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Rechtsprechung: Vier Urteile zum Thema Wegeunfälle

Langjährige Rechtsprechung aufgegeben
Vier Urteile zum Thema Wegeunfälle

Arbeit­nehmer ste­hen auf dem unmit­tel­baren Weg von und zur Arbeit unter dem Schutz der geset­zlichen Unfal­lver­sicherung. Der Ver­sicherungss­chutz begin­nt mit Durch­schre­it­en der Außen­haustür und endet mit dem Betreten des Betrieb­s­gelän­des. Was aber gilt bei Abwe­ichun­gen – etwa, wenn ein Arbeit­nehmer von einem drit­ten Ort zur Arbeit fährt, seinen Weg zum Auf­tanken des Fahrzeugs unter­bricht oder den Nach­wuchs vom Home­of­fice in den Kinder­garten bringt?

Grund­sät­zlich gilt für den Ver­sicherungss­chutz: Der direk­te Weg muss nicht unbe­d­ingt der kürzeste sein. Vielmehr darf auch eine län­gere, verkehrs­gün­stigere Strecke genutzt wer­den. Die Wahl des Verkehrsmit­tels ste­ht dem Ver­sicherten frei. Wird der Weg jedoch aus pri­vat­en Grün­den, etwa um einzukaufen, unter­brochen, endet der Versicherungsschutz.

Doch nicht immer ist das Geschehen ein­deutig, sodass die Frage nach dem Ver­sicherungss­chutz nicht sel­ten gerichtlich zu klären ist.

Am 30. Jan­u­ar 2020 hat­te das Bun­dessozial­gericht (BSG) gle­ich in vier Fällen darüber zu entschei­den, ob ein ver­sichert­er Wege­un­fall vor­liegt. In zwei Fällen war stre­it­ig, ob die geset­zliche Unfal­lver­sicherung auch dann greift, wenn ein Ver­sichert­er den Weg zur Arbeit von einem drit­ten Ort aus startet, der im Ver­hält­nis zum üblichen Arbeitsweg weit ent­fer­nt liegt.

Bisherige Rechtsprechung

Der Arbeitsweg muss nicht zwin­gend vom häus­lichen Bere­ich aus ange­treten wer­den oder dort enden. Dem Ver­sicherten ste­ht es grund­sät­zlich frei, einen anderen Ort als Anfangs- oder End­punkt des ver­sicherten Weges zu wählen. Dieser wird als drit­ter Ort beze­ich­net. Ver­sicherungss­chutz ist nach den von der Recht­sprechung entwick­el­ten Grund­sätzen nur dann gegeben, wenn sich der Ver­sicherte min­destens zwei Stun­den an dem drit­ten Ort aufge­hal­ten hat. Fern­er musste bis­lang der Weg vom beziehungsweise zum drit­ten Ort in einem angemesse­nen Ver­hält­nis zum üblichen Arbeitsweg ste­hen. Von dieser langjähri­gen Recht­sprechung ist das BSG nun abgerückt.

1. Fall: Bei der Freundin übernachtet

Im ersten Fall (Az. B 2 U 2/18 R) ging es um einen jun­gen Mann, der auf dem Weg von der Woh­nung sein­er Fre­undin zur Arbeit einen Verkehrsun­fall erlit­ten und sich dabei schw­er ver­let­zt hat­te. Er bewohnte ein Zim­mer in der Woh­nung sein­er Eltern. Werk­tags fuhr er jedoch abends meist zu sein­er Fre­undin und über­nachtete auch dort. Der Weg zwis­chen der elter­lichen Woh­nung und der Arbeitsstätte ist nur zwei Kilo­me­ter lang, die Ent­fer­nung zwis­chen Arbeitsstätte und Woh­nung der Fre­undin beträgt hinge­gen 44 Kilometer.

2. Fall: Zu Mittag bei einem Freund

Im zweit­en Fall (Az. B 2 U 20/18 R) hat­te der Kläger mor­gens Per­so­n­en mit ein­er Behin­derung zu ein­er Werk­statt für behin­derte Men­schen gebracht und nach­mit­tags wieder abge­holt. Am Unfall­t­ag fuhr er nach sein­er ersten Tour zu einem Fre­und, wo er sich länger als zwei Stun­den aufhielt. Als er dann zur Werk­statt fahren wollte, um den Nach­mit­tags­di­enst zu begin­nen, verunglück­te er mit seinem Motor­rad. Die Ent­fer­nung von der Woh­nung des Fre­un­des zur Arbeitsstätte war dreimal so lang wie der übliche Arbeitsweg.

Entfernung nicht ausschlaggebend

In bei­den Fällen hat­te die Beruf­sgenossen­schaft (BG) die Anerken­nung als Arbeit­sun­fall abgelehnt, weil der Weg zwis­chen dem drit­ten Ort und der Arbeitsstätte im Ver­hält­nis zu dem üblichen Arbeitsweg unver­hält­nis­mäßig lang sei. Das BSG entsch­ied in bei­den Fällen zugun­sten der Ver­sicherten. Es stellte klar, dass es nicht mehr darauf ankomme, aus welchen Grün­den sich der Ver­sicherte an jen­em Ort aufhält und in welchem Ver­hält­nis die Ent­fer­nung von dem drit­ten Ort zum Ort der Tätigkeit zur Wegstrecke des üblichen Arbeitsweges ste­ht. Entschei­dend sei vielmehr, ob der Weg vom drit­ten Ort zur Arbeitsstätte wesentlich von der sub­jek­tiv­en Hand­lung­s­ten­denz geprägt sei, den Ort der Tätigkeit aufzusuchen und dies objek­tivier­bar sei. 

