Ab Ende 2010 werden die ersten DNELs für ca. 2.000 (!) Stoffe kommen, deren Registrierungsfrist am 1.12.2010 abläuft. Aber es wird nicht unbedingt leicht, einen DNEL aufzustellen. Doch was bedeuten die DNELs für den Arbeits- und Gesundheitsschutz? Viele Fragen müssen noch beantwortet und geregelt werden.
Bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen werden häufig Luftgrenzwerte zur Beurteilung von Gefährdungen am Arbeitsplatz herangezogen. Nachdem am 1. Januar 2005 eine neue Gefahrstoffverordnung in Kraft getreten war, wurde das deutsche Grenzwertsystem grundlegend verändert. Die neuen Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW), die im Wesentlichen die früheren MAK abgelöst haben, kennen nur noch arbeitsmedizinisch-toxikologisch begründete Grenzwerte. Dies führte dazu, dass Anfang 2006 mehr als die Hälfte der Grenzwerte aus der TRGS 900 gestrichen wurde.
Der Praxis fehlen seitdem häufig also Bezugsgrößen, anhand derer die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit von Arbeitsplatzsituationen beurteilt werden kann. Viele Betriebe sind daher unsicher, ob die getroffenen Arbeitsschutzmaßnahmen gegenüber Gefahrstoffen ausreichend sind.
Hier bietet die REACH-Verordnung [1], die am 1. Juni 2007 in Kraft getreten ist, den Verwendern von Chemikalien Hilfestellung: Hersteller oder Importeure von Chemikalien müssen bei der Registrierung von Stoffen mit einer jährlichen Produktionsmenge von mehr als 10 t einen (oder auch mehrere) Grenzwerte angeben, bei deren Einhaltung nach ihrer Überzeugung keine Gefährdung der „nachgeschalteten Anwender“ mehr besteht.
Diese Grenzwerte werden als DNEL – „Derived No Effect Level“ bezeichnet.
Was sind DNELs?
Nach Anhang I der REACH-Verordnung [1] muss ein Hersteller oder Importeur für jeden Stoff, den er in Mengen von mehr als 10 t/a in Verkehr bringen will, eine Stoffsicherheitsbeurteilung (Chemical Safety Assessment – CSA) erstellen, die im Chemical Safety Report (CSR) dokumentiert wird. Bestandteil der Stoffsicherheitsbeurteilung ist die Ableitung von Grenzwerten, unterhalb derer der Stoff keine (schädliche) Wirkung auf Lebewesen, z.B. Menschen oder Tiere mehr ausübt. Dieser Expositionsgrenzwert wird als „Derived No Effect Level“ (DNEL – „abgeleitete Expositionshöhe ohne Wirkung“) bezeichnet. Menschen sollen keinen Stoffkonzentrationen oberhalb dieses Wertes ausgesetzt werden.
DNELs erlauben die Beurteilung der Gefährdung von Arbeitnehmern oder Verbrauchern durch die Exposition gegenüber Gefahrstoffen. Sie werden aus den vorhandenen toxikologischen Daten abgeleitet. Die Arbeitsschutzmaßnahmen, die der Hersteller oder Importeur einer Chemikalie den nachgeschalteten Anwendern empfiehlt, müssen u.a. sicherstellen, dass der DNEL unter den angegebenen Bedingungen eingehalten wird.
Entsprechende Grenzwerte im Umweltbereich werden als PNEC (Predicted No-Effect Concentration – Abgeschätzte Nicht-Effekt-Konzentration) bezeichnet.
Grundsätzlich ist es möglich, dass es für einen Stoff mehrere unterschiedliche DNELs gibt, die sich auf die verschiedenen Expositionsmuster (Expositionsszenarien) beziehen, z.B.
- bei ständiger oder gelegentlicher Exposition am Arbeitsplatz oder
- für die Allgemeinbevölkerung.
Berücksichtigt werden müssen dabei auch die unterschiedlichen Expositionszeiten:
- Arbeiter 8 Stunden täglich an 5 Tagen in der Woche während 48 Wochen im Jahr (1920 h/a) über 40 Jahre,
- Verbraucher / Allgemeinbevölkerung bis zu 24 Stunden am Tag an 7 Tagen in der Woche während 52 Wochen im Jahr (8760 h/a) über 75 Jahre.
Die Beurteilung der Wirkungen auf jedem Expositionsweg bzw. für jede Exponiertengruppe muss in Abschnitt 5 des Stoffsicherheitsberichts dargelegt sowie erforderlichenfalls im erweiterten REACH-Sicherheitsdatenblatt zusammengefasst werden.
Bestandteil der Stoffsicherheitsbeurteilung ist die Angabe von Schutzmaßnahmen, deren Anwendung dazu führen soll, dass die Beschäftigten bei der jeweiligen Tätigkeit, die (End)Verbraucher von chemischen Produkten oder von Erzeugnissen oder die Umwelt nicht mehr gefährdet sind. Mit den angegebenen (empfohlenen) (Arbeits)Schutzmaßnahmen soll sichergestellt werden, dass der jeweilige Grenzwert für das zugehörige Expositionsszenario – DNEL für gelegentliche oder ständige Exposition am Arbeitsplatz, DNEL für die Exposition von Verbrauchern oder PNEC für die Konzentration in den jeweiligen Umweltkompartimenten – nicht überschritten wird. DNELs und PNECs haben im Grundsatz somit die gleiche Funktion wie die „traditionellen“ Grenzwerte MAK oder AGW am Arbeitsplatz oder die entsprechenden Grenzwerte in Umweltbereich, z.B. in der TA Luft, im Wasserrecht oder im Bodenschutzrecht.
Grundlagen der Bestimmung von DNELs
Bei der Ermittlung schädlicher Wirkungen auf die Gesundheit des Menschen werden nach Anhang I der REACH-Verordnung [1] das toxikokinetische Profil (d.h. Aufnahme in den Körper, Stoffwechsel, Verteilung und Ausscheidung) des Stoffes und die folgenden Wirkungsgruppen berücksichtigt:
- akute Wirkungen (akute Toxizität, Reiz- und Ätzwirkung),
- Sensibilisierung,
- Toxizität bei wiederholter Aufnahme und
- krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende Wirkungen (CMR-Wirkungen).
Ausgehend von sämtlichen verfügbaren Informationen werden erforderlichenfalls auch weitere Wirkungen berücksichtigt.
