Nach dem Unglück bei der Love-Parade in Duisburg übernahm Oberbürgermeister Sauerland keine politische Verantwortung und blieb im Amt – er sagte aber: „Als Oberbürgermeister dieser Stadt trage ich moralische Verantwortung für dieses Ereignis. Es ist mir ein persönliches Bedürfnis, mich an dieser Stelle bei allen Hinterbliebenen und Geschädigten zu entschuldigen.“ Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen den Oberbürgermeister ein. Oberstaatsanwalt Horst Bien betonte, es gehe nicht darum, „politische oder moralische Verantwortlichkeit“ zu bewerten – sondern eben nur juristische.
Juristische Verantwortung ist die Pflicht, sich bei einem „rechtlichen Angriff“ für eigene Handlungen zu rechtfertigen. „Verantwortung tragen und übernehmen heißt, die Folgen seines Tuns auf sich zu nehmen, dafür einzustehen.“1 § 13 StGB über die strafrechtliche Garantenstellung spricht von „Einstehenmüssen“. Die Konsequenzen sind aber vielleicht auch „Genießendürfen“, denn:
- Verantwortung ist nicht nur negativ – und insoweit die Pflicht, „für Misserfolge und Fehler gerade zu stehen“2. Verantwortung ist wertneutral – und es gibt sie auch für Erfolg: „Verantwortung zu tragen und verantwortlich gemacht zu werden, ist Vorrecht und Bürde der Person.“3 Aber machen wir uns nichts vor: In Sachen Arbeitssicherheit steht die Last im Vordergrund – zumindest empfinden das viele Führungskräfte so. Dass liegt auch daran, dass der Erfolg hier schwer messbar ist – es passiert dann ja nichts Schlimmes.
Wenn die Frage, ob die Aufgabe ordnungsgemäß erfüllt worden ist, „zu bejahen ist, wird dem Aufgabenträger Entlastung zugeteilt. Wenn die Aufgabe erfolglos oder schadenbewirkend oder nicht erfüllt wurde, unterwirft er sich der negativen Sanktion. Er wird ‚zur Verantwortung gezogen‘“4. Erst dieses „zur Verantwortung gezogen werden“ ist dann Haftung. Verantwortung – so sagt es eine Berufsgenossenschaft5 – „wird in unangenehmer Weise deutlich, wenn wir durch unser Handeln einen Schaden verursachen und wir die Folgen tragen müssen. Sind unsere Mitmenschen oder die Umwelt davon betroffen, müssen wir uns unter Umständen für unser Handeln verantworten. Wir werden zur Verantwortung gezogen“ – und „Verantwortung im Arbeitsschutz bedeutet Verantwortung für Gesundheit und Leben anderer Menschen. Sie wiegt also besonders schwer“.
Der frühere Bürgermeister von New York, Rudolph Giuliani, schlug vor: „Verlangen Sie von jedem Rechenschaft – in jedem Augenblick.“6 Hier kommt auch zum Ausdruck, dass jeder Mensch die Verantwortung für all sein Handeln mit der Vollendung der Geburt erhält, denn dann beginnt gemäß § 1 BGB die Rechtsfähigkeit7. Sie „kommt unterschiedslos allen Menschen zu“8. Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein und sie „umfasst auch die allgemeine Haftungsfähigkeit“9 – auch für alle Beschäftigten.
Aber Verantwortung ≠ Haftung:
- Einerseits: Nur wer verantwortlich ist, kann haften. Verantwortung ist eine notwendige Voraussetzung für Haftung!
- Anderseits: Wer verantwortlich ist, muss im Schadensfall beziehungsweise nach einem Unfall nicht alleine deshalb haften – er kann ja auch verantwortungsvoll gehandelt haben. Verantwortung ist keine hinreichende Voraussetzung für Haftung!
So „wirkt Verantwortung wie eine Garantie – zwar nicht auf den Erfolg, wohl aber auf die achtsame Durchführung einer Handlung“10, denn man muss ja „Antwort geben“ und „gerade stehen“. Aufklärung über Verantwortung ist daher Verhaltenssteuerung – und einer der Schlüssel für eine rechtssichere Unternehmensorganisation und erfolgreiches Arbeitsschutzmanagement.
