Als Sicherheitsbeauftragter sind Sie vielleicht schon einmal beteiligt gewesen an der Planung und Organisation eines Aktionstages oder einer Kampagne. Viele betriebliche Maßnahmen haben das Ziel Mitarbeiter für Themen zu interessieren, denen sie, aus Perspektive der Arbeitssicherheit betrachtet, noch nicht genug Bedeutung beimessen. Interesse und Motivation können geweckt werden und Sicherheitsbeauftragte spielen dabei eine besondere Rolle.
Denken Sie einmal zurück an Ihre Kindheit. Sicher gab es ein Hobby, eine Tätigkeit, eine Freizeitbeschäftigung, für die Sie „gebrannt“ haben. Waren Sie zum Beispiel jede Woche auf dem Fußballplatz oder sind es noch? Was hat Sie angetrieben das zu tun? Woher stammte Ihre Motivation? Und was kann man tun um Menschen für ein Thema zu motivieren, das im Allgemeinen als ziemlich unsexy eingestuft wird? Arbeitssicherheit!?
In der Arbeitssicherheit gibt es zunehmend erlebnisorientierte Lernformate, zum Beispiel Mitmachaktionen, Parcours zur Veranschaulichung der Gefahren beim Gehen, Aktionstage mit Experimentalvorträgen, Theaterveranstaltungen etc. Auch die Weiterbildungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung werden zunehmend nach den Lehren der Ermöglichungsdidaktik [1] ausgerichtet. Dabei wird das Verständnis von einer Lernsituation radikal verändert. Der Wissensvermittler ist nicht länger der Experte, der seinen Wissensvorsprung vorträgt, sondern viel mehr ein Lern-Ermöglicher. Der Experte stellt hier geschickt gestaltete Lernumgebungen zur Verfügung, in denen die Lernenden weitgehend selbstbestimmt Lernmöglichkeiten wahrnehmen. Selbstbestimmung ist ein wesentlicher Aspekt der Ermöglichungsdidaktik und verspricht hohe Motivation.
Handeln: „warum“ und „wozu“
Tatsächlich gibt es verschiedene Theorien, die den Begriff Motivation erklären. Bei allen geht es darum, genauer zu erfassen, „warum“ oder „wozu“ Menschen auf bestimmte Art und Weise handeln. Deshalb beschäftigen sich Motivationstheorien mit Zielen, Wünschen und Absichten, die dem beobachtbaren Verhalten zugrunde liegen.
Ein Beispiel: Der Bergsteiger, der an fünf Tagen pro Woche um 4:00 Uhr morgens aufsteht um vor der Arbeit für eine 7000er-Expedition in den Anden zu trainieren, bewertet das ihm bevorstehende Expeditions- und Gipfelerlebnis offenbar derart positiv, dass er alle mit der Vorbereitung verbundenen Strapazen in Kauf nimmt, um diesen Zustand zu erreichen. Das ist sein persönlicher „positiver Zielzustand“.
Beziehen wir diesen Umstand auf Arbeitssicherheit und Gesundheit, so können wir sicher sein, dass Gesundheit und der Erhalt der Arbeitsfähigkeit durchaus ebenfalls „positiv bewertete Zielzustände“ bei Mitarbeitern sind. Allerdings kann man von einer gewissen Zielhierarchie ausgehen. Das sichere Arbeiten ist in dieser eher untergeordnet platziert. Das ist tatsächlich so und bildet sich auch in Umfragen ab.
Sicherer Arbeitsplatz versus sicherer Arbeitsplatz
In einer Befragung der BAUA „Was ist gute Arbeit?“ [2 ] rangiert das Kriterium Gesundheitsschutz bei der Arbeitsplatzgestaltung im Jahre 2008 auf Rang 7 von 10. Auf Platz 1 steht das feste Einkommen und auf Platz 2 der sichere Arbeitsplatz, wobei das „sicher“ hier ganz sicher eine andere Bedeutung hat.
Wie wohl die Antworten lauteten, wenn man fragen würde: „Was ist Ihnen wichtiger, ein sicherer Arbeitsplatz oder ein SICHERER Arbeitsplatz?“
Kehren wir noch einmal zurück zu unserem Bergsteiger und betrachten dessen persönliches Motiv. Im Zusammenhang mit Extrembergsteigen hört man oft von Flow-Erlebnissen [3]. Flow-Erleben bedeutet ganz aufzugehen in einer (anstrengenden) Tätigkeit, die zur Zielerreichung führt. Hier ist oft schon der Weg das Ziel, der Wettereinbruch kurz vor dem Gipfel, der zum Umkehren zwingt, ist dann zwar tragisch, mindert das Zufriedenheitsgefühl aber nur gering.