Die Ermittlung schädlicher Wirkungen umfasst vier Schritte:
- 1. Bewertung von Informationen, die nicht am Menschen gewonnen wurden,
- 2. Bewertung von Humaninformationen,
- 3. Einstufung und Kennzeichnung sowie
- 4. Ableitung der DNEL-Werte.
Die ersten drei Schritte werden für jede Wirkung unternommen, für die geeignete Informationen vorliegen; der jeweilige Inverkehrbringer muss sie im entsprechenden Abschnitt des Stoffsicherheitsberichts festhalten sowie erforderlichenfalls im erweiterten REACH-Sicherheitsdatenblatt in den Abschnitten 2 und 11 zusammenfassen.
Die Schwierigkeiten bei der Aufstellung von DNELs sind also im Grundsatz die gleichen wie bei der Ermittlung „traditioneller“ Arbeitsplatzgrenzwerte oder Grenzkonzentrationen im Umweltbereich; der Unterschied besteht aber darin, dass für die Ermittlung von DNELs keine staatlichen oder wissenschaftlichen Kommissionen zuständig sind, sondern die Wirtschaft (Hersteller und Importeure). Dies kann allerdings auch dazu führen, dass verschiedene Inverkehrbringer für denselben Stoff unterschiedliche DNELs ermitteln, was natürlich zu Verunsicherung bei den (nachgeschalteten) Anwendern führen kann.
Die für den Umgang mit den jeweiligen Produkten vorgesehenen (und den nachgeschalteten Anwendern im Sicherheitsdatenblatt mitgeteilten) Schutzmaßnahmen müssen sicherstellen, dass der jeweilige DNEL eingehalten wird; ist dies nicht gewährleistet, müssen die Schutzmaßnahmen entsprechend angepasst werden. Stehen keine geeigneten Schutzmaßnahmen zur Verfügung, mit denen der DNEL eingehalten werden kann, gilt die jeweilige Anwendung als „nicht sicher“ und darf nicht durchgeführt werden, d.h. das jeweilige chemische Produkt darf für diesen Anwendungszweck nicht in Verkehr gebracht werden!
Diese Prüfung – kann der jeweilige DNEL mit den vorgesehenen Schutzmaßnahmen eingehalten werden? – ist für jede Verwendungsstufe des Produktes – von der Herstellung der Rohstoffe bis zur Beseitigung der Endprodukte – durchzuführen.
Ableitung von DNELs aus Tierversuchen
Ausgangspunkt
Obwohl Erfahrungen beim Menschen naturgemäß für die Ableitung von Grenzwerten zum Schutz von Menschen (Arbeitnehmer oder Verbraucher) am geeignetsten sind, liegen hierzu nur in Ausnahmefällen geeignete quantitative Daten vor. Daher werden – ebenso wie bei „traditionellen“ Grenzwerten (MAK, AGW) – auch für die Ableitung von DNELs vor allem Ergebnisse aus Tierversuchen herangezogen.
Erfahrungen beim Menschen liegen gelegentlich aus Unfallereignissen vor, bei bestimmten Effekten mit niedrigem Gefährdungspotenzial auch aus Studien mit Freiwilligen, z.B. irritative Wirkungen wie etwa Nasenreizungen oder zentralnervös dämpfende Wirkungen.
Bei der Ableitung von Grenzwerten werden aus den vorliegenden Daten zunächst die sensitivsten (hinsichtlich möglicher beobachteter Wirkungen empfindlichsten) Endpunkte ermittelt, d.h. diejenigen Effekte, die bei Exposition gegen den zu charakterisierenden Stoff bei ansteigenden Konzentrationen zuerst auftreten oder die schwerwiegendsten Wirkungen zeigen.
Dabei sind sowohl die lokalen Effekte, also die Folgen der Einwirkung auf die Kontaktflächen des Organismus mit der Umwelt (wie z.B. Schleimhäute des Atemtraktes und der Augen, Haut), als auch die systemischen Effekte, also die Folgewirkungen der Aufnahme der Substanz in den Organismus, zu berücksichtigen. Meistens gelten für diese beiden Wirkeigenschaften unterschiedliche Konzentrations-Wirkungs-Beziehungen.
Ebenso wie bei der Ableitung von MAK-Werten orientiert sich die Ermittlung von DNELs am „No Observed Adverse Effect Level“ (NOAEL) für den empfindlichsten Wirkungsendpunkt mit gesundheitlicher Relevanz. Steht ein NOAEL nicht zur Verfügung, weil die vorhandene Datenbasis dies nicht hergibt, kann man auch den Lowest Observed Effect Level (LOEL) als Ausgangspunkt heranziehen.
Gelegentlich ist es auch möglich, durch Extrapolation der vorliegenden Daten einen ausreichend zuverlässigen „No Adverse Effect Level“ (NAEL) zu ermitteln oder durch andere Verfahren (z.B. durch Vergleich mit strukturähnlichen Stoffen – „QSAR“-Methoden) einen geeigneten Ausgangspunkt für die Aufstellung eines DNEL zu finden.
Während bei traditionellen Arbeitsplatzgrenzwerten (MAK, AGW) praktisch ausschließlich die inhalative Exposition (Aufnahme über die Atemwege) betrachtet wird, verlangt REACH von den Inverkehrbringern die Aufstellung von DNELs für alle relevanten Expositionswege, also für schädliche Wirkungen durch
- Aufnahme durch Einatmen,
- orale Aufnahme (durch Verschlucken, zum Beispiel bei mangelnder Hygiene),
- Aufnahme über die Haut sowie
- lokale Reizwirkungen, zum Beispiel an der Haut, den Schleimhäuten oder an den Augen.
Relevant sind solche Expositionswege, die im Verlauf des gesamten Lebenszyklus eines chemischen Produktes von der Herstellung über die Weiterverarbeitung und Verwendung bis zur Beseitigung zu erwarten sind.
Für jede dieser Expositionen sind grundsätzlich eigene (unterschiedliche) DNELs möglich! Dabei sind auch die unterschiedlichen exponierten Gruppen (z.B. Arbeitnehmer oder Verbraucher) zu berücksichtigen.
Aus dieser Zielsetzung ergibt sich zwangsläufig, dass als Ausgangspunkt der Überlegungen Studien mit dem gleichen Expositionsweg wie für den zu ermittelnden DNEL zu bevorzugen sind. Gleiches gilt für längerfristige im Vergleich zu kurzfristigen Studien, da DNELs in der Regel für die chronische Exposition (Langzeitwirkung) erstellt werden. Liegen für einen Stoff mehrere Studien mit wiederholter Verabreichung vor, sollten die einzelnen Studien kritisch bewertet werden, um die für die weitere Bearbeitung relevanteste Studie auszuwählen. Generell sollte dabei die Studie mit der empfindlichsten Tierart zu Grunde gelegt werden.
