Hand aufs Herz: Wissen Sie, wie man einen Verletzten in die stabile Seitenlage bringt? Schon häufiger gehört und auch mal geübt, das ja. Doch das ist womöglich viele Jahre her. Die Erinnerung verblasst, was im Ernstfall zum Problem werden kann. Die Zahlen zeigen es: 2021 ereigneten sich in der gewerblichen Wirtschaft und der öffentlichen Hand insgesamt 806.217 meldepflichtige Arbeitsunfälle, die laut DGUV-Statistik eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen oder den Tod zur Folge hatten. Das sind 6,0 Prozent mehr als im Vorjahr. Umso wichtiger ist es, auf Unfälle im Betrieb vorbereitet zu sein.
Schnelles Handeln im Ernstfall
Ersthelfende sind ausgebildete Laien, die als Erste am Ort des Geschehens Maßnahmen ergreifen können, um akute Gefahren für Leben und Gesundheit abzuwenden. Im Notfall einsatzbereit zu sein und zu unterstützen ist ihre wichtigste Aufgabe, aber nicht die einzige. Ersthelfende helfen auch in nicht lebensbedrohlichen Fällen.
In Betrieben, in denen es weder Betriebssanitäter oder ‑sanitäterinnen gibt noch ein Betriebsarzt oder eine ‑ärztin ständig vor Ort ist, ist es ihre Aufgabe, leichte Verletzungen zu versorgen und gegebenenfalls den Transport zur ärztlichen Behandlung in die Wege zu leiten.
„Erste-Hilfe-Kurse sollen befähigen, auf fast alle Arten von Notfällen reagieren zu können“, erklärt Jochen Taubken vom DGUV-Fachbereich Erste Hilfe. Zum Beispiel geht es darum, bedrohliche Blutungen zu erkennen und entsprechende Maßnahmen durchzuführen. Ebenso lernen die Teilnehmenden unter anderem, was bei Knochenbrüchen und Gelenkverletzungen zu tun ist, oder wie man prüft, ob jemand bewusstlos ist oder hirnbedingte Störungen hat.
Wenn keine normale Atmung feststellbar ist oder daran Zweifel bestehen, ist bei einer bewusstlosen Person von einem Kreislaufstillstand auszugehen. Dann muss umgehend mit einer Herz-Lungen-Wiederbelebung begonnen werden. Gut, wenn dann ein Ersthelfer mit entsprechender Ausbildung zur Verfügung steht, der die Gefahr sofort erkennen, handeln und umgehend den Rettungsdienst rufen kann.
Hoher Praxisbezug durch Übungen
Im Erste-Hilfe-Kurs geht es um die Vermittlung von theoretischen Inhalten, aber weit mehr noch um die Befähigung zum praktischen Handeln. Dazu werden etliche Praxisübungen durchgeführt. Weil diese nur in Präsenz erfolgen können, sind Online-Kurse für die Erste Hilfe ausgeschlossen. Zur praxisnahen Ausbildung zählen folgende Inhalte (die Abkürzung AD steht für Ausbilderdemonstration, die Abkürzung TÜ bedeutet Teilnehmerübung):
- Rettung aus dem Gefahrenbereich (AD)
- Absetzen des Notrufes (Fallbeispiel)
- Maßnahmen zur psychischen Betreuung und zum Wärmeerhalt (Fallbeispiel)
- Wundversorgung mit Verbandmitteln aus dem Verbandkasten durchführen (TÜ)
- Druckverband am Arm (TÜ)
- Maßnahmen zur Schockvorbeugung/-bekämpfung (Fallbeispiel)
- Ruhigstellung bei Knochenbrüchen und Gelenkverletzungen mit einfachen Hilfsmitteln (AD)
- Handhabung einer Kälte-Sofortkompresse (AD)
- Feststellen des Bewusstseins (TÜ)
- Feststellen der Atemfunktion (TÜ)
- Seitenlage (TÜ)
- Wiederbelebung inklusive Beatmung (TÜ)
- Einbindung des AED in den Ablauf der Wiederbelebung (AD)
- Abnehmen des Integralhelmes durch zwei Helfer (AD)
- Lagerungsarten – atemerleichternde Lagerung, Oberkörperhochlagerung (AD)
- Entfernen von Fremdkörpern aus den Atemwegen (AD)
Praxisbeispiel Wundversorgung
Lernziel der etwa einstündigen Kurseinheit zum Thema Wundversorgung ist es, dass die Teilnehmenden die Grundsätze der Wundversorgung kennen und mit dem Material aus dem Betriebsverbandkasten verschiedene Verletzungen richtig behandeln können. Zu den Grundsätzen der Wundversorgung gehören folgende Punkte:
- Eigenschutz beachten: immer Einmalhandschuhe tragen
- nicht in die Wunde fassen
- Wunde keimfrei abdecken
- Wundauflage fixieren
- Verband nicht zu fest anlegen (keine Stauung)
- keine Verwendung von Salben, Sprays etc.
