Bitte nennen Sie einige Tätigkeiten, bei denen die Beschäftigten mit ionisierender Strahlung umgehen.
Neben den kerntechnischen Anlagen gibt es noch zahlreiche Anwendungen. Das beginnt bei der Qualitätssicherung, geht über die Materialprüfung und Materialforschung bis hin zur Mikrobiologie und Lebensmittelindustrie, bei der ionisierende Strahlung zum Beispiel zur Füllstandsmessung genutzt wird. Natürlich kommt sie auch in der Medizin zum Einsatz: etwa bei der Röntgendiagnostik, in der Strahlentherapie und Nuklearmedizin oder im Operationssaal zur Bildgebung.
Insgesamt ein sehr breites Spektrum – welche rechtlichen Vorgaben gilt es zu berücksichtigen?
Für die Anwendung radioaktiver Stoffe und anderer Quellen von ionisierender Strahlung – also etwa Röntgeneinrichtungen – gelten vorrangig die Vorgaben aus dem Strahlenschutzgesetz, der Strahlenschutzverordung und der AtEV mit den dazugehörigen Richtlinien, DIN-Normen und weiterem untergesetzlichem Regelwerk (Anm. d. Red.: siehe Kasten Seite 10).
Wie hängen die Gesetze und Verordnungen des Strahlenschutzes mit denen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes zusammen?
Im Strahlenschutzrecht selbst ist definiert, wann es anzuwenden ist. Die Zusammenarbeit der Experten untereinander wird im Arbeitssicherheitsgesetz und im Strahlenschutzgesetz thematisiert.
Verantwortlich für das Erstellen der Gefährdungsbeurteilung ist der Arbeitgeber – welche Expertinnen und Experten muss er bestellen, wenn seine Beschäftigten zum Beispiel mit offenen radioaktiven Stoffen umgehen?
Entscheidend ist, dass er einen Strahlenschutzbeauftragten (Anm. d. Red.: SSB) mit der passenden Fachkunde schriftlich bestellt. Dabei ist es wichtig, den Fokus auf „passend“ zu legen. Denn anders als im Arbeitsschutz werden die SSB entsprechend dem zu betreuenden Gefährdungspotenzial und auf die Anwendung angepasst ausgebildet.
Was bedeutet das in der Praxis?
Es gibt mehr als 25 verschiedene Fachkunden alleine für die technischen Anwendungen von ionisierender Strahlung. Zur Bestellung eines SSB gehört zudem die Definition seines örtlichen und sachlichen Entscheidungsbereichs. Abschließend gilt es zu beschreiben, welche Unternehmerpflichten nach Strahlenschutzrecht der SSB eigenverantwortlich übernimmt.
Wie arbeiten die Strahlenschutzbeauftragten optimal mit den Sicherheitsfachkräften zusammen?
Der Gesetzgeber fordert ja im StrlSchG und ASiG eine Zusammenarbeit der Disziplinen. Da sich aber das Schutzziel eines SSB von dem einer Sifa unterscheidet, betrachten die beiden eine zu bewältigende Problematik unter verschiedenen Blickwinkeln.
Und worin unterscheiden sich diese?
In aller Kürze erklärt: Der SSB schützt Mensch und Umwelt vor der gefährlichen Wirkung der ionisierenden Strahlung. Die Sifa hingegen kümmert sich um die menschengerechte und sichere Gestaltung von Arbeitsplätzen.
Bitte erläutern Sie, wie diese Zusammenarbeit beim Erstellen der Gefährdungsbeurteilung aussehen kann? Wer verantwortet welchen Bereich?
Sie müssen gemeinsam Lösungen finden, mit denen sich die unterschiedlichen Schutzziele erfüllen lassen. Zunächst gilt es zu klären, an welcher Stelle begonnen werden soll. Liegt die besondere Tätigkeit „Umgang mit ionisierender Strahlung“ vor, wie in der DGUV Vorschrift 2 Anlage 2 Anhang 4 genannt, gilt es zu ermitteln, ob das Strahlenschutzrecht anzuwenden ist. Das ist der Fall, wenn das Gefährdungspotenzial durch ionisierende Strahlung in den Vordergrund tritt. Erst dann greifen die bereits genannten Regelungen des Strahlenschutzrechts und der SSB muss unbedingt mit ins Boot geholt werden.
Können Sie bitte ein Beispiel nennen?
Gerne: Für die Anwendung eines radioaktiven Stoffes greift das Strahlenschutzrecht erst dann, wenn eine zur Menge proportionale Freigrenze überschritten ist. Für den Umgang unterhalb der Freigrenze ist das Strahlenschutzrecht nicht anzuwenden – folglich gibt es dann auch keinen SSB. Ein anderer Sicherheitsexperte, zum Beipsiel die Sifa, ist dann für die Sicherheit zuständig.
Und was passiert, wenn dies nicht der Fall ist – beziehungsweise sich nicht eindeutig klären lässt?
Falls nein, gibt es, wie gesagt, auch keinen SSB. Die Gefährdungsbeurteilung wird dann entsprechend den sonstigen Gefährdungen am Arbeitsplatz ausgestaltet. Wenn noch nicht klar ist ob ja oder nein, sollte ein Experte zur Klärung der Frage hinzugezogen werden.
Welche Dokumente und Verfahrensweisen des Strahlenschutzes lassen sich beim Erstellen der Gefährdungsbeurteilung heranziehen?
