Gerüste sind gefährlich. Das belegen zumindest die Unfallzahlen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) in Berlin. Und in der Tat kommt es immer wieder zu schweren Unfällen, weil Gerüste und fahrbare Arbeitsbühnen (= Fahrgerüste) nicht fachgerecht aufgebaut werden.
Mangelhafte Absicherung
Derzeit erleben wir in Deutschland eine Energiewende; alte Technologien treten in den Hintergrund, neue Techniken werden wiederentdeckt oder neu entwickelt und eingeführt. Zu den wiederbelebten Technologien gehört der Einsatz von Photovoltaikanlagen, die vorzugsweise auf Dächern von Industriegebäuden oder Ein- und Mehrfamilienhäusern installiert werden. Gerade im privaten Bereich dauert die Montage meist nur wenige Tage, je nachdem wie viele Geschosse das Haus besitzt und wie verwinkelt das Dach selbst ist.
Derzeit ist es in vielen Regionen der Republik leider nicht selten, aus Kostengründen auf die Bereitstellung von Fassadengerüsten für den sicheren Aufstieg und als Dachfanggerüst zu verzichten. Stattdessen werden Behelfsgerüste oder auch Leiteraufstiege für Dachmontagen verwendet. Werden Gerüste von Laien errichtet, sind sie oft mangelhaft oder sogar gefährlich.
Grundlegende Aspekte des Gerüstbaus sind dem Errichter nicht bekannt und werden daher nicht berücksichtigt. Eine abschließende Prüfung und Gerüstfreigabe, wie sie der Gesetzgeber und die Berufsgenossenschaften vorsehen, findet meist nicht statt. Dabei sind die Vorschriften und Regeln für einen sicheren Gerüstbau klar definiert.
Fachkunde erforderlich
Gerüste dürfen nur unter Aufsicht einer fachkundigen Person des Gerüstbaus – zum Beispiel eines Gerüstbaumeisters, Obermonteurs oder Kolonnenführers – errichtet werden. Beschäftigte, die Gerüste auf- und abbauen, müssen fachlich geeignet sein.
Die erforderliche Eignung wird in der Regel durch eine abgeschlossene Berufsausbildung als Gerüstbauer oder eine vergleichbare Qualifikation mit entsprechender Berufserfahrung nachgewiesen. Je komplexer die Gerüstkonstruktion ist, desto höher sind die Anforderungen an die Beschäftigten. Die Fachkenntnisse sind durch Teilnahme an Schulungen auf dem aktuellen Stand zu halten.
Massenunfall durch Gerüsteinsturz
Wie gefährlich mangelnde Kenntnisse im Gerüstbau und der unsichere Umgang mit Gerüsten sein können, zeigt ein folgenschwerer Massenunfall, der sich am 31. Oktober letzten Jahres in Hamburg ereignete. Dort stürzte auf einer Großbaustelle in der Hafencity ein Baugerüst ein. Was war passiert?
In einem Rohbau war ein Gerüst über mehrere Stockwerke in einen Schacht gestürzt und hatte fünf Arbeiter unter sich begraben. Vier von ihnen waren sofort tot, der fünfte wurde nach einer aufwendigen Rettung mit lebensgefährlichen Verletzungen befreit und ins Krankenhaus eingeliefert. Dort erlag er jedoch später seinen Verletzungen. Die Ursache für den Einsturz des Gerüstes ist noch unklar. Die Ermittlungen laufen und werden wohl noch einige Zeit andauern, so ein Polizeisprecher damals.
Weiteres Ereignis in München
Um die Gefährdungen durch fehlerhafte Gerüste besser zu verdeutlichen, soll hier ein weiteres Beispiel genannt werden. Kurz vor Weihnachten 2023 stürzte in München ein Baugerüst auf ein parkendes Auto. Die Metallstangen begruben das Auto unter sich und rissen zudem die Oberleitung der Straßenbahn herunter.
Wie durch ein Wunder wurde der Autofahrer nur leicht verletzt, obwohl die Stangen das Fahrzeugdach durchschlugen. Der Sohn des Autofahrers, der sich zum Unfallzeitpunkt neben dem Auto befand, blieb glücklicherweise unverletzt.
