In Deutschland gibt es mehr als 6.700 Hallen- und Freibäder. Durch die Badegäste und bei Freibädern zusätzlich durch ihre natürliche Umgebung können in unterschiedlichem Maß Verunreinigungen und Keime in das Badewasser gelangen.
Um einen größtmöglichen Schutz vor Ansteckungen zu erreichen, muss das Wasser der Becken deshalb regelmäßig aufbereitet und dabei auch desinfiziert werden. Die vorgegebenen Desinfektionsverfahren basieren auf der Verwendung von Chlor in unterschiedlicher Aufbereitungsform.
Viele Vorfälle an Flaschenanlagen
Eine Erhebung des DGUV-Sachgebietes „Bäder“ hat ergeben, dass es im Zeitraum 2010 bis 2016 zu 187 Chlorgas-Freisetzungen kam. Insbesondere bei der Verwendung von Chlorgas aus Flaschenanlagen gab es in über 50 Prozent der Fälle Verletzte.
Diese hohe Zahl erklärt sich auch daraus, dass die Einleitung von gasförmigem Chlor aus Flaschenbatterien in das Wasser immer noch das Hauptverfahren zur Desinfektion des Badewassers darstellt. Bei diesem Verfahren müssen die Beschäftigten in den Bädern die Flaschen regelmäßig wechseln. Durch Fehler im Ablauf kommt es dabei zu den meisten Freisetzungen.
Chlor in gasförmigem Zustand wird im GHS-System mit folgenden H‑Sätzen eingestuft:
- H 270 Kann Brand verursachen oder verstärken; Oxidationsmittel
- H 280 Enthält Gas unter Druck; kann bei Erwärmung explodieren
- H 330 Lebensgefahr bei Einatmen
- H 315 Verursacht Hautreizungen
- H 319 Verursacht schwere Augenreizungen
- H 410 Sehr giftig für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung
Insbesondere die H‑Sätze H330 und H 319 sind ursächlich für die schweren Verletzungen. Aus diesem Grund wurde Chlorgas im Ersten Weltkrieg auch als erster chemischer Kampfstoff eingesetzt.
Azubi erleidet Verätzung
In einem Schwimmbad sollte eine Flasche in der Chlorgas-Anlage gewechselt werden. Der aufsichtführende Bademeister beauftragte einen Auszubildenden mit dieser Aufgabe. Dazu erklärte er ihm den vorgegebenen Ablauf, den der Azubi entsprechend durchführte. Beim Lösen der Verschraubung des Flaschenventils von der Gasleitung drang jedoch Restgas aus, was eine Verätzung der Atemwege des Auszubildenden bewirkte.
Die Gaswarneinrichtung schlug sofort an. Sie löste die Beregnung und damit das Niederschlagen des Gasnebels aus. Der verantwortliche Bademeister war zu diesem Zeitpunkt nicht im Flaschenraum. Die sofort alarmierte Feuerwehr neutralisierte das weiter aus der Flasche austretende Chlorgas, der Rettungsdienst versorgte den Verunfallten.
Die Unfallursachen
Die von der staatlichen Aufsichtsbehörde durchgeführte Unfalluntersuchung ergab, dass ein nicht vollständig geschlossenes Flaschenventil an der Druckgasflasche Ursache für den Gasaustritt war. Weiterhin stellte die Behörde fest, dass der mit dem Flaschenwechsel beauftragte Auszubildende noch unter 18 Jahren alt war und keine Persönliche Schutzausrüstung bei der Ausführung der Arbeiten benutzt hatte.
Durch die Befragung der verantwortlichen Führungskräfte sowie des Bademeisters, der den Flaschenwechsel beauftragt hatte, kam im Rahmen der weiteren Untersuchungen heraus, dass gegen wesentliche Vorgaben des Arbeitsschutzes verstoßen wurde.
So hätte der Flaschenwechsel nur nach Einweisung des Auszubildenden durch den verantwortlichen Bademeister sowie nach Bereitstellung und unter Benutzung der erforderlichen PSA – in diesem Fall Vollatemschutzmaske mit Chlorfilter und Schutzhandschuhen – durch den Auszubildenden und die Aufsicht durchgeführt werden dürfen.
Die Einweisung hätte anhand der Betriebsanweisung zum Flaschenwechsel und unter besonderem Hinweis auf die Gefahr durch Chlorgas vor Beginn der Tätigkeit aktenkundig erfolgen müssen. Zudem hätten eine aussagekräftige Gefährdungsbeurteilung und ein aktueller Notfallplan „Chlorgasaustritt“ vorliegen müssen.
Bußgelder für drei Personen
Warum der zunächst mitanwesende, aufsichtführende Bademeister falsch gehandelt hat, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Durch die zuständige Aufsichtsbehörde wurde die Beseitigung der Mängel im Rahmen einer Anordnung vorgegeben und gegen die verantwortlichen Personen des Schwimmbads – den Bademeister, den Leiter des Schwimmbads und den Projektverantwortlichen als Betriebsleiter – Bußgelder in unterschiedlichen Höhen verhängt.
