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Elf Mängel in Betriebsorganisation: Technischer Leiter gekündigt

Betreiberverantwortung von Führungskräften
Elf Mängel in Betriebsorganisation: Technischer Leiter gekündigt

Elf Mängel in Betriebsorganisation: Technischer Leiter gekündigt
Foto: © CandyRetriever – stock.adobe.com
Tech­nis­ch­er Leit­er gekündigt: Ein Molk­ereipro­duk­te­hersteller auf der Insel Rügen rügt dabei „schw­er­wiegende Män­gel an Betrieb­san­la­gen“. Dieser Beitrag analysiert acht Punk­te der erfol­gre­ichen Kündi­gungss­chutzk­lage und erörtert, ob der Tech­nis­che Leit­er sein­er Ver­ant­wor­tung gerecht gewor­den ist.

Das Lan­desar­beits­gericht gab der Kündi­gungss­chutzk­lage des Tech­nis­chen Leit­ers statt [1] und das Bun­de­sar­beits­gericht bestätigte das [2]. Die Kündi­gung war ungerecht­fer­tigt [3]. Wesentliche Grund­lage der Gericht­surteile ist, dass der Tech­nis­che Leit­er im Grund­satz Ver­ant­wor­tung für die gesamte Tech­nik im Betrieb hat – schwierig aber ist (wie immer) der Umfang und die Frage, ob der Ver­ant­wortliche genü­gend getan hat, um seine Tech­nikpflicht­en zu erfüllen, ob er also der Tech­nikver­ant­wor­tung gerecht gewor­den ist [4].

Verantwortung des Technischen Leiters

Die Ver­ant­wor­tung des Tech­nis­chen Leit­ers beschreibt das LAG mit dem Wort „Zuständigkeit“ im Urteil so: „Als Tech­nis­ch­er Leit­er ist er ganz all­ge­mein gesprochen dafür zuständig, dass die im Betrieb einge­set­zten tech­nis­chen Anla­gen laufen und sich in einem ord­nungs­gemäßen Zus­tand befinden“.

Die Leitungsver­ant­wor­tung ergibt sich aus der Über­nahme der Posi­tion [5] – nicht erst aus ein­er schriftlichen Pflicht­enüber­tra­gung, die es hier aber in Form ein­er Stel­lenbeschrei­bung gegeben hat (siehe unten 2 .).

Konkret wieder­holt das LAG Meck­len­burg-Vor­pom­mern die Zuständigkeit­en des Tech­nikleit­ers noch zu zwei Bereichen:

  • Prü­fung von Roll­toren: „Die Ver­ant­wor­tung für die Ein­hal­tung der Pflicht zur jährlichen exter­nen Über­prü­fung und Abnahme liegt unstre­it­ig beim Kläger“;
  • Prü­fung von Eich­fris­ten der Waa­gen, wo es zunächst stre­it­ig war: „Im Rah­men der Anhörung zu der beab­sichtigten Ver­hän­gung eines Bußgeldes hat der Kläger ver­sucht, seine Ver­ant­wor­tung für die Eichung der Waa­gen zu leug­nen und hat stattdessen eine Ver­ant­wor­tung der Pro­duk­tion­slei­t­erin behauptet“. Aber jet­zt „ste­ht nicht mehr in Stre­it, dass die for­male Ver­ant­wor­tung für die Ein­hal­tung der Eich­fris­ten beim Kläger liegt“.

Für die Ver­ant­wor­tung spielt es übri­gens auch keine Rolle, dass – so das LAG – „koste­naus­lösende Maß­nah­men (Ein­schal­tung extern­er Handw­erk­er und Dien­stleis­ter, Beschaf­fung von Ersatzteilen) vom Geschäfts­führer genehmigt wer­den müssen. Der Kläger durfte nur Kosten bis zur Höhe von 500 Euro ohne Rück­sprache aus­lösen.“ Trotz dieses gerin­gen Bud­gets ist die Ver­ant­wor­tung umfassend – sie ist eben nur finanziell beschränkt und zwingt zu häu­fi­gen Rücksprachen.