- Dokumentation im Verbandbuch
- gegebenenfalls Vorstellung beim Arzt/bei der Ärztin beziehungsweise Durchgangsarzt/Durchgangsärztin
Bei dieser Unterrichtssequenz haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich den Umgang mit unterschiedlichen Verbandmaterialien selbst zu erarbeiten. Dazu werden in Gruppenarbeit imaginierte Wunden an verschiedenen Körperteilen verbunden: eine Platzwunde an der Stirn, eine Schnittverletzung in der Handinnenfläche, ein aufgeschlagener Fußknöchel, ein eingerissenes Ohrläppchen.
Fortbildung zu Schwerpunktthemen
Nur wer Notfallsituationen trainiert, kann im Ernstfall helfen. Daher ist es für Ersthelfende nötig, ihre Kenntnisse aufzufrischen. Nach der DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“ hat der Unternehmer beziehungsweise die Unternehmerin dafür zu sorgen, dass die Ersthelfenden in der Regel in Zeitabständen von zwei Jahren fortgebildet werden. „Betriebliche Ersthelferinnen und Ersthelfer sollten darauf achten, dass im Unternehmen auch eine Fortbildung angeboten wird“, sagt Jochen Taubken.
Langeweile kommt dabei nicht auf. „Fast die Hälfte des Kurses besteht aus neuen Themen. Die Teilnehmenden wiederholen nicht nur, sondern lernen etwas dazu“, versichert Taubken. Die Lerninhalte richten sich dabei nach den spezifischen Anforderungen im Unternehmen. Für Mitarbeitende einer Baufirma kann es zum Beispiel wichtig sein, wie man einen Sonnenstich oder Hitzschlag erkennt und entsprechende Hilfemaßnahmen durchführt.
Bei einem Industriebetrieb mit großem Maschinenpark liegt die Verletzungsgefahr womöglich eher bei Gewalteinwirkungen auf den Kopf. Ersthelfende müssen gegebenenfalls Unfälle durch elektrischen Strom erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen oder bei Amputationsverletzungen gezielte Hilfe leisten.
Was ist bei Augen- oder Zahnverletzungen zu tun oder wenn sich ein Fremdkörper in der Wunde befindet? Wie erkennt man Verletzungen im Bauch? Was hilft bei Unterkühlungen oder Erfrierungen? Auch diese speziellen Fragen können in der Fortbildung behandelt und vertieft werden – je nachdem, in welchen Berufsfeldern die Ersthelfenden tätig sind. „Zudem wird der Einsatz eines Defibrillators geübt“, ergänzt Erste-Hilfe-Experte Taubken.
Die Erste-Hilfe-Ausbildung wie auch die nachfolgenden Fortbildungen umfassen jeweils neun Unterrichtseinheiten à 45 Minuten. In der Regel können die Lehrgänge an einem Tag absolviert werden. Abschließend erhalten die Teilnehmenden eine Bescheinigung. Ein Gestaltungsbeispiel für eine Teilnahmebescheinigung befindet sich im Anhang 5 der Publikation „Ermächtigung von Stellen für die Aus- und Fortbildung in der Ersten Hilfe“ (DGUV Grundsatz 304–001).
Verpflichtende Kursinhalte
Was in Erste-Hilfe-Kursen behandelt und geübt wird, legt der Fachbereich Erste Hilfe der DGUV gemeinsam mit einem interdisziplinären Team aus Hilfsorganisationen und ausbildenden Stellen fest. Dabei fließen neue Erkenntnisse aus Unfallstatistiken und Medizinforschung mit ein. Sind die Inhalte einmal festgelegt, müssen sich die ermächtigten ausbildenden Stellen daran halten.
„Unsere Mitarbeitenden überprüfen das. Sie haben das Recht, Erste-Hilfe-Kurse unangekündigt zu besuchen und zu schauen, ob nach den vorgegebenen Kriterien ausgebildet wird“, erklärt Jochen Taubken vom DGUV Fachbereich Erste Hilfe.
Im Rahmen ihrer Unterstützungspflichten haben sich Versicherte zum Ersthelfer ausbilden und fortbilden zu lassen – sofern keine persönlichen Gründe dagegen anstehen. Falls sich keine Freiwilligen finden, könnten Unternehmer oder Unternehmerinnen also jemanden zum Ersthelfer bestimmen. Besser ist es jedoch, Mitarbeitende mit Argumenten zu überzeugen. Was bringt es, Ersthelfer im Betrieb zu sein? Hierfür sprechen unter anderem folgende Gesichtspunkte:
- Ich stehe im Notfall nicht hilflos da. Die betroffene Person ist möglicherweise meine Kollegin oder mein Kollege, mit denen ich schon lange zusammenarbeite.
- Als Laie darf ich Fehler machen. Nur wer im Notfall nicht hilft, macht sich strafbar!
- Ich lerne auch, Verletzte psychisch zu betreuen und wertvollen emotionalen Beistand zu leisten.
- Von meinem Wissen profitiere ich auch in meiner Freizeit, etwa im Kreis der Familie und bei Freunden.
- Die Ausbildung ist für mich kostenlos. Die Gebühren für den Lehrgang und das Training trägt die Berufsgenossenschaft. Die Entgeltfortzahlung und Fahrtkosten werden vom Arbeitgebenden übernommen.