Mit dem Bergmannsgruß „Glück auf“begegnen sich die Bergleute des Bergwerks Prosper-Haniel in Bottrop täglich am Schacht 10. Fast alles Material und ein Großteil der Belegschaft gelangen über diesen Dreh- und Angelpunkt des ganzen Bergwerks unter die Erde. Hier fährt auch Holger Gosch, Bergmann und Sicherheitsbeauftragter, fast jeden Morgen um 6 Uhr zur Frühschicht ein.
BW Prosper-Haniel, Schacht 10 Abteilung Öffentlichkeitsarbeit (WMK) Herrn Klaus Peter Alter Postweg 46244 Bottrop
Mit einem Förderkorb geht es mit circa 10 m/s rund 1000 Meter unter die Erde. Auch Goschs Vater war schon Bergmann, er selbst begann mit 17 Jahren vor nun über zwanzig Jahren seine Lehre im Bergwerk Lohberg in Dinslaken. Als er zum ersten Mal in die Tiefe fuhr, war ihm schon etwas unheimlich. Verständlich, schließlich gab es noch bis in die achtziger Jahren auch in Deutschland schwere Grubenunglücke mit vielen Toten und Verletzten. Unten, auf der sechsten Sohle, erinnert eine kleine Statue der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, an Zeiten, als die Arbeit untertage nicht nur besonders schwer, sondern auch lebensgefährlich war. – Heute ist das anders, zumindest hierzulande. Der deutsche Bergbau gilt bei technischer Ausrüstung, Sicherheit und Umweltschutz weltweit als führend.
Untertage erwartet die Bergleute ein Hauptstreckennetz von derzeit 127 Kilometern. Bis Holger Gosch seinen eigentlichen Arbeitsort erreicht, ist er teilweise bis zu eineinhalb Stunden, erst per Gruben-Bahn, dann weiter zu Fuß unterwegs, auf manchmal unebenen Wegen, bergauf und bergab. Bei befestigten „Decken“ und „Seitenwänden“ muss das Gestein wenigstens von unten „arbeiten“ können. Gosch trägt den im Bergbau üblichen hellen, gut sichtbaren Arbeitsanzug. Außerdem Helm, Lampe, Schutzbrille, Ohrenschützer, eine Flasche mit Wasser und einen CO-Filter-selbstretter. Dieser rund 1,5 Kilogramm schwere CO-Filterselbstretter im Kunststoffgehäuse hängt, wie auch der Akku der Grubenlampe, an einem Gürtel um die Hüfte. Er enthält einen Katalysator, der bei einem Brand entstehendes giftiges Kohlenmonoxid, CO, in Kohlendioxid, CO2, umwandelt. Bei einem Einsatz des ausschließlich als Fluchtgerät dienenden Filters, hängt man sich den Tragegurt des Geräts um den Hals, nimmt das Mundstück in den Mund, umschließt es fest mit den Lippen und setzt die Nasenklammer auf. Dann hat man bei einer Gebrauchszeit von 90 Minuten genug Zeit, um aus den CO belasteten Wettern heraus in unbelastete Frischwetter zu gelangen.
Gefürchtet waren früher so genannte „schlagende Wetter“, ein Gemisch von Luft und dem Grubengas Methan, CH4, das zu Explosionen führen kann, wenn es losen Kohlenstaub entzündet. Auf Prosper-Haniel sorgt eine eigene „Wetterabteilung“ für Sicherheit. Alle Strecken sind durch über 420 Messgeräte überwacht, die permanent Daten zu Wettermenge, Wettergeschwindigkeit, CH4- und CO-Konzentrationen nach Übertage zur Gruben- und Sicherheitswarte senden. Untertage vermerken die verantwortlichen Personen, die vorher mit einem Handmessgerät kontrollierten CH4-Werte auf speziellen Wettertafeln. Ab einer Konzentration von einem Prozent Methan stellt sich alles, was mit elektrischer Spannung zu tun hat, also auch das Licht, von selbst aus. Selbstverständlich sind Rauchen, Feuer, offenes Licht, Kameras und Handys etc. untertage verboten. Jeder elektrische Unfall ist meldepflichtig. Apropos Rauchen: Holger Gosch nimmt schon mal eine Prise Schnupftabak. Traditionell taten das die Bergleute auch um die Nase vom Kohlenstaub frei zu bekommen.
Sicherheitsbeauftragter ist Holger Gosch seit dem Jahr 1989. Sein Reviersteiger hielt ihn für geeignet, weil er sicher arbeitete und gut mit Leuten umgehen konnte. Die Kollegen mit erhobenem Zeigefinger zu ermahnen liegt ihm fern, „sonst würde ich auch nicht akzeptiert“. Aber er gibt schon mal Tipps, wenn ihm bei der gemeinsamen Arbeit etwas auffällt.
