Der Arbeitgeber ist nach § 3 Absatz 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben.
Steffen Pluntke
Diese gesetzliche Maßgabe findet ihren Niederschlag in einer Vielzahl von verbindlichen Regelungen. So obliegt es dem Arbeitgeber, im Rahmen seiner Fürsorgepflicht, dafür zu sorgen, dass unter anderem Schutzeinrichtungen bereitgestellt, Gefahrenbelehrungen durchgeführt sowie im Notfall die erforderliche Erstversorgung sichergestellt sind. Damit die Erste-Hilfe-Leistung schnell und kompetent erfolgen kann, muss eine genügende Zahl an Mitarbeitern eine Erste-Hilfe-Schulung absolvieren. Die Träger der Unfallversicherung finanzieren die Qualifizierung des vorgeschriebenen Kontingentes an Ersthelfern. Rechtlich nicht verbindlich geregelt und daher in der Verwaltungspraxis auch nicht möglich ist die Kostenübernahme der Unfallversicherungsträger zur Bereitstellung von Defibrillatoren in Betrieben bzw. zur Schulung von Mitarbeitern an diesen Geräten. Die Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsingenieuren einerseits und den Hilfsorganisationen bzw. anerkannten Ausbildungseinrichtungen andererseits erstreckt sich gegenwärtig primär auf die Organisation der Aus- und Weiterbildungen. Eine vertiefende Kooperation findet nur in Einzelfällen statt.
Problemlage
Ein Hilfsmittel zur Reanimation bei Kreislaufstillständen stellen Automatisierte Externe Defibrillatoren (AED) dar, die mittels Klebeelektroden am Brustkorb spezielle elektrische Impulse des Herzens aufnehmen, analysieren und unter kontrollierten Bedingungen ggf. Elektroschocks abgeben. Verschiedenen Studien zufolge erhöhen sie nachweislich den Wiederbelebungserfolg bei bestimmten Notfallbildern bis zu 50 Prozent.
Die Notwendigkeit der Frühdefibrillation wurde durch die „Empfehlung der Bundesärztekammer zur Defibrillation mit automatisierten externen Defibrillatoren (AED) durch „Laien“ sowie jüngst durch den Ausschuss „Notfall-/Katastrophenmedizin und Sanitätswesen“ der Bundesärztekammer bestätigt.
Obwohl AED-Geräte nicht generell zur obligatorischen Sicherheitsausstattung eines Unternehmens zählen, haben bereits verschiedene Betriebe und Behörden im Bundesgebiet freiwillig in Eigenregie Defibrillatoren in ihr Notfallmanagement integriert. Nicht selten mussten die Arbeitsschutzverantwortlichen dabei bis an ihre Grenzen gehen, da ihnen das notwendige Know-how und entsprechende praktische Erfahrungen fehlten. In Kenntnis dieser Problematik wurden ähnliche Projekte – trotz bestehenden Interesses – entweder erst gar nicht initiiert oder nach Anlaufschwierigkeiten wieder verworfen oder nur unter erheblichem zeitlichen Aufwand verwirklicht.
Das Pilotprojekt „Der Herzkasper lauert überall“
Aufgrund der praxisreichen Erfahrungen in der Ersthelferausbildung, der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsverantwortlichen verschiedener Unternehmen und der Kenntnis der Überlegenheit eines betriebsgebundenen Frühdefibrillationssystems wurde im Jahre 2004 vom DRK-Kreisverband Wanzleben e.V. im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt eine innovative Projektidee zur Optimierung des Arbeitsschutzes mittels Automatisierter Externer Defibrillatoren (AED) gestartet. Die Idee und die Umsetzung sollen im Folgenden kurz geschildert werden, um den Arbeitsschutzverantwortlichen eine Perspektive – abseits gesetzlicher Verantwortung – zur Verbesserung des firmeninternen Notfallsystems aufzuzeigen.
Mit dem Start der Kampagne „Der Herzkasper lauert überall“ hatte sich der Kreisverband Wanzleben das Ziel der flächendeckenden Verbreitung von AED-Geräten an allen öffentlich zugänglichen Orten im Allgemeinen und den Arbeitsstätten im Besonderen gesetzt. In Anbetracht der Tatsache, dass in Deutschland fast 130.000 Menschen dem plötzlichen Herztod zum Opfer fallen, wollte die DRK-Gliederung aktiv werden und mit einem anspruchsvollen Konzept Menschenleben retten. Ausgangspunkt des sog. Herzkasperprojektes war die Tatsache, dass Menschen auf der einen Seite in ihrer Rolle als Arbeitskräfte einen großen Teil ihrer Zeit am Arbeitsplatz verbringen und dadurch auch potenziellen Risiken (bspw. Unfälle, Folgen von akuten Erkrankungen) unterliegen. Auf der anderen Seite sind Behörden und Unternehmen auch Orte des Publikumsverkehrs. Besucher, Gäste und Kunden können hier ebenso Opfer von Notfällen werden.
