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Gerüste und fahrbare Arbeitsbühnen: Gerüstbau und Prüfung

Der Aufbau ist nichts für Laien
Gerüste und fahrbare Arbeitsbühnen: Gerüstbau und Prüfung

Gerüste und fahrbare Arbeitsbühnen: Gerüstbau und Prüfung
Foto: © Tischendorf
Gerüste sind für viele Bauar­beit­en unverzicht­bar. Sie sor­gen für einen sicheren Stand und ver­hin­dern den Absturz von Per­so­n­en, zum Beispiel bei der Mon­tage von Pho­to­voltaikan­la­gen auf Däch­ern. Dass der Gerüst­bau jedoch eine beson­dere Qual­i­fika­tion erfordert, wird vielerorts ignori­ert und missachtet.

Gerüste sind gefährlich. Das bele­gen zumin­d­est die Unfal­lzahlen der Deutschen Geset­zlichen Unfal­lver­sicherung (DGUV) in Berlin. Und in der Tat kommt es immer wieder zu schw­eren Unfällen, weil Gerüste und fahrbare Arbeits­büh­nen (= Fahrg­erüste) nicht fachgerecht aufge­baut werden.

Mangelhafte Absicherung

Derzeit erleben wir in Deutsch­land eine Energiewende; alte Tech­nolo­gien treten in den Hin­ter­grund, neue Tech­niken wer­den wieder­ent­deckt oder neu entwick­elt und einge­führt. Zu den wieder­belebten Tech­nolo­gien gehört der Ein­satz von Pho­to­voltaikan­la­gen, die vorzugsweise auf Däch­ern von Indus­triege­bäu­den oder Ein- und Mehrfam­i­lien­häusern instal­liert wer­den. Ger­ade im pri­vat­en Bere­ich dauert die Mon­tage meist nur wenige Tage, je nach­dem wie viele Geschosse das Haus besitzt und wie ver­winkelt das Dach selb­st ist.

Derzeit ist es in vie­len Regio­nen der Repub­lik lei­der nicht sel­ten, aus Kosten­grün­den auf die Bere­it­stel­lung von Fas­sadengerüsten für den sicheren Auf­stieg und als Dachfang­gerüst zu verzicht­en. Stattdessen wer­den Behelf­s­gerüste oder auch Leit­er­auf­stiege für Dachmon­ta­gen ver­wen­det. Wer­den Gerüste von Laien errichtet, sind sie oft man­gel­haft oder sog­ar gefährlich.

Grundle­gende Aspek­te des Gerüst­baus sind dem Errichter nicht bekan­nt und wer­den daher nicht berück­sichtigt. Eine abschließende Prü­fung und Gerüst­freiga­be, wie sie der Geset­zge­ber und die Beruf­sgenossen­schaften vorse­hen, find­et meist nicht statt. Dabei sind die Vorschriften und Regeln für einen sicheren Gerüst­bau klar definiert.

Fachkunde erforderlich

Gerüste dür­fen nur unter Auf­sicht ein­er fachkundi­gen Per­son des Gerüst­baus – zum Beispiel eines Gerüst­baumeis­ters, Ober­mon­teurs oder Kolon­nen­führers – errichtet wer­den. Beschäftigte, die Gerüste auf- und abbauen, müssen fach­lich geeignet sein.

Die erforder­liche Eig­nung wird in der Regel durch eine abgeschlossene Beruf­saus­bil­dung als Gerüst­bauer oder eine ver­gle­ich­bare Qual­i­fika­tion mit entsprechen­der Beruf­ser­fahrung nachgewiesen. Je kom­plex­er die Gerüstkon­struk­tion ist, desto höher sind die Anforderun­gen an die Beschäftigten. Die Fachken­nt­nisse sind durch Teil­nahme an Schu­lun­gen auf dem aktuellen Stand zu halten.

Massenunfall durch Gerüsteinsturz

Wie gefährlich man­gel­nde Ken­nt­nisse im Gerüst­bau und der unsichere Umgang mit Gerüsten sein kön­nen, zeigt ein fol­gen­schw­er­er Masse­nun­fall, der sich am 31. Okto­ber let­zten Jahres in Ham­burg ereignete. Dort stürzte auf ein­er Großbaustelle in der Hafenci­ty ein Baugerüst ein. Was war passiert?

