Welche Sicherheitsfragen und ‑themen stehen bei ROKOKO im Vordergrund?
Auf der technischen Seite steht die Entwicklung eines sicheren Greifers im Fokus, der übrigens selber roboterähnliche Sicherheitsfunktionen hat. Für den Planungsprozess sind wir dabei, die wichtigsten Aufgaben für die Planung der sicheren Applikation in diesem Planungsprozess zu identifizieren und zu beschreiben, angefangen vom (groben) MRK[2]-Sicherheitskonzept über das MRK-gerechte Engineering bis hin zur Validierung und Dokumentation der Sicherheitsfunktionen mit abschließender Gefährdungsbeurteilung. Je Anwender werden zwei Anwendungsfälle identifiziert, die mit einem Leichtbauarm bewältigt werden können und im Rahmen des Projekts realisiert, zertifiziert und erprobt werden sollen.
Können Sie bereits Angaben machen, wie Applikationen zu gestalten sind, damit sie vom Mitarbeiter akzeptiert, von der Berufsgenossenschaft zertifiziert und dazu auch noch wirtschaftlich sind?
Hier sind wir beim „magischen Dreieck“ der schutzzaunlosen Robotik: akzeptiert, sicher und wirtschaftlich. Den Begriff „durch die Berufsgenossenschaft zertifiziert“ haben wir 2016 in der Studie so eingebracht, weil es in diesem neuen Gebiet ein fester Bezugspunkt war und alle befragten Firmen bei der gleichen Berufsgenossenschaft waren. Inzwischen gibt es eine Reihe von Dienstleistern, die diese „Zertifizierung“ durchführen – es geht ja um die Vergabe der CE-Kennzeichnung, also die Applikation in Verkehr zu bringen und um die betriebsbezogene Gefährdungsbeurteilung.
Die Wirtschaftlichkeit wird mit zunehmend verfügbarer, sicherer Peripherie immer besser werden – da auch die Komponenten günstiger werden. Ein Beispiel: Wir haben 2016 mit einem Partner eine Applikation entwickelt, bei der der sichere Endeffektor rund die Hälfte der gesamten Engineering-Kosten der Anlage verbraucht hat. Ende dieses Jahres wird es einen geeigneten Endeffektor käuflich am Markt geben und die Engineering-Kosten betragen nur noch ein Bruchteil derer von 2016.
Die Akzeptanz ist immer hoch, wenn der Mitarbeiter sich entlastet beziehungseise unterstützt fühlt. Vor allem im Automobilbereich sind deshalb eine Reihe von Projekten mit dem Ziel der ergonomischen Verbesserung gelaufen, zum Beispiel bei schweren Lasten oder Über-Kopf-Montagen. Gute Akzeptanz finden auch Projekte, welche die Qualität verbessern, vor allem wenn der „ungenaue“ Mensch die Ursache der Qualitätsmängel ist, und damit Reklamationen und Nacharbeiten vom Mitarbeiter fernhalten. Aber egal ob Ergonomie, Qualität oder Wirtschaftlichkeit im Fokus stehen: Zur Akzeptanz gehört erstens, dass der eigene Arbeitsplatz nicht gefährdet ist und zweitens muss die Integration und Partizipation der Mitarbeiter so früh wie möglich erfolgen.
Ab wann amortisiert sich die Einführung von schutzzaunlosen Robotern in der Montage?
Die Wirtschaftlichkeit ist von der Gesamtinvestition und der gegenüberzustellenden Gesamteinsparung abhängig, und diese Größen variieren von Fall zu Fall sehr stark. Auf den Webseiten von Roboterherstellern finden Sie teilweise atemberaubende Amortisationszeiten, die meist bei einfachen Handlingsaufgaben erreicht werden, wo neben dem Roboter typischerweise nur ein geeigneter Endeffektor benötigt wird. Wenn der Roboter bei einem Montageprozess „Face- to-Face“ in unmittelbarer Nähe zum Mitarbeiter agiert und einen etwas komplexeren Montageprozess ausführen soll, steigen dagegen die Investitionen in Endeffektor, Sicherheitstechnik und Engineering enorm an.