Für die Tech­nikver­ant­wor­tung spielt es schließlich auch keine Rolle, dass der Betrieb­sleit­er keine weit­eren Mitar­beit­er hat­te. Dadurch fehlt ihm nur Weisungs­befug­nis in Bezug auf Tätigkeit­en und die damit ver­bun­dene Per­son­alver­ant­wor­tung, aber der Tech­nis­che Leit­er hat sach­be­zo­gene Tech­nik- beziehungsweise Betreiberverantwortung.

Kündi­gung eines alko­holkranken Elektrikers

Pflichtverstöße des Technischen Leiters

Von den elf Vor­wür­fen, die nach ein­er 4‑monatigen Erkrankung des Tech­nis­chen Leit­ers von Ende März bis Ende Juli 2018 ent­deckt wor­den sein sollen, wer­den hier exem­plar­isch acht dargestellt. Zu prüfen ist jew­eils, ob der Arbeit­nehmer gegen Arbeitsver­trags- oder geset­zliche Arbeitss­chutzpflicht­en ver­stoßen hat – nur dann kön­nte eine Kündi­gung gerecht­fer­tigt sein.

1 Anlagenwartung

Im Novem­ber 2017 wartete ein externes Fachunternehmen die 25 Jahre alte Wasser­auf­bere­itungsan­lage mit Dampf­druck­kessel und repari­erte das Über­druck­ven­til und Wasser­stand­se­lek­trode. Der Tech­nis­che Leit­er begleit­ete diese Maß­nahme „auf­grund sein­er Zuständigkeit“.

Aber – so das LAG – „es kann nicht mit der für eine Kündi­gung erforder­lichen Sicher­heit fest­gestellt wer­den, dass der Kläger die Abnahme der Leis­tung der beauf­tragten exter­nen Fir­ma Ende Novem­ber 2017 vor­w­erf­bar fehler­haft durchge­führt hat“. Zwar „brachte ein Ort­ster­min mit dem TÜV im Jan­u­ar 2018 nicht die erhoffte Abnahme der Anlage, da nach wie vor keine Betrieb­s­genehmi­gung für die auf Gas umgestellte Befeuerungsan­lage vorhan­den war“.

Aber selb­st wenn unter­stellt wird, „dass der Wieder­auftritt des Schadens an den bei­den Anla­gen­teilen darauf hin­deutet, dass die Anlage Ende Novem­ber 2017 durch die beauf­tragte Fir­ma nur man­gel­haft repari­ert wurde“, ist „nicht erkennbar, aus welchen Umstän­den geschlossen wer­den kön­nte, dass der Kläger diesen Man­gel vor­w­erf­bar nicht erkan­nt hat und er daher die Abnahme der Leis­tung der beauf­tragten Fir­ma hätte ver­weigern müssen“.

Der Tech­nis­che Leit­er „hat zu sein­er Ent­las­tung vor­ge­tra­gen, er habe vor der Abnahme der Leis­tung eine Funk­tion­sprü­fung durchge­führt und die bei­den fraglichen Anla­gen­teile hät­ten funk­tion­iert. Mit diesem Ent­las­tungsvor­brin­gen hat sich das Unternehmen nicht auseinan­derge­set­zt. Da die beklagte Arbeit­ge­berin im Kündi­gungss­chutzprozess für den Vor­trag des Kündi­gungs­grun­des ein­schließlich des Fehlens von Recht­fer­ti­gungs- und Entschuldigungs­grün­den beweis­be­lastet ist, hätte sie diese klägerische Ein­las­sung entwed­er wider­legen müssen oder durch Vor­trag weit­er­er Indizien klar­ma­chen müssen, dass die ange­blich vorgenommene Funk­tion­sprü­fung nicht dem tech­nis­chen Stan­dard entsprochen habe.“

 

 Technischer Leiter gekündigt: Dem Kläger wurde unter anderem vorgeworfen, die Anlage nicht regelmäßig gewartet zu haben
Dem Kläger wurde unter anderem vorge­wor­fen, die Anlage nicht regelmäßig gewartet zu haben.
Foto: © stan­dret – stock.adobe.com

2 Betriebsgenehmigung

Das Unternehmen wirft dem Tech­nis­chen Leit­er noch vor, „der TÜV hätte die Anlage im Jan­u­ar 2018 nicht abgenom­men, weil unter anderem die Betrieb­s­genehmi­gung für die Umstel­lung der Befeuerung von Öl auf Gas noch nicht vorgele­gen habe“.

