Lärmbedingter Gehörverlust im Beruf ist seit langem ein Gesundheitsrisiko für Arbeitnehmende – und eine echte Herausforderung für den Arbeitsschutz. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Berufskrankheiten bleibt die Beeinträchtigung der Hörfähigkeit häufig unbemerkt, bis die Schädigung irreversibel ist. Tragen Beschäftigte jedoch einen Gehörschutz, der sämtliche Umgebungsgeräusche „schluckt“, sind sie sich ihrer Umgebung und Situation weniger bewusst. Infolgedessen fühlen sie sich isoliert und womöglich unsicher. Um dies zu vermeiden, entfernen sie nicht selten den Gehörschutz und riskieren dadurch einen dauerhaften Hörverlust.
Hear Through-Technologie
„Wir wollen Endanwender dazu bringen, ihren Gehörschutz gern zu tragen“, erklärt Susanne Schmidt, Sales and Application Specialist bei Honeywell. Einen Ansatz dazu bietet die sogenannte Hear Through-Technologie, mit der sich Umgebungsgeräusche dazuschalten lassen. Das Mikrofon im Kopfhörer erfasst diese und überträgt sie an die Lautsprecher im Gehörschutz. So werden akustische Warnsignale aus der Umgebung und die Ansprache durch Kolleginnen oder Kollegen wahrgenommen, ohne den Gehörschutz abnehmen zu müssen.
Im Privatbereich kennt man diese geräuschfilternde Funktion unter dem Begriff aktive Geräuschunterdrückung beziehungsweise Aktives Noise Cancelling (ANC), die in Verbindung mit Bluetooth-Kopfhörern oder Ohrstöpseln funktioniert. Sie dient vor allem dazu, in geräuschvollen Umgebungen ungestört Musik hören oder Telefonate führen zu können. Für den Einsatz im Arbeitsschutz ist jedoch entscheidend, dass der Gehörschutz ein ausreichendes Schutzniveau vor gehörschädigendem Lärm bietet und gleichzeitig Warnsignale durchlässt. Daher ist Active Noise Cancelling am Lärmarbeitsplatz nicht zulässig.
Brandneu aus den USA
„Wir haben die Hear Through-Technologie jetzt In Ear, also in Ohrstöpseln verbaut“, sagt Susanne Schmidt. Die Geräuschreduktion bei dem neuen „Impact In Ear Pro“, das Honeywell als Neuheit auf der Fachmesse A+A 2021 in Düsseldorf präsentierte, ist in sechs Abstufungen verstellbar. „Hear Through wird hauptsächlich zur Kommunikation verwendet und dann wieder abgeschaltet. Je nach Lärmbereich kann man schon auf Stufe 1 kommunizieren oder muss gegebenenfalls lauter schalten, um sich gut verständigen zu können. In keinem Fall werden jedoch mehr als 82 Dezibel ans Ohr abgegeben, um den Mitarbeiter immer optimal zu schützen“, betont die Expertin. In den USA wurde der innovative Gehörschutz im September 2021 zertifiziert, die EU-Zertifizierung soll diesen März folgen. „In Amerika kam das Produkt so gut an, dass wir es schon vor der EU-Zertifizierung auf der A+A 2021 gezeigt haben – als brandneues Gehörschutz-Produkt.“ Für den perfekten Sitz gibt es die Stöpsel in den drei Plug-Größen S, M, und L sowie zwei Materialien zur Auswahl.
Kontrolle über den Geräuschpegel
Häufig ist den Beschäftigten nicht bewusst, welcher Geräuschkulisse sie bei ihrer Arbeit gerade ausgesetzt sind. Auch für diese Problematik gibt es innovative Lösungen. Sie schützen nicht nur das Gehör, sondern überwachen mithilfe integrierter Sensoren zudem kontinuierlich den Geräuschpegel in der Umgebung. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist die VeriShield Smart Hearing Solution (VSHS) von Honeywell. „Unser neues Highlight misst den Lärmpegel am Arbeitsplatz und das, was im Gehörgang ankommt“, erklärt Susanne Schmidt.