Einsatz von Restdrucksicherungen
Wie hätte der Unfall verhindert werden können? Die konsequente Beachtung der organisatorischen Schutzmaßnahmen durch eine aktuellen Gefährdungsbeurteilung, eine Betriebsanweisung und einen Notfallplan sowie eine entsprechende Unterweisung des Verunfallten allein hätte dies nicht vermocht. Eine Grundlage hierfür bietet die Information des Sachgebietes Bäder in der DGUV: FBWoGes-004 „Die Gefahr eines Chlorgasaustrittes bei einem Flaschenwechsel in Bäderbetrieben“.
Hier wird auch auf den Einsatz von Restdrucksicherungen in bestehenden Chlorgas-Anlagen gemäß der Neuauflage der DIN 19606 hingewiesen. Auch die Bereitstellung und vor allem Benutzung der Persönlichen Schutzausrüstung hätte den Chlorgasaustritt nicht verhindern können, aber zumindest die Folgen für den Verunfallten.
Ungefährlicheres Verfahren
Die beste Schutzmaßnahme bestünde jedoch in der Umstellung des Desinfektionsverfahrens auf ein anderes, weit weniger gefährliches Verfahren: die Elektrolyse-Desinfektion des Schwimmbadwassers. Hierbei wird das notwendige Chlor durch den Einsatz der Elektrolyse von Natriumhypochlorid-Lösung erzeugt.
Weiterführende Informationen und Quellen
- Gefahrstoffverordnung
- TRGS 745 Ortsbewegliche Druckgasbehälter – Füllen, Bereithalten, innerbetriebliche Beförderung, Entleeren. Ausgabe: Februar 2016. GMBl 2016 S. 256–314 (inhaltsgleich: TRBS 3145)
- DGUV Regel 107–001 „Betrieb von Bädern“, 2018.08
- DGUV Information 207–018 „Beurteilung von Gefährdungen und Belastungen am Arbeitsplatz in Bäderbetrieben“, 2018.10
- DGUV Information 207–023 „Prüfliste für Chlorungseinrichtungen unter Verwendung von Chlorgas und deren Aufstellungsräume in Bädern“, 2020.05
- FBWoGes-004 „Die Gefahr eines Chlorgasaustrittes bei einem Flaschenwechsel in Bäderbetrieben“, 2021.11
- DGUV Fachbereich Gesundheitsschutz und Wohlfahrtspflege – Sachgebiet Bäder: Abschlussbericht „Dokumentation von Ursachen der Chlorgasfreisetzung in Schwimmbädern“, Stand: 5.5.2017
- Köhler, Uta: „Ersatzstoffsuche zu Chlorgasflaschenwechsel zur Desinfektion von Schwimmbadwasser am Beispiel von Elektrolyseanlagen in Bädern“, in: „sicher ist sicher“, Heft 7–8/2022, S. 322, Erich Schmidt Verlag
Stellungnahme
Zum Artikel „Schwerer Unfall durch Chlorgasaustritt“ in Sicherheitsbeauftragter 5/2023 erreichte uns folgende Stellungnahme von Dipl.-Ing. Franz Stefan Schlageter, Aufsichtsperson, DGUV Sachgebiet Bäder:
„Im Artikel wurden direkt oder indirekt Aussagen getroffen, die sich, teils in direktem Bezug, teils durch Nennung in der Quellenliste, auf Schriften des DGUV Sachgebiets Bäder beziehen, inhaltlich jedoch von diesen abweichen. Diese werden wie folgt korrigiert:
Die Desinfektion durch Chlorgasdosieranlagen ist sicher
Im Artikel heißt es: „Eine Erhebung des DGUV-Sachgebietes „Bäder“ hat ergeben, dass es im Zeitraum 2010 bis 2016 zu 187 Chlorgas-Freisetzungen kam. Insbesondere bei der Verwendung von Chlorgas aus Flaschenanlagen gab es in über 50 Prozent der Fälle Verletzte.“ Als Quelle wurde der Abschlussbericht „Dokumentation von Ursachen der Chlorgasfreisetzung in Schwimmbädern“ des DGUV Sachgebiets Bäder, Stand: 05.05.2017, genannt.
Es gab jedoch nicht bei 50%, sondern nur bei 25% der untersuchten Fälle bei Chlorgasdosieranlagen Verletzte. Im Bericht wurden insgesamt 198 Ereignisse untersucht.
- 108 (55 %) davon ereigneten sich bei Verfahren zur Desinfektion von Schwimmbadbeckenwasser unter Verwendung von Chlorgas
- 49 (25 %) fanden bei der Desinfektion unter Verwendung von Chlorungs-Chemikalien statt.