Aber – so das Gericht – „die Abwick­lung des Schriftverkehrs mit der Zulas­sungs­be­hörde gehörte nicht in den Zuständigkeits­bere­ich des Klägers. Daher ist dem Kläger sei in diesem Zusam­men­hang kein Vor­wurf zu machen. Die Arbeit­ge­berin hat nicht näher erläutert, aus welchen Umstän­den sich ergibt, dass der Kläger für die Beantra­gung der Betrieb­s­genehmi­gung zuständig gewe­sen sein soll.“

Inter­es­sant ist noch, dass es für das Gericht, „sein mag, dass sich aus dem Text der Stel­lenbeschrei­bung für die Stelle des Klägers ent­nehmen lässt, dass der Stel­len­in­hab­er auch für der­ar­tige Auf­gaben zuständig ist“. Da aber „die Ein­hol­ung ein­er Betrieb­s­genehmi­gung für eine umge­baute Anlage jeden­falls nicht zum All­t­ags­geschäft des Klägers gehört, muss das Gericht trotz­dem zumin­d­est von ein­er gemein­samen Ver­ant­wor­tung des Klägers und der Geschäfts­führung für die Erlan­gung der notwendi­gen Betrieb­s­genehmi­gung ausgehen“.

Und „ein weit­eres kommt hinzu. Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Ver­hand­lung erlebt. Auf­grund des Ein­drucks, den sich das Gericht dadurch vom Kläger machen kon­nte, geht das Gericht davon aus, dass der Kläger durch die Abwick­lung des Schriftverkehrs mit der Genehmi­gungs­be­hörde über­fordert gewe­sen wäre. Der Kläger mag aus­re­ichen­den tech­nis­chen Sachver­stand haben und er mag auch in der Lage sein, sein­er Ker­nauf­gabe der Überwachung der tech­nis­chen Anla­gen der Betrieb­sstätte zu genü­gen. Er ist aber ganz sich­er nicht in der Lage, ohne Anleitung und Auf­sicht den schriftlichen Dia­log mit ein­er Genehmi­gungs­be­hörde zu führen.

Das muss dem Geschäfts­führer in den Jahren der Zusam­me­nar­beit mit dem Kläger seit Mitte 2014 auch aufge­fall­en sein. Es wäre daher ver­ant­wor­tungs­los, wenn die Arbeit­ge­berin tat­säch­lich die Zuständigkeit für die Ein­hol­ung der Genehmi­gung für die Befeuerung der Anlage mit Gas auf den Kläger delegiert hätte. Dies gilt ger­ade angesichts des Umstandes, dass die Wasser­auf­bere­itungsan­lage mit dem Dampf­druck­kessel und der Gas­be­feuerung eine der zen­tralen Pro­duk­tion­san­la­gen in dem Betrieb darstellt.“

3 Nichtwartung der Anlage

Auch „der Vor­wurf, der Kläger hätte es unter­lassen, die Anlage regelmäßig zu warten, ist angesichts des Bestre­it­ens des Klägers zu ober­fläch­lich. Für einen aus­re­ichen­den Sachvor­trag hätte die Arbeit­ge­berin im Einzel­nen vor­tra­gen müssen, wie sie sich eine ord­nungs­gemäße Erfül­lung der Wartungsauf­gabe des Klägers vorstellt. Dem hät­ten dann die tat­säch­lich vom Kläger erbracht­en Leis­tun­gen gegenübergestellt wer­den müssen. Erst aus dem Ver­gle­ich der Soll-Vor­gaben mit dem tat­säch­lichen Geschehen hätte das Gericht in die Lage ver­set­zt, das Vor­liegen eines Pflichtver­stoßes festzustellen und diesen als­dann sein­er Schwere nach zu bewerten.“

4 Nichtwiederanfahren der Anlage

Das Unternehmen wirft dem Tech­nis­chen Leit­er weit­er vor, dass er die Anlage vor sein­er Krankheit nicht wieder ange­fahren hat.

