Wann Schutzmaßnahmen vor Lärmbelastung notwendig sind, zeigt eine Gefährdungsbeurteilung. Sie ist im Allgemeinen die systematische Ermittlung und Bewertung von Gefahren für Beschäftigte am Arbeitsplatz. Das Ziel dieser Beurteilung ist, die erforderlichen Maßnahmen zum Lärm- und Schallschutz festzulegen, um die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu gewährleisten.
Gefahren erkennen
Akustische Ereignisse sind unsichtbar. Infolgedessen sind sie oftmals in ihrer Wirkung auf die Gesundheit des Menschen nicht direkt greifbar und werden dadurch häufig unterschätzt. Während gegen lauten Lärm Gehörschutz eingesetzt werden sollte, können auch bei vergleichsweise weniger lauten Geräuschen gesundheitliche Risiken bestehen, wie beispielsweise in Mehrpersonenbüros oder Kindertageseinrichtungen. Aus diesem Grund müssen für jede beschäftigte Person die Risiken der Lärmwirkung untersucht und eingeordnet werden. Dies geschieht im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung.
Informationen zur Situation
Im ersten Schritt der Gefährdungsbeurteilung werden Informationen zur akustischen Situation am Arbeitsplatz ermittelt. Die genaueste Möglichkeit hierzu bietet das Messen und Auswerten der akustischen Parameter, bei der die Lärmbelastung auf die Beschäftigten und die raumakustischen Gegebenheiten festgestellt werden.
Darüber hinaus können tabellarische Werte für berufliche Tätigkeiten, Berechnungen oder Herstellerangaben für Maschinenarbeitsplätze sowie Informationen der arbeitsmedizinischen Vorsorge herangezogen werden. Auch lärmbezogene Arbeitsplatzbegehungen zur Beschreibung der akustischen Situation können erforderlich werden.
Zweck dieser Informationsermittlung ist die objektive Quantifizierung der akustischen Einflüsse am Arbeitsplatz. Diese werden je nach Fragestellung und Anwendungsbereich in den akustischen Kenngrößen Tages-Lärmexpositionspegel (LEx,8h) und Spitzenschalldruckpegel (LC, peak) oder Beurteilungspegel (Lr) und Nachhallzeit (T) dargestellt.
Schutzmaßnahmen ableiten
Anhand dieser Kenngrößen kann die Beurteilung der Gefährdung durch Lärm mittels eines Vergleichs mit den gesetzlichen Grenzwerten erfolgen. Darauf aufbauend können zielgerichtete Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten erarbeitet werden.
Die Überprüfung der Wirksamkeit von bereits etablierten Maßnahmen zum Lärm- und Schallschutz stellt ebenfalls einen Teil der Gefährdungsbeurteilung dar. Eine gewissenhafte Dokumentation der Ausgangslage, der gemessenen Parameter und deren Beurteilung sowie der empfohlenen Maßnahmen ist ausschlaggebend für einen erfolgreichen Prozess. Das turnusmäßige Fortschreiben, beziehungsweise die Überarbeitung der Beurteilung bei Änderungen der akustischen Situation (beispielsweise durch den Einsatz neuer Maschinen und Arbeitsverfahren), ist der letzte Prozessschritt bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung.
Kenngrößen und Grenzwerte
In der Beurteilung der Gefährdung durch Lärm wird grundlegend zwischen zwei Anwendungsbereichen unterschieden:
- Zum einen betrifft dies Tätigkeiten mit der Gefahr der auralen, sprich physischen, Schädigung des Gehörs bis hin zur Ertaubung.
- Zum anderen handelt es sich um Arbeitsplätze ohne Gefahr der Beeinträchtigung des Hörorgans, dafür allerdings mit extra-auralen, das heißt psychischen, psychosomatischen und sozialen Folgen von Lärm.
Die Grenze zwischen diesen beiden Gefährdungsbereichen richtet sich nach der Stärke der Schallereignisse am Arbeitsplatz und wird vom Gesetzgeber auf einen Wert äquivalenten Dauerschallpegels (LAeq) von 80 dB(A) festgelegt. Dieser Wert wird mittels der A‑Bewertung herausgefunden. Die A‑Bewertung beschreibt ein in der akustischen Messtechnik verwendetes Verfahren zur Anpassung der gemessenen Werte des Schalldruckpegels an das menschliche Hörempfinden.
Technische Regeln
Ab Werten von LAeq ≥ 80 dB(A) finden die „Technische[n] Regeln zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung“ (TRLV Lärm) Anwendung, um eine schlimmstenfalls irreparable Schädigung des Gehörs zu verhindern. Hierbei sind der Tages-Lärmexpositionspegel (LEx,8h) und der Spitzenschalldruckpegel (LC, peak) die zu beachtenden Kenngrößen für die Lärmwirkung auf eine Person.
Anhand dieser Kenngrößen kann ein Vergleich mit den in der TRLV Lärm definierten Grenzwerten erfolgen, welche bei Überschreitung verschiedene Schutzmaßnahmen auslösen.
Die Auslösewerte sind definiert als:
- Obere Auslösewerte: LEx,8h = 85 dB(A) beziehungsweise LC, peak = 137 dB©
- Untere Auslösewerte: LEx,8h = 80 dB(A) beziehungsweise LC, peak = 135 dB©
Für geringere Werte als die unteren Auslösewerte sind keine Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Die TRLV Lärm wird aufgrund der beschriebenen Wertebereiche in einem lauten Arbeitsfeld angewendet. Dazu gehören häufig Tätigkeiten auf Baustellen, Industrieanlagen und Schießständen sowie Maschinenarbeitsplätze. Es können allerdings auch an eher unerwarteten Orten hohe Schallpegel auftreten, so dass auch in Küchen, Kreißsälen oder Kindergärten die TRLV Lärm zum Einsatz kommen kann, um die Beschäftigten vor einer Schädigung zu schützen.
