Albert Einstein wusste es bereits vor vielen Jahren: „Das Leben ist wie Fahrrad fahren. Um die Balance zu halten, musst Du in Bewegung bleiben.“
Zitate von Einstein haben mich schon immer motiviert bei meiner Arbeit. Und dieses Zitat beschreibt exakt, wie wir Arbeitsschützer die Situation während und auch nach der Corona-Pandemie erlebt und wie wir darauf reagiert haben: Dynamische Prozesse benötigen dynamisches Handeln, um dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess gerecht zu werden.
Als Fachkraft für Arbeitssicherheit in der BASF am Standort Ludwigshafen berate ich Führungskräfte und Mitarbeitende aus Verwaltungseinheiten im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Der Schwerpunkt meiner Beratung liegt in der Ergonomie am Bildschirmarbeitsplatz bei neuen Arbeitsformen wie mobiles Arbeiten im Homeoffice und bei Desk-Sharing.
Präventionskultur: Menschen motivieren, sicher zu arbeiten
Die Corona-Pandemie mit dem Grundprinzip Homeoffice war für viele Unternehmen neu, natürlich auch für die BASF. Und nun – 3 Jahre später – sind wir mittendrin im New-Work-Zeitalter: Es wird weiterhin hybrid gearbeitet, dank neuer Arbeitsformen. Zeit- und ortsflexibel zu arbeiten, liegt voll im Trend und hält auch nach der Corona-Pandemie weiter an.
Neue Arbeitsformen – neue Angebote
Wer als Unternehmen bei den neuen Arbeitsformen die Balance für seine Mitarbeitenden in Sachen Sicherheit und Gesundheit halten möchte, der muss in Bewegung bleiben und auch seine Präventionskultur an die neuen strukturellen digitalen Änderungen anpassen. Denn neue Arbeitsformen benötigen auch neue Präventionsangebote. Doch zunächst: Was ist mit Prävention gemeint?
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) definiert Prävention wie folgt: „Prävention ist im Gesundheitswesen ein Oberbegriff für zielgerichtete Maßnahmen und Aktivitäten, um Krankheiten oder gesundheitliche Schädigungen zu vermeiden, das Risiko der Erkrankung zu verringern oder ihr Auftreten zu verzögern.“ Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) ergänzt, dass zeitgemäße Prävention einem ganzheitlichen Ansatz folgt, der sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Maßnahmen genauso einschließt wie den Gesundheitsschutz.
Was sind nun die Herausforderungen, Herangehensweisen und Meilensteine einer solchen Präventionskultur? Wie kann sich Präventionskultur inhaltlich und strategisch weiterentwickeln, in einer sich schnell wandelnden Arbeitswelt?
Seit der Gründung der BASF im Jahr 1865 durch Friedrich Engelhorn hat sich der Standort Ludwigshafen zum größten zusammenhängenden Chemie- areal der Welt entwickelt. Gut ein Drittel der BASF-Mitarbeitenden arbeitet hier. Neben 200 Produktionsbetrieben bringen Verwaltungseinheiten unter anderem in den Bereichen Personal, Finanzen, Recht, Kommunikation sowie Umwelt, Gesundheit und Sicherheit Leistungen für die gesamte BASF-Gruppe.
Die BASF kann aufgrund ihres über 150-jährigen Bestehens auf einen großen arbeitsmedizinischen Erfahrungsschatz unter anderem auch im Bereich der Präventionskultur zurückgreifen. Die Inanspruchnahme des medizinischen Angebots wuchs stetig mit den Bedürfnissen der Mitarbeitenden.
Knapp 70.000 Untersuchungen
Das 1953 errichtete Ambulanzgebäude ist nun nach 78 Jahren Nutzungsdauer reif für einen Restart mit innovativen Gesundheitskonzepten für Mitarbeitende und Nachbarn: dem Medical Center. Die Inbetriebnahme des Medical Centers mit fachärztlichen Einrichtungen und einer physiotherapeutischen Praxis ist für Mitte 2023 geplant.
Knapp 70.000 arbeitsmedizinische Untersuchungen und Vorsorgemaßnahmen werden pro Jahr in der BASF-Ambulanz durchgeführt. Dazu kommen noch rund 33.000 Mitarbeiter jährlich, die die Akutambulanz in Anspruch nehmen.
