Der Ruf nach Maßnahmenplänen wird immer dann laut, wenn ein besonderes Ereignis dazu Anlass gibt. In eine solche Situation scheinen wir beim Umgang mit Gefahrstoffen zu laufen. Die Anforderungen werden immer höher, und Grenzwerte kommen in Bereiche, bei denen eine Einhaltung mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand immer schwieriger wird. Die Umsetzung dauert länger als gewünscht oder erwartet, sodass der Ruf nach Maßnahmenplänen größer wird. Dabei sollte vor lauter Rufen nach neuen Maßnahmen(plänen) zunächst vorhandene und erfolgreich etablierte Maßnahmen genutzt werden.
Was ist eigentlich eine Maßnahme und ein Maßnahmenplan?
Laut Duden (www.duden.de) ist eine Maßnahme eine „Handlung, Regelung o. Ä., die etwas Bestimmtes bewirken soll“. Eine andere Definition (www.wortbedeutung.info/Massnahme) nennt es kürzer „zweckbestimmte Handlung“. Eine Maßnahme ist also nicht irgendeine Aktion, die zu einem beliebigen, zufälligen Ergebnis führt.
Wenn eine Maßnahme somit bereits ein planmäßiges Vorgehen beinhaltet, was ist dann ein Maßnahmenplan?
Der Duden hat hierzu interessanterweise keine eigenständige Definition, sondern nutzt zur Erläuterung entweder den Begriff der Maßnahme selbst, oder er verweist auf Begriffe wie „Maßnahmenbündel“ oder „Maßnahmenkatalog“. Es kommt also etwas wie „mehrere Maßnahmen gemeinsam oder in zeitlicher Abfolge“ ins Spiel.
Alleine eine Absichtserklärung ist aber nicht ausreichend, um wirklich eine Veränderung zu erzielen. Ein Plan, mit dem ein Ziel erreicht werden soll, beinhaltet mehr.
Er fängt bei der Beschreibung der Ausgangssituation an und definiert das zu erreichende Ziel. Er beschreibt, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, in welcher Reihenfolge, bis wann und von wem. Er muss die Rahmenbedingungen, die zu beachten sind, ebenso klären wie die Voraussetzungen, die Umsetzungsmöglichkeiten und Risiken und die Kosten, die damit verbunden sind. Der Weg von A nach B muss dabei gar nicht in einem Stück absolviert werden, sondern kann in mehreren Etappen zurückgelegt werden. Diese sollten mit Kontrollschritten verbunden sein, um zu prüfen, ob man sich noch auf dem richtigen Weg befindet, ob Richtungskorrekturen erforderlich sind oder welche weiteren Schritte nun die optimalen oder möglichen sind. Es ist auch wichtig, nicht „über das Ziel hinaus zu schießen“. Erfolg versprechend ist somit eine individuell angepasste und flexible Vorgehensweise.
Einen solchen Maßnahmenplan zu erstellen und umzusetzen, stellt je nach Fragestellung, Umfang und Tragweite eine enorme Herausforderung dar.
Nicht umsonst beschäftigen sich viele (strategische) Prozessmanagementsysteme und Beratungstools mit diesem Thema. Dort nennt man sie zum Beispiel PDCA- (Plan-Do-Check-Act) oder DMAIC-(Define-Messure-Act-Improve-Control) Zyklus. Auch ein Ziel-Prozess gehört hierzu. Ziele sollen SMART, das heißt spezifisch, messbar, ambitioniert, realistisch und terminiert sein.
Was hat dies nun alles mit dem sicheren Umgang mit Gefahrstoffen zu tun?
In den vergangenen Jahren sind die Anforderungen an einen sicheren Umgang mit Gefahrstoffen stetig gestiegen.
Im Rahmen der Umsetzung der REACH- und CLP-Verordnungen liegen zu erheblich mehr Substanzen belastbare Informationen über deren physikalisch-chemische, aber vor allem toxische und ökotoxische Eigenschaften vor, als dies vor einigen Jahren noch der Fall war.