Wer einmal Flow erlebt hat, weiß zu schätzen, wie befriedigend es sein kann, sich anzustrengen. Das lustvolle Flow-Erleben ist ein möglicher Grund für das Entstehen von Motivation. Um dieses Gefühl immer wieder zu erleben sucht man immer neue Herausforderungen.
Unbewusstes Motiv sichtbar machen
Bei Arbeitssicherheit geht es neben der Vermittlung von Wissen auch um Motivation. Menschen sollen dazu angeregt werden, sicheres Arbeiten als persönliches Ziel in den Blick zu fassen und eigenständig und aktiv gemäß dieser Bewertung zu handeln. Offenbar ist dies ein überwiegend unbewusstes Motiv. Ein Motiv, das als ganz natürlich vorausgesetzt wird oder ein Zustand, den man nicht ständig neu priorisiert, weil ja die meiste Zeit glücklicherweise nichts passiert. Wie kann es nun also gelingen, das sichere Arbeiten als positiv bewerteten Zielzustand aus dem Schattendasein im Unbewussten herauszuholen? Und wie kann man in der gesamten Belegschaft Interesse wecken?
Ein weit verbreitetes Modell erklärt das Phänomen Interesse als eine sogenannte Personen-Gegenstands-Beziehung [4]. Interesse wird hier definiert als eine besondere Beziehung zwischen einer Person und einem Gegenstand, die durch folgende Merkmale charakterisiert ist:
- den Interessensgegenständen wird eine herausgehobene subjektive Bedeutung beigemessen
- die Person definiert sich selbst über ihre Interessen und fühlt sich bei der Realisierung frei von äußeren Zwängen
- wer sich für eine Sache interessiert, möchte mehr darüber erfahren [4]
- die Ausübung von interessenbasierten Tätigkeiten wird mit positiven Gefühlen wie Spaß, Engagement und Angeregtheit erlebt
Menschliche Grundbedürfnisse
Was es heißt, etwas positiv zu erleben oder wann dies besonders intensiv der Fall ist, wurde ebenfalls erforscht. Die sogenannte Selbstbestimmungstheorie [5][6] besagt, dass es drei psychologische Grundbedürfnisse des Menschen gibt, deren Befriedigung positives Erleben verursacht. Es handelt sich um die Bedürfnisse
- 1. sich autonom und
- 2. kompetent zu erleben sowie
- 3. sich sozial eingebunden zu fühlen.
Wo diese drei Bedürfnisse erfüllt werden, kann die natürliche Tendenz zur Aneignung neuer Kenntnisse und Fähigkeiten voll zum Tragen kommen. [4]
Betrachte man noch einmal unseren Bergsteiger. Inwiefern erfüllen sich diese drei Grundbedürfnisse durch die großen Anstrengungen? Sein Ziel ist es aus eigener Kraft – also autonom – große Leistungen zu vollbringen. Er muss dafür trainieren und sich Kompetenzen aneignen, zum Beispiel Einteilen der körperlichen Energieressourcen, Höhentraining, Sicherheitstechnik; jeder Handgriff muss sitzen. Erwirbt er hier bestimmte notwendige Fähigkeiten und Fertigkeiten, erlebt er sich als kompetent. Schließlich gehört er zu den wenigen Bergsteigern, denen es gelingt in die Zone der 7000er vorzustoßen.
„Du schon wieder …“
Wenn wir uns nun Motivation und Interesse für das Thema Arbeitssicherheit von Vorgesetzten und Kollegen wünschen, welche Möglichkeiten gibt es hier etwas zu bewegen? Was kann man tun, damit sich Mitarbeiter und Kollegen stärker für das Thema Sicherheit interessieren? Und hat man in der Sonderrolle des Sicherheitsbeauftragten vielleicht spezielle Möglichkeiten?
Nun ist der höchste Berg in der Arbeitssicherheit leider nur die Unfallpyramide und ihr Gipfel alles andere als ein positiv bewerteter Zielzustand. Was kann also ein Sicherheitsbeauftragter im Basislager auf kollegialer Augenhöhe dazu beitragen?
Arbeitssicherheitsarbeit wird häufig erlebt als das Definieren und Durchsetzen von Regeln. Das widerspricht ganz eindeutig zwei elementaren Grundbedürfnissen: Autonomie und Kompetenzerleben. Die perfekte Einhaltung von allen Sicherheitsbestimmungen verspricht weiterhin nicht unbedingt die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, die hohes Ansehen genießt. Zugegeben, letzteres nur auf den ersten Blick, denn es ist natürlich durchaus attraktiv zu denen zu gehören, die gesund und sicher arbeiten und leben.
