Ausgangspunkt für die Sicherheitsanforderungen während eines Probebetriebs ist die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV)1.
A. BetrSichV gilt für jegliches Verwenden – auch den Probetrieb
Zwar gilt die BetrSichV nicht für einen Probebetrieb als „Teil des Herstellungsprozesses vor dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens“, der „noch in der Verantwortung des Herstellers liegt, solange die Anlage noch nicht an den Betreiber übergeben wurde“2. „Erprobungen/Prüfungen vor Inverkehrbringen gehören nicht zum Betrieb“, denn „sie werden zum Beispiel im Hinblick auf eine Konformitätsbewertung für das Inverkehrbringen durchgeführt und dienen zum Beispiel der Feststellung dem Nachweis der Funktions-/Betriebsfähigkeit gegenüber dem Auftraggeber“3. Das „fällt in die Verantwortung des Herstellers, Errichters oder Montagebetriebes oder dessen Beauftragten“4.
Aber die BetrSichV gilt – so ausdrücklich § 2 Nr. 2 – für „jegliche Tätigkeit“ beim Arbeitgeber mit Arbeitsmitteln, insbesondere auch „das Montieren und Installieren, Einstellen und Erproben“ – kurz: „alle Lebenszyklen“5 beziehungsweise „alle Stadien des betrieblichen Alltags“6.
Eine – für die BetrSichV relevante – Phase mit Montage- und Installationsarbeiten und Erprobungstätigkeiten im Sinne des § 2 Abs. 2 BetrSichV kann für den Arbeitgeber aber erst nach dem Verantwortungsübergang beginnen. Bis dahin hat der Hersteller den Hut auf. Das bringt die BekBS 1113 in der Definition der Inbetriebnahme so zum Ausdruck: „Inbetriebnahme ist ab dem Verantwortungsübergang die erstmalige bestimmungsgemäße Verwendung eines Arbeitsmittels“7. Erst mit oder nach diesem Verantwortungsübergang hat der Arbeitgeber den Hut auf – und diesen Hut vom Hersteller übernommen. Die LASI-Leitlinien sagen: Das Inverkehrbringen endet bei der Übergabe der Anlage mit dem „Verantwortungsübergang“8 beziehungsweise „haftungsmäßigen Gefahrübergang“9. Nach dem Inverkehrbringen „übernimmt ein Arbeitgeber (‚Betreiber‘) oder, soweit dies vom Arbeitgeber so festgelegt ist, ein Generalauftragnehmer die Verantwortung für die überwachungsbedürftige Anlage“10. Alles, was der Arbeitgeber ab jetzt tut, fällt unter die BetrSichV – auch die (weitere) „Errichtung des Arbeitsmittels“ und sein „Aufbau“ (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 3) und auch ein „Probetrieb“: „Erprobungen (zum Beispiel Einstellungen, Testläufe), die zu diesem Zeitpunkt erfolgen, werden von dem Begriff ‚Erprobung vor erstmaliger Inbetriebnahme‘ erfasst und fallen unter die BetrSichV.“11
B. Welche rechtlichen Anforderungen gelten im Probetrieb?
Dem Wortlaut nach gilt die BetrSichV eins-zu-eins bei Erprobungen. Es gibt keinen gesetzlich geregelten größeren Freiraum im „Probebetrieb“ – jedenfalls nicht ausdrücklich.
Größerer Freiraum bei Probetätigkeiten des Arbeitgebers – geradezu Narrenfreiheit – wird allerdings immer wieder reklamiert: so auch im Fall einer Presse mit der Behauptung des von der BG verklagten Unternehmens und der persönlich verantwortlichen Mitarbeiter, der Unfall habe sich „während eines Probelaufes innerhalb der Einrichtungsphase zur Inbetriebnahme der hydraulischen Presse ereignet“ (siehe Teil 2 dieses Beitrags). Dieses Argument ist schon deshalb „verdächtig“ und schwach, weil drei schwierige Begriffe ohne weitere Erläuterung des Geschehens in den Raum beziehungsweise dem Gericht entgegengeworfen werden: Probelauf, Einrichtungsphase und Inbetriebnahme. Das Gericht greift dieses Argument in der rechtlichen Begründung noch nicht einmal auf – eben weil es in diesem konkreten Fall so fernliegend und an den Haaren herbeigezogen war.
