In einem Unternehmen, das Gemüse- und Obstkonserven herstellt, kam es zu einem folgenschweren Unfall. Ein Beschäftigter sollte in einem Kochkessel Gläser mit Hülsenfrüchten einkochen. Dazu werden die gefüllten Gläser auf Lochsieben in einen speziellen Transportkorb gestellt, der mit dem Kran in den Kessel eingebracht wird. Danach wird der Kessel mit Wasser befüllt und der Deckel geschlossen.
Der verwendete Kochkessel fasst 240 Liter Wasser. Er wird über die fest angeschlossene Wasserleitung gefüllt und mit externem Heißdampf beheizt. Da im Kochraum maximal ein Betriebsüberdruck von 0,5 bar herrschen darf, sind im Deckel eine Überdrucksicherung und eine Druckentlastungseinrichtung sowie ein Deckelverschluss verbaut.
Der Kessel war durch den Hersteller mit einer Konformitätserklärung sowie der dazugehörigen CE-Kennzeichnung ausgestattet. Zudem waren am Kessel der Warnhinweis W017 „Warnung vor heißen Oberflächen“ und am Deckel der Warnhinweis W001 „Allgemeines Warnzeichen“ sowie der grafische Hinweis „Betriebsanleitung lesen“ angebracht.
Warnhinweise missachtet
Die Temperatur- und Zeitsteuerung des Kochvorgangs erfolgt manuell durch den Beschäftigten. Nach Ablauf der je nach Einkochgut vorgegebenen Zeit wird der Heizvorgang unterbrochen, und der Kessel muss abkühlen, bevor er geöffnet werden darf.
Hierzu gab es an der Wand einen Hinweis: „ACHTUNG! Nach Ende des Vorgangs 5 Minuten warten, bevor der Kessel geöffnet wird und 5 Liter Wasser unten entweichen lassen.“ Dem Beschäftigten waren diese Informationen durchaus bekannt, aber sie wurden nicht beachtet. Dadurch öffnete der Beschäftigte den Kessel sofort nach Abschluss des Kochvorgangs, ohne die Abkühlzeit abzuwarten und etwas Wasser aus dem Kessel abzulassen.
Er zog sich dabei schwere Verbrühungen an Armen, Hals, Oberkörper und Beinen zu. Laut Zeugenaussagen von Mitarbeitenden, die in der Nähe der Unfallstelle tätig waren, schwappte heißes Wasser beim Öffnen des Deckels aus dem Kessel.
Zur Behandlung seiner Verletzungen wurde der Verunfallte mit einem Rettungshubschrauber in eine Spezialklinik verbracht. Warum er die betrieblichen Regelungen zum Öffnen der Kochkessel nicht beachtete, konnte im Zuge der Unfallermittlungen nicht geklärt werden.
Mängel auf allen Ebenen entdeckt
Die Unfalluntersuchung durch die zuständige Behörde beschäftigte sich mit den möglichen Ursachen für den Unfall. Als Erstes wurden die Ursachen für einen unverhältnismäßig hohen Druckaufbau im Kessel untersucht. Möglich wären hier
- ein nicht funktionsfähiges Überdruckventil, zum Beispiel durch Verstopfung oder Verklebung
- eine Überhitzung des Wassers durch fehlerhafte Temperatureinstellung oder eine defekte Temperaturüberwachung
- Überfüllung des Kessels durch einen nicht vollständig geschlossenen Wasserzulauf
- Nichtbeachtung der temperaturabhängigen Wasserausdehnung durch den steigenden Dampfdruck
- Sogwirkung des Deckels beim schnellen Öffnen
Zudem wurden die technischen Unterlagen zum Kochkessel sowie die Prüfunterlagen der regelmäßigen Prüfungen angefordert und durchgesehen. Dabei wurde festgestellt, dass keine regelmäßigen Prüfungen der Kessel auf sicherheitstechnische Mängel erfolgt war.
Des Weiteren war der druckdichte Verschluss des Deckels nicht ausreichend dimensioniert. Außerdem war die Anordnung der Kochkessel so eng gestaltet, dass keine ausreichenden Sicherheitsabstände vorhanden waren.
