Frau Schlingmann, wie kamen Sie zu Ihren Islandpferden und darauf, mit ihnen Wanderritte zu unternehmen?
Schon als Kind habe ich die Liebe zu diesen Pferden entdeckt. Mein Elternhaus liegt an einem Waldrand. Den angrenzenden Wald habe ich gemeinsam mit meiner Freundin erkundet. Wir sind aber nicht wie die anderen Kinder darin herumgetollt, sondern auf dem Rücken der Islandpferde ihrer Familie zu Abenteuern in die Natur aufgebrochen. Wir sind ohne Sattel geritten, meist auch ohne Trense, haben die Pferde in den Aachener Wäldern grasen lassen, um dann selbst auf Bäume zu klettern. Einfach bilderbuchmäßig. Der Vater meiner Freundin, ein ganz unerschrockener und unternehmungslustiger Mensch, hat uns zudem schon damals zu einem großen Wanderritt ermuntert: Er schlug uns vor, in einer Woche von Aachen um den Ruhrsee und wieder zurück zu reiten. Meine Freundin war damals 13, ich 14. Die Unterkünfte für die Nacht hat er organisiert, alles andere mussten wir allein managen. Schwierig wurde es gleich am ersten Tag: Wir stießen auf ein Drehkreuz, das nur für Wanderer passierbar war, nicht aber für Pferde. Später wiederum lagen Bäume im Weg. Wir sind aber immer ans Ziel gekommen. Dass wir das geschafft haben, mit allen Höhen und Tiefen, hat mich unfassbar gestärkt, für mein ganzes Leben.
Dieses frühe Abenteuer hat mich zudem so geprägt, dass ich etliche Jahrzehnte später den ganz großen Wunsch hatte, noch einmal daran anzuknüpfen. Nach einer längeren Reitpause habe ich nach der Geburt unseres vierten Kindes wieder mit dem Reiten angefangen. Einige Jahre später kaufte ich mir mein erstes eigenes Islandpferd. Als dann die Kinder immer selbstständiger wurden und weder eine Hochzeit, Abiturprüfung noch die Geburt eines Enkelkindes anstanden, erwachte in mir wieder diese Sehnsucht nach Aufbruch und Freiheit. Das war 2017.
Da waren Sie kein Teenager mehr, sondern 57. Wie sind Sie die Sache angegangen?
Für mich ist es ganz wichtig, dass ich völlig autark bin. Dass ich alles dabei habe, was ich für mich und die Tiere brauche. Deshalb nehme ich immer ein Packpferd mit. Es gibt dafür aber noch einen Grund, der mir persönlich noch wichtiger ist: Pferde sind Herdentiere und ich möchte keins meiner Pferde in der Fremde allein stehen lassen.
Um mich für mein Vorhaben zu rüsten, habe ich mir von vielen Leuten Tipps eingeholt. Zum Beispiel bei der Organisation Eifel zu Pferd, die schöne Strecken für Wanderritte ausgearbeitet hat und darauf spezialisiert ist, Wanderreiter und ihre Pferde über Nacht aufzunehmen. Die habe ich gelöchert, was brauche ich, wie geht das, wie mache ich das?
Dann bin ich in Trekkingläden gegangen. Sobald ich erzählt habe, wofür ich zum Beispiel Spanngurte oder ein möglichst kleines, leichtes Zelt brauche, waren die Leute sehr interessiert und hilfsbereit. Mit vielen Tipps und Empfehlungen habe ich eine Standardausrüstung zusammengestellt, die jetzt immer einsatzbereit im Keller liegt. Dazu gehören ein Schlafsack, eine Isomatte, ein Zelt, ein kleines aufblasbares Kopfkissen, eine kleine Tasche mit Medikamenten und ein kleiner Kosmetikbeutel – ganz minimalistisch. Für die Pferde habe ich ein sogenanntes Wanderreitpaddock dabei. Sie müssen ja nachts irgendwo gesichert stehen, wenn wir nicht bei einem Bauern oder Privatpersonen unterkommen, die eingezäunte Weideflächen oder Ställe haben.
Was meine eigene Verpflegung angeht, bin ich ziemlich anspruchslos, wenn ich so unterwegs bin. Ich nehme immer einen Kocher mit, um Wasser erhitzen zu können. Zur Not weiche ich dann einfach Haferflocken in heißem Wasser auf – morgens mit Obst und Nüssen, abends mit einer Gemüsebrühe. Damit komme ich schon über den Tag. Für schwierige Situationen habe ich eine Klappsäge dabei, die in einer Vorderpacktasche immer griffbereit ist. Genauso wie ein scharfes Messer, Panzertape, Näh- und Flickzeug – so kleine handwerkliche Dinge. Weil immer mal was reißt oder kaputt geht.
Sie sprechen von schwierigen Situationen, in denen eine Klappsäge gebraucht wird. Haben Sie dafür ein Beispiel?
Ich verirre mich ziemlich oft. Das liegt vor allem daran, dass Wege, die sowohl in meiner Wanderkarte als auch in meiner App angezeigt werden, nicht mehr existieren oder gesperrt sind. So lande ich mit den beiden Pferden nicht selten irgendwo im Dickicht. Dann ist es gut, wenn man sich freischneiden kann. Einmal bin ich circa fünf Kilometer lang auf einem schmalen Pfad in Richtung Tal gewandert, bis plötzlich ein riesengroßer Baum mit vielen Ästen das letzte Wegstück versperrte. Ich habe mir dann überlegt, wenn ich alle Äste absäge, unter dem Baum eine Kuhle grabe und das ganze Gepäck ablade, passen die Pferde vielleicht unten durch. Genauso habe ich es gemacht, Schritt für Schritt. Auf diese Weise konnte ich die Situation bewältigen. Das war dann ein sehr euphorischer Moment.
