Das „ewig junge“ und stets kontrovers diskutierte Thema der Zugehörigkeit von Maschinen zu den unterschiedlichen europäischen EG-Richtlinien ist für die am Binnenmarkt beteiligten Personen einfacher geworden. Der folgende Beitrag beschreibt die jetzige Situation.
Die bisherige Situation, dass Überschneidungen von EG-Richtlinien insbesondere die Hersteller von elektrischen Maschinen regelmäßig vor Schwierigkeiten stellten, wurde mit der Veröffentlichung der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG entspannter. Die dringend notwendige Abgrenzung zur EG-Niederspannungsrichtlinie 2006/95/EG hat einige Unsicherheiten beseitigt und gehört demnach zu den positiven Neuerungen.
Neue Abgrenzungskriterien
Musste die Zuordnung zur jeweiligen EG-Richtlinie bisher gefährdungsbezogen getroffen werden, geschieht dies nun durch Ausschluss bestimmter Produktgattungen elektrischer Maschinen im Artikel 1 Absatz 2 der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Folgende elektrische und elektronische Erzeugnisse fallen nun innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen ausschließlich unter den Anwendungsbereich der EG-Nieder-spannungsrichtlinie:
- für den häuslichen Gebrauch bestimmte Haushaltsgeräte
- Audio- und Videogeräte
- informationstechnische Geräte
- gewöhnliche Büromaschinen
- Niederspannungsschaltgeräte und ‑steuergeräte (vgl. Abb. 2)
- Elektromotoren (vgl. Abb. 1)
Diese Liste wird erweitert durch nachstehende Hochspannungsprodukte:
- Schalt- und Steuergeräte
- Transformatoren
Erzeugnisse der Mess‑, Steuer- und Regeltechnik (MSR-Geräte), die innerhalb der Spannungsgrenzen der EG-Niederspannungsrichtlinie betrieben werden, sind generell von der EG-Maschinenrichtlinie ausgenommen. MSR-Geräte, die unterhalb dieser Spannungsgrenzen (DC: 75 – 1.500 V; AC: 50 – 1.000 V) arbeiten oder als so genannte Ex-Geräte von der EG-Niederspannungsrichtlinie ausgeschlossen sind, erfüllen jedoch auch nicht die Maschinendefinition nach Artikel 2a) der EG-Maschinenrichtlinie und sind deshalb von ihr ausgenommen.
Sind MSR-Geräte als Sicherheitsbauteile nach Artikel 2c) der EG-Maschinenrichtlinie vom Hersteller zum Schutz vor Gefahren durch eine Maschine vorgesehen, müssen sie die entsprechenden Anforderungen aus dieser EG-Richtlinie einhalten. Das Gleiche gilt für Hochspannungsgeneratoren sowie Haushaltsgeräte, welche der Definition des Artikels 2a) der EG-Maschinenrichtlinie entsprechen und für den gewerblichen Einsatz bestimmt sind. Bei Haushaltsgeräten, die sowohl als Arbeitsmittel (gewerblich) wie auch als Verbraucherprodukt (privat) eingesetzt werden können (sogenannte Migrationsprodukte), entscheidet der Hersteller über die bestimmungsgemäße Verwendung innerhalb der Betriebsanleitung des Produktes (vgl. Abb. 6 „Voraussetzungen für das Inverkehrbringen“).
Klarheit bei der Abgrenzung durch neuen Leitfaden zur 2006/42/EG
Im Leitfaden der Europäischen Kommission zur EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG (Guide to application of Directive 2006/42/EG – 1st Edition, December 2009) sind in den Paragrafen 63 bis 70 diverse Erklärungen zu den von der EG-Maschinenrichtlinie ausgenommenen Produktgruppen gegeben. Der Leitfaden schafft dabei den Bezug zu den elektrischen Produkten, die in der Normenreihe DIN EN 60335 „Sicherheit elektrischer Geräte für den Hausgebrauch und ähnliche Zwecke“ behandelt werden.
Im § 64 des o.g. Leitfadens zur EG-Maschinenrichtlinie wird die Produktgruppe „Haushaltsgeräte“ definiert. Zu diesen häufig auch als „weiße Ware“ bezeichneten Erzeugnissen gehören u.a.:
- Geschirrspülmaschinen
- Kaffeeautomaten, Wasserkocher
- elektrische Küchenmesser und Dosenöffner
- elektrische (Back-)öfen
- Toaster und Mikrowellengeräte
- Waschmaschinen, Trockner (vgl. Abb. 3)
- Kühlschränke und ‑truhen
- Staubsauger
- Haartrockner
Zu den Haushaltsgeräten zählen jedoch keine Produkte, die z.B. zur Gartenpflege oder für Konstruktions- bzw. Reparatur-arbeiten benötigt werden wie:
- elektr. Gartengeräte (Rasenmäher, Heckenscheren, Häcksler)
- Elektrowerkzeuge (Bohrmaschinen, (Ketten-)Sägen, Hobel, Fräs- und Schleifmaschinen)
Diese werden wie gewerblich genutzte Haushaltsgeräte der EG-Maschinenrichtlinie zugeordnet. Die jeweilige Zuordnung soll und kann in erster Linie jedoch immer nur der Hersteller vornehmen. Er muss im Rahmen des Produktentstehungsprozesses festlegen, für welche Zielgruppe bzw. bestimmungsgemäße Verwendung er sein Produkt konzipiert. Die nationalen Marktaufsichtsbehörden sind gemäß Artikel 4 der EG-Maschinenrichtlinie zur Kontrolle der Festlegungen berechtigt.