Schon alleine diese Erkenntnisse führen zu einem höheren Schutz der Umwelt, der Bevölkerung oder der Beschäftigten, da betroffene Stoffe nun unter Regelungen fallen, die zuvor aufgrund fehlender Kenntnis keine Anwendung fanden. Darüber hinaus werden neue Gefahren erkannt, die zu zusätzlichen Anforderungen führen.
Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist das steigende allgemeine Sicherheitsbedürfnis der Öffentlichkeit, verbunden mit der Situation, immer weniger Risiken zu akzeptieren.
Diese Veränderungen haben zu vielen Diskussionen geführt, wie der Umgang mit Gefahrstoffen noch sicherer gemacht werden kann. Genannt werden sollen die (wenn auch zur Zeit ausgesetzte) Absenkung der Akzeptanzkonzentration für krebserzeugende Stoffe, neue, teilweise sehr niedrige Beurteilungsmaßstäbe zum Beispiel für krebserzeugende Metalle, Dieselmotoremissionen, Bitumen oder Staub sowie die Einstufung von Titandioxid als krebserzeugend Kat. 2. Auch zu erwähnen sind die aktuellen Beschränkungs- oder Zulassungsverfahren unter REACH.
Unter Bezugnahme auf die TOP-Rangfolge der Schutzmaßnahmen[1] entsteht dadurch eine geradezu inflationäre Forderung nach technisch geschlossenen Systemen, ungeachtet dessen, inwieweit diese verfügbar, einsetzbar oder finanzierbar sind. Dabei sollte aber auch nicht aus den Augen verloren werden, dass in Deutschland bereits ein sehr hoher Arbeitssicherheitsstandard besteht.
In diesem Kontext werden nun sehr pauschale Forderungen nach Maßnahmenplänen laut. Diese Pläne sollen konkret beschreiben, mit welchen Maßnahmen und in welchem Zeitraum die zu erfüllenden Anforderungen erreicht werden. Die Diskussion geht teilweise soweit, dafür sogar Muster-Vorlagen anbieten zu wollen.
Bestehende Regelungen nutzen und auf unnötige neue Anforderungen verzichten
In dieser Diskussion wächst die Sorge nach einem unverhältnismäßigen Verwaltungsakt. Außerdem entsteht der Eindruck, es solle ein neues Werkzeug erstellt werden, mit dem die Maßnahmen sowie die Zielerreichung gewissermaßen in einem Planungsschritt vorhersehbar garantiert werden könnten.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Veränderungen und Verbesserungen sollen nicht verhindert werden, sie sind notwendig und wichtig, sie müssen nur besonnen, verhältnismäßig, realistisch und konkurrenzfähig sein.
Das Arbeitsschutzgesetz, die Gefahrstoffverordnung und das technische Regelwerk bieten bereits alle notwendigen Werkzeuge, die dazu erforderlich sind: Der „Handlungszyklus SIFA“ zum Beispiel wird im Rahmen der Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit intensiv vermittelt, und die Gefährdungsbeurteilung ist als gesetzliche Grundpflicht zur Umsetzung das Mittel der Wahl. Mit der Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen beschäftigt sich ausführlich eine eigene technische Regel, die TRGS 400.
In der „Analyse“ werden alle notwendigen Informationen zur Arbeitsumgebung, den Tätigkeiten sowie den gehandhabten Stoffen für eine Beschreibung der Ist-Situation zusammengetragen. In den folgenden Phasen „Beurteilung“ und „Setzen von Zielen“ wird die Situation anhand der zu erreichenden Schutzziele beurteilt. Danach sind Lösungsalternativen nach der STOP-Rangfolge zu finden, Entscheidungen über die umzusetzenden Lösungen zu treffen und die beschlossenen Maßnahmen zu realisieren. Die getroffenen Maßnahmen sind danach auf Wirksamkeit zu prüfen.
Der Kreislauf schließt sich und beginnt gegebenenfalls von neuem, wenn die Maßnahmen nicht ausreichend waren, um das Schutzziel zu erreichen, allerdings mit veränderten Startbedingungen und unter Umständen anderen entscheidungsrelevanten Rahmenbedingungen. Dieser Ablauf kann auch dazu führen, dass weitere technische Schutzmaßnahmen nach verantwortungsvoller Abwägung der Argumente als nicht mehr zielführend oder wirtschaftlich verhältnismäßig anzusehen sind und organisatorische oder persönliche Schutzmaßnahmen erforderlich bleiben.