Aus den so gewonnenen Startpunkten für die toxikologische Beurteilung muss nunmehr die Expositionsgrenze (z.B. die höchstzulässige Konzentration in der Luft am Arbeitsplatz) ermittelt werden, bei der der Inverkehrbringer davon ausgeht, dass die exponierten Personen nicht mehr gefährdet sind.
Extrapolation von Daten
Hierzu gehören verschiedene Extrapolationen, mit deren Hilfe von den Untersuchungsbedingungen der zu Grunde liegenden Tierversuche auf die Exposition z.B. am Arbeitsplatz „umgerechnet“ wird. Maßgeblich sind hier
- Zeitextrapolationen (z.B. Umrechnung von akuter Toxizität auf chronische Wirkungen),
- Interspeziesextrapolationen (z.B. Umrechnung von der Ratte auf den Menschen),
- Wegextrapolationen (z.B. Umrechnung von oralen Studien auf inhalative Exposition; diese Umrechnung ist vor allem bei der Ableitung von Luftgrenzwerten von Bedeutung),
- Intraspeziesextrapolationen (Berücksichtigung unterschiedlich empfindlicher Individuen innerhalb einer exponierten Population).
Diese Extrapolationen resultieren in Extrapolations- oder „Sicherheitsfaktoren“, durch die der jeweilige Ausgangswert (z.B. NOAEL) dividiert wird, um dem Zielwert (DNEL) näher zu kommen. Dabei ist zu beachten, dass in der Vergangenheit vor allem Luftgrenzwerte abgeleitet wurden (zu Umrechnungen in diesem Bereich liegen daher die meisten Erfahrungen vor), DNELs aber möglicherweise auch für andere Expositionen (dermal oder oral) ermittelt werden müssen.
Bei der Ableitung von Grenzwerten im Umweltbereich (PNEC) wird unter REACH weitgehend Neuland betreten, so dass hier nur sehr beschränkt auf Erfahrungen zurückgegriffen werden kann.
Eine detaillierte Beschreibung der Extrapolationsverfahren zur Ermittlung von Luftgrenzwerten am Arbeitsplatz bei limitierter Datenlage enthält die TRGS 901 „Begründungen und Erläuterungen zu Grenzwerten in der Luft am Arbeitsplatz“ [2].
Diese Verfahren, die der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) vor mehr als 10 Jahren zur Ermittlung von Arbeitsplatzrichtwerten (ARW) erarbeitet hatte, unterscheiden sich im Detail von denjenigen, die wissenschaftliche Kommissionen wie die DFG-MAK-Kommission [3] oder die europäische Grenzwertkommission („Scientific Committee on Occupational Exposure Limits – SCOEL) [4] anwenden. Diese wissenschaftlichen Fachgremien verwenden keine standardisierten Sicherheitsfaktoren, sondern nehmen die Umrechnung aufgrund einer Expertenberatung im Einzelfall vor. Diese Verfahrensweise kann allerdings dazu führen, dass unterschiedliche Kommissionen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen; so lassen sich auch Unterschiede zwischen MAK-Werten der DFG und europäischen Luftgrenzwerten (IOELS = Indicative Occupational Exposure Limits) erklären.
Eine Beschreibung der grundsätzlichen Anforderungen an die Aufstellung von DNELs unter REACH enthält Anhang I der REACH-Verordnung [1]. Einzelheiten sind in den „Leitlinien zu den Informationsanforderungen und Stoffsicherheitsbeurteilung“, Kapitel R.8 auf der Internetseite der ECHA [5] veröffentlicht (derzeit allerdings nur in englischer Sprache verfügbar).
Probabilistische Verfahren
Gesundheitsbasierte Arbeitsplatzgrenzwerte (MAK, AGW) werden nach den derzeit verwendeten Verfahren ausgehend von einem NOAEL mittels Division durch verschiedene Extrapolationsfaktoren abgeleitet. Die Extrapolationsfaktoren sollen dabei fehlendes Wissen hinsichtlich der Übertragung von tierexperimentellen Ergebnissen auf den Menschen plausibel überbrücken. NOAEL sind ebenso wie Extrapolationsfaktoren „Punktwerte“, und auch der erhaltende Grenzwert ist eine einzelne Zahl. Diese Vorgehensweise wird auch als „deterministisches Verfahren“ bezeichnet. Unsicherheiten und Variabilität der Eingangsgrößen (NOAEL und Extrapolationsfaktoren) und der Bewertung bleiben dabei weitgehend unberücksichtigt.
Im Gegensatz zur deterministischen Vorgehensweise können probabilistische Verfahren (Verfahren, die Wahrscheinlichkeitsaussagen liefern) Unsicherheiten und Variabilität der Eingangsgrößen und der Bewertung beschreiben. Solche Verfahren arbeiten statt mit Punktwerten mit Verteilungsfunktionen der betrachteten Variablen.
Bei der Expositionsabschätzung, z.B. bei der Messung der Luftkonzentration am Arbeitsplatz sind probabilistische Verfahren inzwischen wertvolle Instrumente; durch die in zahlreichen Messungen bestätigte Annahme einer logarithmisch-normalen Verteilung von Messergebnissen können so aus vergleichsweise wenigen Messungen statistische Aussagen über die Verteilung der Gefahrstoffkonzentrationen in der Luft, über einzelne Konzentrationsperzentile und die Wahrscheinlichkeit der Einhaltung oder Überschreitung eines Grenzwertes abgeleitet werden.
In der Wirkungsabschätzung, d.h. der Ableitung von Grenzwerten sind solche Verfahren heute jedoch noch nicht etabliert, obwohl sie auch hier sicherlich wertvolle Aussagen zur „Zuverlässigkeit“ abgeleiteter Grenzwerte oder DNELs treffen könnten. Die erwähnten REACH-Leitlinien [5] unterstellen für die maßgeblichen Variabilitäten ebenfalls eine log-Normalverteilung.
An der Anwendung solcher probabilistischer Verfahren zur Ableitung von Grenzwerten wird derzeit noch wissenschaftlich gearbeitet.
Zusammenfassung
Die Ausführungen zeigen, dass es durchaus kein leichtes Unterfangen ist, einen DNEL aufzustellen. Auch die Ermittlung von DNELs erfordert ein gerüttelt Maß an toxikologische Expertise, z.B.
