Glatte Industrieböden sind für Menschen, die täglich viele Stunden auf ihnen gehen und stehen müssen, oft eine Herausforderung. Aus Sicht der Arbeitssicherheit stellt sich da die Frage: Wie müssen Schuh und Sohle beschaffen sein, um den Träger bestmöglich zu schützen? Prof. Dr. Stefan Grau, früher in der Abteilung Sportmedizin der Uniklinik Tübingen und heute an der Universität Göteborg tätig, erstellte dazu ein Pflichtenheft – und entwickelte gemeinsam mit dem Sicherheitsschuhhersteller Elten ein neues Fußschutzkonzept. Im Interview gibt er Auskunft über Anforderungen, Umsetzung und Nutzen für den Träger.
Herr Prof. Dr. Grau, Sie entwickelten ein Pflichtenheft mit dem Titel „Sportiver Sicherheitsschuh für die Halle“. Wie kam es dazu?
Die biomechanische Abteilung der Sportmedizin war in Tübingen insbesondere im Bereich der Schuhforschung und ‑entwicklung sehr aktiv. Wir führten hier zahlreiche entsprechende Projekte durch. Generell beschreibt ein Pflichtenheft in konkreter Form, wie ein Auftragnehmer die Anforderungen des Auftraggebers zu lösen gedenkt – gängige Praxis in der Industrie. Erst wenn das Pflichtenheft akzeptiert wird, beginnt die eigentliche Umsetzungsarbeit. Auf der Grundlage von wissenschaftlichen Publikationen sowie Praxiserfahrungen in der täglichen Routine mit Patienten hatte ich ein Pflichtenheft entwickelt, bei dem es um die Entwicklung funktionaler Sicherheitsschuhe für die Halle geht. Auf dieser Grundlage hat dann die Firma Elten in enger Abstimmung mit mir ein neues Schuhkonzept entwickelt.
Sie kommen aus dem universitären Bereich – wie entsteht die Praxisrelevanz?
Diese ergibt sich einerseits aus Forschungsergebnissen – und dann natürlich ganz klar aus den Erfahrungsberichten von Anwendern und Patienten. Bevor ich ein Pflichtenheft erstelle, gehen intensive Gespräche mit PSA- und Arbeitsschutzbeauftragten voraus. Ebenso mit Sicherheitsingenieuren und Betriebsärzten, in diesem Fall zudem mit den Entwicklern des Schuhherstellers Elten. Im Fokus steht die optimale Schuhversorgung für spezielle Arbeitsplätze oder spezielle Bodenbeläge – hier die Hallenböden. Probleme werden definiert, Bedürfnisse fixiert.
Für welche Arbeitsbereiche gab es bei der Schuhversorgung Optimierungsbedarf?
Glatte Industrieböden gibt es vor allem in Bereichen der Automobilindustrie, aber auch im verarbeitenden Gewerbe, in Betrieben, wo die Mitarbeiter am Fließband beschäftigt sind oder auch in Logistikunternehmen. Vordergründig betrachtet sind das sicherlich Arbeitsplätze, an denen in Bezug auf den Fußschutz keine speziellen Schutzfunktionen wie beispielsweise durchtrittsichere Zwischensohlen nötig sind. Hier gibt es allerdings andere Gefahren – und damit auch andere Anforderungen. Die Menschen, die in der Industrie arbeiten, stehen oftmals über einen längeren Zeitraum, ebenso laufen sie häufig viel zwischen den einzelnen Produktionsstationen hin und her, sie laufen am Band mit, verrichten kniende Tätigkeiten – und das alles oftmals in Kombination. Hier fehlte bislang ein sportiver und flexibler Schuh, der die Stabilisierung der Bewegung sowie den Tragekomfort am Arbeitsplatz deutlich erhöht.
Wie müssen sportive Sicherheitsschuhe für Hallenböden konzipiert sein, um das zu leisten?
Die Kriterien sind im Pflichtenheft sehr präzise beschrieben. Berücksichtigt werden dabei biomechanische Aspekte – also das funktionale Design des Schuhs – sowie der Leisten für eine optimale Passform. Wichtige biomechanische Komponenten sind hier die Außensohle, die Zwischensohle, die Einlegesohle sowie der Schaft. Beispiel Außensohle: Durch ein Negativ-Profil wird ein „Hängenbleiben“ und Umknicken des Menschen bei seiner Arbeit speziell bei Drehbewegungen und Landungen vorgebeugt. Zentraler Faktor ist zudem die Sprunggelenkstabilität – auch weil in der Arbeitswelt unterschiedlichste Menschen mit unterschiedlichsten Problemen im Fuß- und Kniebereich tätig sind. Um Verletzungen oder Überbelastungen zu verhindern, muss die Torsionsfähigkeit – also eine mögliche Verdrehung des Fußes – begrenzt werden. Das ist durch Verstärkungen des Schuhs im Mittelfußbereich und Taillierung der Zwischensohle möglich. Grundsätzlich muss der Schuh im Vorfuß flexibel sein, im Mittelfußbereich beim Abrollen aber optimalen Halt geben. Für mehr Stabilität ist beim Schaft auch ein Knöchel umfassendes Element im Mittelfuß- und Fersenbereich unverzichtbar, ebenso wie Schnürung, die mit der Manschette ein variables Zuggurtsystem bildet.