Durch die drahtlose Verbindung von Web- und App-Datendiensten mit den Headsets bietet die Lösung sofortigen Zugriff auf die Belastungsdaten. Die Daten werden von den integrierten Sensoren der Headsets erfasst und in eine visuelle Anzeige umgewandelt. Diese erscheint zum einen nach der Synchronisierung auf dem Dashboard der Sicherheitsfachkräfte für alle Headsets, zum anderen auf den Smartphones der Trägerinnen und Träger für ihr persönliches Gerät.
Die richtigen Maßnahmen ergreifen
Über die visuelle Anzeige auf dem Dashboard ist es Vorgesetzten und Sicherheitsfachkräften möglich, die Lärmpegel und die Lärmbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus mehreren Teams gleichzeitig zu überprüfen. Die generierten Datensätze können den Verantwortlichen dabei helfen, die Gehörschutz-Programme ihrer Unternehmen zu verbessern, indem sie einen individuellen Ansatz für die Sicherheit ihrer Beschäftigten entwickeln.
Die Lösung zeigt auch an, wenn die Persönliche Schutzausrüstung (PSA) nicht wie vorgeschrieben verwendet und gegebenenfalls eine Schulung benötigt wird. „Zum einen wird das Fitting des Gehörschutzes überprüft, zum anderen werden akustische Problembereiche erkannt“, fasst Susanne Schmidt zusammen.
Zustimmung zur Datennutzung
Bevor die Daten der Mitarbeitenden gesammelt und analysiert werden, müssen diese allerdings darüber informiert werden und per Unterschrift bestätigen, dass sie mit der Datennutzung einverstanden sind. „In manchen Unternehmen, die Smart Devices im Einsatz haben, gibt es bisweilen schon eine generelle Mitarbeiterfreigabe“, weiß die Fachfrau. Zudem werde vorab immer mit den Fachkräften für Arbeitssicherheit und dem Betriebsrat besprochen, welche Daten konkret angezeigt werden sollen. „Gibt es Vorbehalte gegenüber einer persönlichen Zuordnung können die Geräte auch ‚nicht personenbezogen‘ erfasst werden. Zum Beispiel für Schlosserei-Beschäftigte 1, 2, 3, 4 oder die Schichten A, B, C.“
Verbesserte Selbstkontrolle
Mit der App können nicht zuletzt die Beschäftigten selbst jederzeit ihre Lärmbelastung überprüfen. Hierzu genügt ein Blick aufs Smartphone. Anhand leicht zugänglicher Bedienelemente lassen sich zudem weitere hilfreiche App-Funktionen nutzen – darunter eine zuverlässige Überprüfung, ob der Gehörschutz richtig sitzt. „Der Fit-Test kann über die App oder Drücken einer Taste an der Gehörschutzkapsel gestartet werden. Über das Außen- und Innenmikrofon wird daraufhin gemessen, ob die Dämmung den ‚Soll‘-Werten entspricht“, erklärt Susanne Schmidt. „Leckagen können zum Beispiel durch Brillenbügel oder Haare entstehen. Die Kapsel weist in diesem Fall darauf hin, dass der Sitz nochmal korrigiert werden muss, bevor die eigentliche Messung der Lärmexposition startet.“
Auch die Synchronisierung der Daten vom Headset mit den Cloud-Datenbanken erfolgt über die App. Dazu muss diese geöffnet und das eingeschaltete Headset in der Nähe des Smartphones sein. In der Webansicht ist anschließend eine Auswertung der Messdaten möglich. Nach zehn Stunden Nicht-Gebrauch wird automatisch eine Dosisrücksetzung durchgeführt, um die Messung am neuen Arbeitstag wieder von 0 zu starten. Um sicherzustellen, dass die Geräuschpegel immer richtig erfasst werden, ist einmal jährlich eine Kalibrierung des Gerätes notwendig.