In einem Rohbau war ein Gerüst über mehrere Stock­w­erke in einen Schacht gestürzt und hat­te fünf Arbeit­er unter sich begraben. Vier von ihnen waren sofort tot, der fün­fte wurde nach ein­er aufwendi­gen Ret­tung mit lebens­ge­fährlichen Ver­let­zun­gen befre­it und ins Kranken­haus ein­geliefert. Dort erlag er jedoch später seinen Ver­let­zun­gen. Die Ursache für den Ein­sturz des Gerüstes ist noch unklar. Die Ermit­tlun­gen laufen und wer­den wohl noch einige Zeit andauern, so ein Polizeis­prech­er damals.

 

Negativbeispiel: Dieses Fassadengerüst wurde ohne die erforderliche Fachkunde errichtet
Dieses Fas­sadengerüst wurde ohne die erforder­liche Fachkunde errichtet.
Foto: © Tischendorf

Weiteres Ereignis in München

Um die Gefährdun­gen durch fehler­hafte Gerüste bess­er zu verdeut­lichen, soll hier ein weit­eres Beispiel genan­nt wer­den. Kurz vor Wei­h­nacht­en 2023 stürzte in München ein Baugerüst auf ein park­endes Auto. Die Met­all­stan­gen begruben das Auto unter sich und ris­sen zudem die Ober­leitung der Straßen­bahn herunter.

Wie durch ein Wun­der wurde der Aut­o­fahrer nur leicht ver­let­zt, obwohl die Stan­gen das Fahrzeug­dach durch­schlu­gen. Der Sohn des Aut­o­fahrers, der sich zum Unfal­lzeit­punkt neben dem Auto befand, blieb glück­licher­weise unverletzt.

Die Stadtwerke München schal­teten den Strom der beschädigten Ober­leitung ab, die anschließend geerdet wurde. Ein­satzkräfte der Feuer­wehr küm­merten sich danach um die Besei­t­i­gung des völ­lig zer­störten Gerüstes. Warum das Gerüst ein­stürzte, ist seit­dem Gegen­stand der Ermit­tlun­gen von Polizei und zuständi­ger Arbeitss­chutzbe­hörde. Bekan­nt ist bis­lang, dass es zum Zeit­punkt des Unglücks sehr stür­misch war.

Dass die genan­nten Beispiele keine Aus­nah­men sind, zeigt auch ein Blick in die Sta­tis­tik. Die DGUV veröf­fentlichte das Unfallgeschehen beim Umgang mit Gerüsten ein­schließlich fahrbar­er Arbeits­büh­nen und Behelf­s­gerüsten für das Jahr 2022.

Dem­nach ereigneten sich ins­ge­samt 5570 meldepflichtige Arbeit­sun­fälle mit Gerüsten. Sieben Unfälle ende­ten tödlich. In 315 Fällen erlit­ten die verun­fall­ten Beschäftigten so schwere Ver­let­zun­gen, dass sie erst­mals eine Unfall­rente von der zuständi­gen Beruf­sgenossen­schaft oder Unfal­lka­sse erhiel­ten. Bezo­gen auf alle gemelde­ten Arbeit­sun­fälle ist etwa jed­er dritte Arbeit­sun­fall auf den Absturz von Per­so­n­en zurückzuführen.

Verschiedene Bauformen

Gerüste sind tem­poräre Baukon­struk­tio­nen, die mit Gerüst­la­gen unter­schiedlich­er Länge und Bre­ite aus Gerüst­bauteilen auf- und abge­baut wer­den. Gerüste wie Fas­sadengerüste, Raumgerüste, Hängegerüste oder Schutzgerüste gibt es in ver­schiede­nen Bauformen.

Wer­den sie nach den Regeln der Tech­nik und unter Beach­tung der Auf­bau- und Ver­wen­dungsan­leitung des Her­stellers errichtet, kann von ein­er sicheren Kon­struk­tion aus­ge­gan­gen wer­den. Die Sta­bil­ität und Stand­sicher­heit des Gerüstes hängt jedoch auch von den Umge­bungs­be­din­gun­gen am Auf­stel­lung­sort ab.

