Ist die Beleuchtung an den Arbeitsplätzen und Verkehrswegen funktionsfähig? Sind die Geräte und andere Arbeitsmittel ohne sichtbare Mängel? Ist die vorgeschriebene Persönliche Schutzausrüstung vorhanden und wird sie auch konsequent benutzt? Fragen wie diese haben die Sicherheitsvertrauensleute im Hinterkopf, wenn sie in ihrem jeweiligen Ausbildungsbetrieb im Chemiepark Marl unterwegs sind.
Eine von ihnen ist Amna Kero (22), angehende Chemikantin bei der Firma Sasol Deutschland. Auch Leonie Reichert (18) hat sich für diese „ehrenamtliche“ Funktion entschieden. Sie macht die Ausbildung zur Chemielaborantin bei der Synthomer GmbH. Beide befinden sich im zweiten Lehrjahr und haben sich bereit erklärt, zusätzlich zu ihren regulären Aufgaben den Arbeitsschutz mit im Blick zu haben – natürlich immer unter der Obhut der jeweiligen Sicherheitsbeauftragten und ‑verantwortlichen.
Auch wenn es sich um zwei verwandte Berufe handelt, sehen die Gefährdungen, die in ihren Betrieben auftreten können, oftmals unterschiedlich aus, genauso wie die jeweils zu ergreifenden Schutzmaßnahmen.
Typische Gefährdungen
Synthomer hat sich als globales Unternehmen mit mehr als 35 Standorten auf die Produktion und den Vertrieb von synthetischem Latex sowie anderen Emulsionspolymeren spezialisiert. „Wir werden komplett im Labor eingesetzt“, berichtet Leonie Reichert von ihrer betrieblichen Ausbildung. „Also müssen wir einen Kittel, eine Schutzbrille und Schutzhandschuhe tragen, damit zum Beispiel flüssige Gefahrstoffe nicht an unsere Haut oder Augen gelangen, falls es Spritzer gibt oder mal etwas umkippt.“
Auch Unfälle mit Glasapparaturen sind ein potenzielles Risiko. „Dann ist es wichtig, erstmal nichts anzufassen, weil die Scherben auch mit Chemikalien benetzt sein könnten.“ Wer die Scherben beseitigt, wechselt zunächst von den Einweghandschuhen auf Schnittschutzhandschuhe, die für solche Fälle bereitliegen.
Die Auszubildende achtet stets darauf, dass es alle im Team so machen. Und auf noch etwas legt sie Wert: „Die Einweghandschuhe trägt man nur beim Umgang mit den Chemikalien, danach müssen wir sie immer gleich vorsichtig mit einer bestimmten Technik ausziehen und entsorgen, denn ansonsten könnten die Gefahrstoffe zum Beispiel auch auf Türklinken gelangen.“
Auch Amna Kero ist oft im Labor tätig, denn die Sasol Germany GmbH produziert und vermarktet verschiedenste organische und anorganische Chemieprodukte. Die Ausbildung zur Chemikantin beinhaltet weitreichende Aufgaben in Bereichen wie Prozesstechnik und Verfahrenstechnik.
„Deswegen haben wir eine umfangreichere Persönliche Schutzausrüstung als die Chemielaboranten“, erklärt sie. „Wir tragen bei bestimmten Tätigkeiten zum Beispiel einen Ganzkörperanzug oder eine Korbbrille oder auch mal Handschuhe mit erweiterten Funktionen wie Hitzeschutz, wenn wir eine sehr heiße Probe entnehmen.“
Bevor sie in den Anlagen arbeiten dürfen, erlernen die Auszubildenden solche Dinge zunächst in Lehrgängen bei Evonik (mehr zur Ausbildung im Chemiepark Marl im Infokasten am Ende des Beitrags).
Respektiert von allen Mitarbeitenden
Im Chemiepark Marl wird allen Auszubildenden und Fachkräften von Anfang an vermittelt, welchen Stellenwert der Arbeitsschutz hat. Doch bei aller Vorsicht und Voraussicht kann auch hier immer mal etwas passieren. Letztlich werden auch deswegen Sicherheitsbeauftragte eingesetzt.
Bei Evonik beginnt diese Brückenfunktion zwischen den Arbeitsschutzakteuren und anderen Beschäftigten bereits auf der Ausbildungsebene. Mit den jeweiligen Sicherheitsbeauftragten und der Ausbildungsleitung arbeiten die SVL eng zusammen. Sie alle treffen sich regelmäßig, um im Austausch zu bleiben. Auch bei den Betriebsbegehungen sind sie mit dabei.
