Für das Verständnis der Änderungen müssen zunächst einmal die wichtigsten Hintergrundinformationen dargestellt werden:
In Deutschland sind rund ein Drittel aller Brände auf Elektrizität zurückzuführen. Ein Teil dieser Brände hat ihre Ursache in Mikrolichtbögen, die insbesondere durch Isolationsfehler entstehen (z.B. durch beschädigte Leitungen, gelockerte oder abgerissene Kontakte etc.). Treten solche Fehler parallel auf (z.B. durch eine Verbindung eines stromführenden Leiters mit dem Schutzleiter), können –wenn der Fehlerstrom groß genug ist – die vorgeschalteten Sicherungen so schnell auslösen, dass kein Brand entsteht.
Bei einem begrenzten Fehlerstrom oder einem seriellen Fehler (z.B. ganz oder teilweise Unterbrechung des Leiters durch Abriss) ist es allerdings unwahrscheinlich, dass ein solcher Fehler mit den herkömmlichen Schutztechniken festgestellt wird. Sofern der Abstand zwischen den abgetrennten Leiterenden klein genug ist, kann der Laststrom in Form eines Mikrolichtbogens die Fehlerstelle überbrücken. Der Lichtbogen erzeugt dabei Hitze, welche die Leiterisolation in Brand setzen kann. Charakteristisch für diesen Fehler ist, dass der Strom nicht mehr „glatt“ durch die Leitungen fließt, sondern – ähnlich wie bei einer Bohrmaschine mit abgeschliffenen Kohlebürsten – charakteristische Störimpulse aufweist, welche detektiert werden können. Während Rauchmelder lediglich Rauch oder Hitze als Produkt des bereits entstandenen Brandes erkennen können (… und das auch nur mit einem gewissen zeitlichen Verzug), besteht der wesentliche Vorteil des Brandschutzschalters darin, dass mit ihm bereits der sich anbahnende Brand erkannt werden kann.
Es war in der Vorgängernorm nie angedacht, den Brandschutzschalter flächendeckend einzusetzen oder sogar seine Nachrüstung in Bestandsanlagen einzufordern. Er sollte bei neu zu errichtenden elektrischen Anlagen insbesondere in Schlaf- und Aufenthaltsräumen von besonders schutzbedürftigen Menschen, wie Kinder oder ältere beziehungsweise behinderte Menschen, eingesetzt werden sowie dort wo es gilt, besondere und unersetzliche Sachgüter zu schützen. Ferner sollte der Brandschutzschalter dort zur Anwendung kommen, wo hohe Brandlasten bestehen beziehungsweise es leicht zu Bränden kommen kann. Für normale Schlafräume enthielt die Norm sogar nur eine Installationsempfehlung.
Überzogene Forderungen oder Sicherheit mit Augenmaß?
Kann also im Kontext dieser Anwendungsfälle wirklich von überzogenen Forderungen gesprochen werden? Zugegeben: Der Brandschutzschalter ist nicht günstig. Er kann auch nicht wie ein Fehlerstromschutzschalter dreiphasig betrieben werden, sondern ist nur für die Wechselstrom-Endstromkreise (insbesondere für Steckdosen) vorgesehen. Nimmt man beispielsweise den Anwendungsfall Seniorenheim, kommen tatsächlich spürbare Mehrkosten zusammen. Aber eine ähnliche Diskussion wurde seinerzeit auch bei der Einführung des Fehlerstromschutzschalters ausgelöst, dessen ursprünglich ebenfalls hoher Preis durch die allmähliche Verbreitung deutlich gesunken ist und der heute einen allgemein akzeptierten Standard darstellt.
Trotzdem genügten die neuen Anforderungen der Norm bereits, dass sich der „Arbeitskreis Maschinen- und Elektrotechnik staatlicher und kommunaler Verwaltungen“ (AMEV) mit dem Thema beschäftigte und die Empfehlung Nr. 133 herausbrachte (https://www.amev-online.de/AMEVInhalt/Planen/Elektrotechnik/EltAnlagen%202015/170623_Elt2015_1_ Erg_AFDD_EF.PDF). Der AMEV kommt hierin zu dem Ergebnis, dass die betreffende DIN VDE 0100–420 nicht zu den technischen Regeln gehört, die aufgrund der Landesbauordnungen als Technische Baubestimmung eingeführt worden sind. Zudem seien die in der Norm enthaltenen Vorgaben pauschal und undifferenziert und würden unzureichend die baulichen, technischen und nutzungsspezifischen Randbedingungen und Besonderheiten der öffentlichen Gebäude berücksichtigen. Es wurde seitens des AMEV sogar die Empfehlung ausgesprochen, in Kindertageseinrichtungen sowie in Heimen für behinderte oder alte Menschen keine Brandschutzschalter vorzusehen!
