Die Arbeitsumgebung von Stefanie Blum wirkt fein herausgeputzt und wie neu, trotz ihrer Fertigstellung vor einem Jahrzehnt. Nebenan reihen sich funktional eingerichtete, aufgeräumte Single- und Gruppen-Büroräume aneinander wie in einem riesigen Puppenhaus. Dazwischen trifft man auf offene Arbeitsstellen, die von schallschluckenden Registerschränken eingerahmt werden. Nichts Störendes liegt herum, keine Schublade steht offen, der berühmt-berüchtigte Kabelsalat als potenzielle Stolperstelle fehlt – ein passendes Ambiente für die Sicherheitsbeauftragte im vierten Stock des großen Verwaltungsgebäudes von Netze BW nahe dem Bahnhof von Biberach.
Von wegen harmlos
Von ihrem Schreibtisch aus kann die Industriekauffrau einen Blick ins historische Zentrum der oberschwäbischen Stadt werfen. Doch das geschieht nicht allzu oft, denn höchste Priorität genießt bei ihr die richtige Haltung am Schreibtisch. Das fängt schon beim Sitzen an. „Von wegen harmloser Arbeitsalltag im Büro. Unsere Risiken lauern nicht unmittelbar, sondern wirken sich viel später aus“, verweist Stefanie Blum auf schleichende gesundheitliche Schäden zum Beispiel durch „falsches Hocken“. So könne eine gewisse dauerhaft eingenommene „Lümmelhaltung“, wie sie es nennt, eines Tages in Rückenschmerzen enden. Auch das gequetschte Positionieren an der Tischkante machte die Verwaltungsmitarbeiterin als Gefahrenherd für die Beschäftigten aus – schließlich kann es sich ungünstig auf den Magen-Darm-Bereich auswirken. Und Nacken- wie Halsprobleme durch Überstreckung drohen, wenn Schreibutensilien auf der Arbeitsfläche jenseits der Griffweite lagern.
Gesundes Sitzen im Fokus
„Der Blickwinkel zur Horizontalen sollte 35 Grad unterhalb der Sehachse liegen und der Sehabstand zum Monitor 60 bis 80 Zentimeter betragen.“ Das stammt nicht etwa aus dem Munde von Blum, sondern aus der Checkliste „Gesund arbeiten am PC“ für Büro- und Bildschirmarbeitsplätze des Mutterkonzerns EnBW. Ein sehr sicherheitsbewusster Arbeitgeber, der sich nach Einschätzung von Blum zum Beispiel das erwähnte gesunde Sitzen einiges kosten lässt. „Hier wird wirklich alles gemacht, damit es uns gut geht.“ Sei es die Vertikal-Maus für die Kollegin mit der Sehnenscheiden-Entzündung am Handgelenk oder der mit Abstützrollen ausgestattete kippsichere Arbeitsstuhl fürs dynamische Sitzen. Die umfangreiche Aufzählung mit Tipps zur „perfekten Haltung“ im Büro kennt die Sicherheitsbeauftragte freilich in und auswendig. „Jeder Neuling bekommt sie am ersten Tag, Mitarbeiter im Homeoffice müssen das Papier sogar unterschreiben, damit sie die Sicherheit gleich mit nach Hause nehmen“, betont Blum, eine von insgesamt 220 Sicherheitsbeauftragten bei Netze BW.
Nicht warten, bis es weh tut
Jeder, der von der Oberschwäbin über ergonomische Erfordernisse im Job informiert wird, spürt, dass ihr dieses Thema ganz besonders am Herzen liegt – insbesondere die notwendige Prävention. Hier könne man schließlich so viel machen. Die Schwierigkeit sei jedoch, dass Beschwerden durch Fehlverhalten erst nach Jahren auftreten. „Somit ist es manchmal schwer, den Kollegen deutlich zu machen, dass man Vorsorge treffen kann: etwa durch korrektes Sitzen oder nach einem Acht-Stunden-Tag hinterm Schreibtisch Sport zu betreiben und auf die Ernährung zu achten.“ Ein klarer Fall für die Sicherheitsbeauftragte, die dieses Ehrenamt einst ohne großes Zögern übernommen hat. „Ich möchte nicht, dass die Kollegen warten, bis es weh tut, sondern vorher etwas unternehmen.“
Immer im Gespräch
Die kontaktfreudige Sicherheitsfrau sucht dazu ständig das Gespräch mit ihren „Kandidaten“: „Wenn jemand über Kreuzprobleme klagt, frage ich schon mal freundlich, aber keinesfalls im Befehlston nach, wann das letzte Mal die Checkliste angeguckt wurde.“ Dabei macht sie auch keinen Unterschied zwischen Mitarbeiter und Chef – im Gegenteil: Letzterer wählte mit der verantwortungsbewussten Industriekauffrau und Sekretärin wohl die richtige Person für die anspruchsvolle Aufgabe.