Unternehmen und Ämter sind somit per se zentrale Orte, die zum Aufbau eines engmaschigen Netzes von Defibrillatoren geeignet sind.
Um dieses Ziel zu erreichen, musste der Kreisverband zunächst eine umfassende Aufklärungskampagne sowohl in der Bevölkerung als auch in den ansässigen Unternehmen führen. So wurde neben einer ausführlichen Berichterstattung in der Lokalpresse ebenso auf dem Weltrotkreuztag und auf speziellen Informationsveranstaltungen für Arbeitgeber geworben. Mit Unterstützung der KVG Börde-Bus mbh und der Beschriftung von Linienbussen mit Plakaten wurde die Öffentlichkeitsarbeit ausgebaut. Die Berichterstattung stellte dabei vor allem die Notwendigkeit der Frühdefibrillation als qualitative Ergänzung der Rettungskette sowie der Arbeitssicherheit in den Vordergrund und betonte, dass jeder zu jeder Zeit Opfer des plötzlichen Herztodes sein kann. Bei diesen Gelegenheiten wurden die einfache Gerätebedienung, die erhöhten Überlebenschancen, aber auch Ängste angesprochen und Fehlinformationen korrigiert. Interessierte Arbeitgeber wurden vor allem hinsichtlich der optimalen Integration des AED in ihr lokales Notfallsystem beraten, um so im Ernstfall eine effiziente Nutzung zu garantieren.
Erweiterter Arbeitsschutz als Vorbildfunktion
Mit Hilfe von Spenden und Mitgliedsbeiträgen übernahm das DRK selbst eine Vorbildfunktion, indem zunächst der interne Arbeitsschutz durch Anschaffung von Defibrillatoren aufgewertet wurde. Neben der Geschäftsstelle stattete man alle Begegnungsstätten, Sozialstationen und den Sanitätszug mit einem AED aus. Parallel wurden alle hauptamtlichen Mitarbeiter sowie viele freiwillige Helfer im Umgang mit dem Defibrillator geschult.
Infolge der Kampagne und der breiten öffentlichen Thematisierung der Frühdefibrillation wurde bereits nach kurzer Zeit ein Problembewusstsein bei zahlreichen Unternehmen im Landkreis und sogar über dessen Grenzen hinaus geschaffen. So waren viele Firmen und Einrichtungen wie das Landratsamt, Verwaltungsgemeinschaften, Geschäfte, Apotheken, Feuerwehren, Badeanstalten, Banken, die Oberfinanzdirektion der Landeshauptstadt Magdeburg und verschiedene Handwerks- bzw. Dienstleistungsbetriebe bereit, den Kaufpreis in Höhe von circa 1800 Euro in die Anschaffung eines AED sowie dessen umfangreiches Zubehör und somit in die Rettung eines Menschenlebens zu investieren.
Service aus einer Hand
Dank Spenden kam auch die interessierte Bevölkerung in den Genuss einer kostenlosen AED-Schulung. Allein im Zeitraum 2006 – 2008 wurden 887 Mitarbeiter unterschiedlicher Unternehmen und Behörden auf dem Gebiet der Anwendung eines Defibrillators aus- und weitergebildet. Um den so stetig wachsenden Bedarf an AED-Ausbildungen abzudecken, wurden 10 ehrenamtliche Erste-Hilfe-Ausbilder zu AED-Trainern fortgebildet. Um potenziellen Kooperationspartnern, insbesondere in den Betrieben, einen Service aus einer Hand anbieten zu können, wurden die Trainer obendrein zu Medizinprodukteberatern geschult. So können die Ausbilder nicht nur die regulären Ersthelferkurse durchführen, sondern auch die AED-Schulung und die gesetzlich vorgeschriebene Einweisung des Geräteverantwortlichen. Durch die breite Servicepalette benötigt man für verschiedene (Teil-)Aufgaben nicht verschiedene Firmen oder Dozenten, so dass Dopplungen vermieden werden, Zeit gespart wird und flexiblere Terminabsprachen erfolgen. Arbeitsausfälle durch Einweisungen und Schulungen reduzierte man so auf ein Minimum.
