Ein defekter Temperaturfühler in einem Reaktionsbehälter soll durch ein gleiches Modell ausgetauscht werden. Egal, wen man fragt: Das ist kein Fall für das Management of Change (MOC), da es sich um einen 1:1‑Austausch handelt. Aber: in einer dem Autor bekannten
Situation wurden vom Instandhalter zwar der identische Temperaturfühler eingebaut, aber ein anderer Schraubentyp zur Fixierung verwendet: Statt der zuvor genutzten Edelstahlschrauben wurden Messingschrauben genutzt. Somit kam das Reaktionsgemisch beim nächsten Ansatz mit Buntmetallen in Kontakt, was eine unerwünschte Nebenreaktion katalysierte. Die kleine Änderung – andere Schrauben – war nicht als solche erkannt und bewertet worden.
„Nicht für jede Änderung braucht es ein MOC, andererseits kann kein MOC jede Änderung im Betrieb erfassen“ — auf Basis dieser These werden nachfolgend vier verschiedene Kategorien von Änderungen differenziert und die Problemstellung aufgezeigt.
Der 1:1‑Austausch
Der Ersatz „Gleiches durch Gleiches“ ist ein Standardprocedere für Instandhaltungs- und Betriebspersonal. Da keine Änderung erfolgt, die mit neuen oder veränderten Gefahren oder Gefahrenpotenzialen verbunden ist, braucht es auch kein MOC. So weit, so klar. Leider geschieht es immer wieder, dass bei dem „1:1‑Austausch“ unbemerkt Pannen passieren, wie das folgende Beispiel zeigt:
- Das getauschte Durchflussmessgerät: In einem Betrieb war das Durchflussmessgerät für die Dosierung einer Reaktionskomponente defekt. Ein Mitarbeiter der Instandhaltungsabteilung tauschte das Gerät gegen einen anderen Durchflussmesser aus. Bei dem nachfolgenden Produktionsansatz kam es zu einer unerwartet heftigen Reaktion. Das neue Gerät war für einen anderen Stoff kalibriert gewesen, was zu einer Fehldosierung führte.
Das Ereignis geschah, weil von einem Austausch identischer Aggregate ausgegangen wurde. Somit ist dieses Szenario nicht Bestandteil eines Änderungsmanagements, sondern eigentlich ein Fehler, der auch nicht mit technischen Gegenmaßnahmen zu verhindern ist. Diesen unbewussten Änderungen kann nur eine Sensibilisierung des Betriebspersonals entgegengestellt werden.
Der „Quasi‑1:1‑Austausch“
Manchmal kommt es vor, dass bei einem Austausch von Komponenten bewusst Modifikationen vorgenommen werden. Diese vermeintlichen „Minimaländerungen“ werden nicht selten spontan realisiert und entspringen einem Bedürfnis, schnell etwas für die Aufrechterhaltung des Betriebes zu tun. Dabei wird aber die Tragweite der Auswirkungen unterschätzt.
- Die ausgetauschten Verbindungsteile: An einem Dieselaggregat brach ein Feuer aus. Ein Beschäftigter bemerkte den brennenden Treibstoffstrahl und leitete die notwendigen Notfallmaßnahmen ein, das Feuer wurde schnell durch die CO2 ‑Löschanlage gelöscht. Niemand wurde verletzt. Doch warum brach das Feuer aus? An dem Motor war die metallische Verschraubung der Treibstoffzufuhr zur einfacheren Montage an drei von vier Einspritzstellen kurzerhand durch Gummischläuche ersetzt worden. Einer der Schläuche versagte und führte zu einer Leckage. Treibstoff sprühte auf heiße Motorteile, die als Zündquelle wirkten.
Das Ereignis geschah, weil Menschen sich prinzipiell zwar Änderungen, nicht aber der damit verbundenen Konsequenzen bewusst sind. Der Umbau hätte im Rahmen eines Änderungsmanagements tiefergehend hinterfragt werden müssen, auch wenn die neue Situation nur zu scheinbar unwesentliche Änderungen führt. Hier ist der Ansatzpunkt für die Sicherheitsabteilung, zu einer Sensibilisierung des Planungs- wie des Betriebspersonals beizutragen und auf die konsequente Einhaltung eines MOC-Prozesses zu drängen.
Die geplante Änderung mit ungeplanten Auswirkungen
Tragische Konsequenzen gibt es, wenn Änderungen bewusst vorgenommen und geplant werden, aber die Tragweite der Auswirkungen falsch eingeschätzt wird.
- Die neu installierte Rückspülleitung: Zur Vermeidung von Emissionen wurde in einer Anlage zur Synthese eines fluorierten Kohlenwasserstoffes eine zusätzliche Rückspülleitung installiert, um beim Anfahren die Atmosphäre im Inneren der Anlage mit Prozessgas verdrängen zu können. Bei der Inbetriebnahme dieser Leitung kam es zu einer Explosion mit Totalverlust der Syntheseanlage.
