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Betriebliches Gesundheitsmanagement: Woran hapert es?

Neue Studie zu Entwicklungen und Erfolgsfaktoren
Betriebliches Gesundheitsmanagement: Woran hapert es?

Betriebliches Gesundheitsmanagement: Woran hapert es?
Foto: © Kara - stock.adobe.com
Betrieblich­es Gesund­heits­man­age­ment (BGM): Immer mehr Betriebe bieten Maß­nah­men zur Gesund­heits­förderung an. Doch woran kann es liegen, wenn gut­ge­meinte Ansätze wirkungs­los ver­puffen? Eine neue Studie liefert Empfehlun­gen, wie Unternehmen die Möglichkeit­en des BGM bess­er ausschöpfen.

Basis der Unter­suchung ist eine 2021 ges­tartete, groß angelegte Befra­gung von Betriebs- und Per­son­al­räten. Mehr als 3.700 Beschäftigten­vertre­tun­gen haben sich beteiligt. Forsch­er vom Wirtschafts- und Sozial­wis­senschaftlichen Insti­tut (WSI) der Hans-Böck­ler-Stiftung haben die Antworten aus­gew­ertet und im Okto­ber 2023 einen Abschluss­bericht vorgelegt.

Wandel der Arbeitswelt

Die Studie unter­stre­icht, dass sich die Arbeitswelt im Wan­del befind­et. Das ist keine neue Erken­nt­nis. Immer wieder müssen Arbeitsmeth­o­d­en und Arbeit­sor­gan­i­sa­tion auf tech­nis­che Entwick­lun­gen bei Arbeitsmit­teln und Pro­duk­tionsver­fahren, gesellschaftliche Trends oder neue geset­zliche Vor­gaben reagieren. Als kennze­ich­nend für die aktuellen – durch die Coro­n­a­pan­demie wie auch Dig­i­tal­isierung getrig­gerten – Verän­derun­gen gelten:

  • die Zunahme von orts- und zeit­flex­i­blen Arbeitsformen
  • alternde Belegschaften auf­grund des demografis­chen Wandels
  • Arbeit­skräfte-Eng­pässe durch dünne Per­son­aldeck­en und Fachkräftemangel

Laut der WSI-Studie standen in der Arbeit von Betriebs- und Per­son­al­räten zudem die The­men Über­stun­den, Arbeitsin­ten­sivierung sowie Zeit- und Leis­tungs­druck weit oben auf der Tage­sor­d­nung. Dazu kom­men die Fol­gen der Coro­n­akrise für betriebliche Abläufe und damit zusam­men­hän­gend die vie­len Fra­gen zu mobil­er Arbeit und Home­of­fice. Die Studie des WSI zeigt, wie Instru­mente der Betrieblichen Gesund­heits­förderung dabei unter­stützen kön­nen, diese vielfälti­gen Her­aus­forderun­gen zu bewältigen.

Erkennbare Fortschritte

Die gute Nachricht lautet: Immer mehr der befragten Betriebe machen Gefährdungs­beurteilun­gen. Die soge­nan­nte Durch­führungsquote ist laut den WSI-Erhe­bun­gen deut­lich gestiegen. Erfreulich zu lesen ist auch, dass viele Betrieb­sleitun­gen und Inter­essen­vertre­tun­gen sich zulet­zt inten­siv mit Gesund­heit­s­the­men befasst haben. Das liegt auch daran, dass der betriebliche Arbeitss­chutz durch die Coro­na-Pan­demie in vie­len Betrieben stärk­er ins Zen­trum der Aufmerk­samkeit gerückt ist.

Dieser Trend zeigt sich auch bei der Gesund­heits­förderung. Knapp drei Vier­tel der befragten Betriebe haben 2021 BGF-Maß­nah­men ange­boten, 2015 war dies erst bei jedem zweit­en Unternehmen der Fall. Dabei ist ein deut­lich­er Größen­ef­fekt zu beobacht­en. Je mehr Beschäftigte ein Betrieb hat, desto eher gibt es BGF-Maß­nah­men. Bei weniger als 50 Beschäftigten sind es knapp 6 von 10 Betrieben, bei mehr als 500 Beschäftigten dage­gen mehr als 8 von 10. Die gle­iche Ten­denz zeigt sich beim Betrieblichen Eingliederungs­man­age­ment (BEM) (siehe Grafik).

 

Betriebliches Gesundheitsmanagement: BGM/BEM in Abhängigkeit von der Betriebsgröße
BGM/BEM in Abhängigkeit von der Betrieb­s­größe
Grafik: © WSI-Report Nr. 89

Nicht alle Betriebe erfasst

Zu bedenken ist bei dieser pos­i­tiv­en Entwick­lung jedoch, dass in der aktuellen Studie nur Betriebe mit Inter­essen­vertre­tun­gen erfasst wur­den. In Unternehmen oder Ein­rich­tun­gen ohne Betriebs- oder Per­son­al­rat dürfte das Engage­ment für den Gesund­heitss­chutz – so sieht es auch das WSI – geringer aus­fall­en. Denn dass ein BGM die Basis für eine langfristige Gesund­heit­spräven­tion legt und damit eine große Chance darstellt, Fachkräfte zu hal­ten und Fehlzeit­en zu senken, wird noch längst nicht in allen Betrieben begriffen.