Ausblick
Diese Serie will Verantwortung übernehmen und Antworten geben auf grundlegende Fragen zu Arbeitsschutz, Sicherheit, Verantwortung, Organisationsverschulden und Haftung – und dabei auch zahlreiche Mythen widerlegen. Die Beiträge greifen unter anderem natürlich auch die Frage auf, wer mit welchen Mitteln wodurch und wie weit für was und mit welchen Rechtsfolgen verantwortlich wird, unter welchen Voraussetzungen man haftet, und analysieren dabei schließlich auch den erwähnten § 13 StGB zur Garantenposition. Das alles dient auch ein wenig der Erfüllung des § 81 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG): „Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über dessen Aufgabe und Verantwortung sowie über die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs zu unterrichten.“
Denn es kann vorweggenommen werden: Alle Führungskräfte sind automatisch und immer verantwortliche Garanten – und sogar jeder Beschäftigte im Rahmen seines Zuständigkeitsbereichs.
Diese Reichweite ihrer Sicherheitsverantwortung ist vielen Mitarbeitern nicht bewusst: „Der Mensch von heute weiß viel – mehr denn je –, und er ist auch für vieles verantwortlich – für mehr denn je; aber worum er weniger denn je weiß, ist dieses sein Verantwortlichsein.“11
In einer Umfrage antworteten die meisten Führungskräfte auf die Frage, wer für die Gesundheit der Angestellten zuständig ist: „Primär sind die Angestellten für ihre Gesundheit verantwortlich.“12 Natürlich sind diese Arbeitnehmer (auch selbst) verantwortlich. Aber es ist eben auch die Führungskraft verantwortlich. Nach den wichtigsten Eigenschaften einer Führungskraft gefragt, nannten die Führungskräfte am meisten (120 von 249): „verantwortungsbewusst“13 – aber „mehr als die Hälfte nannten es damit auch nicht“14.
Fußnoten:
1 Karl Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, § 2 II c), S. 37; ähnlich auch Anke Kahl (Hrsg.), Arbeitssicherheit – Fachliche Grundlagen, 2019, Kapitel 7.1, S. 278.
2 Wortgleich so Manfred Schulte-Zurhausen, Organisation, 5. Aufl. 2010, 3. Teil 2.1, S. 165; Vahs, Organisation – Einführung in die Organisationstheorie und ‑praxis, 5. Aufl. 2005, 4.2, S. 63.
3 Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, § 2 II c), S. 37.
4 Günter Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 20. Aufl. 2000, 2. Abschnitt B.II.8.c) bb) (2), S. 179.
5 Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW), Verantwortung im Arbeitsschutz – Rechtspflichten und Rechtsfolgen, Broschüre B 2, Februar 2017, Einführung und in 2.
6 Zitiert nach Stephen R Covey, Management – Essentials für die Unternehmensführung, 2014, S. 50.
7 Es gibt indes Abstufungen nach Altersgrenzen – zur Haftung eines Minderjährigen nach Herstellung eines pyrotechnischen Satzes siehe z.B. den Fall 25 „Raketenantrieb für Modellsegelflugzeuge“ in Wilrich, Gefahrstoffrecht vor Gericht – 40 Urteilsanalysen zum Arbeitsschutz und zur Haftung nach Chemikalien- und Explosionsunfällen (2021).
8 Dörner, in: Schulze, Nomos-Kommentar zum BGB, 10. Aufl. 2019, § 1 Rn. 3.
9 Spickhoff, in: Münchener Kommentar zum BGB,
8. Aufl. 2018, § 1 Rn. 10.
10 Reinhard R. Sprenger, Vertrauen führt – Worauf es im Unternehmen wirklich ankommt, 2005, S. 110.
11 Viktor E. Frankl, Der leidende Mensch – zitiert nach Jung/Bruck/Quarg, Allgemeine Managementlehre – Lehrbuch für die angewandte Unternehmens- und Personalführung, 5. Aufl. 2013, B.III.4, S. 51.
12 Umfrage von Udris/Rieman/Thalmann – zitiert nach Bernd Rudow, Das gesunde Unternehmen – Gesundheitsmanagement, Arbeitsschutz und Personalpflege in Organisationen, 5.1., S. 318.
13 Laila Maija Hofmann, Führungskräfte in Europa – Empirische Analyse zukünftiger Anforderungen, 2000, S. 300.
14 Das bedauern Jung/Bruck/Quarg, Allgemeine Managementlehre – Lehrbuch für die angewandte Unternehmens- und Personalführung, 5. Aufl. 2013, B.III.4.3, S. 86.
Weitere Teile der Rechtsserie:
Verantwortung für Tun: Handlungsverantwortung ist die Basis des Arbeitsschutzes
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„Befehl ist Befehl“: Die Gehorsamspflicht ist stärker als das Haftungsrecht
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Befehlsverweigerung bei Erkennbarkeit der Sicherheitswidrigkeit
Autor:
Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich
Hochschule München, Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen, Professor für Wirtschafts‑, Arbeits‑, Technik‑, Unternehmensorganisationsrecht
und Recht für Ingenieure