Es geht in diesem Beitrag nicht um die klassischen und jedem Arbeitsschützer bekannten Konflikte, dass Mitarbeiter das Tragen von PSA ablehnen oder „vergessen“. Stattdessen sollen Situationen beleuchtet werden, in denen jemand bereit ist, sich an seinem Arbeitsplatz durch PSA zu schützen, dies aber mit individuellen Besonderheiten oder persönlichen Wünschen kollidiert.
Genormte Schutzausrüstung trifft auf ungenormte Menschen
PSA muss nicht nur schützen, sie soll ihrem Träger auch passen. Ähnlich wie bei den meisten Kleidungsstücken basiert die Gestaltung von PSA auf anthropometrischen Durchschnittsmaßen. Das heißt, dass die Größen, Weiten, Beinlängen usw. sich nach den Durchschnittswerten erwachsener Personen richten. Doch für Menschen an den Rändern dieser Größenverteilungen kann das Angebot knapp werden. Denn der Mensch ist nicht genormt, es gibt eine Vielzahl von Abweichungen und Besonderheiten.
Das naheliegendste Beispiel sind die Maße, ob Körper- oder Schuhgröße. Besonders klein- oder großwüchsige Menschen finden – zumindest in spezialisierten Läden – passende Freizeitschuhe und ‑bekleidung in Über- und Sondergrößen, doch für Schutzkleidung ist das keineswegs selbstverständlich.
Dazu kommen Mitarbeiter mit anderen individuellen Besonderheiten, Vorerkrankungen oder körperlichen Einschränkungen, die „aus der Norm fallen“. Das kann eine Fußfehlstellung sein, ein verkürztes Bein, eine Hörschwäche oder eine Prothese. Dies betrifft zwar stets individuelle Fälle, in ihrer Gesamtheit kann man jedoch kaum von Einzelfällen sprechen. Schon allein deshalb, weil viele der rund zehn Millionen Menschen in Deutschland, die mit einer Behinderung leben, aktiv im Beruf stehen. Oft haben diese Besonderheiten oder Einschränkungen keine oder nur geringe Auswirkungen auf das Tragen und Benutzen von Schutzausrüstung. In bestimmten Fällen kann eine individuelle Besonderheit jedoch zu Konflikten mit einem PSA-Tragegebot am Arbeitsplatz führen.
Entscheidend ist die individuelle Gefährdungsbeurteilung
Es gibt für solche Fälle kein pauschales Lösungskonzept. Je nach Situation kann es nötig werden, zum Beispiel beim Lieferanten eine Sondergröße zu erfragen oder mit dem Hersteller zu klären, inwiefern individuelle Anpassungen möglich sind. Wenn für einen Kollegen die ihm passende und für ihn geeignete Schutzausrüstung gerade nicht zur Hand ist, darf dies weder dazu führen, dass er ohne erforderliche Schutzausrüstung arbeitet noch sollte es zum Grund werden, dass jemand seinen Arbeitsplatz oder gar seine Arbeitsstelle aufgibt. Oberstes Ziel muss stets sein, die Arbeits- und Einsatzfähigkeit zu erhalten. Maßgeblich ist die auf die konkrete Person und seine Tätigkeit bezogene Gefährdungsbeurteilung. Diese muss klären, welche Arten von Schutzkleidung und ‑ausrüstung der Mitarbeiter trotz körperlicher Einschränkungen oder anderer Besonderheiten tragen und benutzen kann.
Rechtsgrundlage für das Bereitstellen von PSA durch den Arbeitgeber sowie die Benutzung durch die Beschäftigten bei der Arbeit ist die PSA-Benutzungsverordnung (PSA-BV). Laut § 2 muss die Persönliche Schutzausrüstung
- den ergonomischen Anforderungen und den gesundheitlichen Erfordernissen der Beschäftigten entsprechen und
- dem Beschäftigten individuell passen.
Jeder Arbeitgeber und jeder Arbeitsschützer sollte sich bewusst sein, dass diese beiden elementaren Grundsätze für jeden Mitarbeiter gelten. Es sind keine Ausnahmen vorgesehen für Kollegen, die – in welcher Hinsicht auch immer – nicht einem Normalmaß oder einem Gesundheitsstandard entsprechen. Auch diese Mitarbeiter haben Anspruch auf eine PSA, die ihren ergonomischen und gesundheitlichen Anforderungen entspricht.