Grenzen und Hemmnisse im betrieblichen Gesundheitsmanagement

Im betrieblichen Gesund­heitss­chutz fehlt es eher sel­ten an Geld, dafür umso öfter an Zeit und an Per­son­al – auch dies wird in der Studie deut­lich. Es hapert bere­its bei den Gefährdungs­beurteilun­gen, als typ­is­che und häu­fige Knack­punk­te wer­den genannt:

  • Man­gel­nde Kon­se­quenz: Gefährdungs­beurteilun­gen wer­den „nur halb­herzig und bürokratisch abgear­beit­et“, haben aber keine oder zu geringe Folgen.
  • Kein Umset­zen: Konkrete Schritte zu tat­säch­lichen Verbesserun­gen bleiben aus.
  • Fehlende Par­tizipa­tion: Beschäftigte wer­den in Gefährdungs­beurteilun­gen zu wenig einge­bun­den, es fehlen konkrete Beteiligungsmöglichkeiten.
  • Wis­sens­män­gel: Fehlen­des Fach­wis­sen und die Kom­plex­ität der geset­zlichen Aufla­gen wirken hemmend.
  • Unvoll­ständigkeit: Ins­beson­dere psy­chis­che Belas­tun­gen wer­den häu­fig nur ober­fläch­lich oder gar nicht erfasst.

Ger­ade beim let­zten Punkt soll­ten Sicher­heits­beauf­tragte wach­sam bleiben und gegebe­nen­falls nach­hak­en. Das Erfassen psy­chis­ch­er Belas­tun­gen in den Gefährdungs­beurteilun­gen hat sich zwar ins­ge­samt verbessert, ist aber noch immer keine Selb­stver­ständlichkeit in Betrieben und Unternehmen.

Es müssen Taten folgen

Schlechte Arbeits­be­din­gun­gen stellen ein erhe­blich­es Risiko für Kör­p­er und Psy­che dar. Gefährdungs­beurteilun­gen sollen dies aufdeck­en und Gegen­maß­nah­men find­en. Soweit die The­o­rie. Die Studie bemän­gelt, dass in der Prax­is der Prozess der Gefährdungs­beurteilung oft auf halbem Weg steckenbleibt,

Das kann an den oben genan­nten Grün­den liegen oder daran, dass Ver­ant­wortliche und Entschei­der vor nach­halti­gen Änderun­gen zurückschreck­en. In weniger als jedem drit­ten Betrieb beziehungsweise jed­er drit­ten Dien­st­stelle wur­den aus den Gefährdungs­beurteilun­gen abgeleit­ete Maß­nah­men auch tat­säch­lich umgesetzt.

Doch wenn auf Gefährdungs­beurteilun­gen keine Tat­en fol­gen, bleiben auch die Möglichkeit­en eines BGM begren­zt – mit erhe­blichen Nach­wirkun­gen. Denn wo die konkreten Befunde nicht kon­se­quent Hand­lungss­chritte aus­lösen, um krankmachende Arbeits­be­din­gun­gen zu verän­dern, wer­den Beschäftigte keine betrieblichen Verbesserun­gen wahrnehmen. Damit entste­ht der Ein­druck, dass ein BGF oder BGM let­ztlich nichts bringt. Die Akzep­tanz für Maß­nah­men sinkt, eben­so die Bere­itschaft für Verän­derun­gen – ein Teufelskreis!

 

Betriebliches Gesundheitsmanagement: Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, Antworten der Betriebs- und Personalräte
Schwierigkeit­en bei der Umset­zung des Arbeits- und Gesund­heitss­chutzes, Antworten der Betriebs- und Per­son­al­räte (Angaben in Prozent)
Grafik: © WSI-Report Nr. 89

Betriebliches Gesundheitsmanagement ist kein Selbstläufer

Es genügt nicht, Konzepte zur Förderung von Gesund­heit und gesun­den Arbeits­be­din­gun­gen zu ken­nen und anzukündi­gen. Schritte müssen umge­set­zt und evaluiert, Ansätze über­dacht und immer wieder neu ges­tartet wer­den. Denn es ist abzuse­hen, dass uns viele der aktuellen Fra­gen weit­er­hin beschäfti­gen wer­den, zum Beispiel

  • die Vere­in­barkeit von Fam­i­lie und Beruf durch Konzepte für flex­i­ble und vere­in­barkeits­fre­undliche Arbeitszeiten
  • der Schutz vor psy­chis­ch­er und physis­ch­er Über­las­tung durch angemessene Arbeit­szeitregelun­gen und Pausengestaltungen
  • alterns­fre­undliche Arbeit­splätze, an denen die Arbeits­be­din­gun­gen an die Bedürfnisse älter­er Beschäftigter angepasst sind.