- bei der Auswahl eines geeigneten Startpunktes,
- bei der Bewertung vorliegender toxikologischen Studien und
- bei der sachgerechten Anwendung der verschiedenen Extrapolationsfaktoren.
Diese Fachkenntnis wird in der Regel nur bei großen Chemikalienproduzenten vorliegen, deren Toxikologen häufig auch in den nationalen oder übernationalen grenzwertsetzenden Gremien mitarbeiten, wie z.B. in der deutschen DFG-MAK-Kommission [3] oder im europäischen SCOEL [4]. Kleinere Unternehmen ohne eigene toxikologische Fachabteilung werden hier meist auf die Unterstützung externer Dienstleister angewiesen sein.
Die Erfahrungen zur Anwendung der einzelnen Extrapolationsfaktoren zeigen aber auch, dass unterschiedliche Bearbeiter – selbst bei gleichem toxikologischen Ausgangspunkt und formal gleichen Faktoren – durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen (hier z.B. DNEL) gelangen können. Noch größer werden naturgemäß die Unterschiede, wenn aufgrund abweichender toxikologischer Bewertungen von unterschiedlichen Ausgangspunkten extrapoliert wird.
Erfahrungen mit „traditionellen“ Luftgrenzwerten zeigen, dass selbst ausgewiesene Fachgremien bei derselben chemischen Substanz zu unterschiedlichen Grenzwerten kommen; diese Aussage lässt sich z.B. anhand der GESTIS-Datenbank über internationale Luftgrenzwerte [6] des Berufsgenossenschaftlichen Instituts für Arbeitsschutz (IFA, bisher BGIA) leicht nachprüfen. Umso mehr ist mit solchen Abweichungen bei der Ableitung von DNELs zu rechnen, die von mehreren Inverkehrbringern unabhängig voneinander vorgenommen werden.
In den Leitlinien zu den Informationsanforderungen und Stoffsicherheitsbeurteilung [5] – die im Übrigen die Problematik noch wesentlich detaillierter diskutieren als etwa der AGS in der TRGS 901 [2] – wird ebenfalls auf Unterschiede in der Ermittlung und Anwendung von Extrapolationsfaktoren hingewiesen; in einer Tabelle (Tab. R. 8–19) werden die Faktoren aus verschiedenen Quellen einander gegenüber gestellt.
Die Konsequenzen hieraus werden weiter unten diskutiert.
Die „Leitlinien“ [5] der ECHA zur Stoffbewertung enthalten Empfehlungen für die Ableitung von DNELs aus geeigneten NOAELs; natürlich wäre zu wünschen, dass auch die anderen Grenzwerte festsetzenden Institutionen in Europa sich an diesen Kriterien und Umrechnungsfaktoren orientieren.
DNELs für Gemische
DNELs müssen nach der REACH-Verordnung (nur) für registrierte Stoffe (mit Produktionsmengen von mehr als 10 t pro Jahr) ermittelt und im erweiterten Sicherheitsdatenblatt angegeben werden. Bis alle etwa 30.000 unter REACH zu registrierenden Stoffe „abgearbeitet“ sind, wird es noch bis zum 1. Juni 2018 dauern. Für Gemische wird es bis zu diesem Zeitpunkt nur für einen Teil der Inhaltsstoffe entsprechende Informationen geben. Hersteller und Importeure solcher Gemische müssen daher ihre Arbeitsschutzmaßnahmen auf einer begrenzten Erkenntnisbasis angeben.
Es stellt sich also die Frage, nach welchen Kriterien hier eine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen werden soll.
Als Grundlage für eine Beurteilung können natürlich zunächst die etwa 400 bisher bekannten Arbeitsplatzgrenzwerte (z.B. AGW nach der TRGS 900 [7] oder MAK-Werte der DFG-Senatskommission [3]) herangezogen werden; diese decken jedoch nur einen vergleichsweise kleinen Teil der in Gemischen vorkommenden Chemikalien ab.
Außerdem wird man die vorstehend beschriebenen Kriterien für die Ableitung von DNELs kaum auf Gemische anwenden können, vor allem weil es in der Regel an geeigneten Ausgangspunkten (NOAEL) für Gemische fehlen wird und diese Werte auch aus der Zusammensetzung kaum zuverlässig berechnet werden können.
Als Lösungsmöglichkeit kommen zwei Alternativen in Betracht:
- 1. Einordnung von Gemischen in Gefährlichkeitsgruppen ähnlich dem „Einfachen Maßnahmenkonzept“ (EMKG) [8] der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und Zuordnung eines gruppenspezifisch daraus abgeleiteten DNEL oder
- 2. Festlegung eines DNEL auf der Grundlage der „kritischsten Komponente“, also desjenigen Inhaltsstoffes, mit der höchsten Gefährlichkeit und/oder der höchsten Flüchtigkeit.
Auch hierbei sind die unterschiedlichen Expositionswege (vor allem inhalativ und dermal) zu berücksichtigen.
Zusätzlich ist bei der Bewertung von Gemischen immer auch die Möglichkeit von Kombinationswirkungen (Antagonismus oder Synergien) zu prüfen.
Beurteilung von Gemischen nach Gefährlichkeitsgruppen
Die Einordnung von Gemischen in Gefährlichkeitsgruppen nach der ersten Alternative orientiert sich dabei an der Einstufung und Kennzeichnung. Jeder Gefährlichkeitsgruppe wird dabei ein Bereich von möglichen Grenzwerten zugeordnet; dieser Bereich lässt sich anhand von Arbeitsplatzgrenzwerten (z.B. DFG-MAK [3] oder AGW nach TRGS 900 [7]) für reine Stoffe mit der gleichen Zuordnung von R‑Sätzen ermitteln. Der DNEL für ein Gemisch in der jeweiligen Gefährdungsgruppe würde dann am unteren Ende des jeweiligen Bandes liegen.
In der Praxis werden die in der nebenstehenden Tabelle genannten Grenzen für die einzelnen Gefährlichkeitsgruppen diskutiert; je nach Quelle kann die Zuordnung der einzelnen R‑Sätze zu den jeweiligen Gefährlichkeitsgruppen variieren. Gemische, denen R‑Sätze aus verschiedenen Gefährlichkeitsgruppen zugeordnet sind, werden in die jeweils höchste Gruppe eingeordnet.
