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Verbrühungen an einem Kochkessel

Heißes Wasser ausgetreten
Verbrühungen an einem Kochkessel

Verbrühungen an einem Kochkessel
Foto: © Mulderphoto - stock.adobe.com
In einem Pro­duk­tions­be­trieb für Gemüse- und Obstkon­ser­ven erlitt ein Beschäftigter schwere Ver­brühun­gen am Kochkessel. Die Arbeit an Kochkesseln und Autoklaven ist mit Gefahren durch heiße Medi­en, meis­tens heißes Wass­er oder heißer Dampf, ver­bun­den. Hier ist richtiges Han­deln gemäß den Vor­gaben und die Ver­wen­dung geeigneter PSA immer erforderlich.

In einem Unternehmen, das Gemüse- und Obstkon­ser­ven her­stellt, kam es zu einem fol­gen­schw­eren Unfall. Ein Beschäftigter sollte in einem Kochkessel Gläs­er mit Hülsen­frücht­en einkochen. Dazu wer­den die gefüll­ten Gläs­er auf Lochsieben in einen speziellen Trans­portko­rb gestellt, der mit dem Kran in den Kessel einge­bracht wird. Danach wird der Kessel mit Wass­er befüllt und der Deck­el geschlossen.

Der ver­wen­dete Kochkessel fasst 240 Liter Wass­er. Er wird über die fest angeschlossene Wasser­leitung gefüllt und mit externem Heiß­dampf beheizt. Da im Kochraum max­i­mal ein Betrieb­süber­druck von 0,5 bar herrschen darf, sind im Deck­el eine Über­druck­sicherung und eine Druck­ent­las­tung­sein­rich­tung sowie ein Deck­elver­schluss verbaut.

Der Kessel war durch den Her­steller mit ein­er Kon­for­mität­serk­lärung sowie der dazuge­höri­gen CE-Kennze­ich­nung aus­ges­tat­tet. Zudem waren am Kessel der Warn­hin­weis W017 „War­nung vor heißen Ober­flächen“ und am Deck­el der Warn­hin­weis W001 „All­ge­meines Warnze­ichen“ sowie der grafis­che Hin­weis „Betrieb­san­leitung lesen“ angebracht.

Warnhinweise missachtet

Die Tem­per­atur- und Zeit­s­teuerung des Kochvor­gangs erfol­gt manuell durch den Beschäftigten. Nach Ablauf der je nach Einkochgut vorgegebe­nen Zeit wird der Heizvor­gang unter­brochen, und der Kessel muss abkühlen, bevor er geöffnet wer­den darf.

Hierzu gab es an der Wand einen Hin­weis: „ACHTUNG! Nach Ende des Vor­gangs 5 Minuten warten, bevor der Kessel geöffnet wird und 5 Liter Wass­er unten entwe­ichen lassen.“ Dem Beschäftigten waren diese Infor­ma­tio­nen dur­chaus bekan­nt, aber sie wur­den nicht beachtet. Dadurch öffnete der Beschäftigte den Kessel sofort nach Abschluss des Kochvor­gangs, ohne die Abküh­lzeit abzuwarten und etwas Wass­er aus dem Kessel abzulassen.

Er zog sich dabei schwere Ver­brühun­gen an Armen, Hals, Oberkör­p­er und Beinen zu. Laut Zeu­ge­naus­sagen von Mitar­bei­t­en­den, die in der Nähe der Unfall­stelle tätig waren, schwappte heißes Wass­er beim Öff­nen des Deck­els aus dem Kessel.

Zur Behand­lung sein­er Ver­let­zun­gen wurde der Verun­fallte mit einem Ret­tung­shub­schrauber in eine Spezialk­linik ver­bracht. Warum er die betrieblichen Regelun­gen zum Öff­nen der Kochkessel nicht beachtete, kon­nte im Zuge der Unfall­er­mit­tlun­gen nicht gek­lärt werden.

Unfall an Umformmaschine

Mängel auf allen Ebenen entdeckt

Die Unfal­lun­ter­suchung durch die zuständi­ge Behörde beschäftigte sich mit den möglichen Ursachen für den Unfall. Als Erstes wur­den die Ursachen für einen unver­hält­nis­mäßig hohen Druck­auf­bau im Kessel unter­sucht. Möglich wären hier

  • ein nicht funk­tions­fähiges Über­druck­ven­til, zum Beispiel durch Ver­stop­fung oder Verklebung
  • eine Über­hitzung des Wassers durch fehler­hafte Tem­per­a­ture­in­stel­lung oder eine defek­te Temperaturüberwachung
  • Über­fül­lung des Kessels durch einen nicht voll­ständig geschlosse­nen Wasserzulauf
  • Nicht­beach­tung der tem­per­at­urab­hängi­gen Wasser­aus­dehnung durch den steigen­den Dampfdruck
  • Sog­wirkung des Deck­els beim schnellen Öffnen

Zudem wur­den die tech­nis­chen Unter­la­gen zum Kochkessel sowie die Prü­fun­ter­la­gen der regelmäßi­gen Prü­fun­gen ange­fordert und durchge­se­hen. Dabei wurde fest­gestellt, dass keine regelmäßi­gen Prü­fun­gen der Kessel auf sicher­heit­stech­nis­che Män­gel erfol­gt war.

Des Weit­eren war der druck­dichte Ver­schluss des Deck­els nicht aus­re­ichend dimen­sion­iert. Außer­dem war die Anord­nung der Kochkessel so eng gestal­tet, dass keine aus­re­ichen­den Sicher­heitsab­stände vorhan­den waren.