Was soll ein solches Papier? Es wäre nachvollziehbar gewesen, wenn der AMEV zu dem Schluss gekommen wäre, dass die bereits eingeführten Schutzmaßnahmen ausreichend sind und keine darüber hinausgehenden benötigt werden. Aber warum sollte man eine in anderen Ländern längst etablierte Schutzeinrichtung ignorieren und sogar ausdrücklich von ihrem Einsatz abraten? Woran soll man sich bei der Planung und Errichtung elektrischer Anlagen orientieren, wenn nicht an den VDE-Normen? Wer berücksichtigt in dem Ganzen hin und her die einfache Anforderung des Arbeitsschutzgesetzes, dass Gefahren an ihrer Quelle zu bekämpfen sind? Und zu guter Letzt:
Welche haftungsrechtlichen Konsequenzen ergeben sich gegebenenfalls für Planer und Errichter „im Falle eines Falles“, wenn ein nach Norm geforderter Brandschutzschalter aufgrund einer Empfehlung des AMEV nicht vorgesehen wurde?
Konsens dringend erforderlich!
Warum auch immer es zu dieser Aussage des AMEV kam: Fakt ist, dass sie in der Fachwelt eher zur Verwirrung als zur Klarstellung beigetragen haben dürfte. Deutlich wurde damit nur, dass es dringend eines fachlichen Ausgleichs zwischen den Parteien bedurfte.
Ein erster Versuch der Schlichtung war eine Verlautbarung des DKE (Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE), jedoch war absehbar, dass die Norm überarbeitet werden musste.
Der Konsens, zu dem man dann in der neuen Norn gekommen ist, besteht darin, dass bezüglich des Sachwerteschutzes nur noch Empfehlungen anstelle von Forderungen ausgesprochen werden. Noch schlimmer sieht es mit dem Schutz von Senioren, Behinderten und Kindern aus, denn die bisherigen Forderungen wurden zurückgezogen und die betreffenden Anwendungsfälle in der neuen Norm erst gar nicht mehr erwähnt!!! Stattdessen dürfen in Zweifelsfällen sich nun Planer, Errichter und Betreiber im Rahmen einer Risiko- und Sicherheitsbewertung darüber abstimmen, ob ein Brandschutzschalter gegebenenfalls notwendig wird oder nicht. Aber insbesondere in solchen Fällen, in denen Gebäude durch Investoren errichtet, jedoch von Betreibergesellschaften geführt werden, dürften Streitfälle aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen vorprogrammiert sein.
Wie sieht´s unterm Strich aus?
Als Kontraargument zum Brandschutzschalter wird angeführt, dass durch die Baubestimmungen der Länder sowie durch die Arbeitsschutzvorschriften bereits ein hinreichendes Sicherheitsniveau geschaffen wurde. Unter Bezugnahme auf das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) wird zudem die Aussage getroffen, dass nach diesem Gesetz die technische Sicherheit für alle Anlagen – ohne Differenzierung nach unterschiedlichen Nutzungen beziehungsweise Gefahren – in gleicher Weise vorgeschrieben wird und sich die Installation zusätzlicher Schutzeinrichtungen daraus nicht ableiten lässt.
Soweit der Blick auf die elektrischen Anlagen.
Nach Ansicht des Autors ist es aber insbesondere in Heimen und Kindertageseinrichtungen unerlässlich zu berücksichtigen, welche Betriebsmittel an diesen elektrischen Anlagen angeschlossen werden und wie diese betrieben werden. In Seniorenheimen ist es zum Beispiel durchaus üblich, dass die Bewohner ihre eigenen Fernseh- und Rundfunkgeräte mitbringen. Privateigentum also, für das es keine Prüfverpflichtung gibt. Eine große Anzahl solcher Geräte in Verbindung mit einer großen Anzahl mobilitätseingeschränkter Personen führt zu einer Potenzierung der Gefährdungen. In Kindertageseinrichtungen führen hingegen eher unbedarfte Leitungsverlegungen und ‑befestigungen zu Brandgefährdungen. Ein weiterer Faktor ist die Qualität der angeschlossenen Produkte: Wer belässt denn heute noch guten Gewissens Elektrogeräte im Standby-Modus, wenn diese allzu oft gar nicht die Gewährleistungsdauer unbeschadet überstehen?
Für elektrische Anlagen wurde – sofern sie korrekt geplant, errichtet und instandgehalten werden – insbesondere in Bezug auf den Brandschutz mittlerweile eine deutliche Verbesserung des Sicherheitsniveaus erreicht. Diese Aussage kann aber nicht unbedingt auf die angeschlossenen Verbraucher und die Art ihrer Verwendung übertragen werden. Insbesondere hier kann der Brandschutzschalter eine Lücke schließen, die durch die etablierten Maßnahmen nach wie vor nicht abgedeckt wird.
Abschließend betrachtet hält der Autor den in der Norm umgesetzten Ansatz des AMEV für zynisch, den Sachwerteschutz anzusprechen, die Möglichkeiten des Personenschutzes jedoch zu verschweigen und ansonsten dem Normengremium unter Verweis auf die Zuständigkeit einen fachlichen Maulkorb zu verpassen.
1korrekte Bezeichnung: Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtung beziehungsweise AFDD, englisch für Arc Fault Detection Device