Das Arbeitsschutzrecht trifft hinsichtlich PSA keine Unterscheidung zwischen Groß und Klein, Dick und Dünn, Jung oder Alt, Mann und Frau usw. Jeder Mitarbeiter hat Anspruch auf den Schutz, der für seine Tätigkeit erforderlich ist. Umgekehrt gibt es auch keine „Freigabe“ von PSA-Tragegeboten angesichts individueller Umstände. Jeder hat laut § 15 ArbSchG die ihm „zur Verfügung gestellte persönliche Schutzausrüstung bestimmungsgemäß zu verwenden“. Ist das Tragen einer für eine Tätigkeit erforderlichen PSA allerdings nicht zumutbar, darf derjenige diese Tätigkeit nicht ausüben. Der Gesetzgeber macht dies zum Beispiel im MuSchG § 11(5) deutlich. Danach darf ein Arbeitgeber eine schwangere Frau keine Arbeiten ausführen lassen, „bei denen sie eine Schutzausrüstung tragen muss und das Tragen eine Belastung darstellt“. Dies kann im Übrigen schon für das Tragen von FFP2-Masken zutreffen.
Immer mehr angepasste oder anpassbare PSA
Die gute Nachricht ist, dass PSA-Hersteller sich zunehmend auf die Unterschiede und Besonderheiten der PSA-Träger einstellen. Das Angebot wird immer vielfältiger und individueller und es lohnt sich, auf Messen oder beim Blättern durch Kataloge die Augen offenzuhalten. Handschuhe, Fußschutz, Hosen, Jacken usw. sind meist in den ansonsten üblichen Größensystemen (Konfektionsgrößen, Schuhgrößen usw.) erhältlich. Wo dies – etwa bei einem Schutzhelm – nicht der Fall ist, sollte bei der Beschaffung auf das Kriterium der individuellen Einstellmöglichkeit geachtet werden, beim Helm etwa durch eine regulierbare Kopfweite. Bleiben Fragen zu Größen, Formen, Materialien usw. offen, sollte man bei Anbietern, Herstellern oder Lieferanten konkret nachhaken. Es wird nicht alles auf Messen oder in Katalogen gezeigt, was möglich und lieferbar ist.
Unabhängig von der richtigen Größe gibt es für einige PSA-Komponenten diverse Individualisierungsmöglichkeiten. Am häufigsten findet man eine persönlich angepasste PSA beim Schutz von Augen, Ohren oder Füßen, zum Beispiel als:
- Sicherheitsschuhe mit besserer Passform durch ein Mehrweitensystem, das auch extrabreite Füße umfasst
- Sicherheitsschuhe für Diabetiker oder andere Beschäftigte, die wegen Fußproblemen keine Standardsicherheitsschuhe tragen können
- individuell orthopädisch angepasste Sicherheitsschuhe, zum Beispiel mit einseitig erhöhtem Absatz bei unterschiedlichen Beinlängen
- Schutzbrillen mit gleichzeitiger Korrektur einer Fehlsichtigkeit in der gewünschten Sehstärke
- individuell dem Gehörgang angepasster Gehörschutzstöpsel, sogenannte Otoplastiken
- Otoplastiken, die auch gleichzeitig mit einem Hörgerät getragen werden können
Dazu kommen weitere Komponenten, die zwar eine spezielle Schutzaufgabe haben, aber nicht der PSA im engeren Sinne zugeordnet werden. Ein Beispiel wären polarisierende Brillen zur Prävention epileptischer Anfälle bei Fotosensibilität.
Mögliche Konfliktfälle
Die Notwendigkeit, am Arbeitsplatz eine PSA-Komponente zu tragen, kann zu Konflikten mit dem Ausbildungswunsch führen. Wem zum Beispiel die physische Fitness zum Tragen von schwerer Atemschutzausrüstung fehlt, der ist für den Feuerwehrdienst kaum geeignet. Wer befürchtet, dass seine Föhnwelle unter einem Helm Schaden nimmt, sollte seine Wahl für einen Bauberuf überdenken. Andere Konfliktfälle sind weniger offensichtlich, nachfolgend einige Beispiele.
Atemschutz für Bartträger?
Wo Dichtheit entscheidend für die Schutzwirkung ist, sind Bärte und Koteletten heikel. Bartträger können daher von Tätigkeiten ausgeschlossen sein, für die das Tragen von Atemschutz Voraussetzung ist: Näheres regelt die DGUV Information 112–190.
Unpassende Schutzbrille?
Standard-Schutzbrillen in Einheitsgröße passen nicht zu jeder Gesichtsform. Bei breiter Schutzbrille auf schmalem Gesicht besteht das Risiko, dass Splitter oder Flüssigkeitsspritzer trotz Brille ans Auge gelangen. Zu bevorzugen sind Modelle mit individueller Größenwahl.
Piercings unter Schutzbrille?
