Maskenball im Unternehmen[1] — Eine durchaus provokante Überschrift. Weder geht es um das Tragen von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) beim Umgang mit Bio-/Gefahrstoffen, noch um die Verpflichtung eine Mund-Nase-Bedeckung auf Grund einer „Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV‑2“ (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) oder einer kommunalen Allgemeinverfügung zu tragen. Es geht in diesem Beitrag um die Willkür mancher Arbeitgeber, die betrieblich anweisen, dass jeder Beschäftigte und auch jeder Besucher grundsätzlich eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen habe. Werden diese Arbeitgeber angesprochen, ob diese Anweisung auf Basis des Ergebnisses einer Gefährdungsbeurteilung ausgesprochen wurde, wird dieses in der Regel verneint.
Am Arbeitsplatz gilt das Arbeitsschutzrecht (Ausnahmen siehe oben). Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Seit dem 20.08.2020 steht dem Arbeitgeber als Hilfestellung die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel zur Verfügung. Sie enthält Maßnahmen, mit denen das Infektionsrisiko für Beschäftigte gesenkt und auf niedrigem Niveau gehalten werden kann. Arbeitgeber, die die Regel anwenden, können davon ausgehen, dass sie rechtssicher handeln. Die BAUA weist darauf hin, dass gleichwertige oder strengere Regeln, zum Beispiel aus der Biostoffverordnung oder aus dem Bereich des Infektionsschutzes, weiterhin beachtet werden müssen.
Die Beurteilung der Arbeitsbedingungen ist beteiligungsorientiert, entweder unter Einbeziehung der Beschäftigtenvertretungen oder mit den Beschäftigten direkt, umzusetzen. Der Arbeitgeber hat bei der Überprüfung und Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung und bei der Ableitung betriebsspezifischer Infektionsschutzmaßnahmen auch die Sicherheitsfachkraft und den Betriebsarzt einzubinden.
In den Begriffsbestimmungen dieser Regel findet sich auch die Definition für eine Mund-Nase-Bedeckung unter 2.3: „Mund-Nase-Bedeckungen (MNB) sind textile Bekleidungsgegenstände, die mindestens Nase und Mund bedecken und die geeignet sind, die Geschwindigkeit des Atemstroms oder des Speichel-/Schleim-/Tröpfchenauswurfs deutlich zu reduzieren. MNB dienen dem Fremdschutz. Sie sind weder Medizinprodukte noch Persönliche Schutzausrüstung (PSA).“
Abgrenzend dazu wird in 2.4 definiert: „Mund-Nase-Schutz/Medizinische Gesichtsmasken (zum Beispiel nach DIN EN 14683) — Mund-Nase-Schutz (MNS)/medizinische Gesichtsmasken sind Medizinprodukte und unterliegen damit dem Medizinprodukterecht. Sie dienen dem Fremdschutz und schützen Dritte vor der Exposition gegenüber möglicherweise infektiösen Tröpfchen desjenigen, der den MNS trägt. Medizinische Gesichtsmasken müssen einem Zulassungsverfahren unterzogen worden sein.“
In 2.5 werden filtrierende Halbmasken (zum Beispiel nach DIN EN 149) definiert: „(1) Filtrierende Halbmasken (beispielweise FFP) sind Atemschutzmasken. Sie schützen als PSA den Träger/die Trägerin vor Tröpfchen und gegen Aerosole. Filtrierende Halbmasken werden unter anderem durch die Filterleistung unterschieden, die mit steigender Filterleistung eine Einteilung in verschiedene Geräteklassen ermöglicht. Filtrierende Halbmasken müssen einem Zulassungsverfahren unterzogen worden sein. (2) Filtrierende Halbmasken mit Ausatemventil schützen nur den Träger (Eigenschutz) und sind deshalb für den gegenseitigen Infektionsschutz (Fremdschutz) nicht geeignet.[2]“
Nach diesem Ausflug in die Begriffsbestimmungen, zurück zur Gefährdungsbeurteilung und zur daraus resultierenden Festlegung von Maßnahmen.
Die Rangfolge der Schutzmaßnahmen ist in § 4 Allgemeine Grundsätze des Arbeitsschutzgesetzes vorgegeben. Technische Maßnahmen haben immer Vorrang vor organisatorischen Maßnahmen. Nach den organisatorischen Maßnahmen kommen erst als letztes Mittel personenbezogene Maßnahmen zum Tragen, das T — O — P — Prinzip.