Wichtig ist, immer die Ruhe zu bewahren. Bei den ersten Malen, in denen ich mitten im Gebüsch gelandet bin, hat mir das noch völlig den Boden unter den Füßen weggezogen. Und ich habe für mich gedacht: „Katja, was zur Hölle machst du hier? Warum bist du so blöd und bringst dich und die Pferde in Gefahr?“ Auf diesen Wanderritten ist nicht immer alles nur schön und ideal. Alle Stimmungen, die ein Mensch haben kann, habe ich auf diesen Reisen durchlebt.
Trotzdem brechen Sie immer wieder auf. Die positiven Erfahrungen überwiegen demnach deutlich?
Das ist wie ein Naturgesetz: Es gibt keine Reise ohne Schwierigkeiten. Aber es gibt auch keine Reise, in der nicht im richtigen Moment Menschen wie von Zauberhand auftauchen und mir weiterhelfen. Wenn ich nicht mehr weiterweiß, hilft es erfahrungsgemäß oft, einfach abzuwarten. Dann setze ich mich beispielsweise auf den Boden zu meinen Pferden und wenig später kommt jemand vorbei, etwa ein Bauer mit einem Traktor. Dadurch entwickelt sich eine Art Urvertrauen. Das steckt zwar sowieso schon in mir, aber es wird durch diese großartigen Begegnungen auf meinen Reisen nochmal sehr gestärkt.
Ich gehe auch selbst sehr viel auf die Menschen zu und frage zum Beispiel nach Möglichkeiten zum Übernachten. Ich bin für jede Unterkunft offen: ein Stall, eine Scheune, ein Bauwagen oder auch eine Garage. Oft bekomme ich auch viel mehr, als ich erwarte: Ich werde zum Abendessen oder Frühstück eingeladen, erhalte Futter für die Tiere oder liebevoll gepackte Pakete mit Wegzehrung. Manche Menschen bekommen dafür Geld von mir, die meisten wollen keins. Zweifellos liegt es auch an meinen Tieren, dass mir immer alle Türen und Herzen offenstehen. Aber wenn man drei Wochen am Stück so viel Hilfsbereitschaft erfährt, lässt sich der Glaube an die Menschheit nicht verlieren. Den wichtigsten Rückhalt für meine Abenteuer bekomme ich jedoch von meinem Mann. Der ist zwar nicht dabei, aber im Zweifelsfall sofort zur Stelle, wenn ich Unterstützung brauche. Das zu wissen, gibt mir unendlich viel Sicherheit.
Wie gut können Sie sich denn auf Ihre Tiere verlassen: Pferde sind schreckhaft. Im unbekannten Terrain könnten sie zum Beispiel scheuen oder durchgehen. Wie gehen Sie damit um?
Das ist tatsächlich schon passiert. Sogar noch im letzten Jahr, als ich dachte, wir haben zusammen schon alle Erfahrungen der Welt gemacht. Da ging es einen sehr steilen Hang in der Eifel bergauf. An solchen Stellen steige ich immer ab. Auf dem schmalen Weg hatte ich also ein Pferd neben mir und ein Pferd hinter mir. Plötzlich sprang hinter uns ein Reh über den Weg und das hintere Pferd hat sich so erschreckt, dass es mir mit aller Wucht in den Rücken gesprungen ist. Da bin ich richtig schlimm nach vorn auf die Knie geknallt. Letztlich hatte ich aber nicht mal einen blauen Fleck, nur der Schock saß tief.
Pferde sind von ihrem Instinkt und von ihrem Verhalten her an das Leben in der Natur gewöhnt. Sie sind Nomaden und ziehen von sich aus gerne weiter. Das spüre ich immer im Frühling, wenn wir unsere Ausritte zunehmend ausdehnen. Da wir regelmäßig in unbekanntem Gebiet unterwegs sind, stärkt das auch ihr Nervenkostüm.
Wir haben inzwischen schon viele verschiedene Aufgaben zusammen gemeistert. Je erfahrener die Pferde sind, desto weniger stark ausgeprägt sind ihr Fluchtinstinkt und ihre Schreckhaftigkeit. Zudem wächst das gegenseitige Vertrauen zwischen Mensch und Tier – das ist etwas ganz Wunderbares. Manchmal sind meine Isis zögerlich, aber sie vertrauen mir und lassen sich vorsichtig weiterführen. Ganz selten streiken sie auch mal richtig, stemmen die Hufe in den Boden und gehen nicht mehr weiter. Das nehme ich dann aber ernst. Ich würde die Pferde nie zu etwas zwingen, denn ihr Verhalten hat immer einen Grund. Dann suche ich einfach nach anderen Möglichkeiten.
Steckbrief
- geboren 1960 in Aachen
- Musikerin und Musiklehrerin
- hat ein Faible für Island-Pferde
- besitzt derzeit vier eigene „Isis“
- unternimmt seit 2017 regelmäßig Wanderritte
- gibt Kindern und Erwachsenen Reitunterricht
- trifft sehr viele freundliche und hilfsbereite Menschen