Stoffe können nach dem Einfachen Maßnahmenkonzept (EMKG) [8] der BAuA auch aufgrund ihres Arbeitsplatzgrenzwertes (AGW) nach TRGS 900 [7] in Gefährlichkeitsgruppen eingeteilt werden. Umgekehrt könnte man aus einer Gefährlichkeitsgruppe, die aus der Kennzeichnung abgeleitet ist, auf einen möglichen Grenzwertbereich zurückschließen, in dem ein AGW für dieses Gemisch liegen müsste. Die untere Grenze dieses Bereichs könnte man dann als „DNEL“ betrachten (vergl. Tab. 1):
- Gefährlichkeitsgruppe A: 1 mg/m³ / 50 ml/m³(ppm)
- Gefährlichkeitsgruppe B: 0,1 mg/m³ / 5 ml/m³(ppm)
- Gefährlichkeitsgruppe C: 0,01 mg/m³ / 0,5 ml/m³(ppm)
- Gefährlichkeitsgruppe D: 0,001 mg/m³ / 0,05 ml/m³(ppm).
Bei anderen Expositionswegen (z.B. dermaler Exposition) ist ein Luftgrenzwert natürlich kein geeignetes Kriterium für eine Gefährdungsgrenze (außer bei Gasen und Dämpfen, die auch über die Haut in den Körper aufgenommen werden können); ein DNEL in diesem Bereich müsste auf andere Kriterien aufbauen, z.B. Art und Ausmaß der dermalen Exposition (das einfache Maßnahmenkonzept der BAuA [8] enthält hierfür besondere Gefährlichkeitsgruppen mit den entsprechenden R‑Sätzen). Der Vollständigkeit halber und wegen des internen Vergleiches wurden die hierfür zugeordneten R‑Sätze in die obige Tabelle mit aufgenommen.
Bei der Festlegung eines „Gemisch-DNEL“ muss zudem definiert werden, auf welche Messgröße er sich beziehen soll, d.h. welcher Wert bei einer Messung von Luftkonzentrationen eigentlich bestimmt werden soll.
Beurteilung von Gemischen nach der kritischsten Komponente
Bei der Beurteilung von Gemischen nach der zweiten der vorstehend genannten Möglichkeiten wird zunächst die kritischste Komponente anhand der Kriterien
- Gefährlichkeit,
- Menge und
- Flüchtigkeit bei inhalativer Exposition oder
- Ausmaß und Dauer des Hautkontaktes bei dermaler Exposition
ermittelt, wobei es für die Abstufung innerhalb der einzelnen Kriterien nur ein grobes Raster gibt.
Hinsichtlich der Gefährlichkeit geht man von den gleichen Gruppen aus, wie vorstehend beschrieben.
Bei der Menge gibt es die Abstufungen:
- gering (Gramm bei Feststoffen und Milliliter bei Flüssigkeiten)
- mittel (Kilogramm bei Feststoffen und Liter bei Flüssigkeiten)
- groß (Tonnen bei Feststoffen und Kubikmeter bei Flüssigkeiten).
Auch bei der Flüchtigkeit verwendet man die Abstufungen gering, mittel und groß; in der vorstehenden Tabelle sind die Kriterien für die Flüchtigkeit bei Flüssigkeiten aus dem einfachen Maßnahmenkonzept [8] der BAuA dargestellt. Bei Feststoffen wird die „Staubigkeit“ als Kriterium herangezogen, wobei Normungsverfahren für das Verstaubungserhalten zum Teil bereits bestehen (z.B. DIN 33897:2007–06 [9], DIN 55992:2006–06 [10] oder VDI 2263 [11]), zum Teil noch in Bearbeitung sind.
Für die Beurteilung von Ausmaß und Dauer bei dermaler Exposition kann man die Kriterien aus der TRGS 401 „Gefährdung durch Hautkontakt – Ermittlung, Beurteilung, Maßnahmen“ [12] heranziehen.
Wenn ein Gemisch nach den verschiedenen der oben genannten Kriterien in unterschiedliche Gefährlichkeits‑, Mengen-oder Freisetzungsgruppen einzuordnen ist, stellt sich natürlich die Frage, welches Kriterium das Risiko der Gemische bestimmt. Hier ist sicherlich Fachkenntnis gefordert. Zur Durchführung der Beurteilung wird auf die Ausführungen zum Spaltenmodell in Anlage 2 Nr. 1 der TRGS 600 „Ersatzstoffe“ [13] verwiesen, da hier vergleichbare Fragen zu beantworten sind.
Rechtliche Bedeutung von DNELs
Herkömmliche Luftgrenzwerte am Arbeitsplatz haben eine fest umrissene gesetzliche Funktion; in verschiedenen Arbeitsschutzvorschriften ist festgelegt, dass der Arbeitgeber für die Einhaltung dieser Grenzwerte zu sorgen bzw. bei Nichteinhaltung zusätzliche Schutzmaßnahmen zu treffen hat.
In den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften sind für den Fall der Nichteinhaltung von Grenzwerten Sanktionen vorgesehen, Aufsichtsdienste überwachen die Einhaltung dieser Vorschriften und verhängen ggf. Zwangsmaßnahmen.
DNELs (und PNECs) hingegen sind Instrumente, mit denen die Inverkehrbringer (Hersteller und Importeure) im Rahmen des REACH-Konzeptes ihre Chemikalien hinsichtlich der Verwendung bei der Weiterverarbeitung, des Gebrauchs von Endprodukten oder für die Umwelt bewerten und als Maßstab für die Ableitung von Schutzmaßnahmen benutzen. Bei deren Einhaltung halten sie die Verwendung der Chemikalien in den vorgesehenen Anwendungen für ungefährlich. Diese Funktionen von DNELs sind im erweiterten Sicherheitsdatenblatt gegenüber den nachgeschalteten Anwendern zu kommunizieren.
Es gibt bisher im europäischen Arbeitsschutzrecht an keiner Stelle Regelungen, die den Arbeitgeber zur Einhaltung von DNELs verpflichten. Anwender von Chemikalien sind lediglich verpflichtet, die vom Vorlieferanten im (erweiterten) Sicherheitsdatenblatt angegebenen Schutzmaßnahmen durchzuführen. Weichen sie von diesem Schutzmaßnahmen ab, müssen sie eine eigenständige Gefährdungsbeurteilung durchführen und die getroffenen Schutzmaßnahmen am Ergebnis dieser Bewertung ausrichten. Dabei können DNELs natürlich wertvolle Hilfestellung leisten, jedoch lässt sich bisher auch für diese Fälle aus keiner Vorschrift ableiten, dass diese Grenzwerte eingehalten werden müssen.