  • Darin sieht das Gericht zunächst einen Wider­spruch und merkt an, dass sich daraus „nur dann ein Kündi­gungs­grund ergeben kön­nte, wenn sich die Wasser­auf­bere­itungsan­lage mit dem Dampf­druck­kessel Ende März bzw. Anfang April 2018 tat­säch­lich in einem tech­nis­chen Zus­tand befun­den hätte, der ein Anfahren der Anlage erlaubt hätte. Das hat ja die Arbeit­ge­berin bestrit­ten. Sie wirft dem Kläger dort vor, durch die Vielzahl sein­er Nach­läs­sigkeit­en hätte sich die Anlage in einem tech­nis­chen Zus­tand, der ein Anfahren der Anlage ver­bi­ete, befun­den. Wenn die Anlage nicht ange­fahren wer­den kon­nte oder jeden­falls nicht betrieb­ssich­er ange­fahren wer­den kon­nte, kon­nte den Kläger auch keine Pflicht tre­f­fen, daran trotz sein­er Arbeit­sun­fähigkeit mitzuwirken.“
  • Aber – so das Gericht – „selb­st dann, wenn man unter­stellt, die Anlage war intakt, ergibt sich daraus kein Kündi­gungs­grund“ und „dass der Kläger auf­grund sein­er Schlüs­sel­stel­lung im Betrieb auch während ein­er Arbeit­sun­fähigkeit vom Grund­satz her verpflichtet war, bei Auftreten ein­er betrieblichen Zwangslage mit Rat und Tat zur Seite zu ste­hen“. Denn „der Kläger behauptete, er habe dieser Pflicht Genüge getan, indem er am 26. März 2018 zwei namentlich benan­nte Kol­le­gen in die Inbe­trieb­nahme der Anlage tele­fonisch eingewiesen habe“.
  • Und ein Kündi­gungs­grund beste­ht selb­st dann nicht, wenn der Kläger nicht „auf Anrufe der Beklagten und ihres Geschäfts­führers mit Absicht reagiert“ haben sollte. „Denn es ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger verdeut­licht wurde, dass es ohne seine Mith­il­fe nicht möglich sei, die betriebliche Zwangslage zu über­winden. Bei der Bew­er­tung des Pflichtver­stoßes muss mit­berück­sichtigt wer­den, dass der Kläger in einem Kon­flikt zwis­chen seinem Gene­sungswun­sch und der Erfül­lung der betrieblichen Pflicht­en stand. Entschei­det er sich in ein­er solchen Kon­flik­t­si­t­u­a­tion falsch, kann dies die Kündi­gung ohne vorherige ein­schlägige Abmah­nung nicht rechtfertigen.“

5 Kontrolle der Rolltore und Regale

Im Unternehmen „müssen die betriebe­nen Roll­tore und Hochre­gale ein­mal jährlich durch die DEKRA oder einen ähn­lichen Sachver­ständi­gen über­prüft und abgenom­men wer­den“ und „es kam 2017 zu ein­er Lücke in den vorgeschriebe­nen exter­nen Prü­fun­gen der Roll­tore und Regale“.