Besonderheiten bei Fahrgerüsten

Fahrbare Arbeits­büh­nen, oft auch als Fahrg­erüste beze­ich­net, unter­liegen ein­er geson­derten Bau­vorschrift. Diese begren­zt die ober­ste Stand­höhe des Benutzers auf acht Meter beim Ein­satz der Arbeits­bühne im Freien und auf zwölf Meter beim Ein­satz in geschlosse­nen Räu­men. Damit wird dem Umstand Rech­nung getra­gen, dass im Freien mit Winde­in­flüssen zu rech­nen ist, wobei die Arbeit­en bei Sturm natür­lich sofort einzustellen sind.

Da fahrbare Arbeits­büh­nen mit Rädern aus­ges­tat­tet sind, kön­nen sie auf eben­em und gle­ichzeit­ig tragfähigem Unter­grund von Hand bewegt wer­den. Dies ist beispiel­sweise bei der Instal­la­tion der Beleuch­tung in Hallen hil­fre­ich, da diese Arbeit­en nicht mehr von ein­er Leit­er aus durchge­führt wer­den dür­fen. Auch für fahrbare Arbeits­büh­nen wird vom Her­steller eine Auf­bau- und Ver­wen­dungsan­leitung mit­geliefert, die den richti­gen Auf­bau und die bes­tim­mungs­gemäße Ver­wen­dung beschreibt.

Fahrbare Arbeits­büh­nen wer­den häu­fig in Handw­erks­be­trieben einge­set­zt, da sie nicht am Gebäude oder an der Fas­sade ver­ankert wer­den müssen und im Ver­gle­ich zu Gerüsten schneller auf- und abge­baut wer­den kön­nen. In der Prax­is zeigt sich jedoch häu­fig, dass den Beschäftigten die ver­schiede­nen Auf­bau­vari­anten seit­ens des Her­stellers nicht bekan­nt sind.

Dies stellt eine große Gefahr dar, denn je nach Arbeit­shöhe sind in der Regel zusät­zliche Bal­last­gewichte, Rah­men­ver­bre­iterun­gen oder Ver­stre­bun­gen erforder­lich. Wer­den diese nicht ange­bracht oder nicht berück­sichtigt, kann das Gerüst leicht umkippen.

 

Gerüstbau und Prüfung: Nach dem fachgerechten Aufbau sind Gerüste zu prüfen und schriftlich freizugeben
Nach dem fachgerecht­en Auf­bau sind Gerüste zu prüfen und schriftlich freizugeben.
Foto: © Tischendorf

Beschaffenheit des Untergrunds

Unab­hängig von der Gerüs­tart ist beim Auf­bau auf einen tragfähi­gen Unter­grund zu acht­en. Standgerüste benöti­gen lastverteilende Unter­la­gen, um die Las­ten großflächig in den Unter­grund einzuleit­en und zu verteilen. Eben­so wichtig sind sichere Auf­stiege in Form von Trep­pen oder innen­liegen­den Leiteraufstiegen.

Bei größeren Gerüsten ist der Ein­bau von Per­so­n­en- und Las­te­naufzü­gen sin­nvoll, da diese nicht nur den Auf- und Abstieg, son­dern auch den Trans­port von Las­ten auf der Baustelle erleichtern.

Gerüste prüfen und freigeben

Gerüste und fahrbare Arbeits­büh­nen sind nach dem Auf­bau von ein­er zur Prü­fung befähigten Per­son zu prüfen und im Rah­men ein­er Freiga­be an Dritte zu übergeben.

Befähigte Per­so­n­en sind vom Unternehmer oder der Unternehmerin zu bes­tim­men und schriftlich zu beauf­tra­gen. Gerüst­prüfer und Gerüst­prüferin­nen müssen durch ihre Beruf­saus­bil­dung, ihre Beruf­ser­fahrung und ihre zeit­na­he beru­fliche Tätigkeit aus­re­ichende Ken­nt­nisse auf dem Gebi­et des Gerüst­baus besitzen. Fachkundi­ge Per­so­n­en (siehe oben) und Gerüst­prüfer kön­nen ein und diesel­ben Per­so­n­en sein.