Diese Unterscheidung in der Rechtsstellung zwischen herkömmlichen Grenzwerten und DNELs ergibt sich aus den Rechtsgrundlagen der jeweiligen Vorschriften:
- Arbeitsschutzrichtlinien (z.B. die EG-Richtlinien 98/24/EG [14], 2004/37/EG [15] oder 2009/148/EG [16]) beruhen auf Art. 137 EG-Vertrag und stellen einen Aspekt der „sozialen Dimension“ der Europäischen Gemeinschaft dar;
- Die REACH-Verordnung 1907/2006 [1] beruht als Binnenmarktregelung auf Art. 95 EG-Vertrag und dient in erster Linie der Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes.
Arbeitsschutzrichtlinien greifen jedoch häufig auf Binnenmarktregelungen, z.B. auf Regelungen zur Einstufung und Kennzeichnung zurück, um Arbeitnehmer, Verbraucher oder die Umwelt vor Schädigungen durch wirtschaftliche Betätigung zu schützen. Insofern wäre es natürlich sinnvoll, wenn die Arbeitsschutzrichtlinien auch auf DNELs Bezug nehmen und diese Grenzwerte in das Instrumentarium der „Arbeitsschutzwerkzeuge“ aufnehmen würden.
In einem solchen Falle wären jedoch die rechtlichen Beziehungen zwischen herkömmlichen Grenzwerten, die z.B. von nationalen oder übernationalen Gremien erarbeitet werden, und den „privaten“ DNELs zu klären, insbesondere für die Fälle,
- dass es zu einem Stoff mehrere (unterschiedliche) DNELs oder
- dass es zu einem Stoff sowohl herkömmliche Grenzwerte als auch davon abweichende DNELs gibt.
In diesen Fällen müsste für den „Rechtsunterworfenen“ nämlich klar sein, welche der unterschiedlichen Werte er einzuhalten hat.
Die nationalen Gesetz- und Verordnungsgeber müssen Regelungen dazu treffen, welche Bedeutung DNELs in den jeweiligen Arbeits- und Umweltschutzsystemen einnehmen sollen. Die europäische Gemeinschaft (Europäische Chemikalienagentur [ECHA] in Helsinki) sollte hierfür entsprechende Vorschläge unterbreiten, die für den Bereich des Arbeitsschutzes in der Chemikalienrichtlinie (98/24/EG) [14] verbindlich gemacht werden sollten.
Praktischer Arbeitsschutz: Herkömmliche Grenzwerte oder DNELs?
Ab Ende 2010 werden wir die ersten DNELs für (ca. 2.000!) Stoffe erhalten, deren Registrierungsfrist am 1.12.2010 abläuft (Stoffe mit einer Produktionsmenge über 1.000 t/Jahr, CMR-Stoffe sowie einige bestimmte umweltgefährliche Stoffe). Man kann davon ausgehen, dass es unter diesen Stoffen etliche gibt, für die bisher schon „traditionelle“ Luftgrenzwerte (AGW [7], MAK [3]) bestehen.
Schon bisher führen unterschiedliche herkömmliche Luftgrenzwerte aus verschiedenen Quellen in der Praxis häufig zur Verwirrung, z.B.
- bei unterschiedlichen Luftgrenzwerten in der DFG-MAK-Werte-Liste [3] einerseits und der TRGS 900 [7] andererseits oder
- bei unterschiedlichen Luftgrenzwerten in der TRGS 900 [7] einerseits und der Grenzwertliste der EG (Richtlinie 2009/161/EG [17]) andererseits,
obwohl in diesen Fällen die Rechtssituation eigentlich klar ist: Im Zweifelsfall gilt ausschließlich die jeweilige nationale gesetzliche Regelung, in Deutschland also die TRGS 900 [7], auch wenn dies vielen Anwendern nicht hinreichend bewusst ist.
Das im vorhergehenden Abschnitt diskutierte Problem der rechtlichen Bewertung dieser neuen DNELs wird sich also schon recht bald in aller Schärfe stellen!
Unabhängig vom derzeit noch ungeklärten Verhältnis zu den herkömmlichen Grenzwerten können unterschiedliche DNELs auch den unerwünschten Effekt haben, dass möglichst hohe Werte (mit niedrigen Sicherheitsfaktoren) von einzelnen Lieferanten als „Marketinginstrument“ eingesetzt werden, um potenziellen Kunden eine geringere Gefährlichkeit des eigenen Produktes im Vergleich zu denen der Mitbewerber zu suggerieren.
Andererseits gibt es aber auch Befürchtungen, dass insbesondere US-amerikanische Hersteller aus Haftungsgründen mit hohen Sicherheitsfaktoren niedrige DNELs ermitteln werden; Sie alle kennen sicherlich Sicherheitsdatenblätter, die ein Produkt zunächst als relativ harmlos erscheinen lassen („Nicht kennzeichnungspflichtig nach GefStoffV!“), im Abschnitt über Persönliche Schutzausrüstungen dann aber empfehlen, die Beschäftigten „einzupacken“, als sollten sie auf eine Mission zum Mond, mindestens aber an den Südpol (im Winter!) geschickt werden. Hiermit hoffen sich solche Lieferanten dann von der Haftung für den Fall freizustellen, dass doch einmal etwas passiert („Ja, wenn Sie die von uns empfohlenen PSA nicht einsetzen, können wir natürlich für nichts garantieren…“).
Allerdings ist es mit der Angabe eines DNEL im (erweiterten) Sicherheitsdatenblatt nicht getan: Der Hersteller oder Importeur muss auch Schutzmaßnahmen angeben, mit denen der Grenzwert eingehalten werden kann, und wenn der zu niedrig angesetzt ist, wird das wohl kaum gelingen mit der Folge, dass die betreffende Anwendung nicht als „sicher“ gilt. Der betreffende Stoff darf dann für diesen Zweck nicht mehr in Verkehr gebracht werden, d.h. es drohen Umsatzeinbrüche!
Art. 40 der EG-CLP-Verordnung [18] enthält Instrumente, mit denen die Inverkehrbringer gleicher Stoffe veranlasst werden sollen, sich auf eine einheitliche Einstufung und Kennzeichnung für den jeweiligen Stoff zu einigen. Eine vergleichbare Regelung für DNELs gibt es bisher nicht. Es sollte dringend angestrebt werden, derartige Regelungen auch für diesen Bereich in der REACH-Verordnung [1] zu verankern.
