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Fachkraft wider Willen?

Urteil zu Delegation von Arbeitsschutzaufgaben
Fachkraft wider Willen?

Fachkraft wider Willen?
Arbeitnehmer müssen Aufgaben im Arbeitsschutz, die ihnen ungefragt übertragen wurden, nicht akzeptieren. Foto: © olly – stock.adobe.com
Das Lan­desar­beits­gericht Berlin-Bran­den­burg hat eine wichtige Entschei­dung zur Del­e­ga­tion von Arbeitss­chutzpflicht­en getrof­fen. Kern des Ver­fahrens war die Frage, ob ein Arbeit­ge­ber berechtigt ist, seinem Mitar­beit­er ohne dessen Ein­ver­ständ­nis Arbeitss­chutza­uf­gaben zu übertragen.

Der Kläger ist bei der beklagten Arbeit­ge­berin als tech­nis­ch­er Sach­bear­beit­er beschäftigt. Ein­sat­zort ist eine Liegen­schaft des Bun­desnachrich­t­en­di­en­stes. Auf das Arbeitsver­hält­nis find­en die tar­ifver­traglichen Regelun­gen des TVöD Anwendung.

Laut Arbeitsver­trag ist die Arbeit­ge­berin berechtigt, dem Arbeit­nehmer aus dien­stlichen Grün­den eine andere Tätigkeit im Rah­men der Ent­gelt­gruppe zuzuweisen. Die Beklagte informierte den Kläger schriftlich darüber, dass sie ihn zur ver­ant­wortlichen Elek­tro­fachkraft (vEFK) bestellt und ihm die Fach- und Auf­sichtsver­ant­wor­tung sowie Rechte und Pflicht­en hin­sichtlich Arbeitssicher­heit und Gesund­heitss­chutz bei elek­tro­n­is­chen Arbeit­en überträgt. Der Kläger wurde unter anderem angewiesen, Nieder­span­nung­sein­rich­tun­gen zu schaf­fen und zu erhal­ten, Anord­nun­gen und Maß­nah­men zu tre­f­fen, um das Arbeit­en und Betreiben entsprechend der ein­schlägi­gen elek­trotech­nis­chen Vorschriften und Nor­men sicherzustellen, Gefährdungs­beurteilun­gen zu erstellen und die daraus resul­tieren­den Prü­fun­gen für elek­trische Betrieb­smit­tel sowie die ord­nungs­gemäße Aus­rüs­tung von Maschi­nen zu organisieren.

Der Kläger erhielt hier­für jedoch keine Schu­lun­gen oder Fort­bil­dun­gen, ins­beson­dere auch nicht für die Erstel­lung ein­er Gefährdungsbeurteilung.

Obwohl der Kläger der Bestel­lung wider­sprach, führte er die Auf­gaben der ver­ant­wortlichen Elek­tro­fachkraft auf­grund der Weisung zunächst durch.

Der Kläger wollte jedoch die ihm von der Beklagten ein­seit­ig aufer­legten Auf­gaben nicht akzep­tieren. Er erhob Klage vor dem Arbeits­gericht Berlin mit dem Ziel, die Unwirk­samkeit der Weisung fest­stellen zu lassen. Die Tätigkeit sei ihm nicht zuzu­muten. Eine der­ar­tige Erweiterung des Auf­gaben­bere­ichs sei nur ein­vernehm­lich möglich. Die Beklagte hinge­gen war der Mei­n­ung, sie habe den Kläger wirk­sam zur ver­ant­wortlichen Elek­tro­fachkraft bestellt. Er ver­füge über die nötige Zuver­läs­sigkeit und Sachkunde. Eine ein­seit­ige Bestel­lung sei ohne weit­eres möglich. In ver­gle­ich­baren Fällen aus dem Beamten­recht sei nach ständi­ger Recht­sprechung des Bun­desver­wal­tungs­gerichts kein Ein­vernehmen mit dem jew­eili­gen Beamten nötig.

Delegation nur im Einvernehmen

Nach­dem das Arbeits­gericht Berlin zugun­sten des Klägers entsch­ieden hat­te, legte die Beklagte Beru­fung ein. Aber auch das Lan­desar­beits­gericht Berlin-Bran­den­burg gab dem Kläger Recht. Rechts­grund­lage für die stre­it­ige ein­seit­ige Anord­nung sei § 13 Absatz 2 Arbeitss­chutzge­setz. Danach kann der Arbeit­ge­ber zuver­läs­sige und fachkundi­ge Per­so­n­en schriftlich damit beauf­tra­gen, ihm obliegende Auf­gaben nach diesem Gesetz in eigen­er Ver­ant­wor­tung wahrzunehmen. Zwar sei nach dem Wort­laut der Vorschrift eine ein­vernehm­liche Über­tra­gung nicht nötig. Dies ergebe sich jedoch aus der im Unfal­lver­hü­tungsrecht enthal­te­nen ver­gle­ich­baren Vorschrift des § 12 VBG 1.