Technische Maßnahmen
Der Arbeitgeber hat als erste Pflicht zur Sicherstellung des Abstands von mind. 1,5 m, die Arbeitsumgebung entsprechend zu gestalten, zum Beispiel durch Änderung des Mobiliars oder der Anordnung der Arbeitsplätze. Zudem kann er, wenn der Abstand nicht ausreicht, Abtrennungen aus transparentem Material (Sichtkontakt / ausreichende Beleuchtung) montieren lassen.
Jetzt in der Herbstzeit und dem bald nahenden Winter wird es wichtiger, dass aktiv gelüftet wird. Auch dazu finden sich Vorgaben in der Arbeitsschutzregel, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll.
Erst wenn technische und organisatorische Schutzmaßnahmen die Gefährdung einer Infektion bei der Arbeit nicht minimieren können, sind individuelle Schutzmaßnahmen, die auch die Anwendung von MNB, medizinischen Gesichtsmasken, filtrierenden Halbmasken und Gesichtsschutzschilden umfassen können, durchzuführen.
Aber wichtig, erst dann! Warum ist das so wichtig?
Persönliche Maßnahmen belasten grundsätzlich die von der Maßnahme betroffene Person. Hier führt die Arbeitsschutzregel explizit aus, dass die Verwendung von MNB, medizinischen Gesichtsmasken und filtrierenden Halbmasken zu höheren Belastungen (zum Beispiel höherer Atemwiderstand aufgrund des Filterwiderstandes der Filtermaterialien oder Wärmebelastung durch höhere Wärmeisolation der Schutzausrüstungen) führt. Die Regel fordert in diesem Zusammenhang explizit, dass geprüft werden muss, inwieweit die Tragezeiten durch andere Tätigkeiten oder regelmäßige Pausen gesenkt werden müssen.[3]
Insbesondere weist die Arbeitsschutzregel auch noch auf einen besonderen Aspekt hin: „Kurzzeitkontakte/Kurzzeitbegegnungen — Entsprechend den Hinweisen des Robert Koch-Instituts (RKI) zur Kontaktpersonennachverfolgung bei Atemwegserkrankungen durch das SARS-CoV‑2 sind Kurzzeitkontakte oder Kurzzeitbegegnungen Kontakte zwischen Personen, die von Angesicht zu Angesicht (Face-to-face) kumulativ weniger als 15 Minuten andauern. Bei diesen Kontakten sind nach derzeitigem Kenntnisstand nur geringe Infektionsrisiken zu erwarten.“ Daher ist das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes auf Fluren, selbst wenn der Abstand beim Vorbeigehen nicht eingehalten werden kann, nicht notwendig — Kurzzeitkontakte.
Übrigens, die MNB und die filtrierenden Halbmasken sind vom Arbeitgeber bereitzustellen. Er ist auch verantwortlich dafür, dass MNB, medizinische Gesichtsmasken und filtrierende Halbmasken spätestens bei Durchfeuchtung gewechselt werden.
Zudem können aus einer Maskenpflicht für die Beschäftigten jeden Tag ungezählte Kontaminationen resultieren, die zu einem wesentlichen Teil vermeidbar wären, weil die ohnehin schon häufigen Hand-Gesichts-Kontakte der Menschen durch die Maskenpflicht noch häufiger werden. Händewaschen im Unternehmen ist nicht jederzeit möglich. Das führt schon zu einem erhöhten Risiko einer Erregerverbreitung und damit Erregerübertragung, dazu kommt der schon zwangsläufig unsachgemäße Umgang mit der Maske und die erhöhte Tendenz, sich selbst ins Gesicht zufassen, während man die Maske trägt. Aber das will man doch gerade durch die Maske senken. Zudem vermittelt die Maskenpflicht ein falsches Sicherheitsgefühl. Ein falsches Sicherheitsgefühl ist immer ein Sicherheitsrisiko.
Damit wird klar, Arbeitgeber, die alle Arbeitnehmer und Besucher anweisen, grundsätzlich eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, handeln rechtswidrig. Zudem wird in vielen Unternehmen fälschlicherweise erwartet, dass die Beschäftigten selbst für ausreichend eigene MNB / medizinische Gesichtsmasken während der Arbeitszeit zu sorgen haben.
Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer die Anweisungen des Arbeitgebers zu befolgen, § 106 GewO, außer diese ist unbillig, also unangemessen. „Unbillig“ sind unangemessene Weisungen. Die Angemessenheit ist zu beurteilen unter Abwägung der wechselseitigen Interessen. Vorgaben des Grundgesetzes und der sonstigen Gesetze sind dabei zu berücksichtigen ebenso wie Verhältnismäßigkeit, Angemessenheit, Verkehrssitte und Zumutbarkeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.[4] Eine solche „unbillige Weisung“ darf der Arbeitnehmer ignorieren.[5] Er hat ein Leistungsverweigerungsrecht. Der Arbeitgeber darf ihm deswegen nicht kündigen.