Stolperstellen beseitigen
Zu seinen Aufgaben gehört, dass er seinen direkten Vorgesetzten, oder den zuständigen Reviersteiger, zum Beispiel darauf hinweist, wenn eine Not-Aus-Einrichtung beschädigt ist oder etwa andere sicherheitsrelevante Mängel behoben werden müssen. Oder er behebt sie im Rahmen seiner Möglichkeiten sofort selbst: „Wenn irgendwo der Fahrweg z.B. durch Bergebrocken beeinträchtigt ist, beseitigen wir diese Stolperstellen natürlich“, erklärt er. Schon auf seinem Weg zum Streb, wo die Kohle abgebaut wird, hält er die Augen offen. So kontrolliert er zum Beispiel das Datum auf den Wettertafeln, ob Rohre undicht sind, ob Gefahrenschilder richtig angebracht sind, der Lärmbereich ausgeschildert und an den Erste-Hilfe-Stationen das Verbandsmaterial und die Verletztentransporteinheit komplett und in Ordnung sind. Alle zwei Jahre werden die Sicherheitsbeauftragten als Nothelfer nachgeschult. „Es ist ein gutes Gefühl, eingreifen zu können, wenn etwas passiert ist“, meint Holger Gosch, der „zum Glück noch nie in der Situation war“. Damit im Notfall alle das Richtige tun, gibt es einmal im Jahr eine größere Rettungsübung.
Thomas Jeckel, Sicherheitsfachkraft bei der RAG, die Prosper-Haniel betreibt, musste einmal mit einem Notarzt einen Verletzten bergen. Ein typischer Unfall durch Fehlverhalten, meint er, bei dem ein Mitarbeiter auf eine Maschine kletterte und davon abrutschte. Durch vermehrte Schulungen und Sensibilisierung der Mitarbeiter seien Unfälle aber zum Glück stark zurückgegangen. Im letzten Sommer gab es auf dem Bergwerk Prosper-Haniel drei unfallfreie Monate in Folge (ohne Wegeunfälle). Auf Prosper-Haniel arbeiten rund 4500 Menschen, davon rund 1900 untertage. 340 davon sind auf dem Bergwerk Prosper-Haniel als Sicherheitsbeauftragte geschult. Rund ein Drittel der Unfälle geschieht bei der Befahrung, verursacht durch Stolpern, Stürzen und Ausrutschen, erklärt Thomas Jeckel. Außerdem seien die Hände oft betroffen, durch Hammerfehlschlag, Abrutschen eines Schraubenschlüssels oder Ähnliches. Die Kollegen von Holger Gosch sind erfahren, arbeiten schon lange untertage. „Aber gerade dann wird man ja unaufmerksam“, erklärt der Sicherheitsbeauftragte. „Wenn man tagtäglich denselben Arbeitsablauf hat und es ist nie was passiert, denkt man es passiert auch in Zukunft nichts“. Um die Aufmerksamkeit immer wieder wach zu halten, gibt es Fünf-Minuten-Gespräche zu Themen, die Sicherheit und Arbeitsschutz betreffen. Unfälle werden plakativ dargestellt und besprochen. Die Sicherheitsfachkräfte fahren einmal im Monat in jeweils andere Reviere, zeigen dort nicht nur eventuelle Mängel, sondern auch positive Dinge auf, die in anderen Betrieben übernommen werden können.
Einmal im Jahr gibt es eine gründliche Streckenbefahrung mit allen für den Betrieb verantwortlichen Mitarbeitern. Viermal im Jahr tagt der Arbeitsschutzausschuss, bei dem auch die Sicherheitsbeauftragten ihre Erfahrungen darlegen.
Für Sicherheit sorgt auch moderne Technik: Per Sprechfunk können die Bergleute die Verbindung nach Übertage herstellen, zur dortigen zuständigen Bereichs- oder Sicherheitswarte. Diese sind permanent mit Mitarbeitern besetzt, die auf mehreren Monitoren alle Betriebsabläufe überwachen. Dorthin geht auch ein eventueller Störungsbericht, und je nach Auftrag von Mitarbeitern kann zum Beispiel die Bandanlage anlaufen oder die Parameter für die Hobelanlage, die die Kohle aus dem Flöz schält, werden nach Vorgabe neu eingestellt. – Oder auch mal die Ergebnisse von Bochum oder Schalke durchgeben, wie Holger Gosch lachend meint.