Auch § 13 der heute maßge­blichen Unfal­lver­hü­tungsvorschrift DGUV Vorschrift 1 habe einen ver­gle­ich­baren Wort­laut. Dort heißt es: „Der Unternehmer kann zuver­läs­sige fachkundi­ge Per­so­n­en schriftlich damit beauf­tra­gen, ihm nach Unfal­lver­hü­tungsvorschriften obliegende Auf­gaben in eigen­er Ver­ant­wor­tung wahrzunehmen. Die Beauf­tra­gung muss den Ver­ant­wor­tungs­bere­ich und Befug­nisse fes­tle­gen und ist vom Beauf­tragten zu unterze­ich­nen.“ Gefordert sei damit nach der Auf­fas­sung des Gerichts immer das Ein­ver­ständ­nis des Mitar­beit­ers. Daher müsse das Ein­ver­ständ­nis auch im vor­liegen­den Fall der Über­tra­gung nach § 13 Abs. 2 Arb­SchG vorliegen.

Zudem ver­wies das Lan­desar­beits­gericht auf Par­al­le­len zur Bestel­lung eines Beauf­tragten für schwer­be­hin­derte Men­schen. In diesem Fall kann der Arbeit­nehmer die Über­nahme der Auf­gabe ver­weigern, es sei denn, dass arbeitsver­traglich eine Verpflich­tung zur Über­nahme dieser Auf­gabe beste­ht. Gle­ich­es gelte laut den Vorschriften für Immis­sion­ss­chutzbeauf­tragte und Beauf­tragte für den Daten­schutz. Hin­ter­grund des Zus­tim­mungser­forderniss­es sei nach Ansicht des Gerichts, dass der Arbeit­nehmer Auf­gaben des Arbeit­ge­bers ausüben soll und damit sog­ar auch strafrechtlich haften kann, wenn Dritte zu Schaden kom­men. Dies erfordere eine ein­vernehm­liche Absprache und beschränke insoweit das Direk­tion­srecht des Arbeitgebers.

Das Lan­desar­beits­gericht führt als weit­eren Zweck der Über­tra­gung arbeitss­chutzrechtlich­er Pflicht­en an, dass die Arbeitss­chutzbe­hörde einen eigen­ständi­gen Ansprech­part­ner neben dem Arbeit­ge­ber haben soll. Früher kon­nten Anord­nun­gen nur gegenüber dem Arbeit­ge­ber erlassen wer­den. Dies führte dazu, dass sich die Suche nach den ver­ant­wortlichen Per­so­n­en für die Behör­den mitunter schwierig gestal­tete. Daher wur­den die geset­zlichen Vorschriften angepasst. Let­ztlich dien­ten die Regelun­gen aus dem Arbeitss­chutzge­setz einem effek­tiv­en betrieblichen Arbeitss­chutz. Sie sollen aber ger­ade nicht zur Folge haben, dass der Arbeit­ge­ber seine Ver­ant­wor­tung ein­seit­ig abschieben kann.

Zudem ergaben sich nach Ansicht der Berlin­er Richter die Auf­gaben ein­er Elek­tro­fachkraft im vor­liegen­den Fall auch nicht aus dem Inhalt des Arbeitsver­trags des Klägers. Die Parteien hat­ten einen typ­is­chen Stan­dard­ver­trag für den öffentlichen Dienst vere­in­bart. Dem war nicht zu ent­nehmen, dass der Kläger die Auf­gaben eines vom Arbeit­ge­ber Beauf­tragten nach § 13 Abs. 2 Arb­SchG wahrzunehmen habe.

Bedeutung für die Praxis

Die Entschei­dung ist zutr­e­f­fend und prax­is­gerecht, auch wenn der Wort­laut des § 13 Absatz 2 Arbeitss­chutzge­setz nur die Zuver­läs­sigkeit und Sachkunde, aber eben keine Zus­tim­mung des Arbeit­nehmers voraus­set­zt. Aber es ist fol­gerichtig, mit der Recht­sprechung auch auf den Sinn und Zweck der Vorschrift sowie auf die Belange des Arbeit­nehmers abzustellen. Auch wenn dieser grund­sät­zlich dem Direk­tions- und Weisungsrecht des Arbeit­ge­bers unter­liegt, gilt dieses bei der Über­tra­gung von Arbeitss­chutza­uf­gaben wegen der damit ver­bun­de­nen weitre­ichen­den Fol­gen eben nicht uneingeschränkt.

Eine ord­nungs­gemäße Del­e­ga­tion nach dem Arbeitss­chutzge­setz bedarf daher ein­er entsprechen­den Vere­in­barung mit dem Arbeit­nehmer und kann nicht ohne seine Zus­tim­mung erfol­gen. Eine abwe­ichende Beurteilung ist ins­beson­dere mit Blick auf die weitre­ichen­den Haf­tungs­fol­gen nicht interessengerecht.


Foto: privat

Autor: Recht­san­walt Matthias Klagge, LL.M.

 


Matthias Klagge ist Ref­er­ent beim „2. Praxiskongress Recht“ am 10. Dezem­ber in Hei­del­berg. Infor­ma­tio­nen zur Ver­anstal­tung find­en Sie unter

www.praxiskongress-recht.de

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