3. Fall: Tankstopp nicht versichert

Im drit­ten Fall (Az. B 2 U 9/18 R) entsch­ied das BSG, dass ein Tankstopp auf dem Arbeitsweg nicht ver­sichert ist und wich damit eben­falls von sein­er bish­eri­gen Recht­sprechung ab.

Die Klägerin hat­te nach Arbeit­sende ihr Fahrzeug bestiegen, um nach Hause zu fahren. Der Weg zu ihrer Woh­nung betrug 75 Kilo­me­ter. Beim Start des Motors leuchtete die Tankanzeige auf, die ihr sig­nal­isierte, dass der Kraft­stoff noch für eine Strecke von 70 Kilo­me­tern reichen würde. Ohne Nach­tanken hätte sie ihr Zuhause somit nicht mehr erre­icht. Die Frau fuhr daher zur näch­st­gele­ge­nen Tankstelle. Nach dem Tanken rutschte sie auf dem Weg zur Kasse aus und brach sich dabei das rechte Sprungge­lenk. Die BG lehnte die Anerken­nung als Arbeit­sun­fall ab.

Zusammenhang zur Tätigkeit fehlt

Das BSG bestätigte die Entschei­dung der BG. Tanken sei eine grund­sät­zlich unver­sicherte Tätigkeit. Es sei auch nicht aus­nahm­sweise als Vor­bere­itung­shand­lung ver­sichert. Vor­bere­itung­shand­lun­gen wür­den in den Schutz der geset­zlichen Unfal­lver­sicherung nur ein­be­zo­gen, soweit sie einen beson­ders engen zeitlichen, sach­lichen und örtlichen Bezug zur ver­sicherten Tätigkeit aufweisen. Das ver­brauchs­be­d­ingte Auf­tanken des Pri­vat­wa­gens erfülle diese Voraus­set­zun­gen nicht. Es diene lediglich all­ge­mein der Erhal­tung der Betrieb­s­fähigkeit des Kraftfahrzeuges.

Keine geringfügige Unterbrechung

Nach der bish­eri­gen Recht­sprechung des Sen­ats war das Tanken in den Schutz der geset­zlichen Unfal­lver­sicherung ein­be­zo­gen, wenn es auf dem Weg notwendig wurde, um den ver­sicherten End­punkt zu erre­ichen. Daran hält das BSG nicht weit­er fest. Tanken sei örtlich und zeitlich nicht fest­gelegt. Es sei dem Ver­sicherten über­lassen, wann er tanke. Angesichts dessen gehöre das ver­brauchs­be­d­ingte Auf­tanken zu der rein eigen­wirtschaftlichen Risikosphäre des Versicherten.

Die Klägerin habe ihren Heimweg auch nicht nur ger­ingfügig unter­brochen. Das Tanken eines Kfz könne nicht im „Vorüberge­hen“ erledigt wer­den. Vielmehr stelle das Anhal­ten, Aussteigen, Betanken und Bezahlen eine äußer­lich beobacht­bare und von der Zurück­le­gung des Weges deut­lich unter­schei­d­bare neue Hand­lungsse­quenz dar.

4. Fall: Vom Homeoffice zum Kindergarten

Im vierten Fall (Az. B 2 U 19/18 R) bestätigte das BSG die Entschei­dung des Lan­dessozial­gerichts (LSG) Nieder­sach­sen-Bre­men vom 26.09.2018 (ver­gle­iche Aus­gabe 6/2019), wonach Eltern, die ihr Kind vom Home­of­fice in den Kinder­garten brin­gen, nicht geset­zlich unfal­lver­sichert sind.

Zugrunde lag der Fall ein­er Mut­ter, die für ihren Arbeit­ge­ber im Rah­men des Tele­work­ings von zu Hause aus arbeit­ete. Am Unfall­t­ag brachte sie ihre Tochter mit dem Fahrrad zum Kinder­garten. Auf dem Rück­weg stürzte sie bei Glat­teis und brach sich den recht­en Ellenbogen.

Urteil bestätigt – Gesetzgeber gefragt

Nach Auf­fas­sung des BSG hat das LSG zu Recht entsch­ieden, dass kein ver­sichert­er Wege­un­fall vor­liege. Ein solch­er set­ze begriff­s­notwendi­ger­weise voraus, dass der Ort des pri­vat­en Aufen­thalts und der ver­sicherten Tätigkeit, zwis­chen denen der Weg zurück­gelegt wird, räum­lich auseinan­der­fall­en. Dies sei bei der Tätigkeit in einem Home­of­fice naturgemäß nicht der Fall. Um nach § 8 Abs. 2 Nr. 2a Sozialge­set­zbuch VII ver­sichert zu sein, müsse von einem ver­sicherten Weg, der hier aber ger­ade nicht vor­liege, abgewichen wer­den, um Kinder in fremde Obhut zu geben. Für den Fall der Arbeit in einem Home­of­fice müsste eine Wegun­fal­lver­sicherung zu ein­er Kinder­be­treu­ung erst begrün­det wer­den. Eine solche Erweiterung des Ver­sicherungss­chutzes obliege aber dem Gesetzgeber.

Autorin: Tan­ja Sautter

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