Für größenordnungsmäßig etwa 700 Substanzen gibt es in den verschiedenen Industriestaaten bisher bereits herkömmliche Luftgrenzwerte, die von entsprechenden nationalen oder übernationalen Fachgremien erarbeitet wurden.
Auch zu diesen Stoffen werden – soweit sie in Mengen von mehr als 10 t pro Jahr hergestellt oder importiert werden – von den Registranten DNELs erarbeitet und in den Sicherheitsdatenblättern kommuniziert werden. Die hiermit im Zusammenhang stehenden Probleme wurden in der Internationalen Konferenz „Grenzwerte für Gefahrstoffe – gesunde Arbeitsbedingungen in einer globalen Wirtschaft“ [19] im Mai 2007 ausführlich diskutiert. Dabei wurden zwei unterschiedliche Positionen vertreten:
- 1. Es wurde die Meinung vertreten, dass herkömmliche Grenzwerte zukünftig nicht mehr benötigt würden (und die entsprechenden Gremien aufgelöst werden könnten), da es in einigen Jahren praktisch für alle relevanten Stoffe DNELs geben würde.
- 2. Hiergegen wehrten sich natürlich insbesondere Vertreter(innen) der deutschen MAK-Kommission [3] und von SCOEL [4], die die Verdienste ihrer Institutionen herausstellten und darauf hinwiesen, dass diese von wissenschaftlichen Kommissionen abgeleiteten Luftgrenzwerte fachlich besser fundiert seien als DNELs und daher diesen vorzuziehen seien.
Beide „Parteien“ vertraten ihre Positionen zunächst aus dem Blickwinkel ihrer eigenen Interessen, ihrer bisherigen Aufgaben und Funktionen (DFG [3] und SCOEL [4]) bzw. den zukünftigen sich aus REACH ergebenden Aufgaben und Szenarien („DNEL-Protagonisten“).
Die „Befürworter“ von DNELs wiesen zusätzlich darauf hin, dass diese Grenzwerte auf einer fundierteren wissenschaftlichen Basis erstellt werden würden als viele der bisherigen Grenzwerte aus der TRGS 900 [7], weil REACH die bisher bestehenden Datenlücken beseitigen und damit überhaupt erst die Basis für die Aufstellung gut abgesicherter Grenzwerte schaffen würde.
Dem muss man aber entgegen halten, dass die wissenschaftlichen Kommissionen wie etwa die DFG-Senatskommission [3] oder das europäische SCOEL [4] auch schon bisher Grenzwerte nur aufgestellt haben, wenn die wissenschaftliche Grundlage hierfür gegeben war. Es gibt zahllose Beispiele – etwa in Abschnitt IIb der DFG-MAK-Werte-Liste [3] –, in denen aufgrund fehlender Daten ein Grenzwert eben nicht ermittelt werden konnte.
Darüber hinaus nimmt mit abnehmender Produktionsmenge auch der „Pflichtdatensatz“ nach REACH ab, d.h. die Datenbasis für die Aufstellung von DNELs für diese Stoffe wird mit abnehmender Menge zunehmend „schmaler“.
Braucht der Arbeitsschutz Grenzwerte?
In der Konferenz [19] wurde auch die Meinung vertreten, der Arbeitsschutz benötige überhaupt keine Grenzwerte, da nur in einem verschwindend geringen Teil (weniger als 3%) von Betrieben überhaupt gemessen würde und von daher Arbeitsplatzgrenzwerte in der betrieblichen Praxis unbedeutend seien.
Dem wurde entgegengehalten, dass die Inverkehrbringer für ihre Gefährdungsbeurteilung ermitteln müssen, welche Gefahrstoffkonzentrationen am Arbeitsplatz hinsichtlich der unterschiedlichen Expositionswege, für den Verbraucher bei der Anwendung der Endprodukte sowie für die Umwelt unbedenklich sind. Aufgrund dieser Erkenntnisse werden geeignete Schutzmaßnahmen empfohlen, bei deren Anwendung die jeweiligen unbedenklichen Konzentrationen – eben die DNELs (oder PNECs) – eingehalten werden können.
Eine Frage, die in diesem Zusammenhang bisher offenbar überhaupt noch nicht diskutiert wurde, ist das Problem der messtechnischen Erfassung von Stoffen mit DNEL. Zwar gehört es zu den Aufgaben der Inverkehrbringer, auch Angaben zur Analytik zu ermitteln (Anhang VI Nr. 2.3.7 der REACH-Verordnung [1]), aber es ist schon ein Unterschied, ob ein Stoff unter Laborbedingungen messtechnisch erfasst wird (möglicherweise mit gewaltigem analytisch-technischem Aufwand) oder am Arbeitsplatz mit all seinen Störfaktoren und Querempfindlichkeiten der (praxistauglichen [!]) Messverfahren bestimmt werden soll.
Nicht umsonst war seinerzeit eines der – wenn auch weniger bekannten – Kriterien für die Festlegung von TRK-Werten die messtechnische Bestimmbarkeit am Arbeitsplatz; dabei gab es durchaus Fälle, in denen ein TRK aufgrund dieses Kriteriums höher angesetzt wurde als es nach dem „Stand der (Produktions)Technik“ erforderlich gewesen wäre.
Ebenso gibt es MAK-Werte (AGW) [3, 7], die in der betrieblichen Praxis mit Routineverfahren kaum wirksam überwacht werden können. Es gibt weltweit derzeit einige hundert anerkannte betriebstaugliche Bestimmungsverfahren für chemische Stoffe am Arbeitsplatz, benötigt werden bis zum Juni 2018 aber etwa 20.000…!
Ergebnis
In der Diskussion um herkömmliche Grenzwerte und DNELs kristallisierte sich in der Dortmunder Konferenz [19] eine Zukunftsperspektive heraus, die letztendlich konsensfähig zu sein schien:
- Beide „Grenzwerttypen“ haben ihre Berechtigung: die große Anzahl (mehrere tausend!) von DNELs werden herkömmliche Grenzwerte niemals erreichen können. In all den Fällen, in denen es keine herkömmlich abgeleiteten Arbeitsplatzgrenzwerte gibt, ist die Beurteilung der Gefährdung durch DNELs das „Mittel der Wahl“. In diesen Fällen sollten DNELs im Arbeitsschutz die gleiche Rechtsposition erlangen wie die bisherigen Grenzwerte.