Die Unterlagen können, je nach strahlenschutzrelevanter Tätigkeit, unterschiedliche sein. Wo ein SSB bestellt werden muss, gibt es in der Regel auch eine Genehmigung oder Anzeige, liegen gegebenenfalls Prüfberichte, eine Strahlenschutzanweisung und Dosisberechnungen zu Expositionen vor. Auf diese kann dann in der Gefährdungsbeurteilung verwiesen werden.
Wo sehen Sie typische Fehlerquellen beim Erstellen der Gefährdungsbeurteilung?
Zum einen, dass die Gefährdung nicht erkannt wird. Zum anderen kann es passieren, dass nachdem eine Gefährdung erkannt und aufgenommen wurde, die Dynamik der Anwendung unterschätzt und die Gefährdungsbeurteilung nicht den im Laufe der Zeit geänderten Bedingungen angepasst wird.
Wie lassen sich diese vermeiden?
Das gelingt durch regelmäßige Überprüfung, ob die Gefährdung noch dieselbe geblieben ist. Dazu gehört eine gewisse Transparenz in Bezug auf die Fragen: Was wird im Unternehmen im Detail getan? Wo ändern sich Gegebenheiten wie Arbeitsabläufe, notwendige Materialien, Umbauten, et cetera?
Wie werden diese Informationen ausgetauscht?
Diese Themen sollten frühzeitig im ASA, dem Arbeitssicherheitsausschuss besprochen werden. Hier bietet sich die Möglichkeit, dass alle Sicherheitsexperten zusammenkommmen. Das ASiG beschreibt in Paragraf 10 die Pflichtmitglieder des ASA und fordert zur Einladung anderer Sicherheitsexperten auf.
Wie können die beiden Disziplinen konstruktiv miteinander arbeiten?
Dies muss auf verschiedenen Ebenen passieren: Im Rahmen meiner Tätigkeit im Fachverband für Strahlenschutz haben wir bereits im Jahr 2003 eine Kooperation mit dem VDSI angestoßen. Hier befassen wir uns genau mit der Thematik „Arbeitsschutz trifft Strahlenschutz“. Mir ist wichtig, ein „Grenzdenken“ abzubauen. Denn einziger wirklicher Unterschied in der praktischen Arbeitsweise von Sifa und SSB ist das Schutzziel. Alles andere wie zum Beispiel die Handlungsgebote und die Gefahrenminimierung sind gleich. Selbst das TOP-Modell gilt im Wesentlichen auch im Strahlenschutz.
Was bedeutete das für die Kommunikation?
Alle Akteurinnen und Akteure sind für die Sicherheit zuständig. Es darf kein Denken in Disziplinen geben. Nur als Team lassen sich Reibungsverluste vermeiden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Stellen Sie sich ein Radionuklidlabor im Erdgeschoss eines Gebäudes vor. Der Beauftragte für den Brandschutz fordert einen zweiten Fluchtweg über die Fenster. Aus Sicht des Strahlenschutzes müssen diese aber verschlossen sein. Der Brandschützer sagt: „Gut, dann installieren wir Nothämmer, um die Scheiben zu zerschlagen“. Daraufhin sagt die Sifa: „Gut — aber dann brauchen wir auch eine Splitterbrille und einen Kettenhandschuh.“
Und wenn es tatsächlich brennt?
Dann schaut sich der Mitarbeiter erst mal die ganzen Piktogramme an — und während er sich noch die Brille aufsetzt und den Handschuh anzieht, kann es schon zu spät sein. Das kann passieren, wenn jeder sein Schutzziel verfolgt, ohne dass miteinander geredet wird. Eine sinnvolle Lösung wäre, hier zum Beispiel eine Art Panikschlösser an den Fenstern zu installieren. Und vor allem: miteinander zu reden!
Sehen Sie neben Rechtskonformität und Gesundheitsschutz weitere Effekte durch eine sorgfältig konzipierte Gefährdungsbeurteilung?
Allerdings – sehr umfassende sogar: Sie kann zu einer Verbesserung der Kommunikation beitragen und einen respektvollen Umgang von Arbeitgeber und Arbeitnehmer fördern. Eine gute Gefährdungsbeurteilung trägt auch zu einer Qualitätsverbesserung, Effizienzsteigerung sowie einer soliden Einsatzplanung bei. Die Nutzung von Umweltressourcen mit Augenmaß kann verbessert werden.
Besten Dank für das Gespräch
B·A·D‑Kompetenzfeld Strahlenschutz
Das B·A·D‑Kompetenzfeld Strahlenschutz berät und unterstützt bundesweit Kunden aus Industrie, Forschung und medizinischen Einrichtungen in allen Fragen des Strahlenschutzes (ionisierende Strahlung) z. B.
- bei der Durchführung von Genehmigungsverfahren, Dosimetrie und Unterweisung
- bei der Erstellung von strahlenschutzrelevanten Dokumenten wie z. B. Strahlenschutzanweisungen
- durch Bereitstellung von Strahlenschutzbeauftragten für Tätigkeiten in fremden Anlagen (in Absprache mit der Behörde)
- bei der Durchführung und Interpretation von Radon-Messungen sowie Beratung zu den Möglichkeiten in Bezug auf notwendige Überwachungs- und Sanierungsmaßnahmen
Rechtliche Basis – Strahlenschutz (Ausschnitt)
StrlSchG: Gesetz zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung
www.gesetze-im-internet.de/strlschg
StrlSchV: Verordnung zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung „Strahlenschutzverordnung“ (StrlSchV)
www.gesetze-im-internet.de/strlschv_2018
AtEV: Verordnung über Anforderungen und Verfahren zur Entsorgung radioaktiver Abfälle
www.gesetze-im-internet.de/atev/BJNR217210018.html