Unfall mit Schwerlastböcken

Gefährdungsbeurteilung lückenhaft

Bei der Sich­tung der organ­isatorischen und per­so­n­en­be­zo­ge­nen Schutz­maß­nah­men wurde fest­gestellt, dass in der Gefährdungs­beurteilung nicht alle Aspek­te der Tätigkeit an den Kochkesseln aus­re­ichend beurteilt und daraus notwendi­ge Schutz­maß­nah­men abgeleit­et wurden.

So war nur die oben beschriebene „Arbeit­san­weisung“, aber keine Betrieb­san­weisung als Unter­weisungs­grund­lage vorhan­den. Auch die betrieblichen Unter­weisun­gen waren nicht aus­führlich genug. So wurde zum Beispiel nicht auf die notwendi­gen Erste-Hil­fe-Maß­nah­men bei Verbrühungen/Verbrennungen eingegangen.

Eben­falls waren wed­er aus­re­ichend Ers­thelfer bestellt noch speziell für Unfälle durch Verbrühungen/Verbrennungen erforder­lich­es Erste-Hil­fe-Mate­r­i­al wie Käl­tekom­pressen oder Kühlgel vorhanden.

Auch notwendi­ge Per­sön­liche Schutzaus­rüs­tun­gen wie Gum­mis­chürzen, flüs­sigkeits­dichte Hand­schuhe und Gesichtss­chirme, die den Kon­takt von heißem Wass­er mit dem Kör­p­er ver­hin­dern, waren nicht in aus­re­ichen­der Menge vorhanden.

Durch die zuständi­ge Auf­sichts­be­hörde wur­den im Ergeb­nis der Unfal­lun­ter­suchung fol­gende Maß­nah­men gegenüber dem Unternehmen angeordnet:

  • Durch­führung und Nach­weis ein­er außeror­dentlichen Prü­fung der sicher­heit­srel­e­van­ten Bauteile der Kochkessel gemäß § 14 (3) BetrSichV
  • Sich­er­stel­lung der regelmäßi­gen Wartung und Prü­fung der Kochkessel durch eine dazu befähigte Per­son mit Dokumentation
  • Über­ar­beitung der Gefährdungs­beurteilung, unter anderem mit Fes­tle­gung der Prüffristen
  • Umrüs­tung der Deck­el der Kochkessel auf Ver­schlüsse, die eine sofor­tige Öff­nung nicht zulassen
  • Umrüs­tung der Befül­lar­matur auf eine Armatur mit ein­deutiger Auf-/Zu-Kennze­ich­nung
  • Verän­derung der Auf­stel­lung der Kochkessel mit aus­re­ichen­den Sicher­heitsab­stän­den zueinander
  • Erstel­lung ein­er Betrieb­san­weisung für die Tätigkeit­en an den Kochkesseln und Durch­führung regelmäßiger Unter­weisun­gen auf deren Grundlage
  • Bere­it­stel­lung von notwendi­ger Per­sön­lich­er Schutzaus­rüs­tung wie Gum­mis­chürze, flüs­sigkeits­dichte Hand­schuhe und Gesichtss­chirm für jeden an den Kochkesseln täti­gen Beschäftigten sowie Fes­tle­gung ein­er Tragepflicht mit Anbrin­gen entsprechen­der Gebot­sze­ichen im Bere­ich der Kochkessel
  • Erweiterung des Erste-Hil­fe-Mate­ri­als um Käl­tekom­pressen und Kühlgel sowie Schu­lung der Ers­thelfer in der Anwendung
  • Erweiterung der Anzahl der Ersthelfer

Schnittver­let­zung im Gesicht

Der Unfall zeigt, dass neben ein­er an die Tätigkeit angepassten tech­nis­chen Ausstat­tung der Arbeitsmit­tel immer auch die organ­isatorischen und per­so­n­en­be­zo­ge­nen Schutz­maß­nah­men wie Unter­weisung und Bere­it­stel­lung von PSA für die Ver­mei­dung von Unfällen von entschei­den­der Bedeu­tung sind.

Bei den Arbeitsmit­teln reicht es nicht, dass diese über eine vom Her­steller bestätigte Kon­for­mität mit den gel­tenden Nor­men ver­fü­gen. Der Anwen­der muss darüber hin­aus die sich aus der Nutzung ergeben­den Restrisiken erken­nen und daraus notwendi­ge weit­ere tech­nis­che Schutz­maß­nah­men ableiten.

Sin­nvoll ist, wenn dies vor der Beschaf­fung der Arbeitsmit­tel erfol­gt, um spezielle Sicher­heit­sein­rich­tun­gen gle­ich bei der Bestel­lung beim Her­steller mit anzufordern.

Außer­dem müssen im Unternehmen bei der Pla­nung der Ein­rich­tung von Arbeit­splätzen die sich aus den Tätigkeit­en ergeben­den Schutz­maß­nah­men berück­sichtigt wer­den, so zum Beispiel aus­re­ichende Sicher­heitsab­stände und Schutzflächen.


Autor: Dipl.-Ing. Ulf‑J. Schappmann
Sicher­heitsin­ge­nieur VDSI
SIMEBU Thürin­gen GmbH
 
Foto: © Foto­stu­dio City Col­or Mun­schke, Weimar

Weitere Informationen

  • Betrieb­ssicher­heitsverord­nung
  • DGUV Regel 110–003 Branche Küchenbetriebe
  • Fach­por­tal „Sicheres Kranken­haus“ der UK/BG für alle Akteure des Arbeitss­chutzes in den Gesund­heits­di­en­sten: Infor­ma­tio­nen zur Ausstat­tung und Nutzung von Kochkesseln unter www.sicheres-krankenhaus.de/kueche/kueche/kochkessel
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