Aber der mit einer unbilligen Weisung betraute Mitarbeiter sollte zunächst den Arbeitgeber auf die nicht rechtskonforme Anordnung hinweisen, verbunden mit der Aufforderung, technische/organisatorische Maßnahmen umzusetzen. So wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Beschäftigten zu prüfen und zu handeln.[6]
Arbeitnehmer sind in der Praxis gar nicht so selten mit solchen Situationen konfrontiert. Solche Probleme sind auch häufig Gegenstand arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen.
Für Beschäftigte ist eine unbillige Weisung, MNB / medizinische Gesichtsmasken zu tragen, eine Zwickmühle:
- Bei Befolgung der Weisung droht möglicherweise ein gesundheitlicher Schaden.
- Befolgt der Arbeitnehmer die Weisung nicht, so setzt er sich dem Risiko arbeitsrechtlicher Disziplinarmaßnahmen aus, insbesondere Ermahnung, Abmahnung und verhaltensbedingte Kündigung.
Für den Arbeitnehmer ist kaum zu beurteilen, ob eine Anweisung unbillig ist. Um das Risiko einer Kündigung zu vermeiden, kann der Arbeitnehmer theoretisch die Anweisung des Arbeitgebers zunächst ausführen — unter dem Vorbehalt, daß diese rechtmäßig ist. Den Vorbehalt sollte er schriftlich und nachweisbar erklären, denn durch vorbehaltlose Ausführung der Anweisung akzeptiert er sie. Anschließend kann er vom Arbeitsgericht klären lassen, ob die Weisung unzulässig ist. Allerdings riskiert der Arbeitnehmer bei vorbehaltlicher Ausführung der Weisung seine Gesundheit. Er sollte daher frühzeitig die Beschäftigtenvertretung (Betriebs- oder Personalrat) sowie die Sicherheitsfachkraft und den Betriebsarzt einbinden.
Sollte der Arbeitnehmer jedoch aufgrund der Anweisung unter einer psychischen Erkrankung (z. B. Angststörung) leiden, könnte er arbeitsunfähig sein und ein entsprechendes Attest von seinem Arzt vorlegen.
Hilft der Arbeitgeber der Beschwerde des Beschäftigten nicht ab, kann dieser sich an die zuständige Behörde wenden (Bezirksregierung in Nordrhein-Westfalen). Dem Beschäftigten dürfen daraus keine Nachteile entstehen (siehe § 17 ArbSchG).
Daneben sind Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche denkbar. Setzen Sie sich unbedingt frühzeitig mit einem Anwalt in Verbindung.
Fußnoten:
[1] Alle Begriffe sind genderneutral zu verstehen.
[2] Die Verwendung von filtrierenden Halbmasken mit Ausatemventil im Unternehmen hat der Arbeitgeber zu untersagen.
[3] Beim Tragen von FFP2/3‑Halbmasken ist zudem eine arbeitsmedizinische Vorsorge anzubieten, wenn diese länger als 30 Minuten pro Tag getragen werden.
[4] BAG, 18.10.2017, Az.: 10 AZR 330/16, Rn. 45.
[5] BAG, 18.10.2017, Az.: 10 AZR 330/16, Rn. 63 „Nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB besteht keine — auch keine vorläufige — Bindung des Arbeitnehmers an unbillige Weisungen, sofern der Arbeitnehmer diese nicht trotz ihrer Unbilligkeit akzeptiert“.
[6] BAG, 18.10.2017, Az.: 10 AZR 330/16, Rn. 45.
Literatur:
- Borchert, Günter (2010): Arbeitsrecht. Berlin: Schmidt (ESV basics).
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2020): SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel. Fundstelle: Gemeinsames Ministerialblatt (GMBl), S. 484–495.
- Eufinger, Alexander (2108): Weisungen des Arbeitgebers mit gesetzeswidrigem Inhalt. In: Recht der Arbeit (4), S. 224–232.
- Kappstein, Ines (2020): Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit: Keine Hinweise für eine Wirksamkeit (Krankenhaushygiene up2date), 11.10.2020 (15), S. 279–295. Online verfügbar unter https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/a‑1174–6591.pdf, zuletzt geprüft am 11.10.2020.
Autoren:
Dr. Hartmut Frenzel, Unternehmensberater BDU, https://www.hartmut-frenzel.de
Prof. Dr. Klaus Michael Alenfelder, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Professor für Wirtschaftsrecht, https://www.alenfelder.org