- Die hochqualifizierten grenzwertsetzenden wissenschaftlichen Gremien wie DFG-Senatskommission [3] oder SCOEL [4] sollten sich zukünftig verstärkt um die Fälle kümmern, bei denen verschiedene Inverkehrbringer gleicher Stoffe zu unterschiedlichen DNEL-Ableitungen kommen. Hier könnte mit dem „geballten Sachverstand“ dieser Gremien ein allgemein akzeptierter Wert abgeleitet werden.
DNELs werden nach REACH nur für Stoffe abgeleitet, die von einzelnen Herstellern oder Importeuren in Mengen von mehr als 10 t pro Jahr in Verkehr gebracht werden; dennoch ist es aber vorstellbar, dass auch Stoffe unterhalb dieses Mengenbereiches an bestimmten Arbeitsplätzen zu einer signifikanten Exposition führen. In solchen Fällen könnte es Aufgabe der genannten Gremien sein, auch hierfür Arbeitsplatzgrenzwerte abzuleiten.
Auch wenn für einzelne Stoffe von verschiedenen Registranten einheitliche DNELs abgeleitet werden, können aus der Sicht des Arbeits- oder Umweltschutzes dennoch Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Werte auftauchen. Auch hier könnten die genannten wissenschaftlichen Kommissionen wertvolle Hilfe bei der Ableitung der „richtigen“ Grenzwerte leisten.
Bei der Entwicklung von Mechanismen und Vorgehensweisen zur Erledigung und bei der Koordinierung dieser Aufgaben sollte der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eine wichtige Rolle zukommen.
Literaturhinweise:
- 1. Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (REACH-Verordnung), berichtigte Fassung ABl. EU Nr. L 136 vom 29.05.2007 S. 3, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 vom 16.12.2008 (EG-CLP-Verordnung), ABl. EU Nr. L 353 vom 31.12.2008 S. 1, erneut berichtigt (Artikel 3 Nummer 20 Buchstabe c) im ABl. EU Nr. L 36 vom 05.02.2009 S. 84
- 2. TRGS 901 „Begründungen und Erläuterungen zu Grenzwerten in der Luft am Arbeitsplatz“, BArbBl. Heft 4/1997 S. 42–53, zuletzt geändert im BArbBl. Heft 1/2006 S. 55
- 3. Arbeitsgruppe „Aufstellung von MAK-Werten“ der DFG-MAK-Kommission www.dfg.de/dfg_profil/gremien/senat/gesundheitsschaedliche_arbeitsstoffe/aufbau_kommission/arbeitsgruppen/aufstellung_mak_werte/index.html
- 4. Beschluss der Kommission vom 12. Juli 1995 zur Einsetzung eines Wissenschaftlichen Ausschusses für Grenzwerte berufsbedingter Exposition gegenüber chemischen Arbeitsstoffen (95/320/EG), ABl. EU Nr. L 188 vom 09.08.1995, S. 14
- 5. Leitlinien zu den Informationsanforderungen und Stoffsicherheitsbeurteilung, Kapitel R.8, http://guidance.echa.europa.eu/docs/guidance_document/information_requirements_r8_en.pdf?vers=20_08_08
- 6. GESTIS − Internationale Grenzwerte für chemische Substanzen, www.dguv.de/ifa/de/gestis/limit_values/index.jsp
- 7. TRGS 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“, BArbBl. Heft 1/2006 S. 41–55, zuletzt geändert und ergänzt im GMBl Nr. 5–6 vom 04.02.2010, S. 111
- 8. Einfaches Maßnahmenkonzept (EMKG) der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) www.baua.de/de/Themen-von-A‑Z/Gefahrstoffe/EMKG/EMKG.html
- 9. DIN 33897:2007–06 (Teile 1 und 3), 2009-12 (Teil 4) „Arbeitsplatzatmosphäre – Routineverfahren zur Bestimmung des Staubungsverhaltens von Schüttgütern“
- 10. DIN 55992–1:2006–06 „Bestimmung einer Maßzahl für die Staubentwicklung von Pigmenten und Füllstoffen – Teil 1: Rotationsverfahren“; DIN 55992–2:1999–10: Teil 2: „Fallmethode“
- 11. VDI 2263 Blatt 9: „Staubbrände und Staubexplosionen; Gefahren – Beurteilung – Schutzmaßnahmen; Bestimmungen des Staubungsverhaltens von Schüttgütern“
- 12. TRGS 401 „Gefährdung durch Hautkontakt – Ermittlung, Beurteilung, Maßnahmen“, GMBl Nr. 40–41 vom 19.08.2008, S. 818–845, berichtigt im GMBl Nr. 5–6 vom 04.02.2010, S. 111
- 13. TRGS 600 „Substitution“, GMBl Nr. 46/47 vom 22.09.2008, S. 970–989
- 14. Richtlinie 98/24/EG des Rates vom 7. April 1998 zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische Arbeitsstoffe bei der Arbeit (vierzehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG), ABl. EU Nr. L 131 v. 05.05.1998, S. 11
- 15. Richtlinie 2004/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit (Sechste Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates) (kodifizierte Fassung), ABl. EU Nr. L 229 v. 29.06.2004, S. 23
- 16. Richtlinie 2009/148/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz (kodifizierte Fassung), ABl. EU Nr. L 330 v. 16.12.2009, S. 28
- 17. Richtlinie 2009/161/EU der Kommission vom 17. Dezember 2009 zur Festlegung einer dritten Liste von Arbeitsplatz-Richtgrenzwerten in Durchführung der Richtlinie 98/24/EG des Rates und zur Änderung der Richtlinie 2000/39/EG, ABl. EU Nr. L 338 v. 19.12.2009, S. 87
- 18. Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen sowie zur Änderung der Richtlinie 67/548/EWG und der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (GHS-Verordnung), geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 790/2009 der Kommission vom 10. August 2009 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen zwecks Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt (ABl. EU Nr. L 235 vom 05.09.2009 S. 1), berichtigt im ABl. EU Nr. L 297 vom 13.11.2009 S. 19
- 19. Internationale Konferenz „Grenzwerte für Gefahrstoffe – gesunde Arbeitsbedingungen in einer globalen Wirtschaft“ am 07./08.05.2007 in Dortmund, www.baua.de/de/Themen-von-A‑Z/Gefahrstoffe/Tagungen/Grenzwert-Tagung/Grenzwert-Tagung-2007.html
Autor
Dr. Ulrich Welzbacher, Sankt Augustin Autor@Gefahrstoffinformation.de
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