Die Stadtwerke München schalteten den Strom der beschädigten Oberleitung ab, die anschließend geerdet wurde. Einsatzkräfte der Feuerwehr kümmerten sich danach um die Beseitigung des völlig zerstörten Gerüstes. Warum das Gerüst einstürzte, ist seitdem Gegenstand der Ermittlungen von Polizei und zuständiger Arbeitsschutzbehörde. Bekannt ist bislang, dass es zum Zeitpunkt des Unglücks sehr stürmisch war.
Dass die genannten Beispiele keine Ausnahmen sind, zeigt auch ein Blick in die Statistik. Die DGUV veröffentlichte das Unfallgeschehen beim Umgang mit Gerüsten einschließlich fahrbarer Arbeitsbühnen und Behelfsgerüsten für das Jahr 2022.
Demnach ereigneten sich insgesamt 5570 meldepflichtige Arbeitsunfälle mit Gerüsten. Sieben Unfälle endeten tödlich. In 315 Fällen erlitten die verunfallten Beschäftigten so schwere Verletzungen, dass sie erstmals eine Unfallrente von der zuständigen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse erhielten. Bezogen auf alle gemeldeten Arbeitsunfälle ist etwa jeder dritte Arbeitsunfall auf den Absturz von Personen zurückzuführen.
Verschiedene Bauformen
Gerüste sind temporäre Baukonstruktionen, die mit Gerüstlagen unterschiedlicher Länge und Breite aus Gerüstbauteilen auf- und abgebaut werden. Gerüste wie Fassadengerüste, Raumgerüste, Hängegerüste oder Schutzgerüste gibt es in verschiedenen Bauformen.
Werden sie nach den Regeln der Technik und unter Beachtung der Aufbau- und Verwendungsanleitung des Herstellers errichtet, kann von einer sicheren Konstruktion ausgegangen werden. Die Stabilität und Standsicherheit des Gerüstes hängt jedoch auch von den Umgebungsbedingungen am Aufstellungsort ab.
Besonderheiten bei Fahrgerüsten
Fahrbare Arbeitsbühnen, oft auch als Fahrgerüste bezeichnet, unterliegen einer gesonderten Bauvorschrift. Diese begrenzt die oberste Standhöhe des Benutzers auf acht Meter beim Einsatz der Arbeitsbühne im Freien und auf zwölf Meter beim Einsatz in geschlossenen Räumen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass im Freien mit Windeinflüssen zu rechnen ist, wobei die Arbeiten bei Sturm natürlich sofort einzustellen sind.
Da fahrbare Arbeitsbühnen mit Rädern ausgestattet sind, können sie auf ebenem und gleichzeitig tragfähigem Untergrund von Hand bewegt werden. Dies ist beispielsweise bei der Installation der Beleuchtung in Hallen hilfreich, da diese Arbeiten nicht mehr von einer Leiter aus durchgeführt werden dürfen. Auch für fahrbare Arbeitsbühnen wird vom Hersteller eine Aufbau- und Verwendungsanleitung mitgeliefert, die den richtigen Aufbau und die bestimmungsgemäße Verwendung beschreibt.
Fahrbare Arbeitsbühnen werden häufig in Handwerksbetrieben eingesetzt, da sie nicht am Gebäude oder an der Fassade verankert werden müssen und im Vergleich zu Gerüsten schneller auf- und abgebaut werden können. In der Praxis zeigt sich jedoch häufig, dass den Beschäftigten die verschiedenen Aufbauvarianten seitens des Herstellers nicht bekannt sind.
Dies stellt eine große Gefahr dar, denn je nach Arbeitshöhe sind in der Regel zusätzliche Ballastgewichte, Rahmenverbreiterungen oder Verstrebungen erforderlich. Werden diese nicht angebracht oder nicht berücksichtigt, kann das Gerüst leicht umkippen.
Beschaffenheit des Untergrunds
Unabhängig von der Gerüstart ist beim Aufbau auf einen tragfähigen Untergrund zu achten. Standgerüste benötigen lastverteilende Unterlagen, um die Lasten großflächig in den Untergrund einzuleiten und zu verteilen. Ebenso wichtig sind sichere Aufstiege in Form von Treppen oder innenliegenden Leiteraufstiegen.
