unfallursachen?
Bei der Ermittlung der Unfallursachen wurde festgestellt, dass die vorhandene Absturzsicherung nicht den dafür geltenden Anforderungen nach der Technischen Regel für Arbeitsstätten ASR A 2.1 „Schutz vor Absturz und herabfallenden Gegenständen, Betreten von Gefahrbereichen“ genügte. So war die Geländerstange nicht gegen zufälliges Verschieben gesichert und zudem so gelagert, dass sie bei einem zufälligen Verschieben die komplette Öffnung freigab.
Den im Unternehmen tätigen Beschäftigten und auch dem mit den Reinigungsaufgaben betrauten Mitarbeiter war dieser Umstand bekannt. Er wurde aber weder den zuständigen Vorgesetzten noch der Unternehmensleitung als Mangel gemeldet. Auch waren keine Warnhinweise angebracht, um auf die Absturzgefahr aufmerksam zu machen.
Folgerungen aus dem Ereignis
Es ist aus produktionstechnologischen Gründen immer wieder erforderlich, dass es zwischen verschiedenen Ebenen eines Gebäudes Transportöffnungen gibt. Diese müssen allerdings so gestaltet werden, dass in jedem denkbaren Fall für in diesem Bereich tätige Beschäftigte ein umfassender Schutz vor möglichen Abstürzen gegeben ist. Die Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A 2.1 „Schutz vor Absturz und herabfallenden Gegenständen, Betreten von Gefahrbereichen“ fordert hierzu in Abschnitt 4.2 „Rangfolge der Maßnahmen zum Schutz vor Absturz“:
Bauliche und technische Maßnahmen haben Vorrang vor organisatorischen und individuellen Schutzmaßnahmen. Sie sind entsprechend der nachfolgenden Rangfolge zu treffen.
- Absturzsicherungen
- Lassen sich aus betriebstechnischen Gründen (zum Beispiel Arbeitsverfahren, zwingende technische Gründe) Absturzsicherungen nicht verwenden, müssen an deren Stelle Auffangeinrichtungen vorhanden sein.
- Lassen sich keine Absturzsicherungen oder Auffangeinrichtungen einrichten, sind Persönliche Schutzausrüstungen gegen Absturz (PSAgA) als individuelle Schutzmaßnahme zu verwenden. Die geeignete PSAgA muss sich aus der Gefährdungsbeurteilung ergeben. Voraussetzung für die Verwendung von PSAgA ist das Vorhandensein geeigneter Anschlageinrichtungen. Die Beschäftigten müssen in der Benutzung der PSAgA eingewiesen und über die Durchführung der erforderlichen Rettungsmaßnahmen, zum Beispiel über den Auffangvorgang, unterwiesen werden (Erste Hilfe und Rettungsgeräte siehe ASR A4.3 „Erste-Hilfe-Räume, Mittel und Einrichtungen zur Ersten Hilfe“).
- Lassen die Eigenart und der Fortgang der Tätigkeit und Besonderheiten des Arbeitsplatzes die vorgenannten Schutzmaßnahmen nicht zu, darf auf die Anwendung von PSAgA im Einzelfall (zum Beispiel Boden- und Wandöffnungen von Szenenflächen bei Bühnen) nur dann verzichtet werden, wenn:
- die Arbeiten von fachlich qualifizierten und körperlich geeigneten Beschäftigten ausgeführt werden
- der Arbeitgeber für den begründeten Ausnahmefall eine besondere Unterweisung durchgeführt hat und
- die Absturzkante für die Beschäftigten deutlich erkennbar ist.
Im vorliegenden Fall hätte das Geländer so gestaltet werden müssen und können, dass der Zugang zur Absturzkante immer durch eine feste Sicherung, die nicht auf einfache Weise entfernt werden kann, gesichert ist. Dabei können mechanische oder elektromagnetische Verriegelungen oder auch Kombinationen aus beidem zur Anwendung kommen. Zudem sollte auf eine nicht geschlossene Sicherung durch geeignete Warnsysteme aufmerksam gemacht werden.
Es wäre zum Beispiel möglich gewesen, die Öffnung im Geländer mit einer mechanisch bewegbaren Tür, die sich nur bei Annäherung des Transportgutes öffnet und danach wieder schließt, zu versehen. Zusätzlich kann die Öffnung mit einer Vorhaltung zum Anbringen eines Vorhängeschlosses zur Sicherung nach der LOTO-Methode (Lockout-Tagout) zum Beispiel für Reinigungsarbeiten versehen werden. Die LOTO-Methode ist eine insbesondere im Wartungs- und Instandhaltungsbereich bewährte Sicherung, um das versehentliche Inbetriebnehmen, Einschalten oder Öffnen von Systemen durch unbefugte Personen zu verhindern. Die angebrachten Schlösser können nur durch den Berechtigten selbst wieder entfernt werden.
Tipp: Gezielt mit dem Thema Lockout-Tagout befasst sich der Beitrag “Instandhaltungsarbeiten an Maschinen: Mit Lockout-Tagout auf der sicheren Seite”.
Autor: Dipl.-Ing. Ulf‑J. Schappmann
Sicherheitsingenieur VDSI
SIMEBU Thüringen GmbH