Konsequente Wiedereingliederung

Auch die betriebliche Wiedere­ingliederung muss kon­se­quent ver­fol­gt wer­den. Chro­nisch erkrank­te oder verun­fallte Kol­legin­nen und Kol­le­gen, die arbeits­fähig und motiviert sind, dür­fen nicht aus­gegliedert wer­den. Hier sind alle Maß­nah­men zu prüfen, die einen Ein­satz entsprechend den indi­vidu­ellen Fähigkeit­en ermöglichen. Das ist eine Win-Win-Sit­u­a­tion, auch angesichts des in immer mehr Branchen spür­baren Per­son­al- und Fachkräftemangels.

Nicht wenige der aktuellen Entwick­lun­gen in Poli­tik und Gesellschaft sind besorgnis­er­re­gend. Auch die dig­i­tal­isierte, automa­tisierte, ver­net­zte und kün­stlich intel­li­gente Arbeitswelt 4.0 kann bedrohlich wirken und hat ihre Tück­en. Doch in jedem Wan­del entste­ht auch Neues und Verän­derun­gen bieten stets auch Chan­cen. Betriebe, die diese Chan­cen erken­nen und nutzen mit dem Ziel gesun­der, alterns­gerechter und fam­i­lien­fre­undlich­er Arbeits­be­din­gun­gen, sind für die Zukun­ft gerüstet.


Autor: Dr. Fried­helm Kring
freier Jour­nal­ist, Redak­teur und Referent
 
Foto: pri­vat

Der Report

Der WSI-Report Nr. 89 „Betriebliche Arbeitswelt und Poten­ziale des Gesund­heitss­chutzes, Ergeb­nisse der WSI-Betriebs- und Per­son­al­räte­be­fra­gung 2021“ von Elke Ahlers und Vale­ria Quispe Vil­lalo­bos ist im Okto­ber 2023 erschienen. Der 18-seit­ige Bericht kann unter www.wsi.de Leis­tun­gen Veröf­fentlichun­gen WSI Reports im PDF-For­mat herun­terge­laden werden.


Sibe: Wertvolle Impulse von der Basis

Ger­ade Sicher­heits­beauf­tragte kön­nen bei betrieblichen Gesund­heit­sak­tiv­itäten wesentliche Impulse geben:

  • Brin­gen Sie sich ein, wenn Gesund­heits­maß­nah­men in Pla­nung sind. Denn gut­ge­meinte, aber halb­herzige Aktio­nen über die Köpfe der Betrof­fe­nen hin­weg ver­puffen oft wirkungs­los. Gezielte und auf die tat­säch­lichen Bedürfnisse der Belegschaft abges­timmte Schritte wirken effek­tiv­er. Dazu benöti­gen die pla­nen­den Akteure den Input von der Basis.
  • Brin­gen Sie sich auch ein in Gefährdungs­beurteilun­gen und ermuntern Sie Ihr Arbeit­sum­feld dazu. Sie spüren am besten, wo der Schuh drückt und wo Arbeits­be­din­gun­gen krank machen. Manche kör­per­lichen oder psy­chis­chen Arbeits­be­las­tun­gen sind nicht auf den ersten Blick erkennbar. Ger­ade bei psy­chis­chen Belas­tun­gen bringt das Auswerten von Frage­bö­gen und ein pauschales Analysieren wenig, wenn der Aus­tausch mit den Beschäftigten fehlt.
  • Suchen Sie Gle­ich­gesin­nte bei den Inter­essen­vertretern. Betriebe mit Betrieb­srat set­zen deut­lich mehr Maß­nah­men für die Gesund­heit der Beschäftigten um als Betriebe ohne Mitbes­tim­mung. Gemein­sam fällt es leichter, nicht lock­er zu lassen, wenn ver­ant­wortliche Akteure sich vor unlieb­samen, aber notwendi­gen Hand­lungss­chrit­ten scheuen und am Sta­tus Quo fes­thal­ten wollen.

Was ist was?

  • Betrieblich­es Eingliederungs­man­age­ment (BEM): ein geset­zlich vorgeschriebenes Ver­fahren, das Beschäftigte nach län­ger­er Krankheit oder Reha bei der Rück­kehr in ihren Job unter­stützen soll. BEM ist verpflich­t­end für den Arbeit­ge­ber, sobald jemand mehr als sechs Wochen im Jahr arbeit­sun­fähig ist.
  • Betriebliche Gesund­heits­förderung (BGF): ein Ober­be­griff über alle Maß­nah­men, die – ergänzend zum geset­zlichen Arbeitss­chutz – der Mitar­beit­erge­sund­heit dienen, vom Gestal­ten gesun­der Arbeits­be­din­gun­gen bis zum Stärken indi­vidu­eller Kom­pe­ten­zen, etwa durch Beratung und Kurse zu Ergonomie, Ernährung, Sucht­präven­tion oder Stressbewältigung.
  • Betrieblich­es Gesund­heits­man­age­ment (BGM): ein frei­williges Instru­ment als fes­ter Bestandteil der Unternehmen­spoli­tik, um sys­tem­a­tisch die Gesund­heit der Beschäftigten zu erhal­ten und zu fördern.
  • Betriebliche Gesund­heitsvor­sorge umschreibt alle Maß­nah­men, die der Präven­tion von Krankheit­en dienen und wird der BGF zugeordnet.
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