I. Welche Rechtsargumente führen zu größerem Freiraum im Probetrieb?
Die Verteidigung mit dem Argument „Probebetrieb“ ist allerdings manchmal unausweichlich – das sieht auch die DGUV-Information „Probebetrieb von Maschinen und maschinellen Anlagen“ so12: „Beim Probebetrieb können die für den Normalbetrieb erforderlichen Schutzmaßnahmen noch nicht in vollem Umfang getroffen werden“13.
Die Reklamierung besonderer Anforderungen durch einen „Probetrieb“ ist auch rechtlich zulässig. Das ergibt sich aus einem Zusammenspiel von § 4 Abs. 2, § 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 3 BetrSichV:
- Auch die Erprobung ist gemäß § 2 Abs. 2 BetrSichV eine vorgesehene Einsatzbedingung, und sie erfolgt gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 1 BetrSichV unter bestimmten „Aufstellungs- und Umgebungsbedingungen“, bei denen vielleicht im Sinne der § 4 Abs. 2 BetrSichV Gefährdungen technisch „nicht oder nur unzureichend vermieden werden können“.
- Auch für diese Situation gilt die Grundaussage, dass der Arbeitgeber nur solche Arbeitsmittel zur Verfügung stellen und verwenden lassen darf, die „unter Berücksichtigung der vorgesehenen Einsatzbedingungen“ bei der Verwendung sicher sind (§ 5 Abs. 1 BetrSichV).
- Auch organisatorische und persönliche Schutzmaßnahmen können – unter Berücksichtigung eben jener Bedingungen und Erfordernisse des Probetriebs – zu ausreichender Sicherheit führen. „Ergibt sich aus der Gefährdungsbeurteilung, dass Gefährdungen durch technische Schutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik nicht oder nur unzureichend vermieden werden können, hat der Arbeitgeber geeignete organisatorische und personenbezogene Schutzmaßnahmen zu treffen“ (§ 4 Abs. 2 BetrSichV).
- Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass die Errichtung von Arbeitsmitteln, der Auf- und Abbau und die Erprobung „unter Berücksichtigung der sicherheitsrelevanten Aufstellungs- und Umgebungsbedingungen nach dem Stand der Technik erfolgen und sicher durchgeführt werden“ (§ 6 Abs. 3 Nr. 1 BetrSichV).
II. Welche Situation muss vorliegen und plausibel begründet sein?
Daraus folgt: Wenn folgende drei – eher strengen – Voraussetzungen gleichzeitig vorliegen, kann sich der Arbeitgeber meines Erachtens erfolgreich darauf berufen, dass wegen eines Probebetriebs nicht alles aus der BetrSichV so umgesetzt worden ist, wie es im Normalbetrieb nötig wäre:
- Der Grund beziehungsweise die sachliche Rechtfertigung: Der Arbeitgeber muss plausibel und akzeptabel begründen, warum er gerade unter Weglassung der unfallverhindernden Sicherheitseinrichtung probieren muss. Mit anderen Worten: Warum muss – technisch – gerade anders probiert werden als im Normalbetrieb. In den Worten der BetrSichV: Warum müssen die „Aufstellungs- und Umgebungsbedingungen“ beziehungsweise die „Einsatzbedingungen“ so sein, wie sie sind? Konkret für den Presse-Fall (siehe Teil 2): Warum erfordert der Probetrieb die Weglassung der Schutzeinrichtungen und der Betriebsanweisung? Eine solche Begründung wird im Fall mit der Presse überzeugend nicht gelingen.