Gefährdungsbeurteilung lückenhaft
Bei der Sichtung der organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen wurde festgestellt, dass in der Gefährdungsbeurteilung nicht alle Aspekte der Tätigkeit an den Kochkesseln ausreichend beurteilt und daraus notwendige Schutzmaßnahmen abgeleitet wurden.
So war nur die oben beschriebene „Arbeitsanweisung“, aber keine Betriebsanweisung als Unterweisungsgrundlage vorhanden. Auch die betrieblichen Unterweisungen waren nicht ausführlich genug. So wurde zum Beispiel nicht auf die notwendigen Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Verbrühungen/Verbrennungen eingegangen.
Ebenfalls waren weder ausreichend Ersthelfer bestellt noch speziell für Unfälle durch Verbrühungen/Verbrennungen erforderliches Erste-Hilfe-Material wie Kältekompressen oder Kühlgel vorhanden.
Auch notwendige Persönliche Schutzausrüstungen wie Gummischürzen, flüssigkeitsdichte Handschuhe und Gesichtsschirme, die den Kontakt von heißem Wasser mit dem Körper verhindern, waren nicht in ausreichender Menge vorhanden.
Durch die zuständige Aufsichtsbehörde wurden im Ergebnis der Unfalluntersuchung folgende Maßnahmen gegenüber dem Unternehmen angeordnet:
- Durchführung und Nachweis einer außerordentlichen Prüfung der sicherheitsrelevanten Bauteile der Kochkessel gemäß § 14 (3) BetrSichV
- Sicherstellung der regelmäßigen Wartung und Prüfung der Kochkessel durch eine dazu befähigte Person mit Dokumentation
- Überarbeitung der Gefährdungsbeurteilung, unter anderem mit Festlegung der Prüffristen
- Umrüstung der Deckel der Kochkessel auf Verschlüsse, die eine sofortige Öffnung nicht zulassen
- Umrüstung der Befüllarmatur auf eine Armatur mit eindeutiger Auf-/Zu-Kennzeichnung
- Veränderung der Aufstellung der Kochkessel mit ausreichenden Sicherheitsabständen zueinander
- Erstellung einer Betriebsanweisung für die Tätigkeiten an den Kochkesseln und Durchführung regelmäßiger Unterweisungen auf deren Grundlage
- Bereitstellung von notwendiger Persönlicher Schutzausrüstung wie Gummischürze, flüssigkeitsdichte Handschuhe und Gesichtsschirm für jeden an den Kochkesseln tätigen Beschäftigten sowie Festlegung einer Tragepflicht mit Anbringen entsprechender Gebotszeichen im Bereich der Kochkessel
- Erweiterung des Erste-Hilfe-Materials um Kältekompressen und Kühlgel sowie Schulung der Ersthelfer in der Anwendung
- Erweiterung der Anzahl der Ersthelfer
Der Unfall zeigt, dass neben einer an die Tätigkeit angepassten technischen Ausstattung der Arbeitsmittel immer auch die organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen wie Unterweisung und Bereitstellung von PSA für die Vermeidung von Unfällen von entscheidender Bedeutung sind.
Bei den Arbeitsmitteln reicht es nicht, dass diese über eine vom Hersteller bestätigte Konformität mit den geltenden Normen verfügen. Der Anwender muss darüber hinaus die sich aus der Nutzung ergebenden Restrisiken erkennen und daraus notwendige weitere technische Schutzmaßnahmen ableiten.
Sinnvoll ist, wenn dies vor der Beschaffung der Arbeitsmittel erfolgt, um spezielle Sicherheitseinrichtungen gleich bei der Bestellung beim Hersteller mit anzufordern.
Außerdem müssen im Unternehmen bei der Planung der Einrichtung von Arbeitsplätzen die sich aus den Tätigkeiten ergebenden Schutzmaßnahmen berücksichtigt werden, so zum Beispiel ausreichende Sicherheitsabstände und Schutzflächen.
Weitere Informationen
- Betriebssicherheitsverordnung
- DGUV Regel 110–003 Branche Küchenbetriebe
- Fachportal „Sicheres Krankenhaus“ der UK/BG für alle Akteure des Arbeitsschutzes in den Gesundheitsdiensten: Informationen zur Ausstattung und Nutzung von Kochkesseln unter www.sicheres-krankenhaus.de/kueche/kueche/kochkessel