Herr Metternich, was hat sich durch die modernisierten Ausbildungsstandards bezüglich des Arbeitsschutzes in der betrieblichen Praxis geändert?
Bei den klassischen Themen wie technische Schutzmaßnahmen oder Persönliche Schutzausrüstung gab es kaum Nachbesserungsbedarf. Hier sind die industriellen Unternehmen ohnehin schon enorm gut aufgestellt. Anders sieht es zum Beispiel bei den psychischen Belastungen aus. Weil dieser Aspekt nun in die Ausbildungsstandards aufgenommen wurde, sollte er natürlich auch in der Praxis mehr beachtet werden. Bei Evonik haben wir deswegen zusammen mit dem Betriebsrat unter anderem beschlossen, regelmäßig eine extra Auszubildenden-Befragung zu solchen Belastungen durchzuführen. Generell sollte jedes Unternehmen eine Sicherheitskultur etablieren, bei der alle Mitarbeitenden mit einbezogen werden – angefangen bei den Auszubildenden. Deswegen wurde dieser Aspekt in der Standardberufsbildposition „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ ebenfalls deutlich verstärkt und ist nun in der Praxis entsprechend mehr zu berücksichtigen.
Beziehen Sie sich damit auch auf das neue Lernziel „Sicheres und gesundheitsgerechtes Arbeiten erläutern“, das nun als Ausbildungsstandard ergänzt wurde?
Genau. Wir sind im Zuge der Neuordnung zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht ausreicht, wenn wir Vorgesetzten oder Sicherheitsakteure den Azubis immer wieder dieselben Arbeitsschutzthemen vortragen. Vielmehr sollten die jungen Leute auch selbst lernen, Gefährdungen und Schutzmaßnahmen zu erläutern. So gehört nun auch zur Ausbildung, wie man zum Beispiel Kolleginnen oder Kollegen, die eine Gefährdung nicht wahrnehmen oder ihre PSA nicht tragen, darauf aufmerksam macht. Auf diese Weise kommt noch mal ein ganz anderer Lerneffekt zustande, weil die Auszubildenden solche Themen dann selbst reflektieren und üben, ihre eigene Sichtweise dazu zu äußern. Dann sind sie auch mehr in der Lage, darüber zu diskutieren und Änderungsvorschläge zu machen, mit denen wir uns dann wiederum auseinandersetzen müssen. Ziel ist, wegzukommen von der Denkweise: Ich bin der Ausbilder, und du hast als Azubi meine Sicherheitsregeln zu befolgen, sondern Maßnahmen des Arbeitsschutzes auch gemeinsam zu erarbeiten.
Sollten Auszubildende also schon wie Sicherheitsbeauftragte am Arbeitsschutz mitwirken?
Im Grunde ja, wobei dies bei Azubis natürlich auf der Ebene des Lernens erfolgt. Bei Evonik haben wir dafür extra die Funktion der Sicherheitsvertrauensleute, kurz SVL, geschaffen. Das sind sozusagen Sicherheitsbeauftragte in der Ausbildung. Sie werden von allen Auszubildenden des jeweiligen Jahrgangs gewählt, so wie Klassensprecher in der Schule. Die als SVL benannten Azubis qualifizieren sich bei einer dreitägigen BG-Schulung für ihre zusätzlichen Aufgaben – ähnlich wie die Sicherheitsbeauftragten, nur weniger umfangreich. Als Sicherheitsvertrauensleute sind sie dann das Bindeglied zwischen den Azubis und Ausbildern und führen zum Beispiel Unterweisungen durch, aber natürlich immer unter der Aufsicht und Anleitung der Vorgesetzten oder zum Beispiel der Sicherheitsbeauftragten. So fungieren also SVL und Sibe als Tandem und tauschen sich auch immer eng untereinander aus.
Was versprechen Sie sich davon?
Unsere Azubis sind die zukünftigen Fachkräfte. Alles, was sie schon jetzt verinnerlicht haben, werden sie später als Fachkraft umsetzen. Wir praktizieren bereits seit einigen Jahren eine etwas andere Vorgehensweise beim Arbeitsschutz in der Ausbildung, die eben mehr auf ein Miteinander setzt. Dies macht sich durch rückläufige Unfallzahlen bemerkbar und auch dadurch, dass die Azubis mehr Verständnis für dieses Thema zeigen. An dieser Stelle muss man den jungen Leuten auch mal ein dickes Lob aussprechen: Sie sind offen für den Arbeitsschutz – man muss sie nur dort abholen, wo sie stehen. Das funktioniert am besten mit einem Austausch auf Augenhöhe und vor allem auch mit zu dieser Zielgruppe passenden Methoden.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Wir sind gerade dabei, eine digitale Safety Street aufzubauen. Ein solcher Sicherheitsparcours, an dem neue Mitarbeitende oder Personal von Fremdfirmen mit unseren Gefährdungen und Schutzmaßnahmen vertraut gemacht werden, existiert schon real in unserem Unternehmen. Nun wird es also bald auch eine digitale Variante geben. Damit wollen wir besonders unsere Azubis ansprechen, weil vor allem jüngere Leute gern diese Form des Lernens nutzen.