  • Aber erstens „gere­icht es dem Kläger nicht zum Vor­wurf, dass er es unter­lassen hat, den Auf­trag solange in mehrere Lose aufzuteilen, bis er in der Lage gewe­sen wäre, den Auf­trag ohne Ein­schal­tung der Geschäfts­führung alleine auszulösen. Das Gericht teilt die Recht­sauf­fas­sung des Klägers, dass eine der­ar­tige kün­stliche Aufteilung eines Vorhabens in mehrere Aufträge unredlich gewe­sen wäre.“
  • Zweit­ens „meinte auch der Geschäfts­führer, als er den Kosten­vo­ran­schlag im Juli 2017 zur Bil­li­gung vorgelegt bekom­men hat­te, nicht etwa, es sei über­flüs­sig gewe­sen, ihn einzuschal­ten. Vielmehr hat er sich dahin ein­ge­lassen, dass der Kläger erst ein­mal dar­legen solle, weshalb es notwendig sei, diese Kosten auszulösen“. Der Tech­nis­che Leit­er „kon­nte nicht eine Freiga­be der Mit­tel erwirken“.
  • Drit­tens beste­hen für das Gericht beste­hen zwar „erhe­bliche Zweifel“, dass der Kläger die „Rück­fra­gen des Geschäfts­führers zum Ver­tragsange­bot aus­re­ichend beant­wortet hat­te“, aber „entschei­dend“ ist für das LAG, dass sich die „Geschäfts­führung Finanzentschei­dun­gen der gegebe­nen Größe vor­be­hal­ten hat­te, und dass der Kläger durch die Bitte um Freiga­be der Mit­tel unter Benen­nung des Auf­tragszwecks die Geschäfts­führung auch auf die sach­lichen Gründe für diesen Aus­gabeposten hingewiesen hat. Damit war die Ver­ant­wor­tung für diese Angele­gen­heit vom Kläger auf die Geschäfts­führung ver­lagert wor­den. Wenn die weit­ere Ver­fol­gung der Angele­gen­heit dort ver­säumt wurde, ergibt sich daraus kein Vor­wurf gegenüber dem Kläger.“

Stürze in Arbeitsstätten

6 Nichtkontrolle von Eichfristen

Gefährlich für den Tech­nis­chen Leit­er waren Vor­würfe im Zusam­men­hang mit der „man­gel­haften Kon­trolle des Ablaufs der Eich­fris­ten Ende 2017 an drei im Betrieb einge­set­zten Waa­gen“. Nach dem LAG „han­delt es sich um einen schw­eren Ver­stoß gegen die arbeitsver­traglichen Pflicht­en des Klägers, was schon daraus erkennbar ist, dass es sich um eine bußgeld­be­wehrte Ord­nungswidrigkeit handelt.

Ein Bekan­ntwer­den dieses Ver­säum­niss­es wäre zudem geeignet, das Ver­trauen der Kon­sumenten in die Pro­duk­te des Unternehmens ern­sthaft zu gefährden. Der Pflichtver­stoß erhält auch dadurch zusät­zlich­es Gewicht, dass der Kläger das Ablaufen der Eich­fris­ten nicht selb­st bemerkt hat, son­dern das Prob­lem erst im Rah­men ein­er staatlichen Kon­trolle durch das Eichamt aufgedeckt wurde.

Gle­ich­wohl ist dieser Vor­fall wegen ein­er fehlen­den ein­schlägi­gen Abmah­nung nicht geeignet, die aus­ge­sproch­ene Kündi­gung zu recht­fer­ti­gen. Eine Kündi­gung darf nicht als Sank­tion für Fehlver­hal­ten in der Ver­gan­gen­heit missver­standen wer­den. Vielmehr kann eine Kündi­gung nur dann sozial gerecht­fer­tigt sein, wenn sich aus gegeben­em Fehlver­hal­ten gegebe­nen­falls unter Mit­berück­sich­ti­gung weit­er­er Umstände fol­gern lässt, dass auch in Zukun­ft mit ver­gle­ich­barem Fehlver­hal­ten zu rech­nen ist. Das Gericht sieht sich nicht in der Lage, diese Fol­gerung zu ziehen.

Es fehlt bere­its an ein­er hin­re­ichen­den Darstel­lung der Ursachen für das klägerische Ver­sagen. Geht man mit dem Kläger davon aus, dass er sich – sicher­lich unberechtigt – darauf ver­lassen hat, dass die Kol­le­gen aus der Pro­duk­tion ihn schon auf den dro­hen­den Ablauf von Eich­fris­ten hin­weisen wer­den, lässt sich die zukün­ftige Wieder­hol­ung des Fehlers schon durch eine Ein­weisung in die Führung eines Kalen­ders am Arbeit­splatz­com­put­er ver­bun­den mit der Weisung, diesen sorgfältig zu führen, beheben. Gegebe­nen­falls hätte man diese Weisung auch in Form ein­er Abmah­nung erteilen kön­nen, um dem Kläger die Bedeu­tung der Angele­gen­heit deut­lich vor Augen zu führen“.

