Erste Hilfe gehört zur Amtspflicht von Sportlehrern. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 4. April 2019 entschieden. Ein ehemaliger Schüler machte Amtshaftungsansprüche wegen behauptet unzureichender Erste-Hilfe-Maßnahmen durch das Lehrpersonal des Landes Hessen geltend. Anlass war ein im Sportunterricht erlittener Zusammenbruch (Aktenzeichen III ZR 35/18).
Der seinerzeit 18 Jahre alte Kläger war während des Sportunterrichts an seiner Schule zusammengebrochen und hatte einen irreversiblen Hirnschaden erlitten. Der Schüler hatte etwa fünf Minuten nach Beginn des Aufwärmtrainings aufgehört zu laufen und rutschte an der Wand entlang in eine Sitzposition. Auf Ansprache reagierte er nicht mehr. Die Sportlehrerin setzte einen Notruf ab. Von der Leitstelle erhielt sie die Anweisung, den Kläger in die stabile Seitenlage zu verbringen. Die ein paar Minuten später eingetroffenen Sanitäter und der Notarzt begannen sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen, die ungefähr 45 Minuten dauerten. Dann wurde der intubierte und beatmete Kläger in eine Klinik gebracht. Im Aufnahmebericht wurde vermerkt, dass beim Eintreffen des Notarztes bereits eine acht minütige Bewusstlosigkeit ohne jegliche Laienreanimation bestanden habe. Es wurde ein hypoxischer Hirnschaden nach Kammerflimmern diagnostiziert, dessen genaue Ursache unklar blieb. Seitdem ist der junge Mann schwerstbehindert.
Der Kläger verlangt nun Schadensersatz, weil seine Lehrerin und ein weiterer herbeigerufener Sportlehrer die notwendige Reanimation unterlassen und dadurch den Hirnschaden herbeigeführt hätten. Ob der ehemalige Schüler tatsächlich auf Schadensersatz und Schmerzensgeld hoffen kann, ist noch offen. Der BGH hat den Fall zur Neuverhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Frankfurt zurückverwiesen, weil erforderliche Gutachten nicht eingeholt wurden.
Der BGH betonte aber die Erste-Hilfe-Pflicht für Lehrer im Sportunterricht. Sportlehrern obliege hier eine entsprechende Amtspflicht, erforderliche und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen rechtzeitig durchzuführen. Sie müssen mit Notfällen rechnen und deshalb eine aktuelle Ausbildung in Erster Hilfe haben. Auf das Haftungsprivileg für Nothelfer können sie sich nicht berufen. Dieses solle Bürger schützen, die spontan bei einem Unglücksfall Erste Hilfe leisten und dabei Fehler machen. Ein Lehrer sei im Verhältnis zu seinen Schülern aber grundsätzlich kein unbeteiligter Dritter. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Staat die Schüler zur Teilnahme am Sportunterricht verpflichtet. Lehrer beziehungsweise der Dienstherr müssen daher gegebenenfalls schon bei leichter Fahrlässigkeit haften.
Die Vorinstanz muss nun erneut mit Hilfe eines Sachverständigen prüfen, ob die unterlassenen Hilfsmaßnahmen ursächlich für die eingetretene Hirnschädigung waren. Denn nur wenn ein Zusammenhang zwischen der unterlassenen Reanimation und der Behinderung bewiesen wird, hat der junge Mann Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Autorin:
Tanja Sautter
Juristin bei der BG Verkehr