Und so legte sie vor knapp fünf Jahren gleich mit viel Schwung und Elan los. Bei einem „Tag der Arbeitssicherheit“ widmete sich die ganze Abteilung dem Thema „richtiges Sitzen“. Seither gibt es regelmäßige Begehungen der Büros, bei denen nach dem Rechten gesehen wird, halbjährliche kleine Checks mit dem Abteilungsleiter, zweijährige große sogar mit ärztlicher Begleitung: „Ich hatte die Medizinerin um Prüfung gebeten, ob alles richtig und nach den Vorgaben der Liste gemacht wird. Danach hat sie sich jeden einzelnen Sitz, Tisch und PC vorgeknöpft“, berichtet Stefanie Blum von einer ihrer ersten Aktionen im neuen Amt. Bescheiden fügt sie hinzu: „Das war nicht alles meine Erfindung, aber ich wollte meinen Kollegen etwas Gutes tun.“
Bewusste Einsatzgrenzen
Diese Prüftermine werden von den Mitarbeitern gern angenommen, um sich vor der Gruppe oder in Einzelgesprächen von ihren Problemen oder Wehwehchen freizureden. „Die Leute sind da meist sehr offen, denn sie wollen ja etwas geändert haben“, erklärt Blum und weist umgehend auf die Grenzen solcher Meetings hin: „Ich bekomme schon mal mit, wenn sich einer über ständige Schlafprobleme beklagt. Als Sibe wird man da schon hellhörig.“ Aber bei schwerwiegenden Schwierigkeiten wie seelischen Beeinträchtigungen sei die Grenze erreicht: „Das ist mir dann eine Nummer zu groß“, gesteht sie und verweist auf den psychosozialen Helferkreis im Haus mit zwei Bediensteten. „Man braucht bei uns nicht zwangsläufig sofort zum Arzt zu laufen.“
Verständnis für Pedanterie
Ihre Bemühungen danken die Mitarbeiter der durchsetzungsstarken Frau, indem sie ihr nachsehen, dass sie „genau und pingelig, wenn nicht manchmal sogar pedantisch daherkommt.“ Dennoch fühlt sie sich als Sicherheitsbeauftragte gut in die Mannschaft „integriert“. Auch wenn die Wertschätzung ihrer Rolle mehr auf Seiten der Führung angesiedelt zu sein scheint. „Ich vermute, dass dieses Amt nicht überall als wichtig gesehen wird“, schränkt Blum ein. Die Frage, ob es ihr zusätzlichen Arbeitsaufwand beschert, kann sie schlecht beantworten, weil sie von oberster Stelle „immer die nötige Zeit bekommt“, die sie dafür braucht.
Hinzu kommt die gute Teamwork mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit: „Die für mich zuständige Sifa ist immer und jederzeit für mich erreichbar. Die Zusammenarbeit mit dem sehr kompetenten Ansprechpartner bereitet mir großen Spaß.“
Auswirkungen auf das Privatleben
Das gilt wohl auch für den Zusatzjob: „Ich mache das wirklich gern, da zur simplen Büroarbeit noch eine echte Herausforderung anfällt und ich gleichzeitig anderen helfen kann.“
Diese Verpflichtung färbt mittlerweile auch auf ihr Privatleben ab: „Ich kümmere mich seither weit mehr um meine körperliche und psychische Gesundheit“, gibt Stefanie Blum zu. Sie bewege sich öfter, achte auf gesunde Ernährung, lasse sich nicht mehr so schnell hetzen oder dazu hinreißen, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Diese Haltung kommt selbst beim häuslichen Fensterputzen zum Vorschein: „Ich mache das bestimmt immer noch nicht perfekt, aber bin mir viel stärker der Risken bewusst“, erklärt die begeisterte Kraft- und Yoga-Sportlerin, die zudem Kochen und Lesen als Hobbys angibt. „Man kann schließlich immer noch etwas dazulernen und sich entsprechend weiterentwickeln“, fügt sie mit einem herzhaften Lachen hinzu.
Günter Stauch
Steckbrief
- Stefanie Blum
- 38 Jahre
- Industriekauffrau
- Branche: Netzbetreiber
- Sicherheitsbeauftragte seit 2014
Netze BW GmbH
- 3.700 Beschäftigte
- 100.000 Kilometer Stromnetz
- 2,32 Millionen Netzkunden
- 4.900 Kilometer Erdgastransport- und ‑verteilnetze
- 147.000 Hausanschlüsse
- www.netze-bw.de
Die Netze BW GmbH ist das größte Netzunternehmen für Strom, Gas und Wasser in Baden-Württemberg. Sie ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der EnBW AG, dem drittgrößten Energieversorgungsunternehmen in Deutschland.
Zentralbereiche von Netze BW sind am Unternehmenssitz in Stuttgart angesiedelt. Operative Aufgaben wie die Netzkundenbetreuung und Anschlussservice, Entwicklung, Bau und Betrieb erfolgen dezentral in vier Netzgebieten. Darunter fällt die Sektion Bodensee-Oberschwaben mit den Standorten Biberach an der Riß und Tuttlingen.