Alles in allem leuchtet es durchaus ein, dass man Schwierigkeiten haben kann, Interesse für das Thema Arbeitssicherheit zu erzeugen. Die Rolle des Sicherheitsbeauftragten bringt dabei einige Aspekte mit sich, die sowohl das Potential haben, Interesse zu wecken, als auch dazu führen können, dass Angesprochene das Thema als lästig und anstrengend empfinden. Eine Beeinflussung des eigenen Handelns durch Einflüsse von außen entgegen der eigenen Ziele oder des eigenen positiven Empfindens nehmen sie als Störung wahr und lehnen sie tendenziell ab. „Das geht so nicht!“ oder „Du musst hier Sicherheitsschuhe tragen!“ kann deshalb zu Reaktionen führen wie: „Du schon wieder!“, „Nerv mich nicht mit Deiner Arbeitssicherheit!“ oder auch nur: „Ja,ja!“
Positive Impulse geben
Wenn es dem Sicherheitsbeauftragten allerdings gelingt, die Ziele der Sicherheitsregeln an die persönlichen Ziele des Kollegen anzubinden, gelingt es leichter, trotz eines Hinweises auf einen Regelverstoß oder einen Missstand in einem positiven Kontakt zu bleiben. „Mir ist wichtig, dass Dir hier nichts passiert!“ oder „Es gibt ’ne Möglichkeit die Tätigkeit so auszuführen, dass Du Dich nicht verletzen kannst. Soll ich Dir die mal zeigen?“ Es ist tatsächlich herausfordernd, sich einerseits um die Einhaltung von Regeln und Bestimmungen zu bemühen und andererseits positiv auf kollegialer Augenhöhe Impulse für sicheres Verhalten zu geben und Interesse und Motivation zu wecken.
Und dennoch gelingt es immer wieder, Menschen von Arbeitssicherheit zu begeistern. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Moment, wo Ihr Interesse für Sicherheitsthemen geweckt wurde. War es ein lebendiger Vortrag, ein AHA-Erlebnis, eine private Erfahrung oder der Moment, in dem ein Sicherheitsbeauftragter für die Abteilung gesucht wurde? Es gibt viele individuelle Zugänge zu dem Thema. Und genau das muss man immer vor Augen haben in der Motivationsarbeit im Betrieb. Oft ist es die Mischung aus Information, Kommunikationswerkzeugen und das Lernen im Erleben, das den entscheidenden Trigger, die passende Anregung liefert für Einsicht in die Wichtigkeit des The- mas und eine bewusste Priorisierung von Arbeitssicherheit.
Ansprechpartner Nr. 1
Sicherheitsbeauftragte haben für diese Motivationsarbeit an sich eine gute Ausgangsposition. Als Kollegen auf Augenhöhe haben sie idealerweise umfassend Kenntnis über die Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen in ihrem jeweiligen Bereich. Sie kennen sich also bestens vor Ort aus. Allerdings sind sie nicht weisungsbefugt. Sie haben also vor allem das Werkzeug der Kommunikation zur Verfügung, um auf Aspekte der Sicherheit hinzuweisen, Informationen weiterzugeben, das Einhalten von Regeln anzumahnen und zum Nachdenken anzuregen.
Sicherheitsbeauftragte sollen und können dem Unternehmer die Verantwortung für Arbeitssicherheit dabei nicht abnehmen, aber ihn in der Ausübung seiner Pflichten unterstützen. Da der Unternehmer selbst nicht ständig und überall vor Ort sein kann, sind also andere damit beauftragt, permanent ein Auge auf die Sicherheit zu werfen. In diesem Rollengefüge des Sicherheitsbeauftragten entstehen die typischen Reibungs- oder sogar Konfliktlinien für Sicherheitsbeauftragte. Da ist einer in der Gruppe, der beobachtet und handelt im Auftrag vom Chef, meldet sogar notfalls mal was nach oben; der weist einen immer wieder auf Dinge hin, die auch ohne seine gut gemeinten Ratschläge schon lange funktionieren etc.
Dennoch sind Sicherheitsbeauftragte in den Abteilungen die Ansprechpartner Nummer 1 wenn es um Sicherheit am Arbeitsplatz geht. Deshalb sind sie auch gute Multiplikatoren beziehungsweise Kristallisationskeime für eine bewusste Sicherheitskultur der Gesamtorganisation und deswegen verdienen sie besondere Aufmerksamkeit im Sinne von Unterstützung, Wertschätzung und Weiterbildung. Das fördert die Motivation der Sicherheitsbeauftragten, immer wieder neu für das Sicherheitsthema entlang aller Reibungslinien einzustehen und die dort entstehende Energie positiv zu nutzen.