Das DRK-Wanzleben nimmt den Unternehmen vor und während der Integration von AED-Geräten alle administrativen, schulungsrelevanten und technischen Aufgaben ab, um den Aufwand für den Arbeitgeber so gering wie möglich zu halten. Dennoch erfolgt in allen Phasen zwischen dem Kreisverband und dem jeweiligen Unternehmen eine enge Zusammenarbeit und Absprache. Nur wenn alle lokalen Besonderheiten bekannt sind, kann das Defibrillations-System optimal gestaltet werden. Dazu zählen insbesondere die Auswahl eines geeigneten Ortes, an dem der AED frei zugänglich installiert wird, und die Festlegung der Anzahl der zu schulenden Teilnehmer in Abhängigkeit vom Risikostatus des Betriebes. Das beste Defibrillationssystem ist wenig hilfreich, wenn das Gerät nicht schnell greifbar ist oder zu wenig Mitarbeiter souverän mit dem Defibrillator umgehen können. Da es hierzu keine rechtlichen Orientierungspunkte gibt, ist in diesen Fragen beratender Sachverstand nicht nur dringend nötig, sondern ggf. auch lebensrettend.
Mit der Etablierung der Defibrillatoren in den Unternehmen ist die Arbeit des Kreisverbandes keinesfalls abgeschlossen, sondern kann mit Serviceverträgen noch auf die routinemäßige Wartung und andere Dienstleistungen ausgeweitet werden.
- 1. Regelmäßige Terminerinnerung für bevorstehende Ersthelferaus- und ‑fortbildungen,
- 2. Erhalt der Einsatzfähigkeit durch eine jährliche Sicht- und Funktionsprüfung des AED,
- 3. die Lieferung von Ersatz- und Verbrauchsmaterialien nach einer Notfallanwendung bzw. bei Ablauf von Verfallsdaten (u.a. Ersatzbatterien und Klebeelektroden),
- 4. Vermittlung von gesonderten Reparatur- und Wartungsleistungen,
- 5. Bereitstellung eines Ersatzdefibrillators zur Aufrechterhaltung des AED-Netzwerkes bei Funktionsausfall und Störungen,
- 6. Betreuung des Betriebes bei der Ausbildung der Mitarbeiter in Erster Hilfe und Frühdefibrillation und
- 7. Vorhaltung einer Hotline für Servicedienstleistungen, Fragen und Beratungsanliegen.
Erfolge des Pilotprojektes
Sowohl der Service als auch die Sachkompetenz haben in der aktuellen Entwicklung dazu geführt, dass vermehrt überregionale, namhafte Einrichtungen wie das sachsen-anhaltinische Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt oder die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben Defibrillatoren für verschiedene Standorte (u.a. Magdeburg, Hannover, Soltau und Oldenburg) bestellt bzw. Interesse signalisiert haben. Infolge der Ende 2007 stattgefundenen Landkreisfusion des Börde- und Ohrekreises zum jetzigen Landkreis Börde zeichnet sich eine Übernahme der verbesserten Arbeitsschutzstandards ab, indem hinzutretende Verwaltungseinheiten mit einem Defibrillator ausgestattet werden sollen. Die Leistungen und gewonnenen Erfahrungen werden darüber hinaus vom DRK-Landesverband Sachsen-Anhalt hoch anerkannt. Als Kompetenzzentrum zur Frühdefibrillation ist der Kreisverband Wanzleben nun auch zuständiger Ansprechpartner für andere Kreisverbände, welche analoge Projekte anstreben.
Schlussbetrachtungen
Das Engagement der Firmen und Behörden bei der Etablierung eines Defibrillators in ihr Notfallmanagement geht in allen Fällen über die gesetzlichen Mindeststandards hinaus. Zudem sind die beteiligten Einrichtungen bereit, finanzielle Investition in die Sicherheit ihrer Mitarbeiter und Kunden zu tätigen. Mit der Realisierung des geschilderten Projektes konnte nach Auffassung der beteiligten Unternehmen die Sicherheit am Arbeitsplatz erhöht werden, da im Notfall sowohl ausgebildete Helfer als auch ein AED bereitgehalten werden. Insbesondere die rechtlichen und technischen Aspekte stellten in der Vergangenheit häufig eine Hürde dar, daher erweist sich die Verwaltungsentlastung der Sicherheitsverantwortlichen zugunsten eines „Service aus einer Hand“ als wesentlicher Fortschritt. Dabei können zugleich Abläufe besser und schneller koordiniert werden.
Zwar besteht das Hauptanliegen des gesamten Defibrillationsprojektes in der Lebensrettung, doch mit der freiwilligen Erweiterung des Arbeitsschutzmanagements konnten viele der beteiligten Betriebe zugleich einen Imagegewinn nach außen hin erzielen, der nicht zuletzt dazu beiträgt, das kundenorientierte Profil zu stärken.
Das Engagement der Arbeitgeber bedarf einer besonderen Würdigung, denn es trägt dazu bei, die Maßgabe des § 3 Absatz 1 Satz 3 ArbSchG zu verwirklichen, wo es heißt: „Dabei hat er [der Arbeitgeber] eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben.“
Autor:
Steffen Pluntke
E‑Mail: S.Pluntke@gmx.de
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