Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass ein Unfall auch dann vorliegen kann, wenn sich durch bloße Wahrnehmungen wie Sehen, Hören oder Riechen der physiologische Zustand eines Menschen verändert. Demnach kann auch ein „intensives Gespräch“ mit dem Chef ein solches äußeres Ereignis sein.
Geklagt hatte eine Bankkauffrau, die im April 2010 in ihrem Büro auf ihrem Schreibtischstuhl sitzend kollabierte. Der herbeigerufene Notarzt musste sie wiederbeleben, weil die Frau einen Herzstillstand erlitten hatte. Zuvor hatte sie einen heftigen Streit mit dem Filialleiter wegen eines Kassenfehlbetrags. Der Chef wollte die Kassendifferenz melden. Die Mitarbeiterin nahm den Kollegen in Schutz, der den Fehlbetrag verursacht hatte, und wollte die Meldung verhindern. Nach der Auseinandersetzung kehrte sie an ihren Schreibtisch zurück und kollabierte.
Differenzen keine Extremsituation
Die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) verweigerte die Anerkennung als Arbeitsunfall, weil kein plötzliches äußeres Ereignis vorgelegen habe. Dagegen zog die Frau bis vor das BSG, nachdem Klage und Berufung erfolglos blieben. Die Vorinstanzen verneinten ebenfalls das Vorliegen eines von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses. Es habe keine Extremsituation vorgelegen. Verbale Differenzen könnten überall vorkommen, nicht nur in einer Bank.
Dem widersprach das BSG und betonte nochmals, dass für den Unfallbegriff kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich sei. Vielmehr liege ein Unfall auch dann vor, wenn durch bloße Wahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Ertasten, Riechen) sich der physiologische Zustand des Verletzten ändere. Ein solches Ereignis habe hier mit dem intensiven Gespräch der Klägerin mit ihrem Vorgesetzten vorgelegen, heißt es in der Begründung.
Noch Klärungsbedarf zum Kontext
Voraussetzung sei aber, dass das Streitgespräch der beruflichen Tätigkeit zuzurechnen ist. Die Bankkauffrau müsste also eine tatsächliche oder vermeintliche Verpflichtung aus ihrem Arbeitsverhältnis erfüllt haben. Das Landessozialgericht (LSG) muss nun also noch die konkreten Umstände des Gesprächs ermitteln. Des Weiteren muss noch geprüft werden, welcher Gesundheitsschaden genau vorlag und wodurch dieser wesentlich verursacht wurde. Die VBG hatte vorgebracht, dass die Klägerin an langjährigen Vorerkrankungen leide.
(Urteil des Bundessozialgerichts vom 06.05.2021, Az. B 2 U 15/19 R)
Autorin: Tanja Sautter