Auf der Bühne
Um Herausforderungen zu simulieren hat sich der Einsatz professioneller Schauspieler (Unternehmenstheater) bewährt. Das ist dann besonders wirkungsvoll, wenn es darum geht über Verhaltensweisen nicht nur zu sprechen, sondern diese auch im Erleben zu überprüfen, in Frage zu stellen und zu verändern. Bei dieser interaktiven Form von Unternehmenstheater handelt es sich also um eine moderierte Gruppenarbeit mit speziell geschulten Schauspielern, die als Stellvertreter agieren. [7] Häufig überrascht es mit überaus realistischer Darstellung, intensiver Mitarbeit der Teilnehmer und gut realisierbaren Ergebnissen, die in kurzer Zeit erreicht werden können. Durch die Arbeit mit Alltagssituationen und inneren Konflikten und Herausforderungen der Protagonisten entsteht eine hohe Identifikation und Empathie mit den Figuren auf der Bühne. Mit Interesse wird beobachtet, was passiert, wenn sich diese verändern (lassen).
Nicht nur Sicherheitsbeauftragte können mit dieser Methode ihre kommunikativen Kompetenzen verbessern. Da Unternehmenstheater ein Lernformat ist, das Menschen in den drei psychologischen Grundbedürfnissen sehr gut abholt, hat es großes Potential für das Erzeugen von Interesse und Motivation. Das kann auch für größere Veranstaltungen und Aktionstage genutzt werden.
Erlebnisbetonte Aktionen
Betriebliche Aktionstage und Events sind schon lange keine reinen Wissenstransferveranstaltungen mehr. Immer häufiger kommt es zu erlebnis- und freudbetonten Aktionen: Geh-Parcours, Mitmachaktionen, aufwendige Experimentalvorträge, lebendige Schulungen und Theaterstücke werden erfolgreich eingesetzt. Neben Theater-Inszenierungen sind interaktive Theaterformate vor allem in der Unterstützung der kommunikativen Fertigkeiten sehr wirksam. Seit Jahren hat sich diese Form des Lernens gerade bei der Kommunikationsschulung von Sicherheitsbeauftragten bewährt. Aber auch die Gesamtbelegschaft kann dazu angeregt werden, Arbeitssicherheit gemeinsam stärker in den Vordergrund zu stellen. Auf Sicherheitsaktionstagen oder Betriebsversammlungen hat das interaktive Unternehmenstheater dabei den Vorteil, dass mit großen Gruppen gearbeitet werden kann. In der Interaktivität erleben sich die Zuschauer autonom und auch kompetent, denn es sind ihre Lösungsvorschläge, die auf die Bühne kommen und die die gezeigten Herausforderungen (oder Situationen) verbessern. So braucht es auch in der kollegialen Ansprache weniger einen Sicherheitsbeauftragten, der etwas besser weiß, sondern eher einen Sicherheitsbeauftragten, der in der Lage ist darauf einzuwirken, dass bereits Bekanntes konsequent umgesetzt wird und dass die Kollegen dazu angeregt werden, sich selbst Gedanken zu machen. Eine spannende Aufgabe, die in jedem Fall Unterstützung verdient!
Literatur:
[1] Arnold R. und Gomez Tutor C.: Grundlagen der Weiterbildung: Grundlinien einer Ermöglichungsdidaktik. Augsburg (2007)
[2] Brennscheid F. et. al. (BAUA): Arbeitswelt im Wandel: Zahlen – Daten – Fakten. Ausgabe 2012 – (Datenerhebung 2007/8)
[3] Csikszentmihalyi M.: Das Flow-Erlebnis. Stuttgart (1985)
[4] Krapp A., Weidenmann B. (Hrsg.): Pädagogische Psychologie. (2006)
[5] Deci E.L., Ryan, R.M.: Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39 (1993), 223–238
[6] Krapp A.: Das Konzept der grundlegenden psychologischen Bedürfnisse: Ein Erklärungsansatz für die positiven Effekte von Wohlbefinden und intrinsischer Motivation im Lehr-/Lerngeschehen. Zeitschrift für Pädagogik, 51 (2005), 626–642
[7] Berg M., Ritscher J., Orthey F. et. al.: Unternehmenstheater interaktiv- Themenorientierte Improvisation (TOI) in der Personal- und Organisationsentwicklung. Beltz Verlag, Weinheim und Basel (2002)
Dr. Renate Mayer Training & Beratung in Kooperation mit THEATER-INTERAKTIV
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