Daher „war der Ausspruch ein­er Abmah­nung hier zur Behe­bung der Prog­nose­un­sicher­heit unverzicht­bar“ und die Kündi­gung war sozial ungerechtfertigt.

7 Elektroanlagen ohne Schutz

Die Arbeit­ge­berin argu­men­tierte noch, „einzelne Teile der elek­trischen Anlage seien ohne die vorgeschriebe­nen Schutz­ab­deck­un­gen betrieben wor­den“, aber „das wurde vom Kläger bestrit­ten. Trotz­dem hat die Beklagte zu diesem Vor­wurf keine weit­eren Einzel­heit­en vor­ge­tra­gen. Damit ist der Vor­wurf zur Begrün­dung eines Kündi­gungs­grun­des zu ober­fläch­lich vor­ge­tra­gen“ [6].

8 Unaufgeräumter Schreibtisch

„Aus dem unor­dentlichen Zus­tand des Schreibtis­ches des Klägers sowie des unor­dentlichen Zus­tandes weit­er­er Räume im Zuständigkeits­bere­ich des Klägers ergibt sich kein eigen­ständi­ger Kündigungsgrund.“

Zwar ergebe „Bild­ma­te­r­i­al“ – so das LAG – einen „auf­fal­l­end unge­ord­neten Zus­tand der Verk­a­belung im Server­schrank“, aber der Tech­nis­che Leit­er sagte, „für die IT-Anlage sei er nicht zuständig“ und „dem ist die Beklagte nicht aus­re­ichend ent­ge­genge­treten. Es mag ja sein, dass man den Wort­laut der Stel­lenbeschrei­bung des Klägers auch so ver­ste­hen kann, dass sich seine Zuständigkeit auch auf die IT-Anlage bezieht. Das ste­ht aber in einem Span­nungsver­hält­nis zu dem unbe­strit­te­nen Vor­trag, dass es für die IT eine geson­derte Zuständigkeit ein­er namentlich benan­nten Mitar­bei­t­erin gebe. Ohne näheren Vor­trag zu der Schnittstelle zwis­chen den Zuständigkeit­en des Klägers und dieser Per­son, kann aus dem vorgelegten Bild­ma­te­r­i­al nicht auf Fehlver­hal­ten des Klägers geschlossen werden.“

Kündigung in der Zusammenschau aller Vorwürfe?

Das LAG sagt, „auch aus der Zusam­men­schau der Vor­würfe lässt sich die soziale Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung nicht ableiten“.

  • Zwar ist es „denkbar, dass sich erst aus ein­er gemein­samen Betra­ch­tung mehrerer Pflichtver­let­zun­gen, die jew­eils für sich genom­men möglicher­weise eine Kündi­gung nicht recht­fer­ti­gen kön­nen, Hin­weise auf das wahre Aus­maß des Fehlver­hal­tens ergeben. Liegt ein solch­er Fall vor, ist es the­o­retisch denkbar, dass eine Kündi­gung, die sich auf eine Vielzahl kleiner­er Pflichtver­let­zun­gen stützt, in der Summe den­noch sozial gerecht­fer­tigt sein kann. Das set­zt allerd­ings zwin­gend voraus, dass die gemein­same Betra­ch­tung der Einzelvor­fälle einen tief­er­en Blick in Art und Aus­maß der Pflichtver­let­zung erlaubt.“
  • Aber „das ist für das Gericht hier nicht erkennbar. Ein Großteil der Vorkomm­nisse kann schon nicht als Pflichtver­let­zung anerkan­nt wer­den, da sie entwed­er zu ober­fläch­lich vor­ge­tra­gen wur­den oder die klägerische Ein­las­sung nur unzure­ichend wider­legt wurde. Wenn es so etwas wie einen roten Faden gibt, der die verbleiben­den Pflichtver­let­zun­gen verbindet, mag es der Ver­dacht sein, dass der Kläger sein­er Auf­gabe nicht in jed­er Hin­sicht gewach­sen ist. Daraus ergibt sich aber kein eigen­er Kündigungsgrund.“