Was ist mit der Rutschfestigkeit?
Natürlich gibt es viele Hallenböden, die relativ glatt sind. Neben der Sprunggelenkstabilität war deswegen insbesondere die Rutschhemmung wichtiger Faktor bei der Schaffung des neuen Sicherheitsschuhkonzepts. Hier weiß man aus der Sportschuhentwicklung, dass bestimmte Profile – die Wabenprofile – wie kleine Saugnäpfe wirken und für solche glatten Bodenbeläge bestens geeignet sind. Dieses Wissen wurde jetzt im Arbeitsbereich angewendet.
Nach all diesen Vorgaben wurde das Sicherheitsschuhkonzept mit dem Namen Dimension Pro entwickelt – was ist der konkrete Nutzen für den Anwender in der Praxis?
Das neue Sohlenkonzept ist exakt für die glatten, oft rutschigen Bodenbeläge im Innenbereich geeignet. Neben der Wabenstruktur für mehr Rutschsicherheit bietet die Laufsohle eine speziell platzierte Kerbung und ist besonders ergonomisch – das bedeutet, sie folgt dem Fuß in ihrer natürlichen Abrollbewegung. Die Flexibilität ist überall dort von Vorteil, wo man nicht nur viel steht, sondern auch häufig kniet oder in der Hocke arbeitet. Die speziell abgerundeten Profilkanten verhindern, dass der Arbeiter mit dem Fuß leicht hängen bleibt oder umknickt. Und für Arbeitsbereiche, in denen eine spezielle Fersenstabilität gefragt ist, werden einige Modelle der neu entwickelten Serie zusätzlich mit einer integrierten Manschette erhältlich sein, die das Fersenbein stützt. Eine solche Manschette stabilisiert die Fußgelenke in der Vorwärtsbewegung, gibt zugleich aber auch Halt bei seitlichen Bewegungen. Zudem wurde bei der Entwicklung des Schuhs auf einen sehr hohen Tragekomfort geachtet.
Stichwort Tragekomfort – worauf kommt es hier an?
Sicherlich auch auf ein gutes Dämpfungskonzept, denn viele Hallenbodenbeläge sind nicht aus Gummi, sondern aus Beton. Dazu dienen bei den neuen Sicherheitsschuhen eine entsprechende Zwischensohle sowie ganzflächige weiche Einlegesohlen, die durch einen speziellen PU-Schaum sehr gute Stoßabsorption bieten und so den harten Auftritt in Halle und Lager mildern. Das wird laut Praxistest von den Trägern als sehr angenehm wahrgenommen. Berücksichtigt wurde zudem eine gute Atmungsaktivität, hier ein atmungsaktives Textilinnenfutter, das eine hohe Schweißaufnahme und Abgabe nach Außen ermöglicht.
Was ist das Besondere an Dimension Pro?
Das Konzept ist letztendlich die konsequente Realisierung und Kombination von vielen Elementen, die bei Sport- und Hallenschuhen heute Standard sind. Innerhalb eines zweijährigen Entwicklungsprozesses haben wir mit Dimension Pro sportwissenschaftliche und sportmedizinische Erkenntnisse aus dem Hallenbereich zum ersten Mal auch bei einem Sicherheitsschuh umgesetzt – und so für den Berufsalltag nutzbar gemacht.
Zur Person
Prof. Dr. Stefan Grau war von 2002 bis September 2013 Leiter des Bereichs Klinische Biomechanik in der sportmedizinischen Abteilung der Medizinischen Fakultät der Universitätsklinik Tübingen. Seit Oktober führt er seine Studien an der Universität Göteborg fort. Zu seinen Aufgaben gehören biomechanische Patientenanalysen bei Sportlern mit Überlastungsbeschwerden ebenso wie die Forschung im Bereich Überlastungsbeschwerden und (Sport-) Schuhe & Einlagen. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind unter anderen die Entwicklung von Schuhen (Kinder- Sport‑, Straßen‑, Arbeitsschuhe) für diverse Firmen. Er selbst ist aktiver Läufer – rund 50 Kilometer pro Woche.
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