Bei größeren Gerüsten ist der Einbau von Personen- und Lastenaufzügen sinnvoll, da diese nicht nur den Auf- und Abstieg, sondern auch den Transport von Lasten auf der Baustelle erleichtern.
Gerüste prüfen und freigeben
Gerüste und fahrbare Arbeitsbühnen sind nach dem Aufbau von einer zur Prüfung befähigten Person zu prüfen und im Rahmen einer Freigabe an Dritte zu übergeben.
Befähigte Personen sind vom Unternehmer oder der Unternehmerin zu bestimmen und schriftlich zu beauftragen. Gerüstprüfer und Gerüstprüferinnen müssen durch ihre Berufsausbildung, ihre Berufserfahrung und ihre zeitnahe berufliche Tätigkeit ausreichende Kenntnisse auf dem Gebiet des Gerüstbaus besitzen. Fachkundige Personen (siehe oben) und Gerüstprüfer können ein und dieselben Personen sein.
Nach erfolgter Prüfung wird das Prüfprotokoll einschließlich der Gerüstkennzeichnung mit wichtigen Angaben – beispielsweise zur Bauart, zur Gerüstklasse und zur sicheren Benutzung – am Gerüstaufstieg angebracht. In diesem Zustand steht das Gerüst den eigenen oder fremden Beschäftigten zur Verfügung.
Sind während der Benutzung oder aus anderen Gründen Änderungen an der Gerüstkonstruktion erforderlich, so dürfen diese nur von fachlich geeigneten Personen durchgeführt werden. Da sich durch die Änderungen neue Gefährdungen ergeben können, ist anschließend eine erneute Gerüstprüfung durch eine befähigte Person durchzuführen.
Denn nur sichere Gerüste und fahrbare Arbeitsbühnen gewährleisten eine ausreichende Standsicherheit und vermeiden Abstürze und andere Unfälle bei der weiteren Nutzung. Damit wird sich der zweite Teil dieses Beitrags in einer der nächsten Ausgaben näher befassen.
Drei Fragen an Jeanette Spanier
Zahlreiche Mängel
Auf Baustellen sieht man oft unsichere Gerüste, warum?
Werden Gerüste von Personen errichtet, die nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten im Gerüstbau verfügen, führt das oft zu unsicheren Zuständen oder sogar zu Unfällen. Der Beruf des Gerüstbauers ist ein anerkannter Lehrberuf mit einer Ausbildungsdauer von drei Jahren.
Das allein erklärt schon, warum Gerüstbau nicht nebenbei betrieben werden kann. Gerüstbenutzer handeln verbotswidrig, wenn sie eigenmächtig Änderungen am Gerüst vornehmen.
Gerüste müssen nach ihrem Aufbau geprüft werden. Wer darf Gerüste prüfen und freigeben?
Ja, das ist richtig. Nach jedem Aufbau ist eine Gerüstprüfung durch eine befähigte Person erforderlich. Die Anforderungen an diese Personen sind in der TRBS 2121 Teil 1 geregelt. Sie müssen die zur Prüfung von Gerüsten erforderlichen Kenntnisse besitzen, die sie durch Berufsausbildung, Berufserfahrung und zeitnahe berufliche Tätigkeit erworben haben.
An die Qualifikation und Eignung von Gerüstprüfern ist ein hoher Beurteilungsmaßstab anzulegen, da es sich um eine äußerst verantwortungsvolle Tätigkeit handelt.
Welche Gerüstmängel treten besonders oft auf?
Mängel an Gerüsten gibt es viele. Sie betreffen die Gründung, beispielsweise fehlende Lastverteiler unter den Gerüstfüßen, oder unsichere Verankerungen. Auch Seilbefestigungen von Fassadengerüsten an Fallrohren, Schneefanggittern und anderen instabilen Dachelementen sind leider keine Seltenheit. Gefährlich sind stets ein unzureichender Seitenschutz oder fehlende Aufstiege, die zum Klettern einladen.