Dies gilt ebenso für die Produktgruppe der Büromaschinen. Auch hier fällt im Zuge der Festlegung der bestimmungsgemäßen Verwendung die Entscheidung, ob es sich bei einem Erzeugnis noch um eine „ge-wöhnliche“ Büromaschine handelt bzw. ab wann eine „ungewöhnliche“ weil gewerblich genutzte oder leistungsfähige Büromaschine in Verkehr gebracht wird. Unter „gewöhnlichen“ Büromaschinen meint der § 67 der Leitlinie zur EG-Maschinenrichtlinie u.a.:
- Kopierer und Drucker
- Personal Computer
- Aktenvernichter
- Zeichenautomaten
- Faxgeräte
- kleine Bindegeräte
Elektrisch betriebene Büromöbel wiederum werden nicht der EG-Niederspannungsrichtlinie sondern der EG-Maschinenrichtlinie zugeordnet. Auch hier unterliegt die Zuordnung möglicherweise der Prüfung durch die nationalen Marktaufsichtsbehörden.
Innerhalb des § 69 des Leitfadens zur EG-Maschinenrichtlinie wird die richtlinien-spezifische Zuordnung von Elektromotoren erläutert. Wie bei den MSR-Geräten fallen Elektromotoren dann in den Verantwortungsbereich der EG-Niederspannungsrichtlinie, wenn sie in den besagten Spannungsgrenzen für Gleich- und Wechselstrom betrieben werden. Außerhalb dieser Spannungsgrenzen sowie bei der Verwendung innerhalb einer explosionsgefährdeten Atmosphäre erfolgt wiederum die Zuweisung zum Anwendungsbereich der EG-Maschinenrichtlinie bzw. der EG-Richtlinie 1994/9/EG (so genannte ATEX-95 bzw. ATEX-Produkt-Richtlinie).
Parallele Anwendung der EG-Richtlinien
Ziel der Verhandlungen zur EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG war, die parallele Anwendung aller Anforderungen der EG-Maschinenrichtlinie und der EG-Niederspannungsrichtlinie möglichst auszu-schließen. Dazu wurden neue Abgrenzungs- bzw. Zuordnungskriterien für elektrische Produkte festgelegt. Trotzdem wollte man elektrische Gefahren von Maschinen, die unter die EG-Maschinenrichtlinie fallen, auch weiterhin vor dem Hintergrund der Schutzziele der EG-Niederspannungsrichtlinie betrachten. Hierzu regelt der Anhang I Nr. 1.5.1 der EG-Maschinen-richtlinie 2006/42/EG:
„1.5.1. Elektrische Energieversorgung
Eine mit elektrischer Energie versorgte Maschine muss so konstruiert, gebaut und ausgerüstet sein, dass alle von Elektrizität ausgehenden Gefährdungen vermieden werden oder vermieden werden können. Die Schutzziele der Richtlinie 73/23/EG (Neu: 2006/95/EG) gelten für Maschinen. In Bezug auf die Gefährdungen, die von elektrischem Strom ausgehen, werden die Verpflichtungen betreffend die Konformitäts-bewertung und das Inverkehrbringen und/oder die Inbetriebnahme von Maschinen jedoch ausschließlich durch die vorliegende Richtlinie geregelt.“
Die sicherheitstechnischen Anforderungen hinsichtlich der von der elektrischen Ausstattung der Maschine ausgehenden Gefährdungen sind somit mit Hilfe der EG-Niederspannungsrichtlinie zu entwickeln. Alle weiteren Maßnahmen definieren sich im Zuge des Konformitätsbewertungsverfahrens über die EG-Maschinenrichtlinie.
Schlussfolgerungen
Die im Zuge der neuen EG-Maschinen-richtlinie 2006/42/EG vorgenommenen Abgrenzungen, insbesondere diejenigen zur EG-Niederspannungsrichtlinie, werden sich bewähren müssen. Insgesamt aber sollten die vorgenommenen Änderungen den Herstellern elektrischer Geräte einen verbesserten Ansatz zur Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens liefern. Die bisherige, rein phänomenbezogene Verfahrensweise nach Art. 1 Abs. 5 der alten EG-Maschinenrichtlinie 98/37/EG ist Geschichte. Jedoch kann bei der Bewertung der privaten oder gewerblichen Benutzung elektrischer Erzeugnisse eben diese subjektive Festlegung auch weiterhin nicht gänzlich unterbleiben. Viele Übergänge, z.B. bei Haushaltsgeräten und Büromaschinen sind fließend und erfordern ein produktbezogenes und kundenorientiertes Handeln. Die Entscheidung, welche europäische Richtlinie auf der EG-Konformitätserklärung des elektrischen Produktes erscheint, muss im Produktentstehungsprozeß getroffen werden. Kommt es zur Anwendung der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, so ist die Nennung der EG-Niederspannungsrichtlinie nicht erforderlich. Elektrische Produkte, welche sich jedoch der EG-Richtlinie 2006/95/EG zuordnen lassen, sind ausschließlich nach ihr zu erklären (vgl. Abb. 4und 5).
Autoren
Dipl.-Ing.
Günter Geißler
Dipl.-Ing.
Alois Hüning
Maschinenbau- undMetall-Berufsgenossenschaft, Fachstelle Maschinensicherheit
E‑Mail: maschinensicherheit@mmbg.de
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