Zur thematischen Einordnung soll die folgende Geschichte aus dem Leistungsbereich einer Berufsgenossenschaft dienen: Ein Lkw-Fahrer aus einem mittelständischen Unternehmen mit circa 70 Mitarbeitern springt mit seinen 46 Jahren zum Schichtende um 15:30 Uhr hoppla-hopp aus seinem Fahrzeug, knickt um und verletzt sich schwer an Knöchel und Sprunggelenk. Ein Rettungswagen holt den Mann ab und fährt ihn in ein Krankenhaus. Dort wird ein komplizierter Trümmerbruch diagnostiziert, eine Operation soll umgehend erfolgen.
Mit 2,35 Promille hinterm Steuer
Bis dahin handelt es sich um einen leider typischen Vorfall aus dem Tätigkeitsfeld eines Unfallversicherungsträgers. Der Mann wird für die OP vorbereitet, dabei wird ein Blutbild gemacht. An diesem Punkt der Geschichte wird es nun knifflig: Der 46-Jährige hat einen Blutalkoholpegel von 2,35 Promille, was eine gewisse Ratlosigkeit bei allen Beteiligten auslöst. Denn aus dieser Erkenntnis erwachsen folgende kritische Fragestellungen:
- Darf das Krankenhaus den Arbeitgeber benachrichtigen? Natürlich nicht.
- Darf das Krankenhaus die Polizei unterrichten? Nach Prüfung im Krankenhaus erfolgt dies nicht.
- Das Krankenhaus hat wegen des hohen Blutalkoholpegels Zweifel, ob es sich überhaupt um einen Arbeitsunfall handelt, der unter dem Schutz
der gesetzlichen Unfallversicherung steht. Aus diesem Grund wird die zuständige Berufsgenossenschaft informiert. - Die Berufsgenossenschaft prüft: Ist es noch ein Arbeitsunfall? Unter anderem durch ein Statement des behandelnden Arztes, der dem Patienten keinerlei Ausfallerscheinungen bescheinigt, wird dies eindeutig bejaht.
- Darf die Berufsgenossenschaft den Arbeitgeber informieren? Hier entsteht ein moralisches Dilemma, das jedoch eindeutig geregelt ist: Es erfolgen keinerlei Informationen an den Arbeitgeber.
Was allerdings bleibt, ist die ungute Erkenntnis, dass ein offensichtlich betrunkener Lkw-Fahrer unerkannt – er hat 20 Jahre Berufserfahrung – im Straßenverkehr unterwegs ist. Vor diesem Hintergrund kommt es zu einem Beratungsgespräch eines Präventionsmitarbeiters mit dem Unternehmen – schließlich handelt es sich auch ohne Alkoholeinfluss um einen schweren Unfall. Dabei gibt der Unternehmer von sich aus zu, dass er von dem Alkoholproblem seines Mitarbeiters zwar nicht definitiv wusste, aber es zumindest erahnte. An dieser Stelle endet diese Geschichte nach einer wahren Begebenheit.
Die BGHW hat sich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie den Unternehmen geholfen werden kann, das Problem des Fahrens unter Alkohol in den Griff zu bekommen. Auch hierbei gilt das bekannte TOP-Prinzip als Richtschnur: An erster Stelle stehen technische Lösungsmöglichkeiten gefolgt von organisatorischen und schließlich personellen Ansätzen.
Alkohol-Interlocks — zuverlässige Wegfahrsperren
Wie kann nun die geschilderte Situation konkret verhindert werden? Hier kommt man an der Priorisierung der technischen Maßnahmen nicht vorbei – sprich, zunächst stellt sich die Frage: Gibt es eine technische Möglichkeit zu verhindern, dass betrunkene Fahrer ein Fahrzeug führen? Diese Frage ist eindeutig mit „Ja“ zu beantworten: Seit Anfang der 90er Jahre gibt es solche Geräte: Alkohol detektierende Wegfahrsperren, sogenannte Alkohol-Interlocks, erfassen zuverlässig, wenn und wann ein unter Alkoholeinfluss stehender Fahrer das Fahrzeug starten will und verhindern so das Anfahren.
Die BGHW hat dazu ein Projekt ins Leben gerufen: Sie stellt interessierten Unternehmen eine begrenzte Anzahl von Alkohol-Interlocks der Firma Draeger zur Verfügung. Die Montagekosten wurden und werden dabei von den Unternehmen, die Wartungskosten von der Berufsgenossenschaft übernommen. Bis dato betreibt die BGHW über 340 Geräte bei inzwischen circa 29 Unternehmen.
Geringer technischer Aufwand
Der Einbau eines Alkohol-Interlocks in ein Fahrzeug ist in der Regel problemlos. Modifikationen im überschaubaren Maße sind lediglich bei E‑Staplern mit 48 V Spannungsversorgung oder bei einigen Herstellern erforderlich. Jedoch ist der technische Aufwand dabei in der Regel so klein, dass innerhalb des Projekts Montagekosten in Höhe von maximal 500 Euro anfielen. Viele Unternehmen mit eigener Werkstatt haben die Geräte in Eigenleistung montiert, wobei die Herstellerfirma in der Regel schnell und unbürokratisch Unterstützung geleistet hat.