2022 wurde der BASF durch den Dachverband der Betriebskrankenkassen ein hervorragendes Betriebliches Gesundheitsmanagement attestiert und dem Unternehmen das Deutsche Siegel Unternehmensgesundheit in Gold verliehen. Dieser Erfolg beruht wesentlich darauf, dass das Zusammenspiel der einzelnen Disziplinen Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit, HR, BEM-Team und der BASF-Stiftung funktioniert.
Ein konkretes Beispiel für die gute Zusammenarbeit ist die Begleitung des Wandels von „Präsenz vor Ort“ zu „FlexWork“. Alle BASF-Arbeitsschutzakteure zogen hierbei an einem Strang – mit dem Ziel, präventiv die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeitenden zu erhalten und zu fördern.
Gefährdungsbeurteilung im Homeoffice
Den Startschuss gab der Betriebsrat mit der Verabschiedung von zwei neuen Betriebsvereinbarungen, die dem notwendigen Wandel hin zu neuen Arbeitsformen einen rechtlichen Rahmen gegeben haben: erstens Regelungen zum mobilen Arbeiten im Homeoffice und zweitens die flexible Nutzung von Desk-Sharing-Büroarbeitsplätzen. In beiden Dokumenten ist die Beurteilung der Gefährdungen und Belastungen – insbesondere der ergonomischen und psychischen Faktoren – gefordert.
Als Arbeitsschützer war ich bei der Ausarbeitung der entsprechenden BASF-internen Muster-Gefährdungsbeurteilungen beteiligt. Hierbei handelt es sich um eine Handlungshilfe für disziplinarische Führungskräfte zur Umsetzung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilungen. Gefährdungen und Maßnahmen, die sich aus den neuen Arbeitsformen ergaben, wurden im risikobasierten Unterweisungskonzept mit aufgenommen, welches bereits bei BASF seit längerer Zeit etabliert ist.
Wichtige Komponente Kompetenzentwicklung
Die Kompetenzentwicklung der Mitarbeitenden stellt eine wichtige Komponente in der veränderten Arbeitsorganisation dar. Am Beispiel der Ergonomie ist leicht ersichtlich, dass Unkenntnisse über ergonomische Grundausstattungen zu Fehlhaltungen, Beschwerden und schlimmstenfalls zu langwierigen Erkrankungen führen können.
Gemeinsam mit meinem Kollegen Andreas Eichelberger-Jaudes (ErgoPhysConsult der arbeitsmedizinischen Abteilung) erkannten wir den Bedarf an Qualifizierung der Mitarbeitenden im Bereich der Ergonomie erkannt und schufen schnell Abhilfe.
Unter dem Motto „Ergonomie erlebbar machen“ haben wir unterschiedliche Präventionsangebote ausgearbeitet und direkt umgesetzt. Wir haben bei der Umsetzung des Mottos den Fokus insbesondere darauf gelegt, dass die Befähigung der Mitarbeitenden einfach und pragmatisch erfolgen kann.
Hybride Beratungsformate
Zusätzlich sollten die Angebote an die neuen Arbeitsformen angepasst sein, sprich: Eine Teilnahme an Beratung sollte auch online möglich sein. Und für die Mitarbeitenden vor Ort sollte an zentraler Stelle ein Ort des Lernens und der Befähigung zu ergonomisch richtigem Verhalten geschaffen werden.
Unser Ziel war, dass jeder Mitarbeitende die Umsetzung der individuellen ergonomischen Voraussetzungen bei sich täglich ändernden Arbeitsplatzbedingungen bewältigen kann, um sicher und gesund den Bildschirmarbeitsplatz-Alltag zu meistern.
So errichteten wir einen interaktiven Ergonomie-Ausstellungsraum, der alle Mitarbeitenden aus Büro, Labor und Messwarte dazu einlädt, sich rund um das Thema Ergonomie zu informieren. Ergonomische Hilfsmittel wie zum Beispiel die Vertikalmaus können getestet werden und Standarddrehstühle laden zum Probesitzen ein. Informationstafeln erläutern die unterschiedlichen Einstellfunktionen der Stühle.