Können Sie ein Beispiel aus einem Unternehmen nennen, in dem die Einbindung der Mitarbeiter bei der Gestaltung von MRK-Arbeitsplätzen schon vollzogen wurde? Wie ging man dort vor?
Im Projekt ROKOKO haben wir Beispiele, dass die Unternehmen die Mitarbeiter bereits bei der Grobplanung des MRK-Arbeitsplatzes sehr früh in die Gestaltung des manuellen Teils des Arbeitsplatzes eingebunden haben und dann zum Beispiel die Positionierung des Roboters und dessen Materialien mit Hilfe von Virtual-Reality-Technik gestaltet haben. Ein anderes Unternehmen macht die Montage im Prototypen-Stadium innerhalb der Montage-Halle, so dass alle Mitarbeiter, auch die aus anderen Systemen, die neue Technologie aus der Nähe erleben können. Die direkt betroffenen Mitarbeiter haben so eine frühe Mitsprachemöglichkeit, was die endgültige Gestaltung angeht, beziehungsweise sind bei den Probemontagen direkt am Prototypen-Arbeitsplatz integriert. Ergänzend kommt hier ein Planspiel zur Qualifizierung der Mitarbeiter in Bezug auf Technik und Montageablauf mit dem Roboter zum Einsatz.
1 Vom Projketträger Karlsruhe (PTKA) betreut und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert
2 MRK: Mensch-Roboter-Kollaboration
Verfahren und Methoden des ROKOKO-Projekts
Auf der technischen Seite arbeitet Fraunhofer IAO mit Partnern zusammen, die sich mit der Entwicklung sicherer Greifer befassen oder spezielle Programmierlogiken entwickeln, die im Betrieb den Ablauf zwischen Mensch und Roboter besser synchronisieren oder Applikationen integrieren.
Im Planungsbereich entwickeln das Forschungsprojekt eine ‚Toolbox‘, die eher auf kleinere Unternehmen zugeschnitten ist. Elemente dieser Toolbox sind:
- einen „Applikationssucher“, der mit Hilfe der Zielstellungen des Unternehmens „sinnvolle“ Applikationen vorschlägt und diese dann auf Basis weniger Kriterien bewertet.
- eine Roboterdatenbank (Excel), in der aktuell circa 50 käufliche Roboter mit den wichtigsten Kriterien aufgelistet sind.
- eine Greiferdatenbank.
- für die frühe Planungsphase zwei Tools, mit denen die notwendige Investition sowie die Roboterzykluszeiten in Kategorien geschätzt werden können.
- ein Tool zur Wirtschaftlichkeitsrechnung, das in verschiedenen Planungsphasen, also planungsbegleitend, eingesetzt werden kann.
Im technisch-organisatorischen Bereich entwickelt das Projekt-Team ein applikationsspezifisches Planspiel zur Qualifizierung der Mitarbeiter in Bezug auf Technik und Montageablauf mit dem Roboter (Vorhandene VR-Tools zur Einbindung der Mitarbeiter bei der Planung kommen ebenfalls zum Einsatz). Weiterhin arbeitet Fraunhofer IAO mit einem Instrument, mit dem unterschiedliche arbeitsorganisatorische Szenarien der kollaborativen Montage bewertet werden können. Bei der Planung der Arbeitsorganisation unterstützt das Institut die an der Studie beteiligten Unternehmen.
Ergänzend zu diesen Tools aus dem Projekt ROKOKO leitet das Fraunhofer IAO seit 2016 Industriearbeitskreise zum Thema „Leichtbauroboter in der Montage“. Die nächsten beiden Arbeitskreise sollen im Herbst 2019 starten.