Piercings im Bereich von Augen und Nase dürfen nicht dazu führen, dass eine notwendige Schutzbrille nicht getragen wird. Hier sind gegebenenfalls betriebsinterne Vorgaben notwendig, so wie sie auch für Ringe, Ketten, Armbanduhren oder langes Haar beim Arbeiten an bestimmten Maschinen gelten.
Schutzbrille für Brillenträger?
Die bisweilen gehörte Frage, ob ein Brillenträger überhaupt eine Schutzbrille benötigt, ist eindeutig mit Ja zu beantworten. Denn eine als Sehhilfe konzipierte Brille bietet so gut wie keine Schutzfunktion und kann zudem je nach Tätigkeit leicht beschädigt werden. Brillenträgern eine Korrektionsschutzbrille zu verweigern mit dem Vorschlag, stattdessen über der eigentlichen Brille eine Korbbrille zu tragen, ist nicht zielführend. Laut Regel 112–192 sind Korbbrillen nur für „kurzfristige Arbeiten über wenige Minuten“ geeignet. Zudem neigen solche Kombinationen von Brille und Überbrille zum Beschlagen und können Spiegelungen und Doppelbilder verursachen, und dies geht eindeutig zulasten des Schutzes wie des Tragekomforts.
Gehörschutz für Mitarbeiter mit Hörminderung?
Schalldämmender Gehörschutz kann bei bestehender Hörminderung das Kommunizieren erschweren und die Trageakzeptanz senken. Hier sind technische Lösungen zu prüfen. Das können zum einen speziell für Lärmbereiche zugelassene Hörgeräte mit Gehörschutzfunktion sein, zum andern passive Gehörschützer mit einer besonders flachen Dämmkurve.
PSA mit Hörgerät?
Hinterm Ohr getragene Hörgeräte, insbesondere ältere Modelle oder Cochlea-Implantate (Hörprothesen), können das Tragen von Schutzbrille oder Schutzhelm beeinträchtigen. Dafür gibt es Lösungen wie Kombinationen von Brille und Otoplastik oder Integration der Hörgerättechnik in den Brillenbügel („Hörbrille“). Bei Problemen mit dem Helm sollte der Hersteller kontaktiert werden, inwiefern eine spezielle Helmform oder Polsterung Abhilfe schaffen könnte.
Gehörschutz für Gehörlose?
Was tun, wenn ein gehörloser Mitarbeiter auf das Tragen von Gehörschutz verzichten will? Dem Argument, dass die vermeintlich lästigen Kapselgehörschützer oder Ohrstöpsel in diesem Fall „eh nix bringen“, ist zunächst kaum etwas entgegenzusetzen. Doch die Frage, wie Vorgesetzte und Sicherheitsverantwortliche hier rechtssicher agieren, ist alles andere als trivial. Denn das Arbeitsschutzrecht sieht solche Ausnahmen nicht vor. Die DGUV formuliert in einem „Leitfaden für Betriebsärzte zur Beschäftigung von Schwerhörigen und Gehörlosen in Lärmbereichen“, dass die Vorschriften zum Tragen von Gehörschutz „prinzipiell auch für den hier behandelten Personenkreis“ gelten. Weiter heißt es: „Hiervon kann bei Gehörlosen und Gehörlosen mit nicht verwertbaren Hörresten abgewichen werden“. Dies ist keine eindeutige Vorgabe. Letztlich kommt es stets auf den Einzelfall an, der mit der Berufsgenossenschaft geklärt werden sollte.
Allergien gegen PSA-Materialien?
In (seltenen) Fällen kann es sein, dass persönliche Gesundheitsaspekte mit einer PSA-Nutzung kollidieren, weil Unverträglichkeiten gegenüber Materialien oder deren Inhaltsstoffen bestehen. Als typisches Beispiel für durch PSA ausgelöste Allergien gilt Latex als Grundstoff von Einmalhandschuhen. Auch Weichmacher und weitere Substanzen haben allergenes Potenzial, betroffen sind insbesondere Handschuhe. Eine Liste solcher Allergene kann bei der BG BAU eingesehen werden (www.bgbau.de Suche nach „Allergenliste“).
Angesichts der Vielzahl an Substanzen, bei denen es zu Kontaktallergien kommen kann, ist es laut BG BAU derzeit nicht möglich, einen 100 Prozent allergenfreien Schutzhandschuh herzustellen. Andererseits ist die Auswahl groß, und betroffene Mitarbeiter können meist auf alternative Modelle zurückgreifen, die den individuell diagnostizierten Allergenauslöser nicht enthalten. Individuelle Hautprobleme dürfen und müssen kein Grund sein, auf den Schutz von Haut und Händen zu verzichten.
Arbeits- oder Schutzkleidung missfällt?
