Startseite » Akademie » Akademie-Meldungen »

Unwissenheit schützt vor Strafe nicht

Mit einem Bein im Knast: Haftung und strafrechtliche Risiken im Arbeitsschutz
Unwissenheit schützt vor Strafe nicht

Unwissenheit schützt vor Strafe nicht
Foto: WavebreakMediaMicro - AdobeStock

Arbeit­ge­ber sind verpflichtet, alle erforder­lichen Maß­nah­men für die Sicher­heit und den Gesund­heitss­chutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu ergreifen. Kommt es zu ver­mei­d­baren Unfällen, dro­hen Geld- oder gar Frei­heitsstrafen – zusät­zlich zum Image-Ver­lust durch Neg­a­tivschlagzeilen. Mit Recht­san­walt Matthias Klagge sprachen wir über mögliche Kon­flik­te mit dem Gesetz und die Ver­ant­wortlichkeit­en im Arbeitsschutz.

Herr Klagge, wie häu­fig ste­hen Arbeit­ge­ber vor Gericht, weil sie ihre Pflicht­en im Arbeitss­chutz ver­let­zt haben?

Häu­fig. Näm­lich immer dann, wenn die Arbeit­ge­ber ihre Pflicht­en ver­let­zt haben und ein Mitar­beit­er oder Drit­ter hier­bei Schä­den an Leib oder Leben davon­trägt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Arbeit­ge­ber oder Vorge­set­zte selb­st gehan­delt haben; auch wer untätig bleibt – obwohl er eine Pflicht zum Han­deln hat – kann sich straf­bar und haft­bar machen.

Mit welchen Strafen ist zu rech­nen – min­destens und im Höchstfall?

In Betra­cht kommt bei Arbeit­sun­fällen eine fahrläs­sige Kör­per­ver­let­zung oder eine fahrläs­sige Tötung. Im Höch­st­fall beträgt die Strafe drei Jahre Frei­heitsstrafe bei der fahrläs­si­gen Kör­per­ver­let­zung und fünf Jahre bei ein­er fahrläs­si­gen Tötung, min­destens wird jedoch eine empfind­liche Geld­strafe ver­hängt, die sich an den Einkom­mensver­hält­nis­sen des Täters orientiert.

Gibt es eventuell eine Grau­zone nach dem Mot­to „Wo kein Kläger, da kein Richter“? Soll heißen, wird es erst dann bren­zlig, wenn es zu einem größeren Unfall gekom­men ist?

Kleinere Unfälle lan­den in der Regel nicht vor dem Strafrichter. Zudem bedarf es immer auch ein­er Strafanzeige, damit die Staat­san­waltschaft Ken­nt­nis vom Vor­fall erlan­gen kann. Erfährt aber die Staat­san­waltschaft von einem straf­baren Sachver­halt, muss sie grund­sät­zlich die Ermit­tlun­gen gegen die Ver­ant­wortlichen aufnehmen.

Arbeit­ge­ber sind nach dem Arbeitss­chutzge­setz primär ver­ant­wortlich und haben weitre­ichende Pflicht­en: Sie müssen alle erforder­lichen Maß­nah­men für die Sicher­heit und den Gesund­heitss­chutz der Beschäftigten bei der Arbeit tre­f­fen. Das umfasst die Ver­hü­tung von Unfällen und arbeits­be­d­ingten Gesund­heits­ge­fahren eben­so wie die men­schen­gerechte Gestal­tung der Arbeit. Sind diese Pflicht­en juris­tisch ein­deutig gek­lärt oder auch Auslegungssache?

Die Pflicht­en sind ein­deutig gek­lärt, die tat­säch­lichen Anforderun­gen im Einzelfall ergeben sich zum Beispiel aus der Gefährdungs­beurteilung der Arbeit­splätze. Daher sind sie auch Auslegungssache.

Der Knack­punkt: Ein Arbeitgeber/Unternehmer ist in der Regel nicht ständig präsent und kann seine Auf­gaben im Arbeitss­chutz nicht allum­fassend selb­st erfüllen. Doch nicht jed­er darf an sein­er statt han­deln: Das Gesetz erlaubt eine Pflicht­enüber­tra­gung nur auf Per­so­n­en, die dazu befähigt sind. Wer kommt dafür in Frage?

Das kön­nen neben den Betrieb­sleit­ern auch son­stige zuver­läs­sige und fachkundi­ge Per­so­n­en sein. Als unzu­ver­läs­sig wäre zum Beispiel ein Beauf­tragter anzuse­hen, der wieder­holt gegen arbeitss­chutzrechtliche Vorschriften ver­stoßen hat. Die geforderte Fachkunde sagt aus, dass der Beauf­tragte über das entschei­dende the­o­retis­che Wis­sen und die entsprechen­den prak­tis­chen Fähigkeit­en ver­fü­gen muss. Formelle Qual­i­fika­tions­bescheini­gun­gen fordert das Gesetz hinge­gen nicht. Aus­re­ichend kann daher zum Beispiel eine langjährige Beruf­ser­fahrung sein. Erforder­lich ist weit­er­hin, dass der Arbeit­ge­ber die ver­ant­wortlichen Per­so­n­en mit den notwendi­gen Betrieb­smit­teln ausstat­tet, um einen funk­tion­ieren­den Arbeitss­chutz zu gewährleisten.

Wie wird die Über­tra­gung rechtssich­er gestaltet?