Akustische Ereignisse
Für Arbeitsplätze und Tätigkeiten mit einem Wert kleiner als LAeq = 80 dB(A), wie beispielsweise in Büros, Laboratorien oder Schulen, ist mit keiner dauerhaften Schädigung des Hörorgans zu rechnen. Allerdings können akustische Ereignisse auch störend auf den Menschen wirken, wenn diese als eher leise empfunden werden. So kann bei einer konzentriert auszuführenden Tätigkeit ein leises, aber dennoch verständliches Gespräch oder Telefonklingeln als sehr belastend wahrgenommen werden. Stress und eine erhöhte Fehlerquote bei der auszuführenden Arbeit sind mögliche Folgen. Ebenso kann es aufgrund unzureichender, raumakustischer Bedingungen zu einer Beeinträchtigung der Sprachverständlichkeit und einer schlechten akustischen Orientierung kommen, was sich auf das Unfallrisiko auswirkt.
Zur Beurteilung dieser extra-auralen Gefährdung werden in der Technische[n] Regel für Arbeitsstätten ASR A3.7 „Lärm“ zwei akustische Kenngrößen definiert: der Beurteilungspegel (Lr) und die Nachhallzeit (T).
Beurteilungspegel und Nachhallzeit
Der Beurteilungspegel berücksichtigt sowohl die Stärke aller Schallereignisse am Arbeitsplatz als auch zusätzlich das Störpotenzial durch impulshaltigen Schall (zum Beispiel Telefonklingeln, Türenschlagen) sowie den Ton- und Informationsgehalt des Lärms (beispielsweise Sprache im Hintergrund, Surren der Lüftung). Die Nachhallzeit charakterisiert die Akustik eines Raumes, bedingt durch die Bauart und Einrichtung. Je nach Tätigkeit definiert die ASR A3.7 drei Pegel-Grenzwerte, die nicht überschritten werden dürfen:
- Für Tätigkeiten mit hoher Konzentration oder hoher Sprachverständlichkeit: Lr ≤ 55 dB(A).
- Für Tätigkeiten mit mittlerer Konzentration oder mittlerer Sprachverständlichkeit: Lr ≤ 70 dB(A).
- Für Tätigkeiten mit geringer Konzentration oder geringer Sprachverständlichkeit: Lr ist soweit wie möglich zu reduzieren.
Ebenfalls gelten je nach Raum-Nutzungsart unterschiedliche Anforderungen an die Nachhallzeit:
Für Büros mit kommunikationsbasierten Dienstleistungen („Callcenter“) gilt T ≤ 0,5 s, während beispielsweise für Ein- und Zweipersonenbüros T ≤ 0,8 s in den entsprechenden Frequenzbereichen einzuhalten ist.
Maßnahmen zum Lärm- und Schallschutz
Sind Grenzwerte nach ASR A3.7 oder TRLV überschritten, müssen in der Gefährdungsbeurteilung Maßnahmen zum Lärm- und Schallschutz der Beschäftigten aufgeführt werden. Diese sind vielfältiger Natur, wobei technische (etwa Ersatz von lauten Maschinen oder raumakustische Verbesserungen) vor organisatorischen (zum Beispiel räumliche Trennung von lauten und leisen Arbeitsplätzen) vor persönlichen (beispielsweise Gehörschutz) Maßnahmen zu ergreifen sind.
Begriffserklärungen
- dB: „Dezibel“ ist eine Hilfsgröße zur Quantifizierung der Stärke des Schalldrucks.
- A‑bewerteter äquivalenter Dauerschallpegel LAeq: ist der zeitlich energetisch gemittelte, mit der Frequenzbewertung A aufgenommene Schalldruckpegel.
- Tages-Lärmexpositionspegel LEx,8h: beschreibt die Lärmeinwirkung auf einen Beschäftigten für einen repräsentativen Arbeitstag.
- Spitzenschalldruckpegel LC, peak: ist der Höchstwert des Schalldruckpegels mit der Frequenzbewertung „C“ und der Zeitbewertung „peak“.
Er dient der Erfassung und Beurteilung akut gehörgefährdender Schallereignisse (z.B. Knalle, Explosionen). - Beurteilungspegel Lr: ist eine Größe zur Kennzeichnung der typischen Schallimmission für eine Tätigkeit, unter Berücksichtigung von Zuschlägen für die Impulshaltigkeit sowie Ton- und Informationshaltigkeit.
- Nachhallzeit T: ist die Zeitspanne, während der Schalldruckpegel in einem Raum nach Beenden der Schallfeldanregung um 60 dB abfällt.
Wichtige Regeln zum Lärm- und Schallschutz
- Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV)
- Technische Regeln zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (TRLV)
- TRLV Lärm
- TRLV Vibrationen
- Technische Regel für Arbeitsstätten (ASR) A3.7
- DGUV Information 209–023 „Lärm am Arbeitsplatz“
- DGUV Grundsatz 309–010 „Anforderungen an Fachkundige für die Messung und die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung bei Lärmexposition nach §5 der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung“
Autor:
Dr.-Ing. Benedikt Kohout widmet sich mit seinem Ingenieurbüro Auri Akustik der wissenschaftlich fundierten Gestaltung der Raumakustik. In diesem Rahmen hält er Vorträge zum Thema Lärm am Arbeitsplatz und ist Dozent an der UKBW Akademie.