Vor 20 bis 30 Jahren mag es noch nachvollziehbar gewesen sein, dass sich Mitarbeiter über hässliche oder unbequeme Arbeits- oder Schutzkleidung beklagen. Doch die Zeiten von tristem Einheitsgrau und klobigen Sicherheitsschuhen sind vorbei. Längst werden auf Arbeitsschutzmessen regelrechte Modenschauen veranstaltet, und das Gezeigte kann sich sehen lassen. Schutzkleidung wird modischer, farbiger und funktioneller, und durch neue, etwa leichtere und klimaaktive Materialien steigt der Tragekomfort. Statt Unisex-Look bieten immer mehr Hersteller auch speziell für Frauen konzipierte Schutzkleidung an. Das reicht von Workwear, Sicherheitsschuhen oder Warnschutzbekleidung bis zu eigens für Frauen designten Schweißerschutzmasken. Arbeitgeber, die das vielseitige Angebot aktiv nutzen, befördern damit auch Motivation und Trageakzeptanz.
Jeder ist besonders und jeder benötigt Schutz
Ob Juckreiz, Druckstellen oder andere Beschwerden – wer Probleme mit seiner PSA hat, sollte ihnen auf den Grund gehen. Schon in den Unterweisungen zur PSA-Nutzung sollte deutlich werden, dass es selbstverständlich ist, bei solchen Problemen den Betriebsarzt aufzusuchen und gegebenenfalls gemeinsam mit dem Hersteller, Dermatologen usw. Abhilfe zu finden.
Ein solches vertrauensvolles Klima ist besonders wichtig für Auszubildende und Berufsneulinge, für Mitarbeiter mit körperlichen Einschränkungen, aber auch für solche, die nach Krankenhaus und Reha zurückkehren. Für Diskussionen um die Eignung für eine PSA und damit nicht selten die Eignung für eine Tätigkeit sollte stets gelten:
- Die individuelle Situation klären, dabei Betriebsarzt und gegebenenfalls auch Haus- und Facharzt einbinden.
- Den Betriebsrat oder die Personalvertretung einbeziehen, diese haben grundsätzlich ein Mitwirkungsrecht bei der Auswahl von PSA.
- Einvernehmliche Lösungen suchen – ohne Druck, aber auch ohne übersteigerte Fürsorglichkeit.
- Alle Fördermöglichkeiten eruieren, sehr nützlich dazu ist die REHADAT-Datenbank (www.rehadat.de).
Jeder Mitarbeiter ist in irgendeiner Weise besonders und jeder benötigt eine für ihn geeignete und angemessene Schutzausrüstung. Sicherheit muss oberstes Gebot bleiben. Doch Arbeitsschutzvorgaben dürfen die Teilhabe am Arbeitsleben nicht stärker einschränken als unvermeidbar. Bevor jemand wegen einer PSA-Problematik seinen Arbeitsplatz aufgeben muss, sollten alle Optionen ausgeschöpft werden. Kundenorientierte und seriöse PSA-Hersteller sind auch daran zu erkennen, dass sie solche Anfragen und Anregungen dankbar aufgreifen.
PSA individuell anpassen – Rechtsgrundlagen
Für PSA gilt grundsätzlich: Anpassungen sollten nur durch Fachleute und nur nach Rücksprache beziehungsweise gemäß den Vorgaben des Herstellers erfolgen. Nach eigenmächtigem Herumbasteln könnte das Produkt nicht mehr seiner Baumusterprüfung entsprechen und dürfte gar nicht in Verkehr gebracht geschweige denn genutzt werden.
Auf keinen Fall darf durch eine Veränderung die Schutzfunktion beeinträchtigt werden. Dies gilt auch für Anpassungen im Sinne eines Corporate Design, etwas durch andere Farben oder durch Aufnähen eines Firmenlogos. Für die nicht selten erforderlichen orthopädischen Anpassungen an Sicherheitsschuhen – im Fachjargon Zurichtungen genannt – ist die DGUV Regel 112–191 zu beachten.
Nur wo die Schutzfunktion nicht betroffen ist, kann ein individuelle Anpassen erlaubt sein. Sitzt etwa eine Schutzbrille schlecht, entspricht sie nicht den ergonomischen Anforderungen ihres Trägers und der Bügel darf im Regelfall angepasst werden.
Bei Anpassungen aufgrund körperlicher Besonderheiten eines Mitarbeiters ist stets der Datenschutz zu beachten, zum Beispiel für ärztliche Befunde und biometrische Daten. Viele Hersteller bieten dazu eine Einwilligungserklärung an. Die anfallenden Kosten oder Zusatzkosten trägt in aller Regel der Arbeitgeber.