Dieses Angebot ist für den Mitarbeitenden niederschwellig nutzbar. So liegt der Raum in der Nähe von Ambulanz und Kantine, so dass die Örtlichkeit im Rahmen der Mittagspause besucht werden kann. Alle Informationen aus dem Ausstellungsraum sind auch online verfügbar und können gegebenenfalls am Arbeitsplatz noch einmal nachgelesen werden. Eine individuelle Beratung vor Ort ist ebenfalls möglich.
Verhältnis- und Verhaltensergonomie
Gleichzeitig wurde ein Ergonomie-Video-Kanal eingerichtet. Dieser ergänzt das Angebot um digitale Bedienungsanleitungen der Standardstühle, die jederzeit abgerufen werden können. Das Anpassen des Stuhls an die individuellen körperlichen Voraussetzungen gelingt somit einfach.
Als zusätzliches Angebot haben wir ein Online- Seminar ins Leben gerufen, welches von den Mitarbeitenden gut angenommen wurde. „Ergonomie bei mobiler Arbeit und Desk-Sharing“ vermittelt Grundkenntnisse der Verhältnisergonomie und gibt Tipps und Tricks zur Verhaltensergonomie.
Neben dem Fachwissen zu den ergonomischen Grundkenntnissen wollten wir Inhalte auch mit einem Augenzwinkern vermitteln. Und so ist ein interaktives Quiz entstanden, und humorvolle Videos wurden gedreht, die den Umgang mit Ergonomie aus einem anderen Blickwinkel beleuchten.
Zusätzlich haben wir auch auf bereits bestehende Formate zurückgegriffen, wie zum Beispiel auf die digitalen Wimmelbilder der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und Chemische Industrie (BG RCI). In den unterhaltsamen Comiczeichnungen gibt es für den Betrachtenden typische Fehlhandlungen in Bezug auf Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz zu entdecken.
Die enthaltenen Fehler müssen in einer vorgegebenen Zeit gefunden und angeklickt werden. Dieses Format kann auch als Sicherheitskurzgespräch oder für Unterweisungen verwendet werden.
Auch weitere Fachstellen aktiv
Als versichertes Mitgliedsunternehmen konnte die BASF SE auch von den Bewegungskarten der BG RCI profitieren. Zur Stärkung des Herz-Kreislauf-Systems und um körperlich im Homeoffice fit zu bleiben, eignen sich die abwechslungsreichen Übungen ideal.
Aber auch weitere BASF-Fachstellen waren aktiv. Der werksärztliche Dienst ergänzte sein Beratungsangebot um eine medizinische Telesprechstunde, so dass auch aus dem Homeoffice heraus auf Fragen der Mitarbeitenden eingegangen werden kann. Eine Online-Beratung zur ergonomischen Einrichtung im Homeoffice wurde über den ErgoPhysConsult zur Verfügung gestellt.
Die Abteilung Fitness and Prevention bot und bietet nach wie vor Online-Rückenkurse an, die in der Pause von den Mitarbeitenden genutzt werden können, um Haltungsschäden vorzubeugen.
Zurück zu Einstein – von ihm stammt nämlich auch dieses Zitat: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert.“ Deshalb belassen wir nichts beim Alten, sondern passen unsere Präventionsangebote beständig an die Anforderungen an. Denn: Die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeitenden sind das höchste Gut, das es zu schützen und zu fördern gilt.
Quellen:
DGUV (2022). Statistik – Arbeitsunfallgeschehen 2021. Hrsg. DGUV, Berlin.
DIN EN ISO 9241–210 (2010). Ergonomie der Mensch-System-Interaktion Teil 210: Prozess zur Gestaltung gebrauchstauglicher interaktiver Systeme. Berlin: Beuth.
Mörbe, S. et al. (2011). Mine: Unechte Mitarbeiter-Partizipation. Erfolgsfaktor Change Communications: Klassische Fehler im Change-Management vermeiden, 83–90.
Nagel, S. (2017). Organizational Citizenship Behavior und Mitarbeiterpartizipation: eine empirische Untersuchung mittels Mitarbeiterbefragung und Laborexperiment. Cuvillier Verlag.