Nach erfol­gter Prü­fung wird das Prüf­pro­tokoll ein­schließlich der Gerüstkennze­ich­nung mit wichti­gen Angaben – beispiel­sweise zur Bauart, zur Gerüstk­lasse und zur sicheren Benutzung – am Gerüs­tauf­stieg ange­bracht. In diesem Zus­tand ste­ht das Gerüst den eige­nen oder frem­den Beschäftigten zur Verfügung.

Sind während der Benutzung oder aus anderen Grün­den Änderun­gen an der Gerüstkon­struk­tion erforder­lich, so dür­fen diese nur von fach­lich geeigneten Per­so­n­en durchge­führt wer­den. Da sich durch die Änderun­gen neue Gefährdun­gen ergeben kön­nen, ist anschließend eine erneute Gerüst­prü­fung durch eine befähigte Per­son durchzuführen.

Denn nur sichere Gerüste und fahrbare Arbeits­büh­nen gewährleis­ten eine aus­re­ichende Stand­sicher­heit und ver­mei­den Abstürze und andere Unfälle bei der weit­eren Nutzung. Damit wird sich der zweite Teil dieses Beitrags in ein­er der näch­sten Aus­gaben näher befassen.


Autor: Markus Tischendorf
Fachjournalist
 
Foto: © Dägling

 

Drei Fra­gen an Jeanette Spanier

Zahlreiche Mängel

 
Gerüstbaumeisterin Jeanette Spanier
Jeanette Spanier
Foto: © Vivi Huras
Die Gerüst­baumeis­terin Jeanette Spanier ist seit fast 20 Jahren im Gerüst­bau tätig. Sie führt ein eigenes Unternehmen und grün­dete zwei Start-ups.

Die Fra­gen stellte Markus Tischendorf.

Auf Baustellen sieht man oft unsichere Gerüste, warum?

Wer­den Gerüste von Per­so­n­en errichtet, die nicht über die erforder­lichen Ken­nt­nisse und Fähigkeit­en im Gerüst­bau ver­fü­gen, führt das oft zu unsicheren Zustän­den oder sog­ar zu Unfällen. Der Beruf des Gerüst­bauers ist ein anerkan­nter Lehrberuf mit ein­er Aus­bil­dungs­dauer von drei Jahren.
Das allein erk­lärt schon, warum Gerüst­bau nicht neben­bei betrieben wer­den kann. Gerüst­be­nutzer han­deln ver­botswidrig, wenn sie eigen­mächtig Änderun­gen am Gerüst vornehmen.

Gerüste müssen nach ihrem Auf­bau geprüft wer­den. Wer darf Gerüste prüfen und freigeben?

Ja, das ist richtig. Nach jedem Auf­bau ist eine Gerüst­prü­fung durch eine befähigte Per­son erforder­lich. Die Anforderun­gen an diese Per­so­n­en sind in der TRBS 2121 Teil 1 geregelt. Sie müssen die zur Prü­fung von Gerüsten erforder­lichen Ken­nt­nisse besitzen, die sie durch Beruf­saus­bil­dung, Beruf­ser­fahrung und zeit­na­he beru­fliche Tätigkeit erwor­ben haben.
An die Qual­i­fika­tion und Eig­nung von Gerüst­prüfern ist ein hoher Beurteilungs­maßstab anzule­gen, da es sich um eine äußerst ver­ant­wor­tungsvolle Tätigkeit handelt.

Welche Gerüst­män­gel treten beson­ders oft auf?

Män­gel an Gerüsten gibt es viele. Sie betr­e­f­fen die Grün­dung, beispiel­sweise fehlende Lastverteil­er unter den Gerüst­füßen, oder unsichere Ver­ankerun­gen. Auch Seil­be­fes­ti­gun­gen von Fas­sadengerüsten an Fall­rohren, Schneefang­git­tern und anderen insta­bilen Dachele­menten sind lei­der keine Sel­tenheit. Gefährlich sind stets ein unzure­ichen­der Seit­en­schutz oder fehlende Auf­stiege, die zum Klet­tern einladen.

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