Das kommt immer auf den Einzelfall an und ist eine Frage der arbeitss­chutzrechtlichen Com­pli­ance. Die Del­e­ga­tion von Arbeitss­chutza­uf­gaben erfordert ein funk­tion­ieren­des Com­pli­ance-Sys­tem, sodass eine genaue Def­i­n­i­tion der Auf­gaben sowie eine klare Verteilung der Zuständigkeit gegeben sind. Für jede Auf­gabe muss es also einen Ver­ant­wortlichen geben. Kurz gesagt – es muss abschließend geregelt sein, „wer was wann und wie zu tun hat.“

Mit der Über­tra­gung der Pflicht­en ist der Arbeit­ge­ber aber noch nicht „aus dem Schnei­der“: Seine Hand­lungspflicht wan­delt sich in eine Überwachungspflicht. Das heißt, er muss regelmäßig prüfen, ob die ver­ant­wortlichen Per­so­n­en ihren Verpflich­tun­gen auch nachkom­men. Was bedeutet diese Kon­trollpflicht in der Praxis?

Es reicht nicht aus, dass sich der Arbeit­ge­ber nur ein­ma­lig bei der Auf­gabenüber­tra­gung von der Eig­nung der betr­e­f­fend­en Per­son überzeugt. Es muss sichergestellt sein, dass Delegierte auf allen Hier­ar­chi­estufen in einem angemesse­nen Umfang überwacht wer­den, ob die ihnen über­tra­ge­nen Auf­gaben ord­nungs­gemäß aus­ge­führt wer­den. Die Recht­sprechung ver­langt dabei keine Run­dum-Überwachung. Aus­re­ichend ist eine angemessene stich­probe­nar­tige Kon­trolle in Rela­tion zum Grad der dro­hen­den Gefahren. In Aus­nah­me­fällen kann es erforder­lich sein, dass der Arbeit­ge­ber externe Spezial­is­ten oder Sachver­ständi­ge zur Kon­trolle hinzuzieht, wenn ihm die eigene Sachkunde zur Über­prü­fung gän­zlich fehlt. Denn Unken­nt­nis schützt hier nicht vor Strafe.

Worin beste­ht – ganz kurz – die wichtig­ste Strate­gie zur Haftungsvermeidung?

Jed­er muss wis­sen, was er zu tun hat und das Bewusst­sein aller Beteiligten für ein sicheres Arbeit­en muss vorhan­den sein oder eben geschult wer­den. Die Arbeit­nehmer müssen die Sicher­heitsvorschriften ein­hal­ten und die Arbeit­ge­ber sachgerecht überwachen. Beina­he-Unfälle soll­ten analysiert zur Präven­tion werden.

Unter welchen Bedin­gun­gen ist eine Selb­stanzeige sinnvoll?

Das lässt sich pauschal nicht beant­worten. Jeden­falls ist nie­mand verpflichtet, sich selb­st zu belas­ten. Dieser rechtsstaatliche Grund­satz gilt auch im Bere­ich des Arbeitss­chutzes. Eine Selb­stanzeige führt – anders als im Steuer­strafrecht – auch nicht zur Straf­frei­heit. Hier hil­ft die Kom­mu­nika­tion der Beteiligten miteinan­der. Es sind die Per­sön­lichkeitsin­ter­essen des Betrof­fe­nen und die betrieblichen Inter­essen abzuwägen.

Wollen Sie am Sem­i­nar „Arbeitss­chutz und Strafrecht: Mit einem Bein im Knast? Haf­tungsrisiken ver­mei­den“ teilnehmen?

 

Hier gehts zum Termin!


Wie Gerichte urteilen – Fall­beispiele aus der Praxis

Bei einem nieder­säch­sis­chen Glas-Her­steller kam es zu einem tödlichen Arbeit­sun­fall eines Lehrlings. Das Lan­des­gericht Osnabrück verurteilte 2013 die Fir­menchefs zu Frei­heitsstrafen und ein­er sechsstel­li­gen Gel­dau­flage, weil sie dafür ver­ant­wortlich waren, dass eine Glass­chnei­de­mas­chine nicht richtig funktionierte.

Eine externe Fachkraft für Arbeitssicher­heit haftete gemäß einem Urteil des Ober­lan­des­gericht­es Nürn­berg aus 2014 nach einem schlim­men Unfall eines Arbeit­nehmers an ein­er Papp­kar­ton­stanze. Die Fachkraft wurde zu ein­er empfind­lichen Geld­strafe verurteilt, weil bei ein­er kurz vor dem Unfall erfol­gten Prü­fung nicht erkan­nt wurde, dass die Mas­chine Sicher­heitsmän­gel hat­te.


Ref­er­ent des Seminars:

Matthias Klagge

Recht­san­walt Matthias Klagge, LL.M, ist im Arbeits‑, Daten­schutz- und Strafrecht tätig und doziert an der Fach­schule für öffentliche Ver­wal­tung in Köln. Er studierte Rechtswis­senschaften in Kiel, Freiburg, Ham­burg und Pisa. Nach dem Zweit­en Juris­tis­chen Staat­sex­a­m­en arbeit­ete er zunächst als Staat­san­walt in Ham­burg, wech­selte dann zu ein­er Fernseh­pro­duk­tions­fir­ma und war anschließend bei ein­er Münch­en­er Wirtschaft­skan­zlei beschäftigt. Seit 2008 ist er Recht­san­walt bei TIGGES Recht­san­wälte in Düsseldorf.

Unsere Webi­nar-Empfehlung
Newsletter

Jet­zt unseren Newslet­ter abonnieren

Webinar-Aufzeichnungen

Webcast

Jobs
Sicherheitsbeauftragter
Titelbild Sicherheitsbeauftragter 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Sicherheitsingenieur
Titelbild Sicherheitsingenieur 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Special
Titelbild  Spezial zur A+A 2023
Spezial zur A+A 2023
Download

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de