Wegeunfälle verursachen nicht nur viel Leid, sondern sogar höhere Kosten als Arbeitsunfälle, unter anderem weil die Verunglückten länger im Krankenhaus bleiben. Sicherheitsbeauftragter sprach mit Jochen Lau, Referatsleiter Unfallprävention – Wege und Dienstwege beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) darüber, was die Fahrt zur und von der Arbeit so gefährlich macht.
Geschehen im Berufsverkehr besonders viele Unfälle?
Jochen Lau: Ja, das zeigen eine Reihe von Untersuchungen zum Wegeunfall. Gefährlich ist besonders die Rushhour morgens zwischen 6 und 9 Uhr und ein zweiter unfallträchtiger Zeitrahmen ist nachmittags zwischen 15 und 18 Uhr. Dass er relativ groß ist, hängt mit flexibler Arbeitszeit und Schichtarbeit zusammen.
Warum passiert zu diesen Zeiten so viel?
Jochen Lau: Das liegt zum einen an der Verkehrsdichte, zum andern am Zeitdruck, unter dem die Fahrer stehen. Sie müssen zu viele Entscheidungen in zu kurzer Zeit fällen. Es kommt Hektik und Unruhe auf, und die sind immer schlechte Begleiter für sicheres Fahren.
Wie sollten sich Autofahrer verhalten?
Jochen Lau: Sie sollten Ärger und Ungeduld zuhause lassen, also nicht darüber nachdenken, dass die Tochter eine schlechte Note bekommen hat, oder was sie schnell noch einkaufen müssen. Und auch nicht, was sie während der Arbeit erledigen wollen. Wie entspannt jemand zur Arbeit oder abends nach Hause fährt, hängt übrigens auch vom Betriebsklima, dem Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen ab. Als Prävention kann man sich außerdem einen Plan B zurechtlegen. Der könnte vorsehen, zum Beispiel im Stau wegen eines Unfalls oder Wasserrohrbruchs in der Firma anzurufen, dass man später kommt anstatt danach schneller zu fahren. Eine weitere Möglichkeit wäre auch, mal den Bus oder die Bahn zu benutzen.
Sind Schichtarbeiter besonders gefährdet, weil sie müde sind?
Jochen Lau: Schichtarbeiter sind tatsächlich eine Risikogruppe. Allerdings ist das noch nicht im Detail untersucht, es gibt ja ganz verschiedene Schichtsysteme. Was man auf jeden Fall sagen kann: Die Länge der Arbeitszeit hat Einfluss auf das Unfallgeschehen bei der Fahrt nach Hause. Egal ob handwerkliche Arbeit oder im Büro, nach zehn Stunden ist man erschöpft. Und dann setzen viele sich ins Auto und bedenken nicht, dass Autofahren auch Schwerstarbeit ist.
Autofahren ist Schwerstarbeit?
Jochen Lau: Ja, obwohl die meisten das nicht wahrhaben wollen. Man muss viele Dinge gleichzeitig machen. Informationen aufnehmen, sie interpretieren und in Handlung für Arme und Beine umsetzen. Umso schneller, je schneller man fährt.
Machen wir das nicht automatisch?
Jochen Lau: Wenn alles glatt läuft schon. Aber man muss sich bewusst sein, dass es in jeder Situation risikoerhöhende Faktoren gibt. Solche Störgrößen können etwa blendende Sonne oder eine nicht funktionierende Ampel sein, oder ein Auto mit Blaulicht, das von hinten heranfährt. Und, lautes Radio hilft morgens zwar wach zu werden, aber es füllt auch unseren Aufnahmetrichter. Wenn dann noch etwas passiert, was keine normale Fahrroutine ist, wird’s schwierig.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Jochen Lau: Wenn Sie eine Kurve auf der Landstraße beispielsweise immer mit 80 Kilometern fahren, und es setzt plötzlich Regen ein, müssen Sie die Geschwindigkeit reduzieren, sonst trägt sie der Schmierfilm aus der Kurve. Oder es überholt ein Fahrzeug auf der Gegenbahn, auch da müssen Sie unvorhergesehen reagieren.
Und auf Landstraßen passieren die meisten Unfälle?
Jochen Lau: Ja, jeder dritte Verkehrsunfall mit Personenschaden ereignet sich auf der Landstraße. Im Jahr 2009 wurden bei Unfällen auf Landstraßen 114.000 Menschen verletzt und 2452 Menschen getötet. Landstraßen sind die Hauptrisikostrecken, weil hier schneller gefahren wird als im Stadtverkehr.
Was sollten Autofahrer auf Landstraßen beachten?
Jochen Lau: Sie sollten auf Überholmanöver verzichten, wenn sie eine Gefährdung nicht zweifelsfrei ausschließen können. Und heftige Gefühle vermeiden, also sich nicht über den „Schleicher“ vor ihnen aufregen. Vielleicht hat der ja gute Gründe langsamer zu fahren, etwa ein krankes Kind im Wagen. Wenn ich Entschuldigungen für andere suche, nimmt mir das selber den Druck. Für wen dies nicht der richtige Weg ist, der sollte sich die Folgen eines Unfalls verdeutlichen. Ein Überholmanöver bringt mich vielleicht einige Minuten eher ans Ziel, aber ein Unfall kann mich monatelang immobil machen.
Das Interview führte Verena Manek.
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