Die Sicherheitsvertrauensleute machen andere Azubis – und genauso auch bereits ausgelernte Kollegen oder Kolleginnen – darauf aufmerksam, wenn mal etwas vergessen wurde oder nicht stimmt, wie Leonie Reichert berichtet. „Bei uns im Labor war zum Beispiel neulich eine Glasapparatur zu nah am Rand des Labortisches aufgebaut. Man weist dann die anderen darauf hin, dass dies eine potenzielle Gefahr darstellt.“
Wie fühlen sich die beiden Auszubildenden, wenn sie einem „alten Hasen“ erklären, dass er eine Schutzmaßnahme übersehen hat? „Das war auch ein Thema, über das wir in der SVL-Schulung gesprochen haben“, erinnert sich Amna Kero. „Da habe ich die Frage gestellt, wie man das am besten jemandem erklärt, der schon seit 20 Jahren im Betrieb ist und dem in all dieser Zeit noch nie etwas passiert ist.“
Die Sicherheitsfachkraft erläuterte den jungen Akteuren im Arbeitsschutz daraufhin, wie so etwas auf kollegialer Ebene kommuniziert werden kann, ohne so zu wirken, als würde sich ein Azubi als „Boss“ aufspielen. Meist stößt der Fachkräfte-Nachwuchs jedoch ohnehin auf offene Ohren.
„Im Grunde wollen ja alle zum Feierabend heil und gesund nach Hause gehen“, weiß die angehende Chemikantin. „Es kommt so gut wie nie vor, dass bei uns jemand zum Beispiel keinen Bock hat, eine Schutzbrille zu tragen. Wenn mal etwas ist, liegt es fast immer daran, dass die Person es einfach nur vergessen hat. Die meisten sind sogar richtig froh, wenn man sie daran erinnert.“
Ausgewählt für den Arbeitsschutz
Die Sicherheitsvertrauensleute werden innerhalb ihrer Ausbildungsgruppen zu Beginn der Lehrzeit gewählt. Bis zu zwei Personen pro Gruppe können diese zusätzliche Aufgabe übernehmen. Es ist auch möglich, sich selbst als Kandidat oder Kandidatin vorzuschlagen. So haben es auch Leonie Reichert und Amna Kero gemacht. Beide hatten schon Gefallen am Thema Arbeitsschutz gefunden, als sie ihre ersten Sicherheitsunterweisungen bekamen.
Jeweils im zweiten Halbjahr des ersten Ausbildungsjahres werden die „frischen“ SVL dann zunächst von einer Sicherheitsfachkraft und dann von den Sicherheitsbeauftragten des jeweiligen Ausbildungsbereichs geschult. Zurzeit gibt es Überlegungen, die Schulung der SVL durch Fachkräfte der BG RCI unterstützen zu lassen – ähnlich wie bei Sicherheitsbeauftragten.
Die Inhalte der SVL-Schulung
„In der Schulung mit der Sicherheitsfachkraft haben wir hauptsächlich über das TOP-Prinzip gesprochen, also die Reihenfolge der Schutzmaßnahmen“, berichtet Amna Kero. „Ein großes Thema war auch das Befolgen von Vorschriften und dass wir als Sicherheitsvertrauensperson auch wirklich dahinterstehen. Schließlich haben wir ja auch eine Vorbildfunktion.“
Während das Grundseminar für die Sicherheitsbeauftragten in der Regel fünf Tage dauert, werden die SVL eintägig geschult. Dabei geht es vor allem um ihre Aufgaben und wie sie sich in dieser Rolle verhalten sollten. Für die Schulung und die Arbeitsschutzaufgaben werden sie freigestellt, sodass sie neben dem Lernen für ihre Ausbildung keine Extrazeit dafür verwenden müssen.
Engagement ausbaufähig
Können sich die beiden vorstellen, perspektivisch noch mehr im Arbeitsschutz aktiv zu sein? „Auf jeden Fall“, sagt Amna Kero. „Mir macht das richtig Spaß und ich achte nun auch allgemein viel mehr auf Sicherheit. Ich könnte mir vorstellen, nach der Ausbildung noch ein paar Lehrgänge zu machen und Sicherheitsbeauftragte oder sogar Fachkraft für Arbeitssicherheit zu werden.“ Leonie Reichert schließt sich dem an. „Ich fände es spannend, mich mehr auf den Bereich Brandschutz zu spezialisieren.“
„Klassensprecher mit Sprachrohrfunktion“
Herr Kappe, mit den Sicherheitsvertrauensleuten macht Evonik mehr, als der Gesetzgeber in Sachen Arbeitsschutz vorschreibt. Was ist der Grund?
Wir möchten alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unser Sicherheitskonzept integrieren. Indem wir Auszubildende mit einbeziehen, machen wir einerseits von Anfang an deutlich, wie hoch unser Sicherheitsbewusstsein generell ist, und andererseits bewirken wir, dass die jungen Leute sich ebenfalls vertreten fühlen. Sie sollen nicht nur von den Vorgaben hören, die sie zu erfüllen haben, sondern sie sollen auch spüren: Ihr seid dabei und könnt mit beeinflussen, wie wir den Arbeitsschutz gestalten. Uns geht es also darum, den Sibe-Gedanken auch auf der Ausbildungsebene umzusetzen.