- Der Zeitraum beziehungsweise die zeitliche Rechtfertigung Der Arbeitgeber muss plausibel und akzeptabel begründen, warum er jetzt noch so probieren muss. In anderen Worten: Warum muss – zeitlich – so lange probiert werden, wie es geschieht. Konkret für die Verteidigung nach dem Arbeitsunfall an der Presse (siehe Teil 2): Warum erfordert der Probetrieb das Stanzen von 200 Stahlbügeln? Warum reichen nicht 100 oder 20?
- Die Sicherheit = Wertung, ob die Grundpflicht der BetrSichV erfüllt ist und der Probebetrieb ausreichend sicher ist. Der Arbeitgeber darf – wie immer – „nur solche Arbeitsmittel zur Verfügung stellen und verwenden lassen, die unter Berücksichtigung der vorgesehenen Einsatzbedingungen bei der Verwendung sicher sind“ (§ 5 Abs. 1 BetrSichV).
Die Grundaussage der DGUV-Information FB HM-016 „Probebetrieb von Maschinen und maschinellen Anlagen“ ist: „Grundsätzlich sollten die Arbeitsschutz- und Gesundheitsschutzmaßnahmen des Normalbetriebs bereits beim Probebetrieb soweit wie möglich ergriffen worden sein.“
Grundlage sind – selbstverständlich – eine Gefährdungsbeurteilung, die Umsetzung der dort ermittelten Schutzmaßnahmen und die Unterweisung der Beschäftigten – und das TOP-Prinzip, wonach technische Schutzmaßnahmen Vorrang haben vor organisatorischen und diese haben wiederum Vorrang haben vor personenbezogenen Schutzmaßnahmen (§ 4 Abs. 2 BetrSichV), und insbesondere das Erfordernis, dass die erforderliche Schutz- oder Sicherheitseinrichtungen funktionsfähig sind und nicht auf einfache Weise manipuliert oder umgangen werden dürfen (§ 6 Abs. 2 BetrSichV)14.
Die DGUV Information 209–06615 gibt insoweit ausführlich Hinweise:
- „Grundsätzlich müssen während der Erprobung alle Schutzeinrichtungen vorhanden sein. Ist es unumgänglich, Teile von Verkleidungen zu entfernen, um zum Beispiel kontrollieren zu können, ob die dahinter liegenden Komponenten einwandfrei funktionieren oder sind einige Schutzeinrichtungen noch nicht angeliefert worden, hat der Verantwortliche Ersatzschutzmaßnahmen festzulegen. Auch dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Erreichen der Gefahrstellen nicht auf einfache Weise möglich sein darf.
- Beim Probelauf dürfen sich während des Automatikbetriebes keine Personen innerhalb der Schutzeinrichtung aufhalten. Ausgenommen davon sind Bereiche mit Zustimmungsschalter oder aktive Schutzzonen, bei deren Verlassen die gefährlichen Bewegungen gestoppt werden.
- Ungesicherte Anlagenteile dürfen nur erprobt werden, wenn sich alle gefährlichen Abläufe direkt im Sichtfeld des Personals befinden. Dieser Sichtkontakt kann auch über Spiegel, Kameras oder Ähnliches erfolgen. Liegen die gefährlichen Abläufe nicht im Sichtfeld, sind Steckbleche, Polycarbonatscheiben oder vergleichbare Verdeckungen vor den einzelnen Gefahrstellen zu verwenden oder Sicherungsposten aufzustellen, die eine Abschaltmöglichkeit haben sollten. Für die Durchführung derartiger Tätigkeiten ist als erster Stromkreis immer der Not-Aus-Kreis zu aktivieren, um ein sicheres Abschalten zu gewährleisten. Das Einleiten von Gefahr bringenden Bewegungen nach zeitlichen Verabredungen ist nicht statthaft.