Dieser etablierte Handlungszyklus und die Gefährdungsbeurteilung nach TRGS 400 stellen einen Prozess dar, der als Maßnahmenplan bezeichnet werden kann. Dieser ist bei der betrieblichen Anwendung mit konkreten Inhalten zu füllen.
Auch wenn es im Einzelfall möglich sein kann, ein Schutzziel mit einer Maßnahme zu erreichen, wird es in der Regel aus fachlichen, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen notwendig sein, den Zyklus mehrfach iterativ zu durchlaufen. Somit führt am Ende häufig eine Kombination von Maßnahmen zum Ziel, wie beispielsweise in der TRGS 500, Nummer 5.6 beschrieben (siehe unten).
Die Nutzung der Gefährdungsbeurteilung führt zudem dazu, die betriebsspezifische Umsetzung mit etablierten Abläufen und Mitteln durchzuführen und zu dokumentieren.
Fazit
In den letzten Jahren haben die Anforderungen an einen sicheren Umgang mit Gefahrstoffen stetig zugenommen, und die gesteckten Ziele werden immer schwerer zu erreichen. Eine systematische Herangehensweise zu deren Umsetzung ist empfehlenswert, um unwirksame Maßnahmen und unnötige Kosten zu vermeiden.
Es ist jedoch weder praktikabel noch verhältnismäßig, einen Maßnahmenplan zu fordern, bei dem in einem Planungsschritt bereits alle Maßnahmen festzulegen sind, um das Erreichen des Schutzziels gewissermaßen zu garantieren. Eine iterative und von Zwischenergebnissen abhängige, flexible Vorgehensweise ist unerlässlich.
Weder für einen allgemeinen Maßnahmenfindungsprozess noch für dessen konkrete betriebsspezifische Umsetzung sind neue Regelungen erforderlich. Im bestehenden Gesetzes- und Regelwerk sind alle erforderlichen Werkzeuge bereits ausreichend vorhanden.
Neue Regelungen und starre Maßnahmenpläne führen nur zu zusätzlichem Verwaltungsaufwand, der Ressourcen für die eigentliche Sicherheitsarbeit bindet und uns dem Ziel, sichere Arbeitsplätze auch zukunftssicher zu gestalten, nicht näher bringen wird.
[1] TOP-Rangfolge nach TRGS 500: Gebot zur Anwendungsreihenfolge technischer und organisatorischer vor persönlichen Schutzmaßnahmen. Die Substitution als primäre Anforderung (STOP-Rangfolge) wurde zur besseren Klarheit bewusst nicht genannt,
da sie für die Argumentation nicht erforderlich ist.
TRGS 500 „Schutzmaßnahmen“, Nummer 5.6 „Kombination von Schutzmaßnahmen“
- Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen keine Gefährdung für Beschäftigte und Dritte besteht, bzw. dass diese auf ein Minimum reduziert ist. […]
- Oftmals ist dazu eine einzelne Maßnahme nicht ausreichend, sondern erst durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen wird eine ausreichende Sicherheit erreicht und gewährleistet. Beispielsweise bleibt eine installierte technische Schutzmaßnahme nur dann nachhaltig wirksam, wenn sie im Rahmen eines Wartungsplans als begleitende organisatorische Schutzmaßnahme regelmäßig geprüft und gewartet wird.
- Eine Kombination im Sinne dieser TRGS ist die allgemeine Zusammenstellung aller technischen, organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung von Substitutionsmöglichkeiten, um ein festgelegtes Schutzziel zu erreichen.
- Die Zusammenstellung der Schutzmaßnahmen ist nachvollziehbar darzustellen und in der Gefährdungsbeurteilung zu dokumentieren.
- Eine Kombination von Schutzmaßnahmen kann somit auch beinhalten, dass bei nicht vorhandenen Substitutionsmöglichkeiten und nicht ausreichenden technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen der Einsatz persönlicher Schutzmaßnahmen entsprechend des STOP-Prinzips notwendig wird. Hierbei ist insbesondere die Verwendung von Atem‑, Augen- und Handschutz von besonderer Bedeutung.