Inwiefern profitieren das Unternehmen und seine Führungskräfte davon?
Vorteilhaft ist, dass die SVL selbst zu den Auszubildenden gehören und sozusagen die Rolle von Klassensprechern oder Vertrauensschülern übernehmen. So können andere Azubis getrost auf sie zukommen und trauen sich vielleicht eher, eine Sicherheitslücke ihnen gegenüber anzusprechen als gegenüber den Vorgesetzten. Die jeweilige Sicherheitsvertrauensperson fungiert also als Sprachrohr und „übersetzt“ dies dann zum Beispiel dem Ausbilder oder mir als Sicherheitsreferenten.
Wir sind sehr daran interessiert zu prüfen: Haben wir hier immer noch eine Schwachstelle? Können wir unseren Arbeitsschutz noch weiter optimieren? Da hilft es durchaus, auch den Blick der jungen Leute mit aufzunehmen.
„Eine echte Bereicherung“
Mario Wenning ist Ausbilder für Chemikant/innen und Sicherheitsbeauftragter in der Ausbildung bei der Evonik Operations GmbH in Marl. Er findet die Einbindung der Azubis in die Arbeitsschutzsorganisation durchweg positiv.
Herr Wenning, wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsvertrauensleuten?
Die SVL sind beispielsweise bei unseren Unfalldiskussionen und Arbeitssicherheitsbegehungen voll mit eingebunden. Das hat sehr positive Effekte, weil ich natürlich nur die Situation hier bei Evonik erlebe und kenne. Die Auszubildenen wiederum bringen viel Input aus ihren Betrieben mit, in denen die organisatorischen Abläufe vielleicht anders sind, die Gefährdungen und Schutzmaßnahmen anders aussehen können und beispielsweise andere PSA eingesetzt wird. Die SVL können also auch berichten, wie Arbeitsschutz in ihren Ausbildungsbetrieben gehandhabt wird und somit neue, andere Aspekte oder Betrachtungswinkel hier bei uns mit einbringen. Das ist eine echte Bereicherung.
Wie kommen die SVL bei den anderen, insbesondere älteren Mitarbeitenden an, wenn sie auf Versäumnisse im Arbeitsschutz hinweisen?
Durchweg positiv. Zumindest ist mir nicht bekannt, dass man damit negative Erfahrungen gemacht hätte. Wir hatten vor ein paar Jahren auch mal eine Kampagne, die hieß „Sprich mich an – danke!“. Gemeint war damit, dass einerseits diejenige Person, die eine Schwachstelle im Arbeitsschutz bemerkt, keine Hemmschwelle haben sollte, dies offen anzusprechen, weil andererseits die angesprochene Person das auch nicht negativ auffassen sollte, sondern einfach nur als gut gemeinte Erinnerung: Pass auf, Du macht da gerade etwas, das dir selbst Schaden zufügen könnte. Unser Ziel war aufzuzeigen, dass jeder für solche Hinweise dankbar sein sollte und entsprechend freundlich reagiert.
Ausbildung im Chemiepark Marl
Die Evonik Industries AG ist Standortbetreiberin des Chemieparks Marl. In diesem sind über 25 weitere, eigenständige Unternehmen dieser Branche angesiedelt, unter anderem auch die Sasol Germany GmbH und die Synthomer GmbH. All diese Betriebe führen zusammen mit Evonik eine Verbundausbildung durch. Das bedeutet, der betriebliche Teil mit den firmenspezifischen Inhalten erfolgt jeweils dort.
Außerdem gibt es einen allgemeinen, fachpraktischen Teil mit Inhalten zur Chemie, der in den Schulungsräumlichkeiten von Evonik stattfindet – etwa einen Raum mit verfahrenstechnischen Kleinstanlagen, in dem Prozessleittechnik unterrichtet wird. Hier stehen Modellanlagen, mit denen sich zum Beispiel Und- und Oder-Schaltungen programmieren lassen. Der Sinn der Sache: An diesen dürfen auch Fehler gemacht werden, aus denen alle lernen können, weil dann im laufenden Betrieb der „echten“ Anlagen nichts schiefgehen kann.
Diese Praktika finden an einzelnen Tagen statt oder auch mal für zwei oder drei Wochen im Block. Der jeweilige Theorieunterricht ergänzt die Ausbildung. Im Chemieparkt Marl wird insgesamt in rund 30 Ausbildungsberufen und dualen Studiengängen ausgebildet, darunter insbesondere für die Berufe Chemikant/in und Chemielaborant/in.