Abgebaut wird die Kohle im Streb. Als erstes werden die Abbaubegleitstrecken parallel zueinander aufgefahren, d.h. das Gestein wird herausgeschnitten oder herausgesprengt, dann werden Stahlanker in den Stein eingebracht, mit denen das „Gebirge“ miteinander „verdübelt“ wird. Ankerrolldraht wird an den Ankern befestigt und Stahlbogenausbau zur Unterstützung des Gebirges eingebracht. Hohlräume zwischen Gebirge und Bogenausbau werden dann noch mit Baustoff verfüllt. Danach wird der Strebraum aufgefahren, in dem die ganze Maschinen- und Ausbautechnik installiert wird, die zur Kohlengewinnung notwendig ist. Die komplette Maschinentechnik nehmen die Bergleute jeden Tag ungefähr sieben bis acht Meter mit, und müssen dann auch immer mit etwas veränderten Gegebenheiten klarkommen. Hier, im Streb, dem Herzstück des Bergwerks, ist es noch dunkler, man muss sich bücken oder den Kopf einziehen und über stählerne Maschinenteile, die sich auf dem „Liegenden“ befinden, steigen. Die Abbaumannschaft löst hier mit modernster Gewinnungs- und Ausbautechnik die Kohle aus dem Flöz.
„Staublunge“ ist kein Thema mehr
Die Lösearbeit der Kohle übernehmen der Gleithobel oder der Walzenschrämlader mit einer vorne und hinten angebrachten, meißelbestückten Trommel. Motoren mit einer Gesamtleistung von rund 4500 Kilowatt und Betriebsspannungen von bis zu 1000 Volt treiben die Maschinen an. Elektronische Sensoren, elektrohydraulische Messeinrichtungen und Steuerungen überwachen und koordinieren das Zusammenspiel der mächtigen Maschinen und Anlagen. Erst wenn die computergestützte Steuerung meldet: „Alle Systeme und Parameter betriebsbereit“, kann der Gewinnungsvorgang beginnen. Wenn z.B. die großen Meißel der Hobelanlage mit hoher Geschwindigkeit die Kohle lösen, entsteht natürlich Kohlestaub. Dass er sich nicht ausbreitet, verhindert die in jedem Schildausbau an der Kappenspitze eingebaute Bedüsungseinrichtung mit fein zerstäubtem Wassernebel. Die Bedüsung, die in die Hobelgasse gerichtet ist, wird automatisch zum laufenden Hobel angesteuert und „wandert“ so parallel mit dem Hobel durch den Strebraum auf und ab, so dass der Staub sofort dort gebunden wird, wo er entsteht. Die früher gefürchtete Silikose, auch Staublunge genannte Berufskrankheit von Bergleuten ist heute kein Thema mehr. Bei der alle zwei Jahre vorgeschriebenen medizinischen Untersuchung stellt der Arzt eher die üblichen Zivilisationskrankheiten fest.
„Die Arbeit war körperlich anstrengender,“ vergleicht Holger Gosch mit früher. „Wir hatten eine fahrbare Arbeitsbühne – luftbetrieben, rauf- und runterklettern mussten wir über Holzleitern. Heute sind diese Bühnen mit hydraulischen Schreitwerken angetrieben und die Arbeitsplattform kann ebenfalls hydraulisch verfahren werden.“ Dafür sei die Arbeit heute technisch umfangreicher geworden. Aber die Kollegen würden gründlich geschult, wenn neue Geräte und Maschinen in Betrieb genommen werden, so dass sie diese leistungsfähig und vor allem sicher bedienen können.
Alle Materialien werden zunächst in den söhligen Strecken mit Gleisfahrzeugen (Grubenlok) zu den entsprechenden Bahnhöfen unter Tage transportiert und anschließend in den Flözebenen mit so genannten Dieselzuglaufkatzen, die ähnlich der Wuppertaler Schwebebahn an Ketten aufgehängt, über eine an der Decke angebrachte Schiene geführt werden. Sie können besser Berg und Tal überwinden und engere Kurvenradien fahren als gleisgebundene Fahrzeuge. Auch bei den Dieselkatzen kontrolliert Holger Gosch, ob alles in Ordnung ist. Sie dienen im Notfall auch zum Transport von Verletzten – an den Aufhängevorrichtungen wird dann die Verletztentransporteinrichtung befestigt.
Für die Abförderung der Rohkohlen aus den Abbaubetrieben werden neben Kettenfördern mit Bergebrechanlagen auch Förderband- und Bunkersysteme (zur Vergleichmäßigung des Volumenstroms) genutzt, auf denen die Rohkohlen bis zum circa 3,7 km langen Förderberg transportiert und nach zu Tage gefördert werden.
Beim Ausfahren an Schacht 10 grüßen sich die Bergleute wieder mit „Glück auf“. Aber heutzutage ist es nicht mehr allein Glück, das sie gesund wieder nach oben fahren lässt, sondern ausgefeilte Sicherheitstechnik und kompetentes Sicherheitsmanagement.
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