Juristische Aspekte beimn Einsatz von Alkohol-Interlocks
Gibt es einen Betriebsrat im Unternehmen, sollte dieser von Beginn an mit ins Boot geholt werden. Die Fragestellung, ob die Montage eines Alkohol-Interlocks mitbestimmungspflichtig ist, wurde noch nicht abschließend über gerichtliche Urteile geklärt. Vielmehr gelang es bis jetzt immer, dass Unternehmensleitung und Betriebsrat zu einvernehmlichen Lösungen gekommen sind. Dabei ist eine Gefährdungsbeurteilung, die das Problem des alkoholisierten Fahrens aufgreift, ein Argument, das nach den bisherigen Erfahrungen auch Skeptiker überzeugt.
Ergebnisse und Erfahrungen
Im Zuge des Projektes hat sich der Einsatz der Alkohol-Interlocks in der Praxis im Straßenverkehr durchgängig bewährt. Seit Beginn des Pilotprojekts im Jahr 2014/15 wurden mehr als 310 Fahrten unter Alkohol verhindert – und zwar obwohl die Fahrer wussten, dass im Fahrzeug ein solches Gerät verbaut wurde! Die psychologische Komponente der Alkohol-Interlocks ist dennoch nicht zu unterschätzen: Allein ihre Existenz hat eindeutig eine abschreckende und damit präventive Wirkung.
Ebenfalls hat sich gezeigt, dass die Fahrer und Fahrerinnen sich schnell an die Ausstattung der Fahrzeuge mit diesen Geräten gewöhnt haben. Auch in Flurförderzeugen führte der Einsatz von Alkohol-Interlocks zu einer zuverlässigen Verhinderung von Fahrten unter Alkohol. Zwar wurden bei allen Fahrzeugtypen auch Manipulationsversuche unternommen, diese konnten jedoch stets aufgedeckt werden.
Alkohol-Interlocks vom Verkehrsgerichtstag empfohlen
Durch den Beschluss des Deutschen Verkehrsgerichtstags im Jahr 2019, welcher den Einsatz von Alkohol-Interlocks für den gewerblichen Güter- und Personentransport empfiehlt, hat die Akzeptanz für eine technische Lösung zur Verhinderung von Fahrten unter Alkohol deutlich zugenommen. Die Anzahl der Unternehmen, die den Einbau dieser Geräte planen oder zusammen mit der BGHW damit begonnen haben, steigt kontinuierlich.
Autor: Ulrich Süßner
Referatsleitung Verkehrssicherheit und Transport
BGHW
So funktioniert die Wegfahrsperre
Die BGHW verwendet für ihr Projekt Geräte des Herstellers Dräger. Die Alkohol-Wegfahrsperre Interlock 7000, auch Alkohol-Zündschlosssperre genannt, wird präventiv in der Personenbeförderung, im Gütertransport und am Arbeitsplatz eingesetzt.
Das Gerät besteht aus zwei Komponenten: einem Handteil und der Steuereinheit. Das Handteil mit Mundstück ist der Alkoholtester, in dem die Atemprobe analysiert wird. Jeder Nutzer hat ein eigenes Mundstück, wodurch eine hygienische und auch zu Coronazeiten sichere Anwendung garantiert ist. Die Steuereinheit gibt den Anlasser des Fahrzeugs frei oder blockiert diesen.
Sobald der Fahrer die Zündung des Fahrzeugs einschaltet, fordert ihn das Interlock 7000 zur Abgabe einer Atemprobe auf. Diese erfolgt mit einem Handgriff. Durch die leicht verständliche Menüführung auf dem Farbdisplay ist die Nutzung einfach und selbsterklärend. Ermittelt das Gerät einen Promillewert über dem eingestellten Grenzwert, verhindert es den Start des Motors.
Das Interlock 7000 speichert neben Datum und Uhrzeit alle relevanten Ereignisse wie Abgabe oder Verweigerung einer Atemprobe, die gemessene Alkoholkonzentration, Motorstarts und ‑stopps sowie eventuelle Manipulationsversuche. Die Datenübertragung von der Steuereinheit auf den PC erfolgt über eine Infrarot-Schnittstelle. Nach dem Auslesen stehen die Daten nur autorisierten Personen zur Verfügung. Im gesamten Erhebungsprozess ist der Datenschutz durch spezielle Zugriffsrechte und Verschlüsselungsverfahren gewährleistet.
Weitere Informationen
Eine umfängliche Betrachtung der rechtlichen Voraussetzungen, etwa bezüglich des Datenschutzes oder der Beteiligung des Betriebsrats, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Sollten Sie Fragen dazu haben, steht Ihnen der Autor dieses Beitrags jedoch gerne zur Verfügung. Weitere Informationen zum Thema Alkohol-Interlocks und über das Projekt gibt es in nächster Zeit auf der Webseite der BGHW (www.bghw.de).