Fehlende Führungsanleitung

  • Für mich ist fol­gen­der Gesicht­spunkt sehr entschei­dend: Die Arbeit­ge­berin kri­tisiert den Kläger in zahlre­ichen Punk­ten – aber was hat sie getan, um ihn zu unter­stützen? Das Gericht sagt: „Da die Beklagte nicht vor­ge­tra­gen hat, wie sie ver­sucht hat, die möglicher­weise beste­hen­den Defizite des Klägers zu beheben und ihm zu helfen, ist derzeit die Aus­sage nicht erlaubt, dass der Kläger mit sein­er Auf­gabe als tech­nis­ch­er Leit­er tat­säch­lich über­fordert ist.“
  • Beispiel­haft regelt diese Unter­stützungspflicht § 5 Abs. 2 ASiG für Fachkräfte für Arbeitssicher­heit [7]: „Der Arbeit­ge­ber hat dafür zu sor­gen, dass die von ihm bestell­ten Fachkräfte für Arbeitssicher­heit ihre Auf­gaben erfüllen. Er hat sie bei der Erfül­lung ihrer Auf­gaben zu unter­stützen; ins­beson­dere ist er verpflichtet, ihnen, soweit dies zur Erfül­lung ihrer Auf­gaben erforder­lich ist, Hil­f­sper­son­al sowie Räume, Ein­rich­tun­gen, Geräte und Mit­tel zur Ver­fü­gung zu stellen.“

Quellen:
[1] LAG Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Urteil v. 04.11.2019 (Az. 2 Sa 56/19).
[2] BAG, Beschluss v. 29.01.2020 (Az. 2 AZN 1380/19).
[3] Weit­ere Kündi­gungs­fälle in Wilrich, Sicher­heit­stech­nik und Maschi­ne­nun­fälle vor Gericht – 40 Urteil­s­analy­sen zu Pro­duk­t­sicher­heit, Her­steller- und Kon­struk­tion­spflicht­en, Arbeitss­chutz, Betreiber- und Organ­i­sa­tion­spflicht­en, 2022.
[4] Aus­führlich hierzu mit zahlre­ichen weit­eren Urteilen aus der Recht­sprechung­sprax­is Wilrich, Tech­nik-Ver­ant­wor­tung – Sicher­heit­spflicht­en der Inge­nieure, Meis­ter und Fachkräfte und Organ­i­sa­tion und Auf­sicht durch Man­age­ment und Führungskräfte, 2022.
[5] Siehe Wilrich, Pflich­t­en­del­e­ga­tion im Arbeitss­chutz – Betrieb­sorgan­i­sa­tion und Per­sonal­man­age­ment durch Über­tra­gung von Unternehmerpflicht­en auf Führungskräfte, erscheint 2024.
[6] Weit­ere Fallbe­sprechun­gen zu diesem Bere­ich Wilrich, Elek­trotech­nik und Stro­mun­fälle vor Gericht – 77 Urteil­s­analy­sen, 2023.
[7] Zu ihnen Wilrich, Ver­ant­wor­tung und Haf­tung der Sicher­heitsin­ge­nieure: Unterstützungs‑, Beratungs‑, Berichts‑, Prüfungs‑, Warn- und Sorgfalt­spflicht­en der Fachkräfte für Arbeitssicher­heit als Stab­sstelle und Unternehmerpflicht­en in der Lin­ie – mit 20 Gericht­surteilen und Strafver­fahren zu Fahrläs­sigkeit und Schuld nach Arbeit­sun­fällen, 2. Aufl. 2023.


Autor: Recht­san­walt Prof. Dr. Thomas Wilrich
Hochschule München, Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen
www.rechtsanwalt-wilrich.de
 
Foto: © privat
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