Von den 91 Ereignissen, nach denen Personen verletzt bzw. medizinisch untersucht wurden, waren
- 23 (25 %) auf Chlorgasdesinfektionsverfahren und
- 39 (43 %) auf den Einsatz von Chlorungschemikalien
zurückzuführen. Im Allgemeinen stellt die Desinfektion unter Verwendung von Chlorgas in Vollvakuumdesinfektionsanlagen ein sicheres Verfahren dar. Die Aussage im Artikel: „Die beste Schutzmaßnahme bestünde jedoch in der Umstellung des Desinfektionsverfahrens auf ein anderes, weit weniger gefährliches Verfahren: die Elektrolyse-Desinfektion des Schwimmbadwassers“ ist im Allgemeinen und in Bezug auf den dargestellten Fall nicht zutreffend. Im dargestellten Unfall waren die Ursachen im Wesentlichen auf eine unzureichende Arbeitsschutz-Organisation zurückzuführen. Er ist damit den Fällen zuzuordnen, die nicht abhängig vom angewandten Desinfektionsverfahren sind. Alle üblichen Desinfektionsverfahren sind hinreichend sicher. Die Wahl des Verfahrens hängt wesentlich von den spezifischen Parametern der jeweiligen Desinfektionsaufgabe ab.
Hinweis auf den Einsatz von Restdrucksicherungen
Im Artikel heißt es unter der Zwischenüberschrift „Einsatz von Restdrucksicherungen“: „Wie hätte der Unfall verhindert werden können? Die konsequente Beachtung der organisatorischen Schutzmaßnahmen durch eine aktuelle Gefährdungsbeurteilung, eine Betriebsanweisung und einen Notfallplan sowie eine entsprechende Unterweisung des Verunfallten allein hätte dies nicht vermocht. Eine Grundlage hierfür bietet die Information des Sachgebietes Bäder in der DGUV: FBWoGes-004 „Die Gefahr eines Chlorgasaustrittes bei einem Flaschenwechsel in Bäderbetrieben“. Hier wird auch auf den Einsatz von Restdrucksicherungen in bestehenden Chlorgas-Anlagen gemäß der Neuauflage der DIN 19606 hingewiesen. Auch die Bereitstellung und vor allem Benutzung der Persönlichen Schutzausrüstung hätte den Chlorgasaustritt nicht verhindern können, aber zumindest die Folgen für den Verunfallten.“
Hier wird der falsche Eindruck erweckt, der Einsatz einer Restdrucksicherung sei geeignet, eine Chlorgasfreisetzung wie im beschriebenen Fall zu verhindern. In den Veröffentlichungen des DGUV Sachgebiets Bäder
- Fachbereich aktuell: FBWoGes-004 „Die Gefahr eines Chlorgasaustrittes bei einem Flaschenwechsel in Bäderbetrieben“
- Artikel: „Restdrucksicherung in Chlorgasanlagen, Sicherheitsgewinn oder Gefährdung? Sachgebiet Bäder, Stand: 19.04.2022“
heißt es dazu: Mit dem Einsatz einer sog. Restdrucksicherung kann die Anschlussleitung zwischen Flaschenventil und Restdruckventil nicht evakuiert werden. Ein Chlorgasaustritt beim Flaschenwechsel ist daher unvermeidlich. Der als Stand der Technik etablierte Schutz des Vollvakuumbetriebs wird für die Anschlussleitung somit aufgegeben. Dies widerspricht dem gesetzlichen Minimierungsgebot aus der Gefahrstoffverordnung (§ 7 (4) GefStoffV). Der Wechsel von Chlorgasbehältern sollte immer im Unterdruck stattfinden. Die sog. Restdrucksicherung entspricht nicht den Anforderungen der Arbeitssicherheit.
Schlussfolgerung aus dem dargestellten Unfall
Im dargestellten Unfall trat Chlorgas aus, weil ein Ventil nicht geschlossen wurde. Es wird u.a. auf eine fehlende Einweisung, die fehlende PSA und einen fehlenden Chlorgasalarmplan hingewiesen. Der Unfall ist daher ungeeignet, die Aussage: „Die beste Schutzmaßnahme bestünde jedoch in der Umstellung des Desinfektionsverfahrens auf ein anderes, weit weniger gefährliches Verfahren: die Elektrolyse-Desinfektion des Schwimmbadwassers. Hierbei wird das notwendige Chlor durch den Einsatz der Elektrolyse von Natriumhypochlorid-Lösung erzeugt“ zu stützen. Ursächlich waren in diesem Falle offenbar nicht die Art des Desinfektionsverfahrens, sondern die Verstöße „gegen wesentliche Vorgaben des Arbeitsschutzes“.
Alle genannten Schriften des DGUV Sachgebiets Bäder stehen unter https://www.dguv.de/de/praevention/fachbereiche_dguv/gesund_wohlfahrt/sg-baeder/index.jsp zum Abruf bereit.“