Nach Prüfung des Sicherheitsdatenblattes war man davon ausgegangen, dass der als Prozessgas verwendete Fluorkohlenwasserstoff unbrennbar sei, da im Sicherheitsdatenblatt stand: „Bildet unter Normalbedingungen keine zündfähigen Gemische“. Die „Normalbedingungen“, unter denen sicherheitstechnischen Kenngrößen in der Regel ermittelt werden, sind 1 bar, 20 °C sowie Luft in der atmos-phärischen Zusammensetzung. Allerdings wurde die Prozessanlage mit einem Überdruck von etwa 7 bar und Temperaturen bis 400 °C betrieben. Bei der Übertragung der sicherheitstechnischen Kenngrößen wurde nicht berücksichtigt, dass die Explosionsgrenzen sich bei Änderung der Randbedingungen – hier Druck und Temperatur – erheblich verschieben können. Bei der Verwendung sicherheitstechnischer Kenngrößen in einem Sicherheitskonzept muss darauf geachtet werden, ob die genutzten Daten unter Betriebsbedingungen noch aussagekräftig sind.
Das Ereignis geschah, weil die Änderung zwar durchdacht und geplant war, die Auswirkungen auf den Prozess aber auf falschen Annahmen beruhten. Hier ist der Ansatzpunkt für die Sicherheitsabteilung, darauf hinzuwirken, dass Experten bei der Planung hinzugezogen werden und der Prozess des MOC mittels interner Vorgaben – Stichwort Sicherheitsmanagementsystem – strukturiert abgewickelt wird.
Hilfreich kann dabei eine Checkliste sein, wie sie beispielsweise in dem Leitfaden KAS-50 „Beurteilung der sicherheitstechnischen Relevanz von Modifikationen in verfahrenstechnischen Anlagen“ (siehe ganz unten) oder in der Broschüre „Instandhaltung und Änderungen: Besondere Gefährdungen und Risiken bei Prozessanlagen“ (siehe „Nützliche Links“ ganz unten) dargestellt ist. Weitere Aspekte finden sich beispielsweise in dem Bulletin des Sicherheitszentrums der Europäischen Union (MAHB) zum Thema „Management of Change“ (siehe „Nützliche Links“ ganz unten).
„Eine der häufigen Ursachen für Unfälle und auch von Störfällen ist das fehlende oder nicht ausreichende Verständnis für die Bedeutung von Änderungen. Oft wird eine Änderung nicht als solche wahrgenommen. Dies kann passieren, wenn Änderungen schleichend stattfinden, oder wenn die Sicherheitsrelevanz einer Änderung nicht erkannt wird.“ So die Kommission für Anlagensicherheit, ein Beratergremium beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. „Für die sichere Durchführung von Änderungen ist es zu allererst wichtig, festzustellen, ob die geplanten Änderungen in einer Anlage oder betrieblichen Abläufen Auswirkungen auf das realisierte Sicherheitskonzept haben. Um diese Beurteilung durchführen zu können, ist es notwendig, sich einen Überblick über die Konsequenzen eines Eingriffs zu verschaffen.“ (Zitat aus KAS-19, „Leitfaden zum Konzept zur Verhinderung von Störfällen und zum Sicherheitsmanagementsystem“, siehe „Nützliche Links“ Seite 18).
Gut gedacht, schlecht gemacht: Wenn der Mensch das MOC überlistet
Selbst wenn eine Änderung der Anlage oder der Prozessführung nach allen Regeln der Kunst geplant und konzipiert wurde, bedeutet dies noch nicht, dass keine Ereignisse in diesem Kontext passieren könnten. Denn zwischen Planung und Inbetriebnahme steht der Mensch – mit seinen Stärken und Schwächen.
- Die ausgewechselte Füllstandsmessung: Am Verdampfer einer Ammoniak-Kälteanlage wurden Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen ausgeführt. Unter anderem wurde eine Füllstandsmessung ausgewechselt, die als Überfüllsicherung diente. Bei Wiederinbetriebnahme der Anlage blieb aus Unachtsamkeit die Absperrarmatur in der Leitung zwischen Verdampfer und Füllstandsmessung geschlossen, wodurch die Abschaltfunktion außer Kraft gesetzt wurde. So kam es bei der Befüllung der Anlage zu einer Überfüllung des Wärmeaustauschers mit flüssigem Kältemittel und in der Folge zu einem Gewaltbruch am Verdichter. Dadurch trat Ammoniak aus, wodurch zahlreiche Personen verletzt wurden.
Das Ereignis geschah, weil bei der Arbeit Fehler gemacht und diese nicht erkannt wurden. Hier ist ein effektives Sicherheitsmanagementsystem gefordert, das auch die Phase der Umsetzung und Inbetriebnahme im Blick haben muss. Hier sind wir wieder beim Leitfaden KAS-19: „Wie wird die Durchführung von Änderungen kontrolliert? Ist die vorgesehene Änderung in der geplanten Art und Weise durchgeführt worden? Sind die notwendigen Anweisungen angepasst worden und alte schriftliche Unterlagen entsprechend eingesammelt beziehungsweise beseitigt worden?“
Flankierende Kontrollen vor, während und nach der Arbeit sind von großer Bedeutung. Darüber hinaus ist zu bedenken: Änderungen an Anlagen können zeitintensiv sein, insbesondere wenn bauliche Maßnahmen davon betroffen sind. So müssen für die Zeit der Arbeiten manchmal Provisorien geschaffen oder wesentliche Anlagenteile außer Betrieb genommen werden, was als Änderung des bestimmungsgemäßen Betriebes zu sicherheitstechnischen Problemen führen kann und deshalb einer eigenen Gefährdungsbeurteilung bedarf. Daher sind auch für Provisorien und temporäre Änderungen die Fragestellungen des MOC anzuwenden.
