Frau Holderied, schon als 15-Jährige wollten Sie alle auf dem Mofa hinter sich lassen. Ist dieser Siegeswille ein entscheidender Faktor für ihre Erfolge im Rallye-Sport – oder wie gewinnt man Autorennen?
Das wichtigste ist natürlich Talent, also ein gutes Gespür für das Auto. Bewegt es sich schon im Grenzbereich? Fängt es an zu rutschen oder kann ich es noch schneller durch die Kurve zirkeln? Dies richtig einschätzen zu können ist eine Gabe – der Popometer, wie man so schön sagt. Das Auto ist in diesem Fall ja ein Sportgerät. Das muss einem liegen, damit muss man umgehen können. Aber hinzu kommt ganz klar der Wille. Bei mir war es immer so: Egal welchen Sport ich gemacht habe, ich wollte immer gewinnen. Das ist mir in die Wiege gelegt. Sobald ich den Helm aufhabe, am Start stehe, den ersten Gang einlege, macht es Klick in meinem Kopf und dann ist dieser Wille da. Um Rallyes zu gewinnen, muss man natürlich auch konditionell fit sein, das darf man nicht vergessen. Je fitter, desto besser ist die Konzentration. Man bewegt sich ja ständig im Grenzbereich. Das ist anstrengend, aber es macht auch unheimlich Spaß, alles aus sich und dem Fahrzeug herauszuholen.
Gab es Momente in Ihrer Sportkarriere, in denen Sie Ihre Sicherheit für einen Sieg riskiert haben?
Man geht für einen Sieg schon an seine Grenzen, an die Grenzen des Fahrzeugs und an die persönlichen Grenzen. Aber man bleibt nicht mutwillig auf dem Gas stehen – höchstens, wenn eine Wiese oder viel Auslaufzone vorhanden ist. Dann kann man einmal testen, wo die Grenze ist. Aber umso länger man fährt, desto besser kann man das einschätzen. Es gehört einfach viel Erfahrung dazu. Natürlich habe ich mich auch schon mal verschätzt und bin abgeflogen. Da aber die Autos so sicher sind, ist nie etwas passiert – Rennautos sind ja noch sicherer als Straßenautos. In meinem Toyota Corolla waren sehr starke Rohre zu einem Überrollkäfig verbaut. Zudem ist man in der Fahrgastzelle mit dem Sechs-Punkt-Gurt so fest an den Sitz geschnallt, dass man nur noch Arme und Beine bewegen kann. Da ist kein Zentimeter Luft dazwischen.
Heute geben Sie Fahrsicherheitstrainings. Im Straßenverkehr ist eher ein defensiver Fahrstil gefragt. Sind Sie die Richtige, um dies zu vermitteln?
Ich denke, gerade wegen meiner enormen Fahrerfahrung kann ich den Menschen sehr gut vermitteln, wie gefährlich es draußen auf den Straßen ist und wie man sich als Fahrer verhalten sollte. Ich bin ja in meinem Leben bestimmt schon zwei Millionen Kilometer gefahren – nicht nur auf Rennstrecken, sondern auch im Straßenverkehr. Am heutigen Verkehr stört mich, dass zu wenig Rücksicht aufeinander genommen wird. Ich bin eher ein Fahrer, der versucht, die Fehler anderer auszugleichen. Wenn jemand zu weit rüberkommt, kann ich ausweichen – wenn es die Situation zulässt. Heute beharrt aber jeder nur noch auf seinem Recht. Das finde ich im Straßenverkehr nicht richtig. Zu den Teilnehmern in meinen Fahrtrainings sage ich deshalb immer, wenn einer etwas falsch macht, könnt ihr ihm als gute Fahrer helfen, ausgleichend reagieren und gelassen bleiben. Meine Erfahrung hilft mir aber auch in anderer Hinsicht: Wir üben ja auf einer Schleuderplatte, wie man ein Auto abfängt, das sich wegdreht. Hier kann ich mich sehr gut in die Fahrer hineinversetzen. Ich habe das ja selbst gelernt und ein gutes Auge dafür, was falsch läuft: Warum schafft der das nicht, wie lenkt er, muss er anders lenken? Das kann ich dann auch sehr gut vermitteln.
Juckt es Sie nie, auch mal im Straßenverkehr Gas zu geben?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe ja das Glück, dass ich öfter schöne Sportwagen auf abgesperrten Strecken fahren darf. Ich nehme zwar nicht mehr aktiv an Meisterschaften teil, kann meine Leidenschaft aber beispielsweise bei Autopräsentationen weiter ausleben. Darum bin ich auf öffentlichen Straßen vermutlich der entspannteste Fahrer, der sich denken lässt.
Steckbrief
- geboren 1966 in Oberammergau
- Erlernter Beruf: Anwaltsgehilfin, Fahrsicherheitsinstruktorin
- seit 1993 Rallye-Profi. Größte Erfolge: Damen-Weltmeisterin (1994, 1995), Damen-Europameisterin (1992, 1993, 1996, 1997), sechs Siege beim „Coupe des Dames“ bei der Rallye Monte Carlo, Europameisterin FIA-Cup Gruppe N (1992), Vize-Weltmeisterin FIA-Cup Gruppe N (1994).
- ADAC Motorsportler des Jahres 1995
- Toyota Markenbotschafterin
- Kolumnistin für die ADAC Motorwelt
- Jurymitglied des Goldenen Lenkrads