- Es dürfen sich nur solche Bewegungen auslösen lassen, die sich unter der direkten Einflussnahme des Bedieners befinden. Befehlseinrichtungen müssen kontinuierlich betätigt werden (Tippschaltung ohne Selbsthaltung), ggf. sind verschärfte Sicherheitsbedingungen, wie reduzierte Geschwindigkeiten, Schrittbetrieb usw., anzuwenden. Stellt sich beim Erproben heraus, dass Korrekturen an den Anlagenteilen notwendig sind, dürfen diese nur in abgeschaltetem Zustand durchgeführt werden.
- Handelt es sich dabei um kurzzeitige Tätigkeiten, so genügt unter Umständen das Betätigen eines ortsbeweglichen oder im direkten, nahen Sichtbereich des Personals befindlichen Not-Aus-Schalters.“
Teil 2 dieses Beitrags im kommenden Heft wendet die bisher herausgearbeiteten Grundaussagen in der Besprechung des Regress-Urteils nach dem Arbeitsunfall an der Presse an.
1 Ausführlich siehe Wilrich, Praxisleitfaden BetrSichV – mit 33 Gerichtsurteilen aus der Rechtsprechungspraxis, 2. Aufl. 2020.
2 So DGUV-Information FB HM-016 Probebetrieb von Maschinen und maschinenellen Anlagen (Stand 09/2016).
3 LASI, Leitlinien BetrSichV, 3. Aufl. 2008, B 2.3; ähnlich BekBS 1113 „Beschaffung von Arbeitsmitteln“ Nr. 2 Abs. 9.
4 LASI, Leitlinien BetrSichV, 2018, B 6.1.
5 Ulrich Weber, Auswirkungen für die Praxis, in: Aich u.a., Die Betriebssicherheitsverordnung, 2003, Seite 67, 73.
6 Thorsten Neumann, BetrSichV – die verantwortliche Elektrofachkraft in der Pflicht, 5. Aufl. 2015, 4.2.2, S. 117; ders., Organisation der Prüfung von Arbeitsmitteln, 2007, 7.5.2, S. 95.
7 So BekBS 1113 „Beschaffung von Arbeitsmitteln“ Nr. 2 Abs. 6.
8 LASI, Leitlinien BetrSichV, 2018, B 6.1.
9 LASI, Leitlinien BetrSichV, 3. Aufl. 2008, B 2.3.
10 LASI, Leitlinien BetrSichV, 2018, B 6.1 und Leitlinien BetrSichV, 3. Aufl. 2008, B 2.3 – das gilt auch für nicht überwachungsbedürftige Anlagen, also alle anderen Arbeitsmittel.
11 LASI, Leitlinien BetrSichV, 2028, A 6.2.
12 Zur rechtlichen Bedeutung solcher Regelwerke siehe Wilrich, Die rechtliche Bedeutung technischer Normen als Sicherheitsmaßstab – mit 33 Gerichtsurteilen zu anerkannten Regeln und Stand der Technik, Produktsicherheitsrecht und Verkehrssicherungspflichten (2017).
13 Siehe Fußnote 1: diese DGUV-Information befasst sich zwar nur mit dem „herstellerseitigen Probebetrieb“, es heißt aber auch für den Betreiber: „Vorgehensweise und mögliche Schutzmaßnahmen lassen sich aber sinngemäß übertragen“.
14 Zu all dem ausführlich Wilrich, Praxisleitfaden BetrSichV – mit 33 Gerichtsurteilen aus der Rechtsprechungspraxis, 2. Aufl. 2020; aus Haftungssicht Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht: Haftung für fahrlässige Arbeitsunfälle: Sicherheitsverantwortung, Sorgfaltspflichten und Schuld – mit 33 Gerichtsurteilen, 2020
15 DGUV Information 209–066 „Maschinen der Zerspanung“, 2.4.4,S. 38 ff.
Autor: Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich
Hochschule München,
Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen,
Professor für Wirtschafts‑, Arbeits‑, Technik‑, Unternehmensorganisationsrecht
und Recht für Ingenieure