Zusammenfassung
Ein „Management of Change“ zur Planung von Änderungen ist sinnvoll und angezeigt und nicht zuletzt auch für Betriebsbereiche nach StörfallV explizit gefordert. Dabei muss man sich jedoch stets vor Augen halten:
- Nicht jede Änderung im Prozess wird durch ein MOC abgedeckt (hierzu zählen die Fehler beim 1:1‑Austausch),
- Nicht bei jeder Änderung ist den Beteiligten bewusst, dass diese unter das MOC fallen müsste (hierzu zählen die „Quasi‑1:1‑Austauschsituationen“),
- Nicht jede nach MOC durchgeführte Änderung garantiert vollständige Sicherheit (hierzu zählen die falsch bewerteten Randbedingungen und schlampig (fehlerhaft) durchgeführten Maßnahmen).
Grundsätzlich gilt aber auch: Nach einem Ereignis ist es immer einfacher, rückblickend bestürzt festzustellen, was für schlechte Voraussagen getroffen worden waren. Oder in den Worten von Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799): „Jeder Fehler erscheint unglaublich dumm, wenn andere ihn begehen.“
Autor: Dr. Joachim Sommer
Mitarbeiter im Referat Anlagen- und Verfahrenssicherheit bei der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) und Mitglied der Kommission für Anlagensicherheit (KAS)
E‑Mail: Joachim.Sommer@bgrci.de
Unfallbeispiel: Die neuen Ersatzteile an der Presse
Beim Anfahren einer Presse wurde der Schichtleiter während seines Rundgangs von einem aus der Hydraulikanlage herausschießenden Wegesensor so getroffen, dass er eine Fraktur am Unterarm erlitt. Glück im Unglück: der Unfall hätte noch schlimmer ausgehen können.
Vor dem Ereignis war die Presse demontiert und gereinigt worden. Einige Bauteile wurden durch Ersatzteile ersetzt, unter anderem der Verschluss am Hydraulik-Zylinder. Bei Überprüfung der Bauteile stellt sich heraus, dass der neue Verschluss ein falsches Innengewinde aufwies. Das Ersatzteil besaß amerikanische Zollmaße, während das ursprüngliche Bauteil sowie der Wegesensor ein metrisches Schraubgewinde hatten.
Unfallbeispiel: Tödliche Explosion an der Pumpe
In einem Betrieb war eine Fasspumpe für die Überführung brennbarer Lösemittel von IBC’s in Lagertanks defekt. Eine Mitarbeiterin holte kurzentschlossen eine andere Fasspumpe aus dem Nachbarraum. Beim Abpumpvorgang kam es zu einer Explosion, bei der die Mitarbeiterin tödlich verletzt wurde.
Während die ursprüngliche Pumpe für brennbare Flüssigkeiten geeignet war, war die Ersatzpumpe nicht explosionsgeschützt ausgeführt. Dies war für den bestimmungsgemäßen Einsatzzweck auch nicht erforderlich gewesen.
Unfallbeispiel: Das sicherere Schauglas
In einer Produktionsanlage konnte der Rücklauf aus einem Kondensator durch ein Schauglas kontrolliert werden. Die neue Betriebsleitung sah das Schauglas als eine Schwachstelle an, da die Anlage unter Druck stand. Sie ordnete den Austausch gegen eine dickere Scheibe an. Beim Anfahren kam es zu einem Produktaustritt, weil das Schauglas weggedrückt wurde.
Es wurde zwar eine dickere Scheibe eingebaut, aber die bisherigen Schrauben wiederverwendet. Aufgrund der dickeren Scheibe ragten die Schrauben nur noch wenige Gewindegänge in die Halterung. Somit war kein ausreichender Kraftschluss gegeben.
Nützliche Links:
- Leitfaden KAS-50 „Beurteilung der sicherheitstechnischen Relevanz von Modifikationen in verfahrenstechnischen Anlagen“: www.kas-bmu.de/kas-merkblaetter.html
- Broschüre „Instandhaltung und Änderungen: Besondere Gefährdungen und Risiken bei Prozessanlagen“, ISSA-04: https://downloadcenter.bgrci.de/shop/ivss
- Bulletin des Sicherheitszentrums der Europäischen Union (MAHB) zum Thema „Management of Change“: https://minerva.jrc.ec.europa.eu/en/shorturl/minerva/managementofchangefinalv1formattedpdf
- KAS-19 „Leitfaden zum Konzept zur Verhinderung von Störfällen und zum Sicherheitsmanagementsystem“: www.kas-bmu.de/kas-leitfaeden-arbeits-und-vollzugshilfen.html